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4 Ausgewählte Probleme aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofs

4.2 Stellvertretung und Kollusion

4.2.2 Besonderheiten der Stellvertretung durch Organmitglieder

Die Vertretungsmacht einer Person kann sich aus unterschiedlichen Grundlagen ergeben. Eine Möglichkeit ist, dass sich diese unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das ist bspw der Fall bei der Vertretung minderjähriger Kinder durch ihre Eltern nach § 167 ABGB. Man spricht hier von der gesetzlichen Vertretungsmacht. Eine andere Möglichkeit – die im vorherigen Kapitel ausführlich dargestellt wurde – ist die Vertretungsmacht aufgrund rechtsgeschäftlicher Erteilung nach den §§ 1002 ff ABGB. Diese Fälle werden unter den Begriff der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht erfasst. Die Befugnis zur Vertretung einer rechtsfähigen Gesellschaft durch ihre jeweiligen vertretungsbefugten Organe stellt noch eine letzte, dritte Kategorie dar, die sogenannte organschaftliche Vertretungsmacht. Diese leitet sich zwar aus dem Gesetz ab, setzt aber voraus, dass jemand eine Organstellung innehat.203

199 Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 1017 ABGB Rz 13.

200 RIS-Justiz RS0016733 [3].

201 OGH 29.10.2014, 9 ObA 68/14m, ARD 6437/7/2015 = ZAS-Judikatur 2015/26, 72.

202 OGH 24.6.2016, 9 ObA 61/16k, DRdA-infas 2016/154, 260.

203 Ratka/Rauter/Völkl, Unterenehmens- und Gesellschaftsrecht: Band II: Gesellschaftsrecht4 (2020) 57 f.

Für die organschaftliche Vertretungsmacht müssen gewisse Besonderheiten beachtet werden. Da sie Ausfluss der Organstellung ist, beginnt die Vertretungsmacht für Organe von Kapitalgesellschaften mit deren Bestellung und endet mit deren Abberufung.204 Im Falle von Personengesellschaften ergibt sich die Organstellung und damit die organschaftliche Vertretungsmacht unmittelbar mit Beginn der Gesellschafterstellung (vgl § 125 UGB; mit Ausnahme des Kommanditisten §§ 161 Abs 2, 170 UGB). Es gibt hier keinen gesonderten Bestellungs- oder Abberufungsakt. Allerdings besteht teilweise die Möglichkeit einem Gesellschafter durch gerichtliche Entscheidung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes seine organschaftliche Vertretungsmacht zu entziehen (vgl ua § 127 UGB).205 Die organschaftliche Vertretungsmacht lässt sich nicht übertragen und nicht vererben. Selbstverständlich bleibt es aber den Organen offen, rechtsgeschäftliche Vertreter zu bestellen.206

Die organschaftliche Vertretungsmacht kennzeichnet sich vor allem durch ihren gesetzlich vorgegebenen inhaltlichen Umfang und dessen Unbeschränkbarkeit. Sie zählt, wie bspw auch die Prokura, zur Gruppe der Formalvollmachten. Gesetzeszweck ist der Verkehrsschutz.207

Für Geschäftsführer der GmbH regelt bspw § 18 GmbHG den Umfang der Vertretungsmacht. Diesen obliegt sehr umfassend jede Form rechtsgeschäftlicher oder gerichtlicher Vertretung. Die Vertretungsmacht kann gem § 20 Abs 2 GmbHG nach außen hin nicht beschränkt werden.208 Nach diesen Normen ist auch richtigerweise im Fall OGH 9 ObA 61/16k209 der Geschäftsführer befugt den Dienstvertrag mit der AN im Namen der GmbH abzuschließen. Der AN darf sich auf dessen Befugnis verlassen und muss sich Beschränkungen im Innenverhältnis nicht entgegenhalten lassen.

Grenzen der Vertretungsmacht eines Geschäftsführers finden sich zum einen bei Grundlagengeschäften, insbesondere Satzungsänderungen und zum anderen bei Rechtsgeschäften mit anderen Gesellschaftern oder bei In-Sich-Geschäften. Darüber hinaus

204 Torggler in Torggler (Hrsg), GmbH-Gesetz § 18 Rz 2 (Stand 1.8.2014, rdb.at); Reich-Rohrwig/Pesendorfer in Artmann/Karollus (Hrsg), Kommentar zum Aktiengesetz: 2. Band6 § 71 Rz 5 ff (Stand 1.10.2018, rdb.at).

