• Keine Ergebnisse gefunden

2. Theoretische Vorbetrachtung

2.1. Burnout im Medizinstudium

Allgemeine Definition nach Maslach et al.

Der Begriff Burnout wird im Alltag beinahe schon inflationär genutzt. Oftmals ist sogar von einer Modediagnose die Rede (z. B. Kaschka et al., 2011). Dennoch gibt es keine einheitlich gültige Begriffsdefinition. Weder im Statistischen Handbuch der Psychischen Störungen noch in der ICD 10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision)1 stellt Burnout eine eigenständige Diagnose dar (IsHak et al., 2013; Korczak et al., 2010).

Als Begründer der Burnout-Forschung gilt Herbert J. Freudenberger, der 1974 erstmals die emotionale und physische Erschöpfung in Pflegeberufen mit ihren Symptomen charakterisierte.

Es handelt sich um ein vielschichtiges psychologisches Syndrom, also einen Symptomenkomplex, der mit Ängstlichkeit und Depression in Zusammenhang steht. Die Abgrenzung der Dimensionen voneinander ist dabei schwierig. Ein anerkanntes Konzept zur Beschreibung des Burnout-Syndroms liefern Maslach et al. (2001). Dies soll hier als theoretische Grundlage dienen.

Maslach et al. (2001) definieren Burnout als langfristige Antwort auf chronische emotionale und zwischenmenschlichen Stressoren. Ursprünglich war dieses Konzept ausschließlich auf Stressoren des Berufes bezogen und vor allem dem Gesundheitswesen vorbehalten (Schaufeli et al., 2002b). Seit einigen Jahren wird aber deutlich, dass eine Erweiterung auf andere Berufsgruppen und auch auf außerberufliche Betätigungsfelder nötig ist. Gerade Studierende scheinen häufig betroffen zu sein, wie Schaufeli et al. (2002a) herausstellen.

Ganz allgemein beschreiben Maslach et al. (2001) in ihrer Theorie drei Dimensionen des Burnouts (Abbildung 1):

- Exhaustion (erdrückende emotionale Erschöpfung)

- Cynicism (Zynismus/Depersonalisation/Distanziertheit) und - Inefficacy (verminderte Leistungsfähigkeit).

Die emotionale Erschöpfung ist das zentrale und offensichtlichste Symptom. Alleinige Erschöpfung reicht zwar nicht zur Diagnose eines Burnouts, ist aber notwendiges Kriterium.

Sie spiegelt die individuelle Stressdimension wider. Betroffene haben das Gefühl, alle emotionalen und physischen Ressourcen aufgebraucht zu haben. Es folgen Handlungen, die zur emotionalen und kognitiven Distanzierung von der Arbeit führen. Dies ist ein Copingmechanismus gegen Überbelastung. Er gipfelt in einer sehr negativen und abgestumpften oder extrem distanzierten Haltung vor allem gegenüber den zwischenmenschlichen Aspekten der Arbeit. Diese Indifferenz/Gleichgültigkeit wird unter der Dimension Zynismus zusammengefasst. Der Leistungsverlust steht in komplexem Zusammenhang mit den genannten Dimensionen. Er stellt die selbstbewertende Komponente dar und ist gekennzeichnet durch das Gefühl der eigenen Unfähigkeit/Inkompetenz und folglich fehlenden Erfolg durch reduzierte Produktivität (Maslach et al., 2001). In Bezug auf das Studium bedeutet dies, sich auf Grund der hohen Ansprüche emotional erschöpft zu fühlen, eine zynisch-distanzierte Haltung zu den Studieninhalten einzunehmen und das Gefühl zu haben, ein(e) inkompetente(r) oder unfähige(r) Student*in zu sein (Schaufeli et al., 2002b).

