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2.2 Theoretischer Rahmen

2.2.2 Schizophrenie als cerebrale Diskonnektivität

2.2.2.2 Befunde zur Diskonnektivität

Empirischer Ausgangspunkt für die Hypothese der Diskonnektivität ist die Beobachtung, dass S u-dien zum regionalen Blutfluss (rCBF) oder zum Glukose-Metabolismus die Hypothese einer

McKenna, 1995). Frith et al. (1995) beziffern die Anzahl der Studie, die keine Evidenz für di Hypofrontalität fanden, auf 40%. Das Konzept der Hypofrontalität wird so von Gur und Gur (1995) grundsätzlich in Frage gestellt.

In einem Review-Artikel kommen Weinberger und Lipska (1995) zu dem Ergebnis, dass kognitive Störungen bei Schizophrenen nicht auf die Hypofrontalität reduziert werden können und dass die vorliegenden Daten eher eine „präfrontale-temporolimbische Diskonnektivität“ nahelegen würden.

Diese Annahme wird von Weinberger et al. (1992) durch eine Studie mit neun monozygoten und hinsichtlich der Schizophrenie diskordanten Zwillings-Paaren gestützt. Die Autoren zeigen, dass be einer gedächtnisrelevanten Aufgabe (Wisconsin-Card-Sorting Test) der präfrontale regionale cerebrale Blutfluss (rCBF) durch Anomalien im Hippocampus (gemessen durch MRI) vorhergesagt werden kann. Je geringer die Volumina des linken und rechten Hippocampus, desto geringer die Aktivierung des DLPFC ausgedrückt durch den rCBF-Wert. Diesen Zusammenhang zeigen nur die an Schizophrenie erkrankten Zwillinge. Bei den gesunden Zwillingen ist der Zusammenhang zwischen rCBF und Hippocampus-Volumina nicht nachweisbar. Diese unterschiedlichen Korrelat i-onsmuster interpretieren Weinberger et al. (1992) als Beleg für eine mit der Schizophrenie einhe r-gehende Dysfunktion neocortical-limbischer Konnektivität. Bogerts (1997) stellt überhaupt die Bedeutung limbischer Strukturen für die Pathophysiologie der Schizophrenie heraus. Die Dissoziation zwischen kognitiven Funktionen und Emotionen sowie Motivation führt er auf limbische Dysfunktionen zurück.

Vor allem akustische Halluzinationen, als ein wesentliches Symptom5 der Schizophrenie, werden mit der Diskonnektivität von Hirnarealen in Verbindung gebracht. McGuire et al. (1995, 1996) untersuchten in einer PET-Studie zwei Gruppen schizophrener Patienten. Die eine Gruppe wies während der Exazerbation der Psychose häufig akustische Halluzinationen auf und die andere Gruppe hatte keine oder wenig Erfahrung mit akustischen Halluzinationen. Die Probanden wurden zu einem inneren Sprechen aufgefordert. Unter dieser Bedingung unterschieden sich die Patienten mit Halluzinationen nicht von der Kontrollgruppe. In einer zweiten Bedingung sollten die Proban-den sich vorstellen, dass fremde Personen diese Sätze sprechen. Mit dieser Instruktion wurde gleichzeitig inneres Sprechen und dessen Monitoring induziert. Die halluzinierenden Patienten zeigten eine normale linksfrontale Aktivierung, unterschieden sich aber von den Gesunden und den

5 Nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 (Dilling et al., 1991) reicht bereits das fast ständige Vorhandensein von kommentierenden oder dialogischen Stimmen während eines Monates oder länger fü die Schizophrenie-Diagnose aus.

nicht halluzinierenden Patienten durch eine geringere Aktivität im linken mittleren temporalen Gyrus und im rostralen supplementären Motor-Cortex. Dieser Befund wird von den Autoren als Unterbrechung einer cortico-corticalen Konnektivität gewertet und mit einem fehlerhaften Monito-ring des inneren Sprechens in Verbindung gebracht. Daraus resultiere letztlich eine „defective communication between the ‚mind’s voice‘ and the ‚mind’s ear‘“ (McGuire et al., 1995, S. 600).

