• Keine Ergebnisse gefunden

Jahrhundert brachte Europa vorwiegend üble Überraschungen aus dem Südosten: Das Osmanische Reich erlangte, nachdem es sich einen wesentli-

Im Dokument in Geschichte, Kultur und Kunst (Seite 119-123)

chen T eil Ungarns einverleibt und im Jahre 1529 W ien, wenn auch erfolglos, be- lagert hatte, seine größte Ausehnung. U nd tro tz des Sieges, die die spanisch- venezianische F lotte über die Osmanen in der Schlacht bei Lepanto (1571) da- vontrug, war noch der österreichische Kaiser vertragsmäßig verpflichtet, dem Sultan bis zum Jahr 1606 das erniedrigende ,,présent h o n o rifiq u e “ jä h rlic h aus- zuzahlen.

Es war wiederum das 16. Jahrhundert, das eine weitere logische E ntw icklung der Dinge herbeiführte: Ein T e il der ungarischen Feudalherren, die von öster- reichs Expansion nach dem Südosten bedroht waren, verbündeten sich m it der P forte. Frankreich erhielt von den Osmanen fü r seinen levantinischen Handel günstige Bedingungen (die sogenannten ,,K a p itu la tio n e n “ ). England war auch bestrebt, sich dieselben w irtschaftlichen Stellungen in der Levante zu sichern.

A ls Folge der zahlreichen K rie gskon flikte zwischen der P forte und dem Habsburgerreich geriet dieses, ständig unm ittelbar vom osmanischen V o rd rin- gen bedroht, in den M itte lp u n k t der künftigen antitürkischen K oalitionen, das heißt m itten in den K a m p f gegen die Osmanen im 17. Jahrhundert.

Ist von der Stellung der Bulgaren in der europäischen P o litik , nachdem ihr Staat in den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts unter die osmanische Fremd- herrschaft geraten war, die Rede, müssen einige charakteristische Züge ihres ge- sellschaftlichen Lebens bei der neuen Lage in Betracht gezogen werden. Zum Beispiel die Tatsache, daß bei den Bulgaren (und den anderen unterworfenen V ölkern), die nunm ehr keine staatlichen Institu tion en, keinen eigenen A del und keine regierende Dynastie besaßen — die unter den Bedingungen des M itte la i•

00055355

118

ters außer allem auch eine repräsentative Rolle in den zwischenstaatlichen Bezie- hungen spielten — , die orthodoxe Kirche einen T eil der genannten Funktionen übernommen hatte. Eine weitere Besonderheit: eben weil kein bulgarischer Adel vorhanden war, übernahmen wohlhabende städtische Schichten, vorwiegend Kaufleute, einen T eil seiner Funktionen. Dies war durchaus na tü rlich, denn im 17. Jahrhundert hatte sich auch im Westen die Rolle des D ritte n Standes erwei- tert.

Noch ein Charakterzug der bulgarischen Gesellschaft ist hervorzuheben, der in der von uns betrachteten Zeit zum Ausdruck kam: T ro tz der langwierigen und schweren Fremdherrschaft fanden sich die Bulgaren m it ihrem Los nicht ab. Sie nutzten die geringsten M öglichkeiten zu Erhebungen, Aufständen oder zumindest A u fru h r aus. ln der bulgarischen Geschichte während der Osmanen- herrschaft gibt es eigentlich kein einziges Jahrzehnt, in dem derartige Erschei- nungen nicht zu finden sind. Diese Tatsache ist durch den Umstand zu erklären, daß die osmanischen Eroberer ein m ittelalterliches Bulgarien vorfanden, dessen staatliche, ökonomische und kulturelle E ntw icklung a u f einem hohen Niveau stand. Infolgedessen hatte sich unter den Bulgaren bereits ein starkes Bewußt- sein von ihrer Volkszugehörigkeit, ihrem eigenen Staatswesen und der engen Verbindung zwischen dem V olk und seiner K u ltu r herausgebildet. Eine beson- dere Rolle spielt dabei das S ch rifttu m in der eigenen Sprache — ein fü r das M it- telalter rares Phänomen. In Anbetracht dieser, fü r das bulgarische gesellschaft- liehe Bewußtsein spezifischen M erkm ale, die sich bis zum 14. Jahrhundert fo r- m iért hatten, ist es kla r, daß dieses Bewußtsein die unterjochten Bulgaren, die fü r sie schmerzhaften bedeutenden historischen Verluste nicht vergessen ließen und sie daran hinderten, sich in die S tru ktu r der osmanischen Gesellschaft, de- ren nationale, ökonomische und kulturelle E ntw icklung a u f einer wesentlich niedrigeren Stufe als die ihre stand, einzugliedern.

