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Betriebsnormen a) Grundsätzlichesa) Grundsätzliches

§ 95 Normativer Teil

1. Betriebsnormen a) Grundsätzlichesa) Grundsätzliches

Betriebliche Normen behandeln Fragen eines Betriebs, die sich auf die ganze Belegschaft beziehen und daher nur betriebseinheitlich ge-regelt werden können. Es sind Fragen der Betriebsorganisation, die früher inSolidarnormen,Ordnungsnormen und Zulassungsnormen unterschieden wurden (JACOBS/KRAUSE/OETKER§ 4 Rn. 57). Sie betref-fen den einzelnen Arbeitnehmer als Mitglied der Belegschaft. Ein Anspruch auf Erfüllung steht dem einzelnen Arbeitnehmer grund-sätzlich nicht zu; zu denken ist aber an ein Zurückbehaltungsrecht (GAMILLSCHEGKollArbR I § 15 VI 2).

Ü

Beispiele für Betriebsnormen:

– Einrichtung von Wasch- und Umkleidekabinen – Arbeitsschutzeinrichtungen

– Einführung eines Rauchverbotes – Durchführung von Torkontrollen

Die Qualifizierung als Betriebsnorm ist von erheblicher Bedeutung.

Gemäß § 3 Abs. 2 TVG gelten Betriebsnormen auch für nichtorgani-sierte Arbeitnehmer. Voraussetzung dafür ist lediglich die Tarif-gebundenheit des Arbeitgebers. Teilweise wird aus diesem Grund im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit § 3 Abs. 2 TVG für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten (vgl. SCHLEUSENER ZTR 1998, 100, 108 f.). Dies stützt sich maßgeblich auf die Annahme, der Außenseiter sei durch die negative Koalitionsfreiheit vor der Ein-beziehung in den Geltungsbereich von Tarifbestimmungen ge-schützt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist dies indes nicht der Fall (BVerfG 11.7.2006 AP Nr. 129 zu Art. 9 GG). Dem hat sich das BAG unlängst angeschlossen (BAG 29.7.2009 NZA 2009, 1424;

BAG 1.7.2009 NZA 2010, 53). § 3 Abs. 2 TVG verstößt auch nicht gegen die Berufsfreiheit der Außenseiter (BAG 7.11.1995 AP Nr. 1 zu

§ 3 TVG Betriebsnormen). Nach h.M. ist § 3 Abs. 2 TVG daher ver-fassungsmäßig (BAG 7.11.1995 AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnor-men; WIEDEMANN/OETKER§ 3 TVG Rn. 172 ff.; GAMILLSCHEGKollArbR I § 17 I 1 d). Allerdings wird von Teilen der h.M. eine restriktive An-wendung bevorzugt (ZÖLLNER/LORITZ/HERGENRÖDER§ 37 III 2).

Die Rechtsprechung (BAG 26.4.1990 EzA Nr. 20 zu § 4 TVG Druck-industrie) nimmt eineBetriebsnormimmer dann an, wenn eine in-dividualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Un-Regelungen zur

Betriebs-organisation

Bedeutung

Definition der Rechtsprechung

zweckmäßigkeit ausscheidet und eine einheitliche Geltung auf be-trieblicher Ebene deshalb unerlässlich ist.

„Gerade im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit der Außensei-ter legt der Senat den sachlich-gegenständlichen Bereich der Betriebs-normen restriktiv aus. [...] Immer dann, wenn eine Regelung nicht In-halt eines Individualarbeitsvertrags sein kann, handelt es sich um Betriebsnormen und nicht um Inhalts- oder Abschlussnormen. Dabei ist das Nichtkönnen nicht im Sinne einer naturwissenschaftlichen Un-möglichkeit zu verstehen, da theoretisch fast jede Sachmaterie als Ar-beitsbedingung im Arbeitsvertrag geregelt werden kann (z.B. sogar auch die Voraussetzungen für die Benutzung einer Kantine). Würde man für die Annahme von betrieblichen Normen verlangen, dass es wissen-schaftlich unmöglich sei, die Frage in Inhaltsnormen zu regeln, bliebe bei einer solch restriktiven Anwendung schon in sachlich-gegenständli-cher Hinsicht kein Anwendungsbereich für Betriebsnormen mehr. [...]

