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Besonderheiten in der Erhebung: Einwirkungen auf den Gesprächsfluss Hat sich bereits im Vorgespräch am Telefon 2 gezeigt, dass es von Vorteil für

Im Dokument Kultur und soziale Praxis (Seite 94-97)

die Befragten sein könnte, das Interview in den Muttersprachen (persisch/

türkisch) der Eltern zu führen, begleitete mich ein Dolmetscher zu den Inter-2 | Wurde im Vorfeld (durch die Angaben der vermittelnden Lehrkräfte oder des Arztes/

der Ärztin) deutlich, dass die Eltern über geringere Deutschkenntnisse verfügen, über-nahm bereits an dieser Stelle der Dolmetscher die Telefonate.

views. Zur Vermeidung einer unangenehmen Situation für die Eltern durch die Frage, ob die Anwesenheit eines Dolmetschers notwendig sei, habe ich mich dazu entschieden, anhand des Vorgesprächs selbst eine Beurteilung vorzuneh-men.3 Im Telefonat habe ich die Eltern dann darüber informiert, dass mich ein Dolmetscher begleiten wird. Zu Beginn des Gesprächs wurde dann die Mög-lichkeit angeboten, die Interviews auf Deutsch oder auch auf Persisch bzw.

Türkisch zu führen. Dieses Angebot wurde von allen Interviewpartner*innen genutzt – auch wenn die Befragten zeitweise zwischen den Sprachen hin- und her wechselten (Code-Switching). Dadurch hatten die Eltern die Gelegenheit, ihre Sichtweisen und ihre Gefühle differenziert zum Ausdruck zu bringen (vgl. Enzenhofer/Resch 2011). Zudem erwies sich die Wahlmöglichkeit in An-betracht des emotional besetzten Themas als wichtige Grundlage, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Das bedeutete allerdings auch, dass das Gespräch durch den Dolmetscher zwischenzeitlich unterbrochen werden musste, damit er mir die Kerninhalte (vor allem bei türkischsprechenden Be-fragten4) übersetzen konnte.

Diese Herausforderungen habe ich zugunsten eines interkulturellen For-schungsansatzes und -feldes in Kauf genommen. So sehe ich den Gewinn der mehrsprachigen Interviews darin, fundierte Erkenntnisse für das bislang in der Forschung vernachlässigte Thema »Migration und Behinderung« zu er-halten. Dieser Vorteil ist meiner Einschätzung nach größer als die Einschrän-kungen, die sich durch den Zwischenschritt des Dolmetschens bzw. Über-setzens ergeben können. Zumal in diesem Fall Ressourcen vorhanden waren, die ich habe nutzen können, weil mein Vater mich als Dolmetscher zu den Gesprächen begleiten und bei Rückfragen zu Übersetzungen zur Seite stehen konnte. Allerdings gilt es, die Besonderheiten, die sich durch mehrsprachige Interviews ergeben, in der Auswertung zu berücksichtigen.

Zur Erhebung der empirisch qualitativen Daten wurden im Hinblick auf das beschriebene Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie und den gewähl-ten Zugang der biographischen Forschung (teil-)narrative Interviews geführt.

Mit Hilfe dieser Interviewform soll eine (autobiographische) »Stegreiferzäh-lung des selbsterfahrenen Lebenslaufs« (Schütze 1984, 78) angeregt werden.

Allerdings zielen die Interviews nicht darauf ab, die Ganzheit der Familien-geschichte und ihre Deutungsmuster zu erfassen. Durch eine einschränkende Erzählaufforderung wurde der Fokus auf den Zeitraum nach der Geburt des 3 | In einem Fall allerdings erwies sich meine Entscheidung, auf einen Dolmetscher zu verzichten, als Fehler. Hier hätte ein Dolmetscher höchst wahrscheinlich zur Entlastung der Interviewten und zur Ermöglichung von differenzierten Aussagen beigetragen.