Ein wichtiges, leider zu wenig erforschtes Problem in der Geschichte Bulga- riens, sowie des Südostens überhaupt, ist, daß während des IS ., 16. und 17.

Jahrhunderts — einer fü r die alte Halbinsel tragischen Zeit — sich deren Bevöl- kerung nicht von dem zwischenstaatlichen Leben des übrigen Europa isoliert fü h lte , sondern m it allen K räften bestrebt war, natürlich in Gestalt ihrer höhe- ren Gesellschaftsschichten, Beziehungen zu den einen oder anderen christlichen Herrschern von M itte l- und Westeuropa zu pflegen, über ihre Absichten gegen die T ürkei a u f dem Laufenden zu sein und aus ihren eventuellen oder realen K o n flik te n m it der P forte bestmöglichen Nutzen fü r die eigene Befreiung zu zie־

hen. W ir können uns eine Vorstellung davon machen, welche Schwierigkeiten und Risiken die Vertreter der von den Osmanen unterworfenen V ö lke r überw in­

den mußten» um in Europa hie und da Fuß zu fassen, gemeinsame Handlungen vorzuschlagen, gegenseitig wertvolle politische Info rm atio nen zu erhalten und zu verm itteln.

Es ist hervorzuheben, daß diese ,,Abgesandten44 keine V ertreter des Volkes im heutigen Sinne des W ortes gewesen waren. Sie genossen das Vertrauen eines kleinen Kreises von Gesinnungsgenossen oder Verschwörern aus einzelnen Städ- ten und D örfern. Ihre T ätigkeit war geheim und gefährlich. T ro tz allem aber war diese T ätigkeit, wie aus ihrem Ergebnis zu schließen ist, eine Folge der Ver- einigung der politischen Interessen der unterjochten und der sich außerhalb des Balkans befindenden K räfte; sie war nicht nur real, sie war auch realistisch.

Es ist ganz offensichtlich, daß die Bulgaren, nachdem sie keine eigenen Staat- liehen und m ilitärischen Institutionen mehr besaßen, a u f die Kriege zwischen der P forte und den europäischen Staaten hoffen mußten, um darin ihre eigenen Befreiungsbewegungen einzubeziehen. So zum Beispiel entstand während des österreichisch-türkischen Krieges von 1592— 1606 eine große Verschwörung in Nordbulgarien fü r die Befreiung des Landes. Daran waren außer den bulgari- sehen Persönlichkeiten von hohem Rang auch Kaufleute aus D u b ro vn ik, der Erzbischof Dionysius Rali von Tärnovo und ein Pseudonachkomme der letzten Schischmanen beteiligt. Doch die bulgarischen Gebiete lagen weit im H interlan d der osmanischen Armee, die in Ungarn käm pfte, und deshalb w ar der im Jahr 1598 ausgebrochene A ufstand zum M ißlingen verurteilt. Dieser war jedoch so weitreichend, daß die Zeit des damaligen österreichisch-türkischen Krieges in manchen Volksliedern aus jenen Jahren als ,,Bulgarische Z e it44 besungen w ird .