205 Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter (Hrsg), Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch:

Band I4 § 125 Rz 4 (Stand 1.4.2020, rdb.at).

206 Torggler in Torggler, GmbHG § 18 Rz 2; Reich-Rohrwig/Pesendorfer in Artmann/Karollus, AktG II6 § 71 Rz 2, 84.

207 Ratka/Rauter/Völkl, Unterenehmens- und Gesellschaftsrecht II4 58.

208 Koppensteiner in Koppensteiner/Rüffler, GmbH-Gesetz3 § 20 GmbHG Rz 20.

209 OGH 24.6.2016, 9 ObA 61/16k, DRdA-infas 2016/154, 260.

gilt, wie bei der rechtsgeschäftlichen Vertretung (vgl Punkt 4.2.1), gleichermaßen für die organschaftliche Vertretung, dass Kollusion ein wirksames Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes für den Vertretenen jedenfalls verhindert.210 Dieser Verteidigungsweg wurde von der GmbH im Fall OGH 9 ObA 61/16k211 gewählt, jedoch ohne Erfolg.

Ähnliche Normen zur Vertretungsbefugnis des Vorstandes in der AG finden sich in den

§§ 71 und 74 Abs 2 AktG. Dort wird ua festgehalten, dass Dritten gegenüber Beschränkungen der Vertretungsbefugnis unwirksam sind. Doch auch in anderen Gesellschaftsformen und deren gesetzlichen Bestimmungen ist die organschaftliche Vertretungsmacht als Formalvollmacht definiert (vgl dazu ua § 126 Abs 2 UGB und § 19 GenG).

Eine letzte Besonderheit der Stellvertretung durch Organe, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden soll, ist die Firmenbuchpublizität gem § 15 UGB. Dieses Argument ist auch in der Entscheidung OGH 9 ObA 61/16k212 aufgekommen. Im Grundsatz ist die Vertretungsmacht von der Bestellung und Abberufung eines Organs in einer Kapitalgesellschaft, wie der GmbH abhängig. Ausnahmsweise wird aber der gutgläubige Verkehr bei einer fehlerhaften Firmenbucheintragung darüber hinaus geschützt. So kann es vorkommen, dass zwar ein Geschäftsführer bereits abberufen, aber noch nicht aus dem Firmenbuch gelöscht wurde. Dieser könnte nach § 15 Abs 1 UGB noch immer rechtsgültig einen Vertrag im Namen der Gesellschaft mit einem Dritten abschließen.213

§ 15 UGB unterscheidet einerseits zwischen der negativen Publizität (Abs 1), der positiven Publizität zutreffender Eintragungen (Abs 2) und der positiven Publizität unrichtiger Eintragungen (Abs 3).214

Die negative Publizität nach § 15 Abs 1 UGB soll jedermann dazu anhalten, eintragungspflichtige Tatsachen so bald wie möglich ins Firmenbuch einzutragen. Wird die Eintragung nicht vorgenommen, kann die eintragungspflichtige Tatsache einem Dritten grundsätzlich nicht entgegengehalten werden. Unter diesen Tatbestand fallen vor allem jene Fälle, in denen ursprünglich richtige Eintragungen nachträglich unrichtig werden, der

210 Torggler in Torggler, GmbHG § 20 Rz 25 ff.

211 OGH 24.6.2016, 9 ObA 61/16k, DRdA-infas 2016/154, 260.

212 OGH 24.6.2016, 9 ObA 61/16k, DRdA-infas 2016/154, 260.

213 Völkl/Ettmayer in Straube/Ratka/Rauter (Hrsg), Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch: Band I4

§ 15 Rz 9 (Stand 1.12.2017, rdb.at).

