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5. Organisationale Sozialisation

5.1 Begriffsklärung

Organisationale Sozialisation bezeichnet zusammengefasst den Prozess, den ein Berufs-einsteiger durchläuft, um sich an die Normen und Werte einer bestimmten Organisation durch einen Lernprozess anzupassen. Im Gegensatz zur allgemeinen Sozialisation, die als „(...) die Einführung in ein (kultur-)spezifisches Normen- und Wertesystem, der

‚Prozess, in dem der Mensch die Normen und Werte der Gruppe, der er angehört lernt’, andererseits der gesamte (...) ‚Prozess, in dem ein Individuum durch Umgang mit an-deren seine spezifischen Ausprägungen eines sozial relevanten Verhaltens entwickelt’

verstanden“ (Drescher 1993: 4) wird, versteht man organisationale Sozialisation als ein Prozess, „...by which employees are transformed from organization outsiders to partici-pating and effective members” (Feldmann 1981: 309) bzw. als „the process of ‘learning the ropes’, the process of being indoctrinated and trained, the process of being tought what is important in an organization or some subunit thereof” (Schein 1968: 1f.).

Im Vordergrund der organisationalen Sozialisation steht demnach das Erlernen von Normen und Werten einer Organisation durch ein neues Organisationsmitglied oder nach Welte: Die „organisationale Sozialisation umfasst (...) den Prozess und die Zeit des Übergangs von einem ‚neuen’ Mitglied zu einem Vollmitglied einer Organisation“43 (Welte 1999: 22). Auch van Maanen hebt in seinen Ausführungen die Integration des neuen Mitglieds in die Organisation durch das Erlernen der Werte und Normen der Or-ganisation hervor: „OrOr-ganisationssozialisation ist der Prozess, durch den eine Person die Werte, Normen und geforderten Verhaltensweisen lernt, die ihr gestatten, als Mitglied an der Organisation teilzunehmen“ (Van Maanen 1976: 67). Drescher nimmt bei seiner Begriffsklärung eine Dreiteilung vor: So versteht er unter organisationaler Sozialisation

43 Welte verweist hier auf Heinz 1980.

einen Prozess der Transformation, einen Satz an Methoden und eine Theorie. Der Pro-zess der Transformation integriert auf der einen Seite das Kennenlernen und das Akzep-tieren der organisationalen Ziele und Werte, auf der anderen Seite schließt dieser Pro-zess auch das Knüpfen und Pflegen von sozialen Beziehungen ein. Der Satz an Metho-den dient als Werkzeug, um die für die spezielle organisationale Position passenMetho-den Verhaltensweisen, Normen und Werte akzeptieren zu können. Organisationale Soziali-sation kann aber auch als Theorie darüber verstanden werden, wie „neue Fähigkeiten, Glaubenssysteme, Handlungsmuster, personale Identitäten erworben werden, wenn Per-sonen in für sie neue Settings eintreten“ (Drescher 1993: 5f.). Rehn betont in ihren Aus-führungen zur organisationalen Sozialisation die Bemühungen der Organisation, Neu-linge einzugliedern und sie somit für die Arbeitsgemeinschaft zu sozialisieren (vgl.

Rehn 1990: 11). Hierbei steht also nicht das bloße Erlernen der neuen Organisations-mitglieder im Vordergrund, sondern das aktive Integrieren durch die Organisation.

Im Gegensatz zu den erwähnten Beschreibungen von organisationaler Sozialisation, die den neuen Mitarbeiter als wert- und normneutral ansehen und nach denen „die Gesamt-heit der Faktoren und Bedingungen des für den Sozialisanden relevanten Arbeitskontex-tes das Referenzsystem der Sozialisation bilden, dem sich der neue Mitarbeiter als Indi-viduum ausgesetzt sieht“ (Althauser 1982: 3), legt Ulich in seiner Definition den Fokus nicht nur auf das Erlernen von organisationsspezifischen Verhaltensregeln aus der Per-spektive der Organisation, sondern richtet sein Interesse auch auf den persönlichen Nut-zen des neuen Organisationsmitgliedes. Organisationale Sozialisation bezeichnet hier

