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Brückenschläge

Im Dokument 4 Historische Wissensforschung (Seite 129-132)

Kapitel 3: Expertisenbildung in Zürich 1957

3.6 Brückenschläge

Zu dieser psychodynamischen Interpretation der Stoffwirkungen gab es auch Gegenstimmen. In der Diskussion über die Psychodynamik der Wirkungen kam wohl der stärkste Widerspruch von Veronica Pennington, einer amerikanischen Psychia terin. Sie schilderte die Situation wie folgt:

nude patients in secluded barren rooms, filthy with excreta and devoid of any comfort from association or materials, have been improved and recovered without any benefit of psychotherapy or therapeutic milieu, unless bathing and taking of pills or injections can be construed as such. As they improved they were brought out to a hall too full of restless, irritating companions, there to sit on a hard bench and eat unattractive food and wear disfiguring uniforms. Nevertheless they continued to improve in what most of us would call a most damaging milieu.143

140 Sarwer­Foner, Theoretical Aspects of the Modes of Action 296ff.

141 Ebd.

142 Kline, Psycho pharma cology Frontiers, 450 (Diskussion Dr. Kinross­Wright).

143 Ebd., 451 (Diskussion Dr. Pennington).

Der Zustand der Patientinnen sei wider alle Umstände besser geworden, weshalb klar sei, dass psychoaktive Stoffe keine blossen »Krücken« für die Psychotherapie seien.144 Es gehe vielmehr um biochemische Wirkungen, die unabhängig von der jeweiligen Situation griffen, kurz, um eine »specific, definable, tangible reality«

und nicht um »intangible, unproven psychic processes«.145

Der Tenor ging trotz dieser pointierten Position beim Symposium in Zürich 1957 eher in Richtung Konsensfindung: Weder der eine noch der andere An­

satz sei richtig oder falsch. Was man jetzt brauche, sei ein integrierendes Kon­

zept, mögliche Verknüpfungswege zwischen den beiden »sets of facts« – den bio­

chemischen und psychologischen Zugängen.146 Kline ging davon aus, dass eine Kombination von psychologischen und somatischen Faktoren den Geist steuere, und fand aus diesem Grund, dass auch die theoretischen Zugänge nicht falschen Dichotomien verhaftet bleiben sollten. Die Berufsblindheit der Kliniker und Pharmakologen führe zu einer Simplifizierung der Dinge, wie sich auch Freyhan äusserte, die man nur mit »multidimensionalen« Konzepten überbrücken könne.

Dazu brauchte es Kooperation, und zwar nicht bloss als freundliche Geste, son­

dern als Grundlage für neue Erkenntnisse.147 Die Notwendigkeit zur Koopera­

tion insbesondere der Psychiatrie und Pharmakologie wurde auch im Nachgang von Zürich als einziger Weg zum Fortschritt bekräftigt und die Psychopharma­

kologie als »integrierende Wissenschaft« bezeichnet.148

Ihre Aufgabe – »die Veränderungen der psychischen, emotionellen und af­

fektiven Prozesse normaler und pathologischer Ausprägung unter dem Einfluss psychotroper Pharmaka« zu untersuchen149 – fiel in den Zuständigkeitsbereich zuvor getrennter Forschungsrichtungen. Die Erforschung von Soma und Psyche musste zusammengebracht werden und die Erfahrungen aus der Therapie mit den Ergebnissen aus Experimenten abgeglichen werden. Mit einer rein biolo­

gisch­organischen oder rein psychologischen Orientierung könne man nur die Hälfte des Bildes sehen, argumentierte auch der amerikanische Psychoanalytiker N. William Winkelman in Zürich. Erst durch die Kombination der beiden könne man nicht nur die Wirkungsweisen der psychoaktiven Stoffe, sondern auch die Funktion des Nervensystems insgesamt besser verstehen.150 Er hielt in der Dis­

144 Ebd.

145 Ebd.

146 Kline, Major Controversies and Needs, 18.

147 Kline, Psycho pharma cology Frontiers, 475 (Diskussion Dr. Freyhan).

148 Siehe dazu z.B. Ernst Rothlin, »Über Grundlagen der Psychopharmakologie«, in:

Bulletin der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften 15 (1959), 256–

266, 256.