4 | Ich selbst habe nur rudimentäre Kenntnisse im Türkischen. Meine Persischkennt-nisse sind dahingehend ausreichend, als dass ein Wort-für-Wort-Dolmetschen nicht notwendig war.

oder der behinderten Angehörigen gerichtet. Dabei setzen die Interviewpart-ner*innen – so wie es das narrative Interview vorsieht (vgl. Kleemann et al.

2013) – ihre eigenen Schwerpunkte. Es kann vorkommen, dass in einem Inter-view das Kind ganz klar im Mittelpunkt der Erzählung steht, in einem anderen vielleicht aber die Eltern und die Veränderung ihres Lebens.

Einige Interviews weisen stellenweise  – auch aufgrund einer Überset-zungssituation, der fehlenden Erfahrung der Eltern, ihre Biographie zu schil-dern oder schlichtweg aufgrund einer zurückhaltenden Persönlichkeit der Be-fragten – weniger narrative Elemente im strengen Sinne auf wie sie bspw. bei dieser Form des Interviews üblich und z. B. für eine fallrekonstruktive Analyse nach Rosenthal5 Voraussetzung sind, so dass diese Form der Auswertung nicht zur Verfügung stand. Zudem erforderte es für die Erhebung der Daten eine ge-wisse Flexibilität, das Gespräch in Gang zu bringen bzw. am Laufen zu halten.

So musste mit dem Erhebungsdesign zeitweise flexibel auf die Interviewten reagiert werden. Die folgende Gesprächssituation ist ein Beispiel dafür, wie von der durch die Erhebungsmethode ursprünglich geforderten Zurückhal-tung der Interviewerin abgewichen werden musste. Auch hier sind die Eltern gebeten worden, ihre Geschichte zu erzählen, mit dem Hinweis, dass ich sie nicht unterbrechen werde. Obwohl die Eltern sich gegenseitig ergänzten, geriet das Gespräch ins Stocken. Eine Fortsetzung des Gesprächs wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht weitere erzählgenerierende Fragen gestellt hätte (8, 4 M/V)6:

[…] Ich würde gerne erfahren, wie es Ihnen ergangen ist. Wie es Ihnen und Ihrer Familie geht. Dafür würde ich Sie bitten, einfach mal zu erzählen, wie denn alles angefangen hat mit Fatih.

Vater: [türk.] Erst mit drei Jahren haben wir verstanden, worum es geht, weil das Kind nicht gesprochen hat.

Mutter: [türk.] Erst im Kindergarten haben wir dann mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmt [schweigt].

5 | Hierbei wird versucht, die Genese der Fallgeschichte zu entschlüsseln und »bei der Analyse der biographischen Selbstpräsentation die Genese der Darstellung in der Gegenwart, die in ihren thematischen und temporalen Verknüpfungen prinzipiell von der Chronologie der Erlebnisse differiert, zu rekonstruieren« (Rosenthal 2003, 144).

Damit werde der Versuch unternommen, dem Verhältnis von Erlebnis, Erinnerung und Erzählung gerecht zu werden.

6 | Hinweis zur Abkürzung: Interview Nr. 8, ab Zeile 4, es sprechen M (Mutter) und V (Vater).

Da war er drei Jahre alt, ja?

Mutter: [türk.] Ja, genau. Da haben wir ihn dann zur Klinik genommen. All diese Laufe-reien, die ganze Geschichte ging dann erst los. Wie wir mit dem Kind umgehen sollten.

Ergotherapie. [schweigt]

Um welche Behinderung handelt es sich denn?

Vater: [dt.] Nicht nur sprachlich.

Mutter: [türk.] Lernschwierigkeiten und auch Sprachschwierigkeiten. [dt.] Ungefähr 4 Jahre zurück.

Vater: [türk.] Es geht um seinen Kopf. Sprach- und Lernzentrum ist nicht entwickelt.

[schweigt]

Er war also in einem normalen Kindergarten und da hat man das festgestellt?

Mutter: [dt.] Nicht normal. [türk.] Sie haben dann gemerkt, dass etwas nicht stimmt und haben ihn in anderen Kindergarten gegeben. [schweigt]

In einen Sonderkindergarten? Also einen heilpädagogischen?

[…]

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