Es muss für die Annahme von Betriebsnormen ausreichen, wenn eine individualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Unzweck-mäßigkeit ausscheidet.“ (BAG 26.4.1990 EzA Nr. 20 zu § 4 TVG Druck-industrie)

In sachlicher Hinsicht ist vom Wortlaut des § 3 Abs. 2 TVG auszuge-hen, der an den Begriff der „betrieblichen Fragen“ anknüpft. Daher sind nicht alle Fragen erfasst, die durch die Existenz des Betriebes entstehen. Vielmehr sind nur solche Fragen erfasst, die unmittelbar die Organisation und Gestaltung des Betriebes betreffen. Betriebs-normen regeln das betriebliche Verhältnis zwischen dem Arbeit-geber und der Belegschaft als Kollektiv, nicht die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die von Betriebsnormen allenfalls mittelbar betroffen werden (BAG 26.1.2011 NZA 2011, 808).

b) Betriebsnormen und Koalitionspluralismus

Fraglich ist allerdings wie das Verhältnis von konkurrierenden Be-triebsnormen aus Tarifverträgen, die verschiedene Gewerkschaften mit dem Arbeitgeber abgeschlossen haben, aufzulösen ist. Zwar spricht auch hier einiges für eine Problemvermeidung durch eine zu-rückhaltende Annahme von Betriebsnormen, vollends vermeiden lassen sich die Konflikte hierdurch aber nicht. Da Betriebsnormen zwingend einheitlich gelten müssen, kommt es daher auch nach Aufgabe des Grundsatzes derTarifeinheit im Betrieb(vgl. § 101 II) zu einer allerdings nur partiellen Verdrängungswirkung von Tarif-verträgen. Zur Auflösung dieser Konkurrenz wird im Schrifttum das Mehrheitsprinzip (GREINER, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, 2010, S. 403 f.) vorgeschlagen. Probleme er-geben sich insbesondere bei Kollisionen von Betriebsnormen, die mit Inhaltsnormen eines Tarifwerks in innerem Zusammenhang stehen (vgl. dazu BEPLERNZA Beilage zu Heft 2/2011, 73).

IV. Betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen § 95

§ 95 Normativer Teil

c) Qualitative und quantitative Besetzungsregeln

Sog.qualitative Besetzungsregeln werden ebenfalls als Betriebsnor-men eingeordnet, obwohl sie weder Solidar- noch Ordnungsnorm sind (SÄCKER/OETKER, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 150 f.). Solche Regelungen verpflichten den Arbeitgeber, be-stimmte Arbeitsplätze mit bestimmten Fachkräften zu besetzen.

Entscheidend ist hier also die Qualifikation. In erster Linie war es die frühere IG Druck (dann IG Medien und heute ver.di), die den Ab-schluss von Tarifverträgen durchsetzte, wonach bestimmte Arbeits-plätze vorrangig mit Fachkräften der Druckindustrie zu besetzen sind. Ihr Zweck besteht zum Teil in der Abmilderung der negativen Konsequenzen, welche die Einführung neuer Technologien für die Beschäftigtensituation im Druckgewerbe hervorrief. Die Einführung rechnergesteuerter Textsysteme ließ den Arbeitsplatz von Schriftset-zern vielfach fortfallen. Qualitative Besetzungsregeln dienen somit teilweise alsRationalisierungsschutz. Sie werden aber auch verein-bart, um sicherzustellen, dass nur hinreichend qualifizierte Arbeit-nehmer Aufgaben übernehmen, und verfolgen damit das Ziel, be-stimmte Gruppen von Arbeitnehmern vor Überforderungen zu schützen. Auch können sie der Qualitätssicherung der Produktion oder dem Anreiz der Qualifizierung von Arbeitnehmern dienen (W IE-DEMANN/WIEDEMANN TVG Einl. Rn. 322). Soweit sie allein arbeits-marktpolitischen Zielen dienen, ist ihre Zulässigkeit im Hinblick auf Art. 12 GG umstritten (vgl. LÖWISCH/RIEBLE§ 1 TVG Rn. 1832; S Ä-CKER/OETKER S. 292 ff.). Die Rechtsprechung hat zumindest dann keine Bedenken, wenn die qualitativen Besetzungsregeln mehreren Zielen dienen (BAG 26.4.1990 EzA Nr. 20 zu § 4 TVG Druckindus-trie).