Es lassen sich Auswirkungen des Burnout-Syndroms sowohl auf den Beruf als auch die Gesundheit beschreiben. Burnout im Beruf ist assoziiert mit Rückzug aus der sozialen Situation, also Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Weiterhin zeigt sich die Absicht die Arbeitsstelle aufzugeben, eine geringe Produktivität und Effektivität sowie verminderte Zufriedenheit und fehlendes Engagement. Eine Gefahr besteht in der „Ansteckung“ der Kolleg*innen. Gesundheitlich kann sich ein Burnout-Syndrom durch Substanzmissbrauch

Emotionale Erschöpfung

Verminderte Leistungsfähigkeit

Zynismus/

Depersonalisation

Abbildung 1: Dimensionen des Burnout-Syndroms nach Maslach et al. (2001).

Veranschaulicht werden die miteinander interagierenden Dimensionen des Burnout-Syndroms.

Emotionale Erschöpfung (z. B. durch eine hohe Arbeitsbelastung im Medizinstudium) als zentrales Symptom bedingt eine distanzierte Haltung gegenüber der Arbeit und kann zu Zynismus führen. Beides bedingt eine Abnahme der persönlichen Leistungsfähigkeit. In der Folge wird die emotionale Erschöpfung durch ausbleibenden Erfolg verstärkt.

äußern, eine mentale Dysfunktion bedingen und eine vorbestehende Neigung zu Depression und Ängstlichkeit verschlechtern. Insgesamt ist auch ein geringeres Selbstwertgefühl/Selbstbewusstsein zu erwarten (Maslach et al., 2001). Zudem wird eine Reihe von unspezifischen, körperlichen Symptomen beschrieben (vgl. Bergner, 2010).

Theorie zur Entstehung des Burnout-Syndroms

Wie in der Definition deutlich wird, ist das Burnout-Syndrom als Antwort auf chronische Stressoren zu verstehen. Die einzelnen Dimensionen entwickeln sich sukzessive, werden die Auslöser nicht erkannt und ausgeschaltet. Über die Entstehung des Burnouts existieren verschiedene Modelle. Entsprechend der multifaktoriellen Theorie von Maslach et al. (2001) steht folgender Leitsatz im Mittelpunkt:

„You have to have been on fire in order to burn out.“

Das heißt, vor allem Personen mit hohen, teils idealistischen Zielen und großem Engagement erleiden häufig ein Burnout-Syndrom, wenn ihre Ziele nicht erreicht werden. Sie sind anfangs hoch motiviert, ebenso investieren sie viel Zeit und Kraft in die Erfüllung ihrer Ziele. Bleiben jedoch langfristig Erfolg oder Anerkennung aus, kommt es zu einer beruflichen Gratifikationskrise. Andererseits kann auch eine Unterforderung mit Monotonie und Langeweile in einer Erschöpfung münden (Maslach et al., 2001).

Um die Ätiologie eines Burnout-Syndroms zu verstehen, müssen zwei interagierende Faktoren betrachtet werden: Faktoren der Situation (Beruf, Studium, etc.) stehen den Faktoren der Person gegenüber. Im Folgenden sollen mit Hilfe des theoretischen Modells von Maslach et al. (2001) und einer Studie von Radcliffe et al. (2003) sowie Jennings´ Analyse (2009) die Risikofaktoren für ein Burnout-Syndrom am Beispiel von Medizinstudierenden erläutert werden. Die Untersuchung von Radcliffe et al. (2003) bezieht sich vor allem auf die Stressoren im Medizinstudium, also Faktoren der Situation. Diese wurden in strukturierten Interviews mit britischen Medizinstudierenden herausgearbeitet. Laut Maslach et al. (2001) tragen hauptsächlich die nachstehenden Faktoren der Situation zum Erkrankungsrisiko bei und werden durch Beispiele aus dem Medizinstudium nach Radcliffe et al. (2003) illustriert:

- Hohe Arbeitsbelastung: Die Studierenden erleben ein hohes Arbeitspensum durch Stofffülle und Zeitdruck zu Prüfungen sowie einen großen Leistungsdruck durch die Notwendigkeit schneller, eigenständiger Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten.

