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2.3 Befunde zu den ereigniskorrelierten Potentialen

2.3.2 Befunde zur CNV

Die „Contingent Negative Variation“ (CNV) findet sich im Zwei-Stimulus-Paradigma nach de Warnreiz (S1) und beschreibt eine langsame Negativierung zum imperativen Reiz (S2) hin, der zu einer Reaktion auffordert. Mit einer möglichen Dauer von mehreren Sekunden zählt die CNV zu den langsamen ereigniskorrelierten Potentialen. Die CNV-Amplitude bewegt sich zwischen -10 und -20 µV und kann bis -50 µV erreichen. Maximale Amplituden werden über den Vertexelektroden und geringe Amplituden über den lateral-zentralen, über den temporalen und über den posterioren Elektroden berichtet ( Rockstroh et al., 1989).

Die CNV ist nur gering von physikalischen Reizparametern abhängig, sondern wird vor allem durch psychologische Variablen moduliert (Birbaumer et al., 1990; Rockstroh, 1989). Das Auftreten zwischen den Reizen S1 und S2 legt es nahe, die CNV als Korrelat der Antizipation und / oder Handlungsvorbereitung zu interpretieren. Entscheidend für Wellenform, Amplitude und Topogra-phie der CNV ist der motivationale Wert des imperativen Reizes S2 (Birbaumer et al., 1990).

Die CNV wird durch unterschiedliche psychophysiologische Theorien erklärt. Walter (1964) der den Begriff „Contingent Negative Variation“ 1964 in die Literatur einführte, sah die CNV als K r-relat der Erwartung und benutzte so den Ausdruck „Expectancy-Wave“. Nachfolgende Studien konnten jedoch zeigen, dass die CNV nicht ausschließlich durch mit der Erwartung assoziierte Prozesse erklärt werden kann (Rockstroh et al., 1989).

Ruchkin et al. (1995) bringen die CNV in einen Zusammenhang mit Gedächtnisprozessen im Zwei-Reiz-Paradigma. Bei Aufgaben mit einer Belastung des Arbeitsgedächtnisses im S1-S2-Interval zeigte sich eine deutlichere CNV-Amplitude als bei Aufgaben mit einer geringen Arbeitsgedäch t-nisbelastung. Auch Klein et al. (1996a) konnten unter einer größeren Arbeitsgedächtnisbelastung höhere CNV-Amplituden nachweisen.

Eine erweiterte Erklärung der CNV bietet das Zwei-Prozess-Modell von Tecce (1971). Die CNV wird in diesem Modell als Ausdruck von Aktivierung und Aufmerksamkeit gesehen. Die Beziehung zwischen Aktivierung und CNV lässt sich durch eine umgekehrte U-Funktion beschreiben. Beson-ders geringe und besonBeson-ders hohe Aktivierungszustände führen zu einer niedrigen CNV-Amplitude.

Für die Aufmerksamkeit, verstanden als Fokussierung relevanter und Ausblendung irrelevanter Stimuli, wird hingegen eine lineare Beziehung zur CNV postuliert. Eine höhere CNV-Amplitude ergibt sich also bei bedeutsamen Zielreizen. Weiter konnten Tecce et al. (1976) und Tecce (1979) zeigen, dass die CNV-Amplitude durch Distraktor-Reize im S1-S2-Intervall gesenkt werden kann.

Kritik an der „Zwei-Prozess-Theorie“ von Tecce bezieht sich vor allem auf ein unpräzis formulie r-tes Konzept der „Aufmerksamkeit“, was dazu führt, dass nur begrenzt Aussagen zur CNV möglich sind (Rockstroh et al., 1989).

Bei längeren Inter-Stimulus-Intervallen (ISI) zwischen dem S1 und S2 von mindestens 3 - 4 s Dauer lassen sich zwei Komponenten der CNV differenzieren: Eine frühe CNV (iCNV) und eine späte CNV (tCNV). Der zweiphasige Verlauf ist aber auch bei kürzeren ISI (z. B. kleiner als 1 s) dur ch mathematische Methoden identifizierbar (Lutzenberger et al., 1985).

Betrachtet man die einzelnen CNV-Komponenten, so kann die iCNV als Korrelat einer komplexen Evaluation von Stimuluskontingenzen und von Speicher- und Abrufprozessen verstanden werden (Rockstroh et al., 1989). Die späte CNV (tCNV) teilt dagegen mehrere Gemeinsamkeiten mit dem von Kornhuber und Decke (1965) beschriebenen Bereitschaftspotential (BP). Dieses negative Potential tritt ca. 1 s vor einer willentlichen Handlung auf und wird als orrelat der motorischen Vorbereitung angesehen. Es wurde so die Auffassung geäußert, dass die tCNV und vor allem ein motorisches Bereitschaftspotential darstellt (Rohrbaugh & Gaillard, 1983). Dagegen wendet sich Brunia (1988) und postuliert zwei unterschiedliche Potentiale: „Movement-Preceding Negativit (MPN)“ und „Stimulus-Preceding Negativity (SPN)“. Das Bereitschaftspotential drückt als MPN die motorische Vorbereitung und als SPN die reizbezogene Vorbereitung auf den imperativen Stimulus S2 aus. Da im Zwei-Reiz-Paradigma mit der auf den S2 folgenden motorischen Reakti nicht zwischen MPN und SPN unterschieden werden kann, ist anzunehmen, dass die tCNV eine Kombination beider darstellt und so gleichzeitig die motorische und reizbezogene Vorbereitung repräsentiert.

