Die Bedeutung der V o lkskunst und besonders der Kinderspiele fü r die Kindererziehung brauche ich in diesem Kreis weder zu betonen, noch theo- retiseli nachzuweisen, ln diesem A u d ito riu m sind sich w ohl alle einig, daß die V olkskunst ein m achtvolles, m annigfaltiges E rziehungsm ittel bei der Form ung der Kinderseele ist.
Heute m öchte ich a u f die bulgarischen Volkssiijgspiele eingehen und in einem F ilm Kinderspiele zeigen, die die Mädchen m it Gesang und die Kna- ben oline Gesang aufführen.
Seit Menschengedenken hat jede G esellschaft, jedes V o lk den K indern einen verdienten Platz in der V olksku nst eingeräum t. Die M ütter in allen K o n tin e n te n singen, über die Wiege gebeugt, ih r K in d liebevoll und zart in den Schlaf.
Beim mehrere Monate alten Baby ko m m t die vergnügliche G ym nastik an die Reihe, die meist rhyth m isch ist. ln Bulgarien n im m t die M u tte r das K in d a u f den Schoß, hält es an den Händen, schaukelt es le ich t h in und her und singt dabei im melodischen R e zita tiv:
1.
Di di kon • Co. da • lek li e Lom •Co? Ni e da • lek
ni e bli • zo, ud • r i ko ♦ nja da vãr • vi. ud • r i ko • nja da vår • vi!
H üll, h ü ll, Pferdchen!
Is t’ s w e it nach Lom , zum Städtchen?
Ist weder w e it noch nahe,
T reib an das Pferd, da m it es lä u ft!
000553Б5 los und beginnen den Flügelschlag der Gänse nachzuahmen.
Die M u tte r singt. Das K in d singt m it und e rle rn t a u f diese A r t und
In ganz Bulgarien sind zwei A rte n von Kindersingspielen bekannt:
Bei der ersten A rt bilden die K in d e r eine K e tte , die als ״ H eer“ singend durch eine ״ P fo rte “ zie ht. Z w ei K in d e r m it erhobenen A rm en b ild e n diese
״ P fo rte “ .
Bei der zw eiten A r t stehen die K in d e r in zw ei Reihen einander gegen•
über. Jede Reihe schreitet der anderen singend entgegen und k e h rt dann an ihren Platz zurück.
Außer diesen Spielen sind noch zahlreiche andere, mehr oder weniger bekannte Spiele in mehreren V arianten verbreitet.
Beim Spiel ״ K ra ljo P o rta ljo “ (K ö n ig P fö rtn e r) stehen sich zw ei K in d e r m it erhobenen Arm en und aufeinander gepreßten Händen gegenüber und b ild en dadurch eine ״ P fo rte “ . Dieser ״ P fo rte “ nähern sich im Gänsemarsch die K in d e r, die das ״ Heer“ spielen; sie singen und marschieren du rch das T o r:
3.
Kra • Ijo por • ta • Ijo, dża • пат, о • tvo - rí por - ti,
1| j j J ו ׳ j* j1 p j 1 1 1 j> > I j ! ו
ta da pre- mi - ne, dża-nam, kra •Ijo- va voj ״ ska
O , K ö nig P fö rtn e r, ö ffn e die P forte!
Des Königs Heer soll durchmaschieren.
Die ״ P fö rtn e r“ halten das le tzte K in d der K e tte a u f und fragen es nach der ״ Parole“ : ״ H olz oder Stein?“ , ״ Wasser oder Feuer?“ , ״ H yazinthe oder Tulpe?“ , ״ A p fe l oder B irne?“ usw.