- Rollenkonflikte: Studierende beschreiben ein Gefühl der Nutzlosigkeit in der Klinik durch fehlendes Wissen/Können; bei Jennings (2009) zusätzlich konkret, das Gefühl verantwortlich für Patient*innen zu sein, ohne etwas tun zu können oder zu dürfen.

- Mangelnde Informationen: Zum Beispiel über Studienabläufe, Rechte und Pflichten.

- Fehlende soziale Unterstützung: Hier wird bei Radcliffe et al. (2003) eine Isolation von

„Nicht-Mediziner*innen“ und ein hoher Sozialisationsdruck beklagt. Das Konkurrenzdenken unter Medizinstudierenden kommt laut Jennings (2009) als belastender Faktor zum Ausdruck. Beide Arbeiten betonen eine gewisse Anonymität im Studium.

- Fehlendes Feedback: Wiederum ist unter anderem die Anonymität z. B. durch Multiple-Choice-Klausuren, hohe Fluktuation und Fehlen direkter Ansprechpartner*innen in der Lehre ursächlich.

- Mangel an Autonomie: Studierende haben neben den Lehrveranstaltungen kaum Freizeit zur individuellen Lebensgestaltung und sind nicht in der Lage, selbstständig über die Behandlung von Patient*innen zu entscheiden.

- Emotionale Belastung: Es wird angesprochen, dass vor allem die Übergangszeiten von Schule zu Studium und von Vorklinik zu Klinik vermehrter Unterstützung der Institution bedürften. Auch in Hinblick auf den ersten Patientenkontakt, Umgang mit Krankheit und Tod oder Prüfungsangst/-versagen empfinden die Medizinstudierenden vermehrt emotionalen Stress.

- Hierarchie: Studierende nehmen eine untergeordnete Rolle in der Klinik ein, sodass sie sich überflüssig fühlen.

Die Faktoren der Person haben Maslach et al. (2001) neben den überdauernden Eigenschaften der Persönlichkeit in sechs Punkten zusammengefasst, wobei alle eine chronische Diskrepanz zwischen Person und Beruf beschreiben. Nachgestellt sind Faktoren der Medizinstudierenden nach Jennings (2009):

- Workload: Zu viel oder falsche Arbeit für das Individuum. Studierende müssen große Stoffmengen und scheinbar sinnlose Details lernen, oftmals sind mehr als zehn Stunden Arbeit am Tag nötig.

- Control: Fehlende Anerkennung und mangelnde Kontrolle/Autonomie bei großer Verantwortung. Studierende sind ohne Entscheidungskompetenz oder Mitspracherecht in der Klinik. Sie haben das Gefühl verantwortlich zu sein, ohne etwas tun zu können.

Weiterhin ist kein Einfluss auf den Zeitplan (z. B. Urlaub) möglich.

- Reward: Unangemessen geringe Bezahlung oder Anerkennung oder fehlende intrinsische Motivation. Es gilt, Studienkredite zu bezahlen. Ausbleibender Erfolg und fehlendes Feedback können den Verlust der intrinsischen Motivation bedingen.

- Community (siehe oben soziale Unterstützung)

- Fairness: Oft werden Studierende mit zynischem Pflegepersonal und Ärzt*innen konfrontiert, die keinen Respekt vor Studierenden zeigen.

- Values: Diskrepanz zwischen den Werten des Individuums und denen des Arbeitsumfeldes. Studierende beobachten falsche Behandlungsmethoden, Minimalisierung und einen zynischen Umgang mit Patient*innen.

Darüber hinaus betonen Maslach et al. (2001) den Zusammenhang von Persönlichkeit/Verhaltensweisen und der möglichen Entwicklung eines Burnout-Syndroms.

Zum einen nehmen demographische Variablen wie Alter, Bildungsstand und Kultur Einfluss.

