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Beginn der Organschaft

Im Dokument Die Organschaft in der Umsatzsteuer (Seite 54-58)

3.5 Beginn und Ende der Organschaft

3.5.1 Beginn der Organschaft

Wenn die Voraussetzungen des Bestehens der Organschaft erfüllt sind, treten gemäß dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Z 2 öUStG250 genau zu diesem Zeitpunkt die Folgen der Organschaft unabhängig von der Kenntnis der Beteiligten zwingend ein. 251252

Eine Organschaft kann auch schon mit einer Vorgesellschaft – einer Gesellschaft nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags bis zur Eintragung ins Firmenbuch253 - bestehen.254 Bei Vorbereitungshandlungen können nur die Umsätze des späteren Organträgers der Organgesellschaft zugerechnet werden. Seine Umsatztätigkeit wird als Tätigkeit eines Unternehmers im Rahmen seines Unternehmens beurteilt.255 Mit einer Vorgründungsgesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Ziel, eine Kapitalgesellschaft zu errichten) kann zwar – da sie keine juristische Person ist - kein Organkreis gebildet werden, die Zurechnung der Umsätze dieser Vorgesellschaft bei der späteren Organschaft ist jedoch möglich.256

Ab dem Beginn der Organschaft ist nur mehr der Organträger Schuldner und Gläubiger von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis.257 Lieferungen und sonstige Leistungen, die noch vor dem Beginn der Organschaft von der späteren Organtochter ausgeführt wurden, sind jedoch noch der jeweiligen Organgesellschaft zuzurechnen, auch wenn die Steuer erst nach dem Beginn der Organschaft entsteht. Der Organgesellschaft steht auch der Vorsteuerabzug

250 § 2 Abs 2 Nr 2 dUStG.

251 Vgl Klenk, Umsatzsteuergesetz EL 63 § 2 Rz 134; Ruppe, Umsatzsteuergesetz § 2 Tz 103, Bürgler, UStG-ON 2.00 § 2 Rz 174; Scharpenberg, Umsatzsteuergesetz Lfg. 6 § 2 Tz 473.

252 Nur Österreich, Deutschland und die Niederlanden sehen das zwingende Entstehen der Organschaft vor. Vgl Vyncke, ec Tax Review 2009, 299.

253 In Deutschland Handelsregister genannt.

254 Vgl Scharpenberg, Umsatzsteuergesetz Lfg. 6 § 2 Tz 478; Flückiger, UStG Bd II Lfg 173 § 2 Abs 2 Rz 268;

Birkenfeld, Umsatzsteuerhandbuch Lfg 50 § 44 Rz 382.

255 Vgl Scharpenberg, Umsatzsteuergesetz Lfg. 6 § 2 Tz 475.

256 Vgl Flückiger, UStG Bd II Lfg 173 § 2 Abs 2 Rz 268; Scharpenberg, Umsatzsteuergesetz Lfg. 6 § 2 Tz 477.

257 Vgl Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 709.

für den Bezug von Lieferungen oder sonstigen Leistungen vor Entstehen des Organkreises zu, auch wenn die Rechnung nach dem Entstehen der Organschaft einging.258

3.5.1.1 Gesetzes- und Unionsrechtskonformität der zwingenden Organschaft

Stadie vertritt die Meinung, dass der zwingende Eintritt der Rechtsfolgen einer Organschaft nicht dem wirklichen Willen des Gesetzgebers entspricht, verfassungswidrig ist und nicht von Art 11 MwStSystRL gedeckt ist.259 Er argumentiert, dass das Rechtsinstitut der Organschaft wegen des Entfalls des ursprünglichen Zwecks nur auf Wunsch der Wirtschaft wegen der Verwaltungsvereinfachung beibehalten wurde. Da durch die Organschaft nicht nur Vorteile sondern auch Nachteile entstehen können und die Regelung nur im Interesse der Unternehmen beibehalten wurde, muss es ein Wahlrecht geben.260

Weiters fehlt dem Organträger - sofern kein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag besteht - eine durchsetzbare Rechtsgrundlage, um von den Organgesellschaften die für die Umsatzsteuer- und Vorsteueranmeldungen erforderlichen steuerlichen Auskünfte zu erhalten.

Die Informationserlangung müsste durch eine Vereinbarung gewährleistet sein. Auch dies spricht laut Stadie gegen eine zwingende Organschaft.