„Die Vereinbarung qualitativer Besetzungsregeln in der Druckindustrie diente seit jeher mehreren Zielen: Eine Funktion der qualitativen Beset-zungsregeln ist es, einen Beschäftigungsschutz für Fachkräfte der Druckindustrie zu schaffen [...]. Dieser Zweck stand ganz im Vorder-grund bei der Vereinbarung des Tarifvertrags über die Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Textsysteme vom 20. März 1978 (RTS-TV), dessen erklärtes Ziel es war, die negativen Auswirkungen der Ein-führung dieser neuen Technologie auf die Arbeitnehmer zu begrenzen, indem vereinbart wurde, bestimmte Tätigkeiten für einen Zeitraum von acht Jahren vorzugsweise durch die überflüssig gewordenen Fach-kräfte der Druckindustrie ausüben zu lassen. Anders als in dem RTS-TV enthalten die Manteltarifverträge der Druckindustrie seit dem Inkraft-treten des Setzmaschinentarifs vom 1. Januar 1900 qualitative Beset-zungsregeln gerade für Facharbeiten, die nicht überflüssig geworden sind und eine gründliche Ausbildung erfordern. Sie sind unabhängig von einschneidenden technologischen Entwicklungen immer wieder vereinbart worden. Sie versperren nicht für Arbeitnehmer mit anderer oder ohne Berufsausbildung den Zugang zu den Arbeitsplätzen der Druckindustrie. Sie verpflichten den Arbeitgeber nur zur vorrangigen Beschäftigung von Fachkräften mit entsprechender Berufsausbildung bei Facharbeiten bestimmter Lehrberufe. Damit wird dreierlei erreicht:

Rationalisierungs-schutz

Es werden Hilfskräfte ohne Ausbildung und angelernte Hilfskräfte vor Überforderung geschützt; es wird die Arbeitsqualität gefördert, indem ein Anreiz geschaffen wird, eine Ausbildung für die anspruchsvollen Tätigkeiten der Druckindustrie auf sich zu nehmen, und es wird den Fachkräften der Druckindustrie ein besonderer Beschäftigungsschutz gewährt. Dabei bedingen alle drei Ergebnisse einander.“ (BAG 26.4.1990 EzA Nr. 20 zu § 4 TVG Druckindustrie)

In einem Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer erreichte die IG Druck sogar die Festlegung einer verbindlichen Mindestzahl von Arbeitnehmern, die mit der Bedienung einer Maschine betraut sind (quantitative Besetzungsregeln). Solche Normen legen fest, wie viele Arbeitnehmer bei einer Tätigkeit oder an einer Maschine zu beschäftigen sind. Auch ihre Zulässigkeit ist im Hinblick auf die Be-rufsfreiheit des Arbeitgebers nach Art. 12 Abs. 1 GG umstritten (vgl.

SÄCKER/OETKERS. 306 ff.).

2. Betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen

Betriebsverfassungsrechtliche Normen behandeln die Rechtsstel-lung der Arbeitnehmerschaft im Betrieb und deren Organe. Diese ist zwar grundsätzlich im BetrVG geregelt, unter den Voraussetzungen des § 3 BetrVG kann jedoch bezüglich organisatorischer Bestimmun-gen von den RegelunBestimmun-gen des BetrVG durch Tarifvertrag abgewichen werden (vgl. hierzu ausführlich § 147 IV 5).

Ü

Beispiel:

Nach § 47 Abs. 4 BetrVG kann die Mitgliederzahl des Gesamt-betriebsrats durch Tarifvertrag abweichend von § 47 Abs. 2 S. 1 BetrVG geregelt werden.

Höchst umstritten war die Frage, inwieweit dem Betriebsrat durch Tarifvertrag erweiterte Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden können. Das BAG hat sich der Auffassung angeschlossen, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats verstärkt und erweitert werden können (vgl. BAG 18.8.1987 EzA Nr. 18 zu § 77 BetrVG; siehe unter

§ 145 III).