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D. Bestechungsfälle

I. „Bundesliga-Skandal“ 1971

Der erste große Fall von Bestechung im Sport in Deutschland wurde im Jahre 1971 beim sogenannten „Bundesliga-Skandal“ bekannt. Zwar wurden bereits in den Jahren zuvor vereinzelt Manipulationen von Fußballspielen aufgedeckt16, Bestechungen in einem Umfang wie zum Ende der Saison 1970/1971 waren bis dahin jedoch im Sport völlig unbekannt und wurden nicht für möglich gehalten.

1. Sachverhalt

Im Frühjahr 1971, wenige Spieltage vor Ende der Saison 1970/1971, sahen sich mehrere Vereine der Fußball Bundesliga der unmittelbaren Gefahr eines Abstiegs aus der höchsten deutschen Spielklasse ausgesetzt. Zu diesen gehörten unter anderem Arminia Bielefeld, Kickers Offenbach und Rot-Weiß Oberhausen. Ein Abstieg in die Regionalliga – eine zweite Bundesliga existierte zu dieser Zeit noch nicht – war für die Vereine existenzbedrohend. Um wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg zu sammeln, begannen sie daher, anderen Bundesligavereinen Geld für Siege oder Niederlagen zu bieten. Geboten wurde Geld einerseits für Siege gegen direkte Konkurrenten, andererseits aber auch für Niederlagen gegen den eigenen Verein. Bereitwillige Nachfrager dieser Angebote fanden die Vereine vor allem bei Vereinen aus dem Mittelfeld der Bundesliga, für die Siege und Niederlagen zu diesem Zeitpunkt der Saison keine Konsequenzen mehr hatten. Insbesondere die Torhüter dieser Vereine erkannten ihren „Wert“ zu dieser Zeit, da sie die Spielergebnisse durch vermeintliche Fehler am unmittelbarsten beeinflussen konnten. So waren der Kölner Torwart Manfred Manglitz und der Braunschweiger Torwart Horst Wolter zwei zentrale Akteure der Manipulationen.17 Doch nicht nur einzelne Spieler wurden bestochen, auch ganze Mannschaften erlagen dem Reiz des Geldes und ließen sich für gewünschte Spielergebnisse bezahlen. Der erste nachgewiesene Fall geschah am 17. April 1971, als Arminia Bielefeld am

16In der Saison 1964/1965 bezahlte Hertha BSC Berlin Vorstandsmitglied Wolfgang Holst dem Spieler Alfons Stemmer von 1860 München 15.000 DM für einen Berliner Sieg in München. Die Berliner gewannen das Spiel 3:1 und retteten sich dadurch vor dem Abstieg (Der Spiegel, Nr. 25/1971, S. 81). Holst wurde vom DFB-Sportgericht mit einem zweijährigen Auftrittsverbot in der Bundesliga bestraft (Der Spiegel, Nr. 20/1972, S.

130).

17Der Spiegel, Nr. 18/1972, S. 124 f.

28. Spieltag überraschend 1:0 bei Schalke 04 gewann und dadurch wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg erzielte. Wie sich später herausstellte, erhielten die Spieler von Schalke 04 für diese Niederlage insgesamt 40.000 DM von den Verantwortlichen von Arminia Bielefeld.18

Da die Bestechungen jedenfalls unter den Verantwortlichen der Bundesliga-Clubs bald ein offenes Geheimnis waren, begannen zunehmend mehr Mannschaften Spiele zu manipulieren.

Am letzten Spieltag sicherte sich schließlich Arminia Bielefeld durch einen 1:0 Sieg bei der zuvor zwei Jahre lang zu Hause ungeschlagenen Hertha BSC Berlin den Klassenerhalt.

Absteigen mussten daraufhin die Kickers Offenbach nach einer 4:2 Niederlage beim 1. FC Köln. Wie sich im Nachhinein herausstellte, bezahlte Arminia Bielefeld für die Niederlage insgesamt 250.000 DM an die Spieler von Hertha BSC Berlin.19Gleichzeitig forderten Spieler des 1. FC Köln von den Kickers Offenbach 100.000 DM für eine Niederlage, was diese jedoch ablehnten. In der Folge mussten sie nach dem Kölner Sieg in die Regionalliga absteigen.20

