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Kapitel 3 Nanostrukturierung von Siliziumnitrid-Membranen. Grundlagen ….….…

3.4 Cantilever-Sensoren. Typen und Auslesemethoden

Seit Anfang der 1980er Jahre erlebt die Mikrosystemtechnik ein stetiges Wachstum. Heute gibt es auf dem Markt eine große Vielfalt von Mikro- und Nanosensoren. Die Geschichte der MEMS beginnt mit Biegebalkensensoren (engl.: Cantilever), die vor allem in der Raster-kraftmikroskopie breite Verwendung gefunden haben. Der erste Schritt von Bildgebung zu vielfältigerer Verwendung erfolgte 1994, als Gimzewski et al. von IBM einen mit Platin be-schichteten Cantileversensor verwendeten, um die Wärmeentwicklung bei der katalytischen Umwandlung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser nachzuweisen [Gimz94]. Dies pro-vozierte eine Lawine von Veröffentlichungen über verschiedenste Möglichkeiten, Mikrocan-tilever als Sensoren zu verwenden [Thun94,95,95a, Reit95, Butt96, Frad96]. Daher werden hier einige Beispiele der facettenreichen Einsatzmöglichkeiten aufgelistet:

• In biomolekularen Anwendungen können an Cantilevern adsorbierte Mikroorganismen, Zellen, DNA- oder Protein-Moleküle, etc. nachgewiesen werden [Li01, Jens02, Gupt04, Gons09].

• Cantilever-Sensoren werden in der Medizin zur Blutzuckermessung eingesetzt, zum Nachweis von Prostatakrebs sowie der Gefährdung durch Herzinfarkt (mittels adsorpti-vem Nachweis von Lipoproteinen). Mit Biochips auf Basis von Mikrocantilever-Arrays wird angestrebt, Patienten auf mehrere Krankheiten gleichzeitig zu testen [Vash07].

• In Chemie und Umwelttechnik können Temperatur, Luftfeuchtigkeit, pH-Wert, Blei-, To-luol-, Ethanol- oder Salzgehalt von Wasser gemessen werden. Des Weiteren lassen sich Ionen, Explosivstoffe oder Herbizide mit Mikrocantileversensoren nachweisen [Vash07].

• Biegebalken können zum Nachweis von Festkörperreaktionen eingesetzt werden, z.B. bei der Adsorption von Sauerstoff auf Silizium. Dringt ersterer in die Oberfläche ein und führt durch die Bildung von Si-O-Si-Bindungen zu Oberflächenspannungen, so kann der Bie-gebalken ausgelenkt werden [Sand00].

• Cantilever kommen bei physikalischen Anwendungen wie AFM [Binn86], MRFM [Chab05] und MFM [Mart87] zum Einsatz. In Flüssigkeiten können Dichte, Druck, Durchflussmenge, Viskosität und Schallgeschwindigkeit gemessen werden.

• Bimetallartige Cantilever können zum Fernnachweis von Wärme und zur Erzeugung von Wärmebildern eingesetzt werden [Thun97].

• Cantileversensoren werden im Automobilbereich z.B. in der Sensorik für die Auslösung von Airbags [Simo97] und in der Unterhaltungselektronik z.B. als Mikrofone eingesetzt [Vash07].

• Cantileversensoren werden als Magnetometer eingesetzt [Webe94], und sie eignen sich auch zur Messung von Eigenspannungen beim Wachstum epitaktischer Filme [Sand95].

Der beidseitig eingespannte Cantilever ist das Schlüsselelement aller halbleitertechnischen nanoelektromechanischen Systeme [Blic02]. Je nach Gestaltung des Cantilevers und Anwen-dung kann oft eine sehr hohe Empfindlichkeit erreicht werden: Z.B. genügt die Adsorption

eines DNA-Moleküls mit 2,3⋅10-19 g Masse, um eine messbare Änderung der Resonanzfre-quenz des Cantilevers zu bewirken [Ilic05]. Chabot et al. [Chab03,05] berichten über dünne Einkristall-Silizium-Cantilever, welche als mikromechanische Torsions-Oszillatoren ausge-staltet sind. Sie werden fotolithografisch hergestellt und mit einer magnetischen Schicht be-dampft. Sie werden als Magnetometer oder als Kraft-Sensoren für Rasterkraftmagnetmikro-skope (MRFM) verwendet. Die Nachweisempfindlichkeit für magnetische Momente ist mit 10-15 J/T drei Größenordnungen besser als bei konventionellen Magnetometern. Dieser Can-tilever eignet sich zur höchstempfindlichen Untersuchung der magnetischen Eigenschaften des aufgebrachten Materials. Hohe Empfindlichkeit wird durch eine kleine Torsionsfeder-konstante κ, einen hohen Gütefaktor Q und eine hohe Resonanzfrequenz ω0 erzielt.