Durch eine Einzelfall-PET-Studie demonstrieren Silbersweig et al. (1995), dass bei einem unmedi-zierten schizophrenen Patienten während akustischer und visueller Halluzinationen präfrontale Hirnregionen im Vergleich zu anderen eine relativ geringe Aktivierung zeigen. Diesen Befund interpretieren die Autoren als Beleg für eine Diskonnektivität, die u.a. ein mangelndes internales Monitoring und so eine Missattribution internaler Perzepte zur Folge hat. Mittels Computer-Simulation eines neuronalen Netzwerkes zeigen Hoffman und McGlashan (1998), dass es bei einem Verlust der Konnektivität in Höhe von 50% zu „Halluzinationen“ kommt, indem Wörter ohne

„phonetischen Input“ generiert werden.

Einen Zusammenhang zwischen allgemeiner Psychopathologie und frontotemporaler Diskonnekti-vität stellen Erkwoh et al. (1999) her, indem eine frontotemporale DiskonnektiDiskonnekti-vität nur bei vorhan-dener florider Akutsymptomatik nachgewiesen werden konnte. Es wurden 29 schizophrene stationäre Patienten zu zwei Zeitpunkten untersucht: Im floriden unmedizierten (t1) und remittierten medizierten Zustand (t2). Unter einer Ruhebedingung maßen die Autoren mittels SPECT die rCBF-Werte in 21 über den Cortex verteilten Regionen. Es wurden dann die Interkorrelationen zwischen rCBF der verschiedenen Hirnregionen bei den unmedizierten (t1) und remittierten Schizophrenen (t2) sowie den Kontrollen verglichen. Bei den sich in der floriden Phase (t 1) befindenden unmedizierten Schizophrenen wurde eine Entkoppelung zwischen dem präfrontalen und dem temporalen Cortex gefunden. Diese Entkoppelung konnte bei den remittierten Pat ienten beim zweiten Messzeitpunkt t2 und bei der Kontrollgruppe nicht festgestellt werden. Das auffällige rCBF-Muster steht also offenbar im Zusammenhang mit der Psychopathologie. Es kann allerdings nicht entschieden werden, ob die zum Zeitpunkt t2 nicht mehr nachzuweisende Entkoppelung allein auf die neuroleptische Medikation, z. B. durch eine Dopamin-Rezeptorblockade oder auf eine davon unabhängige Remission der Akutsymptomatik zurückführbar ist

Wie eine Untersuchung von Dolan et al. (1995) deutlich macht, kann eine dopaminerge Manipula-tion durch eine Aktivitätsveränderung im anterioren cingulären Cortex sehr wohl auch einen Ein-fluss auf die Konnektivität von Hirnarealen haben. So zeigten im Gegensatz zu Gesunden neuroleptikafreie Schizophrene nach der Gabe eines Dopamin-Agonisten unter einer kognitiven

Aufgabenbelastung gesteigerte rCBF-Werte im anterioren cingulären Cortex, dem die Autoren eine direkte oder indirekte cortico-corticale Integrationsfunktion zuschreiben.

Eine frontotemporale Diskonnektivität tritt aber nicht nur wie bei der Untersuchung von Erkwoh (1999) bei einer kürzeren Krankheitsdauer von durchschnittlich 29 Monaten, sondern auch be chronisch Erkrankten auf. Frith et al. (1995) untersuchten 18 chronisch erkrankte Schizophrene mit einer mittleren Krankheitsdauer von 20.5 Jahren. Unter einer „verbal fluency task“ mit verschiede-nen experimentellen Bedingungen wurde der regionale cerebrale Blutfluss mittels PET gemessen.

Schizophrene Patienten zeigten wie die Gesunden einen gesteigerten rCBF im linken DLPFC, so dass sich erneut keine Hypofrontalität nachweisen ließ. Allerdings trat bei den Schizophrenen wäh-rend der Bildung von Wörtern nicht die erwartete geringe Aktivität im linken superioren temporalen Gyrus auf, wie es bei den Gesunden der Fall war. Diesen Befund werten die Autoren als Beleg für eine Diskonnektivität und führen weiter aus: „We therefore propose that abnormal temporo-frontal connectivity is the key deficit in (chronic) schizophrenia“ (Frith et al., 1995, S. 349).

Daten von Andreasen et al. (1997) machen deutlich, dass bei der Schizophrenie nicht nur eine intra-corticale, sondern auch eine cortico-subcorticale Diskonnektivität angenommen werden muss.