214 Ratka/Rauter/Völkl, Unternehmens- und Gesellschaftsrecht: Band I: Unternehmensrecht4 (2020) 55 ff.

Eintragungspflichtige aber die Korrektur im Firmenbuch unterlässt. Erfasst sind sowohl deklarative als auch konstitutive Eintragungen. Geschützt wird aber nur der materielle Gehalt der Eintragung selbst, nicht hingegen sonstige Rechtsverhältnisse oder Tatsachen. Es kann aus der Eintragung eines Geschäftsführers daher bspw nicht seine tatsächliche Handlungsfähigkeit abgeleitet werden.215

Zweck dieser Norm ist der vor allem der Verkehrsschutz. Geschützt nach § 15 Abs 1 UGB ist schon das abstrakte Vertrauen. Die tatsächliche Einsicht ins Firmenbuch ist daher nicht erforderlich. Unabhängig davon, ob jemand tatsächlich auf den Firmenbuchstand vertraut hat oder dadurch in seiner Entscheidung beeinflusst wurde, darf sich ein Dritter auf § 15 UGB berufen. Darin liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung. Ein Dritter wird allerdings dann nicht geschützt, wenn seinerseits positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache vorliegt. Beruft sich der Eintragungspflichtige auf die fehlende Schutzwürdigkeit des Dritten, hat es dieser auch zu beweisen.216

Als Rechtsfolge ist ein Wahlrecht des Dritten vorgesehen. Dieser kann sich entweder auf den unrichtigen Firmenbuchstand berufen oder aber auf die wahre Rechtslage.217

Die Frage nach der negativen Publizität war auch für die Entscheidung OGH 9 ObA 61/16k218 von Bedeutung. Es wurde im gegenständlichen Fall behauptet, dass ein bereits abberufener Geschäftsführer der GmbH, der aber noch im Firmenbuch eingetragen war, unzulässigerweise einen Kündigungsverzicht im Namen der GmbH abgegeben habe. Um diese äußerst ungünstige Vertragsklausel loszuwerden, wurde weiters behauptet, dass der Dritte (die AN) über die Abberufung positive Kenntnis gehabt hätte. Sie habe an der Abschiedsfeier des betroffenen Geschäftsführers teilgenommen, daraus hätte ihr bewusst sein müssen, dass dieser keinen gültigen Kündigungsverzicht mehr abgeben kann. Dieser Sachverhalt hätte wohl tatsächlich die Vertretungshandlung unwirksam werden lassen, allerdings wurden die entsprechenden Tatsachen zum Teil erst verspätet in höherer Instanz vorgebracht. Anhand des festgestellten Sachverhalts, an den der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung OGH 9 ObA 61/16k gebunden war, gelang der Beweis nicht.

215 Mollnhuber in Torggler (Hrsg), UGB: Unternehmensgesetzbuch Kommentar3 (2019) § 15 Rz 5 ff.

216 Völkl/Ettmayer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 15 Rz 7.

217 Mollnhuber in Torggler, UGB3 § 15 Rz 13.

218 OGH 24.6.2016, 9 ObA 61/16k, DRdA-infas 2016/154, 260.

§ 15 Abs 2 UGB bezweckt umgekehrt den Schutz des Eintragungspflichtigen. Diese Bestimmung garantiert, dass der Firmenbuchstand jedem außerbücherlichen Rechtsschein vorgeht. Ist eine zutreffende Tatsache eingetragen worden, muss ein Dritter diese gegen sich gelten lassen. Im Falle einer Rechtshandlung innerhalb von 15 Tagen nach Bekanntmachung einer Tatsache kann ausnahmsweise der Dritte sich darauf berufen, dass er diese eingetragene Tatsache weder kannte noch kennen musste.219

§ 15 Abs 3 UGB behandelt noch jene Tatsachen, die schon bei deren Eintragung unrichtig waren. Auch unrichtige Tatsachen können demnach gegenüber Dritten Wirkung entfalten. Dazu muss der Rechtsschein der Eintragung zurechenbar sein, der Dritte muss gutgläubig darauf vertraut haben und das Vertrauen muss kausal für die Entscheidung des Dritten gewesen sein.220

Gem § 15 Abs 4 UGB bleibt § 3 UGB von dieser Bestimmung unberührt.

219 Völkl/Ettmayer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 15 Rz 13 ff.

220 Mollnhuber in Torggler, UGB3 § 15 Rz 19 ff.