„das Zustandekommen von sozial vermittelter und (sozial wirksamer) Orientierungs- und Verhaltenssicherheit“, die den neuen Mitarbeiter befähigt, ‚Handlungsalternativen im Hinblick auf eigene Intentionen, die Bedürfnisse anderer sowie situative Anforde-rungen soweit zu klären und zu reduzieren, dass eigene Handlungen geplant und koor-diniert durchgeführt werden können“ (Ulich zit. nach Althauser 1982). Auch Heinz schlägt die Brücke vom organisationalen Nutzen zum Einfluss der organisationalen So-zialisation auf die Persönlichkeit: „Fasst man berufliche SoSo-zialisation als Aneignungs- und Veränderungsprozess von Fähigkeiten, Kenntnissen, Motiven, Orientierungen und Deutungsmustern, die in der Arbeitstätigkeit eingesetzt werden können, dann ist hiermit sowohl die Sozialisation für den Beruf, als auch durch die Arbeitstätigkeit selbst ange-sprochen. Daher umfassen berufsbezogene Lern- und Entwicklungsprozesse nicht nur die Qualifizierung für die Arbeitstätigkeit, sondern auch die gesamte Persönlichkeits-entwicklung.“ (Heinz 1991: 397)

Organisationale Sozialisation betrifft also nicht nur das Erlernen von organisationsspe-zifischen Normen und Werten, um sich in einer Organisation beruflich etablieren zu können, sondern wirkt sich auch auf die Persönlichkeit eines Individuums aus und bleibt somit nicht nur auf das Berufsleben beschränkt. Die Persönlichkeit lässt sich bezeichnen als das spezifische Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Hand-lungskompetenzen, das einen Menschen kennzeichnet (vgl. Tillmann 1999: 32). „Zur Persönlichkeit gehört (...) Individualität ebenso wie der Sozialcharakter, den die Mit-glieder einer Gesellschaft miteinander teilen.“ (vgl. Rolff 1967: 22ff.)

Auch diese Perspektive ist freilich noch sehr einseitig, so wird zwar der Einfluss der Sozialisation nicht mehr nur aus der Nutzenperspektive der Organisation betrachtet, aber es wird vernachlässigt, dass Sozialisationserfahrungen nicht nur die Persönlich-keitsentwicklung beeinflussen, sondern dass auch die Persönlichkeit einen Einfluss auf die Wahl der Organisation ausübt: „(...) jemand, der in eine Position tritt, verändert sei-ne soziale Persönlichkeit. (...) Umgekehrt kann man etwa ansei-nehmen, dass jemand, der seine neue Position zu wählen hat, idealiter versucht, eine Wahl zu treffen, in der sich die Persönlichkeitsattribute, die er sich zuschreibt, mit den entsprechenden Charakeristika der Position optimal vertragen (...)“ (Lüscher 1968: 56). Wichtiger als diese Erkenntnis erscheint die Konsequenz dieser: So beeinflusst die Persönlichkeit ei-nes Individuums nicht nur die Wahl der Organisation, sondern auch die organisationa-len Sozialisationserfahrungen durch individuelle Interpretationen des Arbeitskontextes:

„Berufliche Anforderungen und Arbeitssituationen sind durch berufliche Sozialisations-prozesse vermittelt und werden von den Beteiligten interpretiert.“ (Hurrelmann/Ulich 1991: 399)

Auch Hackel schließt sich der Auffassung an, „(...) dass bei der Betrachtung der berufli-chen Sozialisation Arbeitsbedingungen und Berufsverlaufsmuster in einer Wechselbe-ziehung mit den Arbeitserfahrungen und Berufsbiographien zu berücksichtigen sind.