Andreasen et al. (1997) untersuchten wie Erkwoh (1999) neuroleptisch naive schizophrene Patienten in einem frühen Krankheitsstadium unter einer Ruhebedingung. Die Autoren fanden bei den Schizophrenen im Gegensatz zu den Gesunden einen verringerten Blutfluss in lateralen, orbi-talen und medialen Regionen des fronorbi-talen Cortex sowie im inferioren temporalen und parieorbi-talen Cortex. In anderen Regionen wie dem Cerebellum oder dem Thalamus kam es im Unterschied zu den Kontrollprobanden zu einer gesteigerten Perfusion. Diesen Befund interpretieren die Autoren als eine Inbalance von corticalen und subcorticalen Schaltkreisen, die für die schizophrene Positiv-und Negativsymptomatik verantwortlich gemacht wird.

Wie Woodruff et al. (1997) durch eine MRI-Studie deutlich machen, lassen sich auch durch die Erfassung struk ureller Hirnauffälligkeiten bei Schizophrenen Belege für die Diskonnektivitä finden. Im Gegensatz zu Gesunden fanden die Autoren bei den Patienten deutlich geringere Korrelationen zwischen präfrontalen und temporalen Volumina.

Auch eine interhemisphärische Diskonnektivität wird in Zusammenhang mit der Schizophrenie di s-kutiert. So macht Crow (1998) das Corpus callosum für eine Störung der Informationsverarbeitung zwischen den beiden Hirnhälften verantwortlich. Diese Ansicht wird durch eine Metaanalyse von Woodruff et al. (1995) untermauert. Die Autoren zitieren 11 Studien, die eine Volumenreduktion

des Corpus callosum bei Schizophrenen im Vergleich zu Gesunden nachweisen. Gruzelier (1999) fasst in einem Review-Artikel die Befundlage so zusammen, dass schizophrene Positivsymptomatik eher mit einer Hyperkonnektivität und schizophrene Negativsymptomatik eher mit einer Hypokon-nektivität zwischen den Hemisphären verknüpft ist.

Elektrophysiologische Untersuchungen sind ebenfalls geeignet, die Diskonnektivität zu unterma u-ern. Norman et al. (1997) leiteten bei 73 schizophrenen Patienten das EEG unter einer Ruhe- und zwei Aufgabenbedingungen ab. Es zeigte sich ein spezifischer Effekt: Nur Männer (n = 51) wiesen unter einer mathematischen Aufgabe eine negative Korrelation zwischen der psychopathologischen Dimension Realitätsverzerrung („reality distortion“) und einem Index der linken fronto-temporalen Kohärenz auf. Dieser Befund bedeutet, dass eine ausgeprägtere Realitätsverzerrung mit einer ger n-gen Kohärenz zwischen linken frontalen und temporalen Arealen assoziiert ist.

Wendet man nichtlineare Analysen auf das EEG an, so lassen sich weitere Hinweise für di Diskonnektivität finden. Einer der wichtigsten Kennwerte der nichtlinearen Systemtheorie ist di

„dimensionale Komplexität“ (cf. Elbert & Rockstroh, 1993). Dieser Begriff drückt quasi die „Fre i-heitsgrade“ eines Systems aus (Koukkou et al., 1993) und wird numerisch als „Korrelat i-ons-Dimension“ bezeichnet. Elbert et al. (1992) untersuchten 12 neurolept isch medizierte schizophrene Patienten und fanden bei diesen im Unterschied zur Kontrollgruppe die größte dimen-sionale Komplexität über der frontalen Elektrode Fz. In einer Untersuchung mit 15 ersterkrankten und unmedizierten schizophrenen Patienten konnten Koukkou et al. (1993) zeigen, dass die aku erkrankten Schizophrenen im Vergleich zu Gesunden und zu Neurotikern bei einer temporal-parietalen EEG-Ableitung den höchsten Kennwert der „Korrelations-Dimension“ aufwiesen. I Sinne der Diskonnektivitäts-Hypothese bringen die Autoren diesen Befund mit einer schwächeren (lockeren) Interaktion von Subsystemen oder einer nicht kohärenten Koordination in Verbindung.

Die „Korrelations-Dimension“ scheint sich auch unter einer Aufgabenbelastung bei schizophrenen Patienten anders zu verhalten als bei Gesunden. So fand Dressel (1998) unter einer „word fluenc task“ einen signifikanten Rückgang der Korrelations-Dimensionen bei den gesunden Kontrollper-sonen aber nicht bei den schizophrenen Patienten.

Nachdem ein theoretischer Bezugsrahmen hergestellt und so eine Vorstellung über die psychologi-sche und physiologipsychologi-sche Pathogenese der Schizophrenie gewonnen werden konnte, sollen in dem nächsten Kapitel 2.3 Befunde mitgeteilt werden, die sich durch Ableitung ereigniskorrelierter Potentiale gewinnen lassen.