Je nach der A n tw o rt t r it t das K in d h in te r einen der beiden P fö rtn e r. In dieser Z e it lä u ft das ״ Heer“ w e ite r und bereitet sich d a ra u f v o r, die ״ P for- te “ von neuem zu durchschreiten, w obei es mehrmals dasselbe Liedchen w ie d e rh o lt. Zum Schluß b le ib t kein K in d m ehr übrig, da sie, h in te r den beiden ״ P fö rtn e rn “ je eine Reihe bilden. D a ra uf um arm t jedes K in d seinen V orderm ann, die ״ P fö rtn e r“ packen sich an den Händen und jede Reihe
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versucht, die andere a u f ih re eigene Seite zu ziehen. Das Spiel w ird beliebig w ie d e rh o lt.
Z u diesem Spiel werden auch andere M elodien gesungen. In m einer K in d h e it haben w ir dazu die M elodie der N a tionalhym ne gesungen. Das ist le ic h t verstä ndlich : der K ö n ig , das Heer und die N a tionalhym ne finden sich im Spiel zusammen.
Das S piel, bei dem man durch eine P forte schreitet, ist in vielen Län- dern bekannt. A u ch die deutschen K in d e r spielen:
4.
Marsch
\T f r i l \f=f =f =f=T=\
־1*— ־* 1 " 1 м . г г г і 1
i-chet auf das Tor, ma-chet
Г О
auf das Tor, es kommt ein gro - ßer
=Ł ■p+1
Wa - gen
das dem bulgarischen Spiel sehr ähnlich ist. Beim bulgarischen Spiel aber z ie h t ein Heer, beim deutschen Spiel dagegen ein großer Wagen durch das T o r.
Eine m elodisch und rhyth m isch viel reichhaltigere V ariante des Spiels
״ K ö n ig P fö rtn e r“ ist in O stbulgarien, in einem D o rf des Bezirks Burgas — S arofovo — bekannt, w o sich Flüchtlinge aus dem ägäischen T e il Thrakiens angesiedelt haben. Das Spiel heißt ״ S iri, Siri p o r ti!“ ( ö ffn e t w e it die Pfor- te !).
Bei dieser V ariante führen das ״ Heer“ und die ״ P fö rtn e r“ einen dau- em den D ialog im Wechselgesang, während bei ״ K ra ljo P o rta ljo “ nu r das
״ H eer“ singt.
Das ״ Heer“ nähert sich der ״ P fo rte “ im Marsch und w ie d e rh o lt m ehr- mals:
5.
Manch
Si ״ rí, ü • ri por - ti
ö ffn e t w e it die P forte!
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Dabei w ird die ״ P fo rte “ geschlossen. Das ״ Heer“ w ie d e rh o lt nochm als dasselbe. D arauf beginnt der Wechselgesang nach der gleichen M elodie:
Heer: ö ffn e t w e it die P forte!
P fö rtn e r: Was w o llt ih r an der Pforte?
Heer: Das Heer w ill durchmaschieren.
P fö rtn e r: U nd wem gehört dies’ Heer?
Heer: Dem Zaren K o nsta n tin .
Nach dem le tzten Vers w ird die ״ P fo rte “ geöffnet und die ״ P fö rtn e r“
stim m en im asymmetrischen R aćenica-R hythm us folgenden Gesang an:
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6 .
Lebhaft
Za • mi • ne • te po• mi• ne• te, na nas ed• no os• ta• ve• te.
Za •m i• ne• te, pò* mi• ne• te, na nas ed* no os- ta• ve• te
G eht h in d u rch und geht vorüber Eines lasset für uns über!
Das ״ Heer“ m arschiert im dreifachen R ačenica-S til m it verlängertem d ritte n S c h ritt hindurch. Die ״ P fö rtn e r“ halten das le tzte K in d zurück und singen:
7.
Lebhaft
O t־ neh*me vi, ot-neh-me vi naj mal •ko • to т о - те т о • me ( т о т • Се) ( т о т • će) W ir haben euch, w ir haben euch
geraubt das kleinste Mädel (Bübchen)
00055355 der purzeln durcheinander, was das bewegte Spiel noch m ehr belebt.
Bei der zw eiten A r t von Spielen stellen sich, wie bereits e rw ä h n t, die
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Eine V a riante dieses Singspiels ist das durch mehrere handelnde Perso-