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Das kollektive Arbeitsrecht ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung sowohl für die Arbeitsrechtsordnung als auch für das Wirtschaftssystem. Denn das System der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer durch Gewerkschaften sowie im Betrieb und Unter-nehmen ermöglicht es dem Staat, die Regelung der Arbeitsbedingun-gen in die Verantwortung derer zu leArbeitsbedingun-gen, die von ihnen betroffen sind, das heißt in die Verantwortung der Arbeitsvertragsparteien und ihrer Interessenvertretungen, und dabei zugleich die staatliche Rege-lungsmacht auf die Schaffung von Rahmenvorschriften zu beschrän-ken. Das kollektive Arbeitsrecht trägt daher im Wesentlichen dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen nicht durch staatliche Reglementie-rung geprägt sind, sondern durch die Interessen und

Interessengegen-Bedeutung des kollektiven Arbeitsrechts § 77

Keine Bevormun-dung des einzel-nen Arbeitneh-mers

Ausdruck liberaler Wirtschafts-verfassung

§ 77 Bedeutung des kollektiven Arbeitsrechts sätze der Arbeitsvertragsparteien. Damit ist das kollektive Arbeits-recht zugleich auch Ausdruck einer liberalen Wirtschaftsordnung.

Dem kollektiven Arbeitsrecht kommt darüber hinaus eine wesentli-che sozialpolitiswesentli-che Bedeutung zu, die in der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitnehmervertretungen und Arbeitgebern ihren Aus-druck findet. Nicht selten wird das kollektive Arbeitsrecht überdies angesichts seiner demokratisch gewählten Interessenvertretung im Betriebsverfassungs-, Personalvertretungs- und Sprecherausschuss-recht als „Vorschule der Demokratie“ erachtet (siehe unter § 142).

I. Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsrecht

Die Bedeutung des Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsrechts lässt sich nicht sicher aus dem Geltungsbereich der Gesetze er-schließen. So bestimmt § 1 BetrVG zwar, dass in Betrieben mit in der Regel fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern Betriebsräte ge-wählt werden. In der Realität sind aber nur in ca. 15 % der betriebs-ratsfähigen Betriebe Betriebsräte gewählt worden (HROMADKA/M ASCH-MANN § 11 Rn. 11). Der Grund liegt darin, dass in Klein- und Mittelbetrieben Betriebsräte seltener anzutreffen sind. Nur 7 % der Betriebe zwischen 5 und 50 Beschäftigten verfügen über einen triebsrat. Allerdings sind in den größeren Unternehmen zumeist triebsräte gebildet. Mehr als 80 % der Betriebe mit mehr als 200 Be-schäftigten verfügen über einen Betriebsrat, sodass etwa die Hälfte aller Arbeitnehmer in Deutschland in den Genuss einer betriebsver-fassungsrechtlichen Vertretung kommt. Eine umfassende Bestands-aufnahme ist im Bericht der Kommission Mitbestimmung der Ber-telsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung (Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, Bilanz und Perspektiven, Güters-loh 1998) enthalten. Aktuelle Zahlen ermittelt das Institut für Ar-beitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (www.iab.de).

– 1994 wurden in 40 000 Betrieben Betriebsräte mit insgesamt 220 000 Mitgliedern gewählt.

– Insgesamt wurden im Jahre 1994 jedoch nur 39,5 % aller Arbeit-nehmer in der Privatwirtschaft durch einen Betriebsrat repräsen-tiert. Der Anteil ist bis zum Jahr 2005 auf über 40 % gestiegen.

– Etwa drei Viertel der Betriebsratssitze fallen auf Kandidaten, die in Gewerkschaften des DGB organisiert sind.

– Bei Betrieben mit einer Beschäftigtenzahl zwischen 5 und 50 lag der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat bei 7 %; bei Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten bei 89 (West) bzw. 86 (Ost) % (vgl. E LL-GUTHWSI-Mitteilungen 2007, 155 ff.).