Für das Geschlecht wird kein Einfluss auf die Burnout-Gefährdung beschrieben. Andererseits gelten einige Persönlichkeitsmerkmale als Risikofaktoren. Dazu gehören eine geringe Ausdauer/Widerstandskraft (Resilienz), eine externe Kontrollüberzeugung, ein passiver Copingstil, geringe Selbstbewertung und Neurotizismus mit seinen Dimensionen Ängstlichkeit, Feindseligkeit, Depression, Verletzlichkeit, emotionale Instabilität. Weiterhin wird dem Typ-A-Verhalten, gekennzeichnet durch Drang zu Wetteifer, Hektik, Feindseligkeit sowie exzessivem Verlangen nach Kontrolle, eine besondere Rolle zugesprochen (Maslach et al., 2001). Auch Dahlin et al. (2007) betonen den Einfluss der Persönlichkeit auf die Stresswahrnehmung in ihrer Erhebung bei schwedischen Medizinstudierenden. Ein hohes Burnout-Risiko ist demnach assoziiert mit Impulsivität und depressiven Symptomen (siehe auch Maslach et al., 2001). Ferner wird deutlich, dass gerade Studierende mit einem hochgradig erfolgsabhängigen Selbstwertgefühl und abnehmendem Engagement gefährdet für psychische Morbidität erscheinen (Dahlin et al., 2007).

Prävalenz von Burnout im Medizinstudium

Aus Erhebungen an amerikanischen Medizinstudierenden geht eindrücklich hervor, dass eine Burnout-Gefährdung bereits in den ersten Jahren des Medizinstudiums besteht und im Studienverlauf weiter zunimmt. Santen et al. (2010) beschreiben bei etwa einem Drittel der befragten Medizinstudierenden ein Burnout-Syndrom. 21 % der Studierenden weisen im ersten Studienjahr eine moderate oder hohe Burnout-Gefährdung auf, welche sich im zweiten Studienjahr nahezu verdoppelt (Abbildung 2).

Bis zu 88 % der Studierenden fühlen sich emotional erschöpft. Als Auslöser werden unter anderem hohe Lernanforderungen, Prüfungen, Stress und fehlende Kontrolle angegeben. Eine zu hohe Arbeitsbelastung, fehlende Unterstützung und Kontrollverlust tragen signifikant zu emotionaler Erschöpfung bei. Zu wenig erfahrene Anerkennung, Überarbeitung und emotionales Engagement führen zur Depersonalisation. Auch Dyrbye et al. (2006) beschreiben in ihrer Untersuchung der Prävalenz von Burnout an 545 Medizinstudierenden aller Studienjahre vergleichbare Ergebnisse. Insgesamt 45 % der Studierenden zeigen hier ein hohes Risiko für Burnout. Dabei nimmt die Prävalenz mit fortschreitenden Studienjahren zu. Neben den bereits genannten Faktoren des Studiums untersuchten Dyrbye et al. (2006) vorrangig auch den Einfluss von Personal-life-events. Negative Lebensereignisse (wie Tod eines nahen Angehörigen u. ä.) korrelieren signifikant mit dem Burnout-Risiko; positive Lebensereignisse (z. B. Hochzeit, Geburt eines Kindes usw.) hingegen haben kaum einen protektiven Einfluss.

Relevante Einflüsse soziodemographischer Variablen werden nicht beschrieben.

Abbildung 2: Burnout-Gefährdung amerikanischer Medizinstudierender (aus Santen et al., 2010).

Abgebildet ist die Prävalenz von Burnout bei amerikanischen Medizinstudierenden (N = 249) in Prozent insgesamt und getrennt nach den Dimensionen emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und verminderte Leistungsfähigkeit für die ersten vier Studienjahre. Bereits vom ersten zum zweiten Studienjahr steigt die Burnout-Gefährdung stark an. Im dritten Studienjahr ist etwa die Hälfte der Studierenden hoch oder moderat gefährdet. Im Verlauf sind bis zu 88 % der Studierenden emotional erschöpft oder schätzen ihre Leistungsfähigkeit als vermindert ein.

Santen et al. (2010) folgern, dass das Burnout-Risiko bereits im Studium ein ernst zu nehmendes Problem ist, insbesondere auch mit Hinblick auf die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im späteren Berufsleben.