Er kritisiert, dass in der Praxis die beherrschte Gesellschaft jahrelang als eigenständiger Unternehmer angesehen wird und bei Insolvenz dieser Gesellschaft plötzlich von einer Organschaft ausgegangen wird, damit der Organträger für die Schulden in Anspruch genommen werden kann. Da die Haftungsfolge in der Begründung für die Beibehaltungsnorm des Finanzausschusses nicht erwähnt wird und die Organschaft im alten Umsatzsteuersystem 1967 nur im Hinblick der Steuerbefreiung der Innenumsätze eingeführt wurde, kann dies nicht Primärzweck einer Organschaftsregelung sein.261

Zudem wird gegen das unionsrechtliche Neutralitätsgebot 262 verstoßen, weil ein Unterschied in der Besteuerung wegen der Rechtsform der Unternehmer entsteht. Die Haftung tritt

258 Vgl Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 712.

259 Vgl Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 641.

260 Vgl Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 641.1, 631, 622.

261 Vgl Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 641.3, 641.4.

262 Das unionsrechtliche Neutralitätsgebot wurde im Kapitel 3.2.2.1 „Unionsrechtskonformität des Ausschlusses von Personengesellschaften“ schon näher erläutert.

nämlich nicht ein, wenn eine Personengesellschaft insolvent wird, weil sie keine Organgesellschaft sein kann. 263

Es könnte auch ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliegen, wenn man die Situation mit einem im Ausland ansässigen Organträger vergleicht. Dieser haftet nicht für die Umsatzsteuer der insolventen Organgesellschaft. Der Organträger müsste zur Haftungsvermeidung seinen Sitz oder die Tochtergesellschaft(en) ins Ausland verlegen. Eine Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nicht ersichtlich.264

Die deutsche herrschende Rechtsprechung und ein Teil der Lehre sind jedoch entgegengesetzter Meinung.

Der Bundesfinanzhof ist bisher bei seinen Entscheidungen zum Ergebnis gekommen, dass die Organschaft zwingend in dem Moment beginnt, in dem die Eingliederungsmerkmale vorliegen und sich aus dem Wortlaut des Art 11 MwStSystemRL eindeutig ergibt, dass die Mitgliedstaaten kein Wahlrecht vorsehen müssen.265 Das FG Rheinland-Pfalz hat hingegen in seinem Beschluss vom 11.3.2008266 - unter Verweis auf die Ausführungen von Stadie und Reiß267 - Bedenken gegen die bisherige Auffassung des Bundesfinanzhofs geäußert.

Vor dem Urteil Ampliscientifica268 stimmte Birkenfeld der deutschen Rechtsprechung zu. Er führte dazu aus, dass das Unionsrecht zweifelsfrei kein Wahlrecht vorschreibt. Ein Wahlrecht, dass beispielsweise Großbritannien und die Niederlande eingeführt haben ist zwar zweckmäßig jedoch nicht bindend für andere Mitgliedstaaten. Er nimmt Bezug auf das bevorstehende Urteil Ampliscientifica und geht davon aus, dass dieses Urteil weitere Fragen zur Organschaft klärt.269

Nach dem Ergehen dieses Urteils ist sich die Lehre jedoch noch uneiniger als sie es vorher schon war.

263 Auch das Bundesverfassungsgericht hat zum deutschen Gebot der Rechtsformneutralität gemäß Art 3 Abs 1 GG ausdrücklich festgehalten, dass die Rechtsform in der ein Unternehmer tätig ist, kein sachlich

gerechtfertigter Grund ist für eine Umsatzsteuerbefreiung. Vgl Beschl. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151 = BStBl. II 2000, 160.

264 Ausführlich: Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 641.

265 BFH V R 37/00, UR 2002, 271; BFH XI R 74/07; BStBl II 2009, 256; BFH V B 126/02, BFH/NV 2003, 515;

BFH V R 78/03, BStBl. II 2005, 608.

266 FG Rh.-Pf. 6 V 2395/07, UR 2008, 542.

267 Stadie, Umsatzsteuergesetz § 2 Anm 621, 622, 623, 624, 624.1, 624.2632, 633, 642; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg), Umsatzsteuergesetz (2002) § 2 Rz 102, 104.1, 98.

268 Vgl EuGH 22.5.2008, C-162/07, Ampliscientifica, Slg 2008, I-4019.

269 Birkenfeld, UR 2008, 2.

Stadie bezieht sich auf dessen ersten Leitsatz: „Bei Art 4 Abs 4 Unterabs 2 der 6.EG-Richtlinie (jetzt Art 11 MwStSystRL) handelt es sich um eine Norm, deren Umsetzung…den Erlass einer nationalen Regelung vorausgesetzt, die es im Inland ansässigen Personen, …, die…eng miteinander verbunden sind, gestattet, …als ein Steuerpflichtiger behandelt zu werden, …“270 und geht davon aus, dass auf Grund dessen eine nationale Vorschrift kein zwingendes Entstehen einer Organschaft vorsehen darf, zumal dem Wort „gestattet“ auch keine Relativierung vorausgegangen ist.271 Er sieht dies in der Aussage in Randnummer 23 des Gerichtshofes bestätigt: „…Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende diese Kriterien erfüllt…“.