Forschung und Entwicklung befassen sich intensiv mit der weiteren Erhöhung der Empfind-lichkeit von Cantileversensoren, was oft mit der Reduktion ihrer Größe zusammenhängt. Pa-rallel entstehen fortlaufend neue Anwendungen, die auch neue Mikrosensoren und -aktoren benötigen. Die Abmessungen von Cantileversensoren variieren von einigen Millimetern über den gesamten Mikrometerbereich bis hin zu Nanosensoren. Die Nachweisempfindlichkeit von Cantileversensoren lässt sich durch Verringerung der Dicke des Cantilevers um mehrere Grö-ßenordnungen verbessern [Thun97], was mit der Frage der Auswahl von geeigneten Materia-lien verknüpft ist.

Die meisten Cantileversensoren bestehen aus Silizium, Siliziumoxid (SiO2) oder Silizium-nitrid (Si3N4), d.h. aus Materialien der Halbleitertechnik, und sie werden mit den in diesem Bereich üblichen Fertigungstechniken hergestellt [Hill06]. Am verbreitetsten sind Cantilever aus Silizium, die durch Nassätzen hergestellt werden. Allerdings ist Silizium spröde, seine Oberfläche oxidiert leicht, und bei hohen Temperaturen verbrennt es. Siliziumoxid hat einen kleineren Elastizitätsmodul als Si oder Si3N4, also wird weniger Kraft benötigt, um entspre-chende Biegebalken gleicher Geometrie zu verbiegen. Allerdings ist SiO2 thermisch weniger stabil als Si3N4. Zudem sind SiO2-Membranen laut Herstellerangaben [SPI12] nicht „völlig eben“ herzustellen. Siliziumnitrid zeichnet sich durch besonders gute mechanische Eigen-schaften aus, ist vergleichbar hart und verschleißfest wie Diamant und dies bei Temperaturen bis 1200 °C. Si3N4 ist korrosionsbeständig, widersteht vielen chemischen Belastungen und Thermoschocks. Dazu kommen geringe thermische Ausdehnung und niedrige Leitfähigkeit.

Seine große Zähigkeit verdankt das Material seiner Mikrostruktur: In einer glasig erstarrten Matrix befinden sich stängelförmige Kristallite, welche sich ineinander verzahnen [Kugl08, Werc12]. Dies führt zu einer besonders hohen Bruchfestigkeit (5,8 GPa nach Edwards et al.

[Edwa04]). Dennoch kann auch Siliziumnitrid bei Zugbelastungen plötzlich brechen, ohne sich vorher nennenswert zu verformen.

Mikrocantilever-Sensoren funktionieren über einen Nachweis der Änderung der Auslenkung oder der Resonanzeigenschaften [Chen95, Thun97]. Bis zu vier Parameter können gleichzei-tig erfasst werden: Resonanzfrequenz, Schwingungsamplitude, Gütefaktor und Auslenkung.

Ursachen der Änderungen dieser Parameter können z.B. zusätzliche Massen sein, welche den Cantilever beschweren, oder eine Variation der Oberflächenspannung, wenn Moleküle adsor-biert werden, oder eine Variation der Dämpfungseigenschaften des Cantilevers oder seiner

unmittelbaren Umgebung z.B. in einer Flüssigkeit. Cantilever können im statischen oder im dynamischen Betrieb eingesetzt werden [Chou07]. In der dynamischen Betriebsweise lässt man den Cantilever bei seiner Resonanzfrequenz schwingen. Eine Wechselwirkung mit der Umge-bung wird durch den Betrag der Änderung der Resonanzfrequenz quantifiziert. Im statischen Fall gibt die Änderung der Auslenkung des Cantilevers die Stärke der Wechselwirkung an.

Für die Gestaltung eines Cantilever-Sensors ist die Frage entscheidend, wie eine Änderung der oben genannten Parameter nachgewiesen werden soll. Der Nachweis kann auf mindestens fünf verschiedene Weisen erfolgen [Vash07, Chou07]:

1) Kapazitiv [Blan96]: Auf den Cantilever ist eine Metallschicht aufgebracht, sie bildet mit einer leitenden Grundplatte einen Kondensator. Eine Auslenkung des Cantilevers verän-dert die Kapazität, dies kann z.B. mit einer Kapazitätsmessbrücke nachgewiesen werden.