Der Offenbacher Präsident Horst-Gregorio Canellas machte die Bestechungen am 06. Juni 1971, einen Tag nach dem letzten Spieltag, öffentlich. Die Ermittlungen deckten schließlich auf, dass allein an den letzten acht Spieltagen 18 der 72 Spiele nachweislich gekauft wurden oder zumindest der Versuch unternommen wurde, sie zu verfälschen.21

2. Verfahren und Sanktionen

Das Interesse an der Aufklärung und Verfolgung der Bestechungsfälle von Seiten des DFB war zunächst gering. Berühmt wurde die Aussage des DFB-Sprechers Dr. Wilfried Gerhardt, es gebe „keinen Fall Bundesliga, sondern nur einen Fall in der Bundesliga“.22Bestraft wurden zunächst nur in Eilverfahren die Spieler Manfred Manglitz (1. FC Köln), Tasso Wild und Bernd Patzke (beide Hertha BSC Berlin), sowie der Vorsitzende der Kickers Offenbach, Horst-Gregorio Canellas, der den Skandal überhaupt erst aufdeckte.23 Dadurch sollte in erster Linie die Öffentlichkeit beruhigt werden und der Skandal durch die Bestrafung des

18Der Spiegel, Nr. 6/1972, S. 110

19Der Spiegel, Nr. 18/1972, S. 132 ff

20Der Spiegel, Nr. 18/1972, S. 129 ff.

21Der Spiegel, Nr. 18/1972, S. 122, zum gesamten Sachverhalt siehe auch Rauball, 1 ff.

22Der Spiegel, Nr. 44/1971, S. 172

23Der Spiegel, Nr. 20/1972, S. 133

„Nestbeschmutzers“ Canellas bagatellisiert werden.24 Erst nachdem Canellas selber weitergehende Ermittlungen anstellte und den gesamten Umfang des Skandals veröffentlichte, wurde auch DFB-Ankläger Hans Kindermann aktiver.25 Die Prozesse zogen sich über 18 Monate und endeten in Sperren für 52 Spieler26, sechs Funktionäre und zwei Trainer27 sowie dem Ausschluss von zwei Mannschaften (Kickers Offenbach und Arminia Bielefeld) aus der Bundesliga.

Die Strafen wurden jedoch in fast allen Fällen schon bald gemildert und viele der gesperrten Spieler gar nach wenigen Jahren begnadigt. Teilweise zogen die Spieler auch vor ordentliche Gerichte, um die sportgerichtlichen Sperren anzugreifen. So gelang es fünf Spielern von Schalke 04 durch einstweilige Verfügungen zweier Frankfurter Gerichte28 und ein Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen29 erneute Sperren nach ihrer Verurteilung wegen Meineids (siehe unten) für ungültig erklären zu lassen.

Doch nicht erst die nachträgliche Überprüfung der Sperren beschäftigte die ordentliche Gerichtsbarkeit. Die Aufdeckung der Bestechungen rief schon während der sportgerichtlichen Verfahren parallel auch die Staatsanwaltschaften auf den Plan. An mehreren Bundesliga-standorten begannen die Staatsanwaltschaften wegen Betrugs, Erpressung, Nötigung und Untreue zu ermitteln.30Die Große Strafkammer Darmstadt eröffnete sogar ein Hauptverfahren gegen die Spieler Tasso Wild und Bernd Patzke von Hertha BSC Berlin wegen versuchter gemeinschaftlicher Erpressung.31 Im Laufe der Zeit wurden jedoch nahezu alle staatlichen Verfahren eingestellt. Nur ein einziges Verfahren wurde zu Ende geführt, in dem das Landgericht Essen am 9. Januar 1976 acht Spieler von Schalke 04 wegen Meineids zu Geldstrafen zwischen 4200 DM und 9960 DM verurteilte.32 Sie hatten in einem anderen Verfahren unter Eid ausgesagt, für die Niederlage gegen Arminia Bielefeld kein Geld angenommen zu haben.

24Der Spiegel, Nr. 44/1971, S. 172

25Der Spiegel, Nr. 18/1972, S. 134

26FAZ vom 2. Februar 2005

27Der Spiegel, Nr. 6/1974, S. 108

28Der Spiegel, Nr. 19/1973, S. 156

29ArbG Gelsenkirchen, NJW 1977, 598

30Der Spiegel, Nr. 25/1971, S. 83; Nr. 47/1971, S. 177; Nr. 18/1972, 123

31Der Spiegel, Nr. 17/1973, S. 130

32DIE ZEIT von 23. Januar 1976