Da die Mitbestimmung in den Unternehmensorganen nur größere Unternehmen betrifft, die in der Regel auch Betriebsräte bilden, dürften praktisch in allen Unternehmen, die nach den entsprechen-den Mitbestimmungsgesetzen die erforderliche Rechtsform und Un-

Betriebs-verfassung

Unternehmens-verfassung

ternehmensgröße haben, die entsprechenden mitbestimmten Or-gane gebildet worden sein. Unter den Geltungsbereich des Montan-MitbestG fielen 1996 nur noch etwa 45 montanproduzierende Un-ternehmen mit etwa 300 000 Beschäftigten. Die Zahlen sind seitdem rückläufig. Unter den Geltungsbereich des wichtigsten Mit-bestimmungsgesetzes, des MitbestG 1976, das ab einer Unterneh-mensgröße von 2000 Arbeitnehmern greift, fielen im Jahre 1996 728 Unternehmen mit etwa 5,2 Millionen Beschäftigten (vgl. Bericht der Kommission Mitbestimmung der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung a.a.O.). Im Jahr 2005 lag die Zahl der unter das MitbestG 1976 fallenden Unternehmen bei 729 (Mitbestimmung 2006, 64). Dem Mitbestimmungsregime des DrittelbG (Unterneh-men mit 500 bis 2000 Arbeitnehmern) unterlagen im Jahr 2009 1477 Unternehmen (vgl. AG Report 2010, R151).

II. Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht

Vorrangige Bedeutung haben Tarifverträge vor allem für die Tarif-gebundenen, d.h. für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien. Allein die DGB-Gewerkschaften zählen knapp 6,2 Millionen Mitglieder (Stand: Ende 2010), das entspricht einem Organisationsgrad von ca.

20 % aller Arbeitnehmer. Der Organisationsgrad auf Arbeitgeber-seitesoll sogar zwischen 80 % und 90 % liegen (siehe THÜSINGZTR 1996, 481). Ende 2011 waren nach einer Bereinigung des Tarifregis-ters beim Bundesarbeitsministerium rund 66 686 gültige Tarifver-träge in Deutschland registriert, etwa 7300 weniger als im Vorjahr.

Nach dem Jahr 2000 kam es zunächst zu einem Anwuchs von Tarif-verträgen. Dieser beruhte z.T. darauf, dass die Tariflandschaft flexib-ler und differenzierter wurde, was nicht zuletzt aus einer steigenden Zahl von Firmen- und Haustarifverträgen resultierte. Im Jahr 2011 wurden 5754 neue Tarifverträge geschlossen (WSI Statistisches Ta-schenbuch Tarifpolitik 2012).

Die Tarifbindung lag dabei unter den Beschäftigten bei ca. 68 % (2004). Der Anteil der tarifgebundenen Betriebe lag 2004 bei ca.

43 % (West) bzw. 23 % (Ost). Die Tarifbestimmungen erfassen in der Praxis aber nicht nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien. Durch staatliche Anordnung oder Verweisung in Arbeitsverträgen auf Tarif-verträge füllen Tarifnormen auch eine hohe Anzahl der Arbeitsver-hältnisse von Nichtorganisierten aus. In den alten Bundesländern soll derErfassungsgradder Arbeitnehmer bei ca.84 %liegen (Quel-le: Angaben des BMAS, Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen 2004).

Die Resonanz in der Öffentlichkeit und in den Medien bei Ab-schluss oder Scheitern von Tarifverhandlungen zeigt dieBedeutung des Tarifvertragsrechtsfür das gesamte Wirtschaftssystem Deutsch-lands. Vor dem Hintergrund der Beschäftigungskrise der 1990er Jahre und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit wird die ökonomische Be-deutung des Tarifvertrags kontrovers diskutiert (kritisch zum volks-wirtschaftlichen Nutzen von Tarifverträgen ZÖLLNER/LORITZ/H

ERGEN-II. Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht § 77

Organisations-grad

Erfassungsgrad

Standortfaktor