2) Optisch [Meye88]: Ein Laserstrahl trifft auf den Cantilever und wird reflektiert. Der Re-flex trifft auf einen positionsempfindlichen Photodetektor. Damit lassen sich Auslenkun-gen bis unter 1 nm nachweisen. Als Photodetektor kann auch eine CCD-Kamera dienen [Kim03]. Laserstrahl, Cantilever und Photodetektor müssen relativ zueinander ortsfest sein.

3) Interferometrisch [Erla88, Ruga89, Spri07]: Das Ende einer Single-Mode-Glasfaser wird nahe an die Cantilever-Oberfläche gebracht. Licht wird an der Faserendfläche und an der Cantileveroberfläche reflektiert; die beiden Flächen bilden ein Fabry-Perot-Interferometer (FPI). Die in die Faser reflektierten Lichtanteile erzeugen auf einer Fotodiode ein Interfe-renzsignal. Auf diese Weise können Auslenkungen bzw. Schwingungsamplituden der Größenordnung 0,1 Å nachgewiesen werden [Ruga89, Hoog08], jedoch nur bei exakter Positionierung der Faser relativ zum Cantilever.

4) Piezoresistiv [Chou07]: Der Cantilever besteht aus mehreren Schichten und wird mittels halbleitertechnischer Verfahren so hergestellt, dass er einen oder mehrere de enthält. Eine Verbiegung des Cantilevers komprimiert bzw. dehnt die Piezowiderstän- Piezowiderstän-de, so dass sie sich ändern. Die Widerstandsänderung innerhalb des statisch betriebenen Cantilevers wird mit einer Wheatstoneschen Messbrücke nachgewiesen.

5) Piezoelektrisch [Chou07, Roge03]: Wird ein piezoelektrischer Cantilever verformt, so wird eine Piezospannung erzeugt. Legt man umgekehrt eine Spannung an, so verformt sich der Biegebalken. Mit einer Wechselspannung lässt er sich in eine Schwingung verset-zen. Piezoelektrische Cantilever werden daher in dynamischer Betriebsweise bei ihrer Re-sonanzfrequenz eingesetzt. Adsorbiert etwas auf dem Cantilever, so lässt sich die Adsorp-tion über die Änderung der Resonanzfrequenz nachweisen.

Alle fünf Methoden erfordern jeweils eine bestimmte, mehr oder weniger aufwändige Gestal-tung des Cantilevers, oder der Cantilever ist Teil einer größeren, fest zu verbindenden opti-sche Apparatur. Letzteres ist ungünstig, wenn man einen insgesamt kleinen Sensor benötigt, welcher sich flexibel platzieren und bewegen lässt. Piezoresistive und piezoelektrische Me-thoden scheiden bei Verwendung käuflicher SiN-Membranen aus, denn die erforderlichen piezoresistiven bzw. piezoelektrischen Eigenschaften müssten schon bei der Herstellung des Cantilevermaterials angelegt werden. Die kapazitive Methode bietet sich im Rahmen dieser

Arbeit insofern besonders an, weil die FIB-Strukturierung ohnehin eine metallische Beschich-tung der Membran erfordert. Alternativ wurde die Cantileverauslenkung optisch und elektro-nenoptisch nachgewiesen – siehe Abschnitt 4.6.2.

Bis vor kurzem wurden am Institut für Angewandte Physik der Universität Hamburg neben SQUIDs [Mein99, Wolf11] auch Cantilever-Magnetometer mit interferometrischem Nach-weis hergestellt und für Messungen magnetischer Felder und speziell für Untersuchungen des De-Haas-van-Alphen-Effekts5 eingesetzt [Schw00,02, Ruhe06, Spri07,Ruhe09]. Die Längen der verwendeten Cantilever-Magnetometer liegen im mm-Bereich, ihre Dicke bei d ≈ 10 µm, und die Herstellung beinhaltet sowohl konventionelle als auch moderne Methoden der Halb-leitertechnologie. Die Kombination der dünnen Membranen mit der FIB-Strukturierung könn-te die Verwirklichung wesentlich kleinerer, dünnerer und daher empfindlicherer Miniatur-Cantilever erlauben, was evtl. weiteren Experimenten eine Zukunft geben könnte. Dabei muss man wieder bedenken, dass der eigentliche Cantilever nur ein Teil der Messapparatur ist.