Erzbischof Dionysius konnte sich bei der Zerschlagung des ersten Aufstands von Tärnovo durch die Flucht nach Österreich retten. Im Jahr 1603 befand er sich in W ien und bemühte sich, Vincenzo I. Gonzaga, den Herzog von M antua, fü r die Seite der unterdrückten Balkanvölker zu gewinnen. Die E rkenntnis des gemeinsamen Nutzens einer breiten antiosmanischen K o a litio n , der außer den betreffenden Völkern auch einige europäische Herrscher angehören sollten, führte zu langen Verhandlungen zwischen den Vertretern von Bulgarien, A lb a - nien, Serbien, der Herzegowina, Bosnien, M ontenegro, m it Charles Emanuel I., Herzog von Savoyen, Ferdinand I., Herzog von Toscana, dem bereits erwähn- ten Vincenzo I., doch am eifrigsten setzte sich der Herzog de Nevers fü r gemein- same A ktionen ein, der große Ländereien in den südlichen Gebieten der Balkan- halbinsel geerbt hatte.

Es war zu erwarten, daß diese Verhandlungen, die in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts stattfanden, zum Scheitern verurteilt und ins Reich der W ün- sehe verwiesen werden mußten, denn damals existierte a u f dem Balkan noch

000553Б5

120

keine O rganisation, die manchen Herrschern in Europa konkrete Vorschläge und Perspektiven fü r ein eventuelles Kam pfbündnis unterbreiten konnte.

A ls eine derartige O rganisation erwies sich die Katholische Kirche im 17.

Jahrhundert.

W ährend des österreichisch-türkischen Krieges, der m it dem Frieden von 1606 endete, waren sich die Habsburger bewußt, daß eine unruhige christliche Bevölkerung im Rücken der osmanischen Heere ihren Sieg wesentlich erleich- tern würde, wenn diese die katholische Konfession annähme. Deshalb entsandte der Papst seine ersten M issionare nach Bulgarien. Im Jahre 1602 wurde der Franziskaner Peter S olinat aus Bosnien zum Erzbischof von Sofia berufen.

Doch hier fand der Katholizism us keinen günstigen Boden. Daher wurde als Zentrum C ip ro vci, eine kleine, Bergbau betreibende Stadt in Nordwestbuiga- rien, gewählt, deren E inw ohner zum T eil noch vor der Osmanenherrschaft — während ihres Zusammenlebens m it hier ansässigen sächsischen Bergleuten — sich zum katholischen G lauben bekehrt hatten.

Die Geschichte des Katholizism us in Bulgarien im 17. Jahrhundert verläuft außerordentlich spezifisch — dram atisch, ja sogar tragisch. Sie erscheint fast unglaublich, wenn man bedenkt, daß sie sich in einem kleinen T eil des bulgari- sehen Gebiets abgespielt hat und bestenfalls durch einige Tausend Bulgaren ver- w irk lic h t wurde. Jedoch berechtigt uns die T ätigkeit der bulgarischen ka th o li- sehen Erzbischöfe zur Schlußfolgerung, daß die bulgarische Gesellschaft, die bulgarische R ealität des 17. Jahrhunderts nicht die waren, als die sie lange Zeit von der Geschichtswissenschaft betrachtet wurden; daß diese Gesellschaft in der T at bedeutend höher entw ickelt war und potentielle M öglichkeiten besaß, die von der Wissenschaft unterschätzt wurden.

Das berühm te ,,C ongregatio de propaganda fide*‘ , das in Rom zur Verbrei- tung des Katholizism us vorwiegend in Südost־ und Osteuropa geschaffen w ur- de, verm ittelte eine Reihe bulgarischer Jugendlicher eine fü r das 17. Jahrhun- dert hohe Bildung. Kennzeichnend fü r die weitere T ätigkeit dieser jungen M en- sehen ist, daß sie hartnäckig ihre Zugehörigkeit zu den Bulgaren betonten und Vergangenheit der geknechteten Bulgaren und ihre ethnische E inheit während

000553Б5

des 17. Jahrhunderts hervorzuheben. Ihm sind auch die frühesten Äußerungen

Im Dokument in Geschichte, Kultur und Kunst (Seite 119-123)