Berufliche Sozialisation ist demnach kein Determinationsprozess der Persönlichkeit durch die Arbeit, sondern ein Prozess der aktiven Auseinandersetzung der Individuen mit ihrer Berufsrealität.“ (Hackel 1995: 11)

Es lässt sich also erkennen, dass die Organisationswahl und der Prozess der Integration u.a. durch das Individuum selbst determiniert ist und man sich von dem Bild verab-schieden muss, dass das Individuum in eine Organisation geworfen wird und seine Indi-vidualität und Identität aufgeben muss, um sich als Mitglied etablieren zu können.

Stattdessen bringt das Individuum Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse mit in die

Organisation, und wenn sich diese - besonders in der Einstiegsphase - nicht bzw. nur in sehr geringem Ausmaß erfüllen, enden diese Enttäuschungen leider häufig in Kündi-gungen (vgl. Kieser et al. 1990: 80f.). Wünschenswert ist, dass nach dem Prozess der organisationalen Sozialisation „eine mehr oder weniger gelungene ‚Integration’ des neuen Mitarbeiters in das komplexe Gebilde ‚Organisation’“(Althauser 1982: 4) vollzo-gen wurde. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es notwendig, dass organisationale Strukturen auf der einen Seite und die Individualität des neuen Mitarbeiters auf der an-deren Seite aufeinander abgestimmt werden oder nach Hoff et al. „(...) muss versucht werden, die zu verwendenden Strukturmodelle der Arbeitssphäre und der Persönlichkeit im einzelnen aufeinander abzustimmen; und dies dürfte am ehesten gelingen, wenn aus-gehend von der Interaktion zwischen Arbeit und Persönlichkeit in wiederholtem Hin und Her einerseits nach persönlichkeitsformenden Arbeitsaspekten und andererseits nach arbeitsbedingten Persönlichkeitsaspekten gefragt wird, um vorhandene Inkongru-enzen und InkonsistInkongru-enzen der zunächst beanspruchten Arbeits- und Persönlichkeitsmo-delle – durch Identifizierung relevanter und Eliminierung irrelevanter Momente der je anderen Seite und durch wechselseitige strukturelle Adaptierung – schrittweise abzu-bauen“ (Hoff et al.1982: 513).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die organisationale Sozialisation die Eingliederungsmaßnahmen der Organisation und das Erlernen der organisationsspezifi-schen Werte und Normen durch das neue Mitglied innerhalb der Einstiegszeit (bis zu zwei Jahren) beschreibt. Für den Verlauf dieses Prozesses ist wichtig, dass die organisa-tionalen Strukturen und die individuellen Vorstellungen nicht kollidieren, da solche Konflikte meist in einer Kündigung enden, die sowohl für die Organisation als auch für den Berufseinsteiger negative Konsequenzen mit sich bringt. So hat die Organisation die Kosten für weitere Rekrutierungsmaßnahmen zu tragen, und der Gekündigte bzw.

Kündigende muss sich um eine neue Stelle bemühen. Für diese Arbeit steht die gegen-seitige Beeinflussung oder besser formuliert die gegengegen-seitige Wahrnehmung von orga-nisationalen Strukturen auf der einen Seite und den Karriereorientierungen einer Person auf der anderen Seite im Vordergrund. Damit ist gemeint, dass – wie wir anhand der theoretischen Darstellung sehen konnten – vermutet wird, dass Personen mit unter-schiedlichen karrierebezogenen Wünschen, Zielen und Motiven die Eingliederungspha-se in eine Organisation unterschiedlich erleben.

Das Interesse dieser Arbeit richtet sich also nicht primär auf bestimmte Eingliederungs-strategien einer Organisation und auch nicht auf die Lernprozesse von Neueinsteigern,

sondern auf die organisationalen Sozialisationserfahrungen von Personen mit verschie-denen Karriereorientierungen. Es steht also die Wahrnehmung der Strukturen, der Ein-gliederungsprozesse, der Kollegen, der Arbeitsgruppe, der Aufgaben etc. im For-schungsinteresse, um daraufhin aufzeigen zu können, inwieweit es zwischen Karriere-orientierung als Ausdruck von Individualität und organisationalen Sozialisationserfah-rungen als Ausdruck von organisationaler Struktur an sich zu Konflikten kommt.