Demnach ist für Stadie eindeutig, dass § 2 Abs 2 Nr 2 dUStG272, wie er es schon vor dieser Entscheidung gefordert hat, nur mehr auf Antrag anwendbar ist.

Der Bundesfinanzhof widerspricht dem in seiner Entscheidung vom 29.10.2008273. Er räumt zwar ein, dass der eben erwähnte Leitsatz den von Stadie vertretenen Anschein erweckt. Eine solche Auslegung würde jedoch einerseits dem Wortlaut des zitierten Art 4 Abs 4 Unterabs 2 6.EG-Richtlinie und andererseits der Randnummer 20 des Urteils: „Art 4 Abs 4 Unterabs 2 der 6.EG-Richtlinie setzt somit, wenn ein Mitgliedstaat von ihm Gebrauch macht, zwingend voraus, dass die nationale Umsetzungsregelung einen einzigen Steuerpflichtigen vorsieht…“

widersprechen. Der BFH hat dazu keinen Auslegungsbedarf durch den EuGH anerkannt.

Nieskens schließt ebenfalls aus dieser Randnummer, dass es zwingend kein Wahlrecht zugunsten des Unternehmers betreffend der Frage, ob die Folgen der Organschaft eintreten sollen, geben kann.274

Auch Klenk und Wäger sind der Ansicht, dass legitimerweise kein Wahlrecht bezüglich des Entstehens der Organschaft besteht.275

Nach den Aussagen des EuGH in der Rechtsprechung Ampliscientifica276 steht Birkenfeld dem Ganzen kritisch gegenüber und meint, dass die Grenzen des nationalen Gesetzgebers erst

270 EuGH 22.5.2008, C-162/07, Ampliscientifica, Slg 2008, I-4019, Leitsatz.

271 Vgl Stadie, Anmerkungen zu EuGH 22.5.2008, C-162/07, Ampliscientifica, Slg 2008, I-4019, UR 2008, 540.

272 § 2 Abs 2 Z 2 öUStG.

273 BFH XI R 74/07, UR, 50.

274 Vgl Nieskens, UR 2008, 539.

275 Vgl Klenk, Umsatzsteuergesetz EL 63 § 2 Rz 92; Wäger, FS Schaumburg, 1189.

276 EuGH 22.5.2008, C-162/07, Ampliscientifica, Slg 2008, I-4019.

festgelegt sind, wenn keine Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts mehr bestehen.277

Bei einer insgesamten Betrachtung des Urteils geht der Gerichtshof immer wieder davon aus, dass der Mitgliedstaat es, wenn er eine nationale Regelung auf Grund des Art 4 Abs 4 UAbs 2 6.EG-Richtlinie278 einführt, Personen, die in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Verbindung stehen, gestatten muss als ein Steuerpflichtiger behandelt zu werden.279 Auch aus der Randnummer 32 dieses Urteils ergibt sich, dass der EuGH jedenfalls kein zwingendes Entstehen der Organschaft vorschreibt, falls ein Mitgliedstaat Art 4 Abs 4 Unterabs 2 6.EG-Richtlinie280 durch eine nationale Regelung umgesetzt hat:

„…Steuerpflichtige, die sich für ein System vereinfachter Mehrwertsteuererklärung und -zahlung entscheiden möchten,…“ Daher gehe ich davon aus, dass der Gerichtshof in der Randnummer 20 dieses Urteils nur klarstellen wollte, dass, wenn sich Steuerpflichtige für eine Organschaft entscheiden, neben dem Organträger oder an dessen Stelle nicht auch die Organgesellschaften verpflichtet oder berechtigt werden können, Umsatzsteuererklärungen abzugeben. Durch das Urteil Ampliscientifica ergibt sich keinesfalls ein Verbot eines Wahlrechts. Um jedoch endgültig Klarheit zu erlangen, ob ein zwingendes Eintreten der Folgen der Organschaft unionsrechtskonform ist, bedarf es noch einer weiteren Auslegung des Europäischen Gerichtshofes. Eine Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses vor Einführung der nationalen Regelung bestätigt nicht die Unionsrechtskonformität einer Vorschrift.

Im Dokument Die Organschaft in der Umsatzsteuer (Seite 54-58)