149 Ebd.

150 Kline, Psycho pharma cology Frontiers, 450 (Diskussion Dr. Winkelman). N. William Winkelman, Psychoanalytiker in Philadelphia, veröffentlichte 1954 den ersten Aufsatz über Chlorpromazin in den USA. N. William Winkelman, »Chlorpromazine in the Treatment of Neuro psychiatric Disorders«, in: JAMA 155/1 (1954), 18–21. Er wurde 1953 von Smith,

kussion die Teilnehmenden dazu an, über Vorbildungen und bisherige psychia­

trische Ausrichtungen hinweg einen neuen, integrativen Blick auf die Stoffwir­

kungen einzunehmen.151

Einige Teilnehmer in Zürich sprachen sich denn auch dafür aus, die unter­

schiedlichen Erklärungsansätze für die Ätiologie psychischer Störungen und zur Wirkungsweise psychoaktiver Stoffe bloss als verschiedene Perspektiven auf dasselbe zu betrachten, wie es Humphry Osmond ausdrückte: »Any illness, in­

cluding mental illness, can be discussed in a variety of ways: chemical, bio­

logical, pharmacological, sociological, through to psychology, philosophy and religion, not to mention medicine and psychiatry.«152 Ein schlagkräftiges Argu­

ment für verstärkte Zusammenarbeit und ein Vereinen der Zugänge im Rahmen von Kongressen und internationalen Zusammenschlüssen also. Auch Winkel­

man äusserte sich in diese Richtung. Es gebe keinen Grund, wieso ein und das­

selbe Phänomen nicht zugleich neurophysiologisch und psychologisch erklärt werden könne, schliesslich seien dies ja bloss »different ways of talking about the same thing«.153 In dieser Sichtweise wurden die chemischen, soziologischen, philosophischen oder psychiatrischen Zugänge als unterschiedliche Sprachen rekonfiguriert. Die offenen Fragen und Grabenkämpfe konnten so in Verstän­

digungsprobleme umgedeutet werden, und mit den neuen Substanzen schien man zudem ein neues Instrument, einen »weiteren Schlüssel«, in der Hand zu haben, um die »verzweifelt schwierige Chiffre« der geistigen Störungen endlich zu lösen.154

Auf dem Zürcher Kongress wurde beschlossen, eine internationale Verei­

nigung zu schaffen, in der alle Disziplinen vertreten sein sollten, die sich für psychoaktive Stoffe interessierten.155 Im Zürcher Bahnhofsbuffet kamen 33 Per­

sonen auf persönliche Einladung hin zu einer etwas konspirativ anmutenden Runde zusammen und hoben eine neue Vereinigung mit dem latinisierten Na­

men Collegium Internationale Neuro-Psychopharmacologicum (CINP) aus der Taufe. Hannah Steinberg, eine Psychopharmakologin und frühes Mitglied des Collegiums, beschreibt das CINP als »male kingdom«, von dem sie lange Zeit den Eindruck hatte, dass die wichtigsten Entscheidungen auf dem Männerklo gefällt worden seien.156 Gegründet wurde das Collegium auf die Initiative von Ernst

Kline und French beauftragt, Chlorpromazin zu testen. Seine ersten Befunde rückten die Wirkung des neuen Stoffes in die Nähe der Lobotomien. Es mache seine Patienten »immo­

bile«, »waxlike«, und »emotionally indifferent«.

151 Kline, Psycho pharma cology Frontiers, 450 (Diskussion Dr. Winkelman).

152 Osmond, Chemical Concepts of Psychosis, 5.

153 Kline, Psycho pharma cology Frontiers, 451 (Diskussion Dr. Winkelman).

154 Osmond, Chemical Concepts of Psychosis, 10 [»desperately difficult cipher«, Übers.

M.T.].

155 Ehrenberg, Das erschöpfte Selbst, 114.

156 Hannah Steinberg, »A Woman Psychopharmacologist in the CINP. Vice President of

Rothlin, Forschungsdirektor bei Sandoz, der zu Beginn auch Präsident war und die Unterstützung der vier grossen Schweizer Pharmaunternehmen gewann.157 Zweck der Vereinigung war hauptsächlich die Durchführung von internatio­

nalen Konferenzen. Die erste fand 1958 in Rom statt, wo Rothlin seine Willkom­

mensrede mit dem Motto »Concentration – Co­ordination – Co­operation« ab­

schloss.158 Wie berichtet wurde, richtete Papst Pius XII. für das CINP sogar einen Empfang in seiner Sommerresidenz aus und hielt eine kurze Ansprache, in der er erstaunliches Wissen über Psychopharmakologie zeigte.159

Die Pharmaindustrie hatte hier ein Interesse, nicht nur die Entwicklung neuer Produkte und Indikationen anzukurbeln, sondern auch die Wissensgenerie­

rung über die neuen Mittel zu fördern und diese durch die Mitfinanzierung von Kongressen und Organisationen bekannt zu machen und ins Gespräch zu brin­

gen. Sandoz­intern wurde über das erste Symposium dieser neuen Vereinigung CINP in Rom berichtet: Die Organisation habe sehr zu wünschen übrig gelassen, und trotz Geldsubvention von Basel und auch von Sandoz Milano sei der Name Sandoz nicht erwähnt worden. Trotz dieser negativen Aspekte sei es erfreulich gewesen, dass Psilocybin als wesentlicher Beitrag gewertet worden sei.160

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