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§ 82 Der Koalitionsbegriff

III. Weitere Voraussetzungen der Vereinigung

3. Allgemeine Unabhängigkeit

Um dieInteressen ihrer Mitgliederwahren und fördern zu können, muss die Vereinigung unabhängig sein. Eine Koalition darf daher we-der vom Staat, einer Partei, we-der Kirche owe-der insbesonwe-dere vom sozia-len Gegner abhängig sein. Wesentlich hierfür ist, dass kein äußerer Einfluss auf die Willensbildung und Entscheidung der Vereinigung genommen werden kann. Die bloße Nähe zu einer gesellschaftli-chen Institution ist hingegen unschädlich und tatsächlich verbreitet;

es ist alsokeine parteipolitische oder weltanschauliche Neutralität erforderlich (ErfK/FRANZEN§ 2 TVG Rn. 6).

In diesem Zusammenhang wird vereinzelt die Frage erörtert, ob es zulässig ist, dass Funktions- oder Mandatsträger politischer Parteien, des Staates oder sonstiger gesellschaftlicher Institutionen gleichzei-tig Mitglieder von Koalitionen sind bzw. dort sogar Ämter inneha-ben. Hier ist im Einzelfall danach zu entscheiden, ob durch diese personelle Verquickung bereits die Gefahr einer Einflussnahme auf die Willensbildung und Entscheidung der Koalition besteht. Eine Doppelmitgliedschaft für sich genommen ist unschädlich (W IEDE-MANN/OETKER§ 2 TVG Rn. 334).

a) Gegnerunabhängigkeit

Koalitionen können nur Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigun-gen sein. Die Unabhängigkeit vom Tarifgegner muss in personeller, finanzieller und organisatorischer Hinsicht bestehen. Lediglich bei Bestehen einer solchen Unabhängigkeit kann es zu einem „gerech-ten“ oder „richtigen“ Ausgleich der entgegenstehenden Interessen kommen.

„Koalitionen müssen allerdings in der Tat von der Gegenseite unabhän-gig sein. Dabei ist das Erfordernis der Unabhänunabhän-gigkeit nicht formal, son-dern im materiellen Sinne zu verstehen [...]. Das bedeutet für eine Ko-alition, die wie der Kläger die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder durch Abschluss von Tarifverträgen wahren und för-dern will, dass sie dem tariflichen Gegenspieler gegenüber unabhängig genug sein muss, um die Interessen ihrer Mitglieder wirksam und nach-haltig vertreten zu können. Die Koalition muss über ihre eigene Organi-sation und ihre Willensbildung selbst entscheiden.“ (BVerfG 17.2.1998 AP Nr. 87 zu Art. 9 GG)

Alleinige Vertretung der Mitglieder-interessen

Ämtervielfalt

Unabhängigkeit vom Tarifgegner

Dieses Erfordernis ist auch historisch zu verstehen: In der Weimarer Republik gründeten oder unterstützten die Arbeitgeber so genannte

„Gelbe Gewerkschaften“ oder Harmonieverbände. Zweck dieser Verbände war es, die Verhandlungsposition der Gewerkschaften zu schwächen. Diese Verbände setzten sich häufig aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen. Das Erfordernis der Gegnerunab-hängigkeit wurde ursprünglich entwickelt, um die unabhängigen Verbände vor Auszehrung und Mitgliederverlust zu schützen. Mitt-lerweile wird das Prinzip der Gegnerfreiheit maßgeblich auf das We-sen des Vertragsmechanismus gestützt. Ein echter Vertrag setzt ein kontradiktorisches Verfahren voraus, in dem sich zwei verschiedene Interessenträger im Wege des gegenseitigen Nachgebens einigen. Ab-hängige Verbände können diesem Prinzip nur formal Rechnung tra-gen, weil sie real den Interessen der Gegenseite dienen (WIEDEMANN/ OETKER§ 2 TVG Rn. 298 ff.; GAMILLSCHEGKollArbR I S. 415 f.). Eine fehlende Gegnerunabhängigkeit liegt insbesondere bei einer direkten oder indirekten Finanzierung von Gewerkschaften durch Arbeit-geber oder arbeitArbeit-gebernahe Repräsentanten vor. Davon werden auch Strohmannkonstruktionen erfasst, bei denen die Arbeitgeber für Dienstleistungen der Gewerkschaft gegenüber betriebszugehörigen Arbeitnehmern (z.B. Schulungen) Entgelte entrichten, die nicht den Zweck der Vergütung der Dienstleistung haben, sondern als Gegen-leistung für andere Gefälligkeiten (z.B. den Abschluss arbeitgeber-freundlicher Haustarifverträge) dienen. Aber auch dann, wenn sich eine Gewerkschaft personell in die Abhängigkeit vom sozialen Ge-genspieler begibt, indem sie ihren Geschäftsbetrieb in erster Linie mit dessen Personal betreibt, bestehen Zweifel an der Gegnerunab-hängigkeit.

„Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereini-gung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrneh-mung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf orga-nisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist. Daran ist insbesondere zu denken, wenn sie sich im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert und deshalb zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Andro-hung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmer-seite beeinflussen kann.“ (BAG 5.10.2010 NZA 2011, 300)

Das Prinzip der Gegnerunabhängigkeit lässt sich jedoch nicht voll-ständig realisieren. Es darf deshalb nicht absolut, sondern nurrelativ verstanden werden. Gegnerunabhängigkeit ist nicht mit absoluter Gegnerfreiheitgleichzusetzen.

III. Weitere Voraussetzungen der Vereinigung § 82

Keine absolute Gegner-unabhängigkeit

§ 82 Der Koalitionsbegriff

Ü

Beispiele:

– Gewerkschaften führen selbst Arbeitgeberfunktionen aus.

– Die von den Arbeitnehmern entsandten Arbeitsdirektoren nehmen in der Montanindustrie Arbeitgeberaufgaben wahr.

– Leitende Angestellte sind oftmals mit Arbeitgeberfunktionen betraut.

Umstritten war etwa, ob die verfassungsrechtlich erforderliche Un-abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler durch das MitbestG von 1976 leer laufen würde. Aufgrund dieses Gesetzes sind die Arbeit-nehmer an der Bestimmung der Führung von Unternehmen mit mehr als 2000 Arbeitnehmern beteiligt. Allerdings ist die Mit-bestimmung nicht wirklich paritätisch, da letztlich die Arbeitgeber-seite den Vorsitzenden des Aufsichtsrats wählt und dieser bei Stim-mengleichheit eine zweite Stimme hat (siehe unter § 166).

Deswegen verneinte das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG (BVerfG 1.3.1979 AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG).

„Insofern kommt es zunächst darauf an, ob bei einem Nebeneinander von erweiterter Mitbestimmung und Tarifvertragssystem die Unabhän-gigkeit der Tarifpartner in dem Sinne hinreichend gewahrt bleibt, dass sie nach ihrer Gesamtstruktur gerade dem Gegner gegenüber unabhän-gig genug sind, um die Interessen ihrer Mitglieder auf arbeits- und sozi-alrechtlichem Gebiet wirksam und nachhaltig zu vertreten [...] sie [die Koalitionsfreiheit] schützt auch die Selbstbestimmung der Koalitionen über ihre eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte. Hiermit kann eine Fremdbestimmung durch die Gegenseite in Konflikt geraten.“ (BVerfG 1.3.1979 AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG)

Ob das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit von Vereinigungen der Arbeitnehmer von Gewerkschaften erfüllt ist, ist fraglich. Ihre Mitgliedschaft besteht aus Personen, die als Arbeitnehmer der Ge-werkschaften in aller Regel auch deren Mitglied sind. Das BAG hat die daraus resultierende Doppelmitgliedschaft in zwei Koalitionen gebilligt. Das Recht zum Beitritt zu einer Koalition wird nicht durch einen einmaligen Beitritt verbraucht.

„Ein vertraglicher Verzicht auf die in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Beitrittsfreiheit ist nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht möglich. Diese Frei-heit ist auch nie verbraucht, sondern kann immer wieder von neuem ausgeübt werden. Wer Mitglied einer Koalition ist, kann sich jederzeit dafür entscheiden, aus ihr auszutreten und sich einer anderen Koalition anzuschließen.

Für die Koalitionseigenschaft des Klägers ergibt sich nichts anderes da-raus, dass er die gleichzeitige Zugehörigkeit seiner Mitglieder zu derje-nigen Gewerkschaft akzeptiert, bei der sie jeweils beschäftigt sind.

Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich nicht entnehmen, dass die gleichzeitige Mit-Keine

Abhängig-keit aufgrund des MitbestG

Keine Abhängig-keit des Verbandes der Gewerkschafts-bediensteten

gliedschaft in zwei Koalitionen ausgeschlossen wäre.“ (BAG 17.2.1998 AP Nr. 87 zu Art. 9 GG)

b) Überbetrieblichkeit

Die Überbetrieblichkeit ist eine Voraussetzung für Arbeitnehmer-vereinigungen. Der Grund für dieses Erfordernis ist darin zu sehen, dass Koalitionen, die sich nur auf der Ebene eines Betriebs oder eines Unternehmens betätigen würden, zu starken Einflüssen der Arbeit-geber ausgesetzt wären, da ihr Mitgliederbestand unmittelbar von den Einstellungen und Entlassungen abhängig wäre. Die Über-betrieblichkeit ist letztlich nur einespezielle Ausprägung der Geg-nerunabhängigkeit(FUCHS/REICHOLDRn. 44). Auch sie kann nicht ab-solut gelten. Maßgeblich ist, ob die Beschränkung auf einen Betrieb oder ein Unternehmen die Unabhängigkeit gefährdet. Keine Über-betrieblichkeit wird daher bei den Arbeitnehmerverbindungen gro-ßer Monopolunternehmen gefordert, wie etwa bei der Bahn oder der Post (STEIN Rn. 37). Teilweise wird die Notwendigkeit der Über-betrieblichkeit bezweifelt, da aufgrund der heute sehr weitgehenden Kündigungsschutzbestimmungen eine Einflussnahme des Arbeit-gebers auf die Koalition mittels Kündigung ihrer Funktionäre oder Mitglieder nahezu ausgeschlossen ist (ErfK/FRANZEN§ 2 TVG Rn. 6).