Bei schizophrenen Patienten werden im Vergleich zu Gesunden oftmals geringere CNV-Amplitu-den berichtet (z. B. Heimberg et al., 1999; Verleger et al., 1999; Werther, 1995 - Überblick bei:

Cohen, 1991; Pritchard, 1986; Rockstroh et al., 1989). Diese Befunde sind allerdings nicht sp ezi-fisch für die Schizophrenie. Reduzierte Amplituden werden u.a. auch bei affektiven Störungen (z. B. Hansenne et al., 1996; Rizzo et al., 1979; TimsiBerthier et al., 1973) und sogar bei Angs t-störungen (McCallum & Walter, 1968) gefunden.

Mehrere Studien können keinen mittleren Gruppenunterschied zwischen Schizophrenen und Gesunden in der CNV-Amplitude nachweisen (Klein et al., 1996a; Rockstroh et al., 1997a; Wagner et al., 1996). In diesem Zusammenhang bemängelt Cohen (1991), dass vor allem die früheren Studien zur CNV bei Schizophrenen einen zu kurzen Abstand zwischen S1 und S2 realisieren, so dass die CNV nicht in eine frühe und späte CNV-Komponente differenziert werden kann. Denn gerade die späte CNV (tCNV) reflektiere Prozesse der motorischen Vorbereitung und könne so Defizite Schizophrener in der Initiierung und Durchführung zielgerichteter Handlungen abbilden.

Eine bessere Differenzierung von Gesunden und Schizophrenen durch die tCNV konnten u.a. Borst und Cohen (1987) zeigen. In ihrer Studie unterschieden sich Schizophrene nur hinsichtlich der tCNV von Alkoholabhängigen und Gesunden. Im Gegensatz dazu ergaben sich aber bei van den Bosch (1983) zwischen schizophrenen und nicht schizophrenen Psychotikern und bei Werther (1995) zwischen Schizophrenen und Gesunden eine bessere Diskriminierung bei der frühen als bei

Topographische Gruppenunterschiede scheinen sich vor allem zentro-parietal und weniger deutlich frontal zu manifestieren. So teilen Klein et al. (1996a) für zentro-parietale Elektroden und Wagner et al. (1996) für die Elektrode Cz geringere CNV-Amplituden für Schizophrene mit. Auch Birbaumer et al. (1990) und Werther (1995) berichten, dass bei Schizophrenen vor allem über Cz und weniger deutlich über Fz und Pz Negativierungen auftreten. Rockstroh et al. (1994) bestätigen für Schizophrene eine geringere Amplitude über zentro-parietalen Elektroden, fanden aber bei Schi-zophrenen ein frontales CNV-Maximum, was die Autoren als mögliche Kompensation insuffizien-ter frontaler Funktionen ininsuffizien-terpretierten. Dagegen berichten Verleger et al. (1999) neben einer im Mittel reduzierten CNV-Amplitude eine teilweise auftretende frontale CNV-Reduktion be hospitalisierten Schizophrenen. Diese Reduktion wird als Korrelat der Psychopathologie und der Aufgabenanforderung gesehen und somit als „state-dependent effect“ bewertet. Die zentrale CNV-Amplitudenreduktion wird dagegen von Verleger et al. (1999) als stabiler Marker der Schizophrenie bezeichnet.

Hinsichtlich topographischer Unterschiede äußert sich Cohen (1991) allerdings kritisch. Er gibt zu bedenken, dass gewöhnlich nicht zwischen Unterschieden im Signal-Rausch-Verhältnis und wahren regionalen Unterschieden differenziert werden kann.

Die Berichte zu den Zusammenhängen zwischen CNV und schizophrener Psychopathologie sind eher uneinheitlich. Die CNV-Amplitude scheint vor allem bei Patienten mit ausgeprägter Posit v-symptomatik niedriger zu sein (Pritchard, 1986). Daraus kann der Schluss gezogen, dass die CNV-Amplitudenreduktion die erhöhte Ablenkbarkeit während der akuten Schizophrenie reflektiert.

Denn gerade eine Störung der selektiven Aufmerksamkeit bestimmt neben den inhaltlichen und formalen Denkstörungen das klinische Bild der akuten Schizophrenie (cf. Watzl & Rist, 1996).

Dazu passt, dass Schizophrene mit ablenkenden akustischen Halluzinationen eine geringere CNV-Amplitude zeigen als andere Schizophrene oder Gesunde (Roth et al., 1979). Deutlichere Zusa m-menhänge mit der Psychopathologie ergeben sich, wenn man den fronto-zentralen Gradienten6 der CNV zur Korrelationsberechnung benutzt. So konnten Wagner et al. (1996) demonstrieren, dass eine höhere, mit der BPRS gemessene Positiv- und Negativsymptomatik mit einer geringeren CNV (fronto-zentraler Gradient) assoziiert ist. Im Gegensatz dazu berichtet Werther (1995), dass eine deutlichere Positivsymptomatik mit höheren frühen und späten CNV-Amplituden assoziiert ist

6 Differenz zwischen Cz und Fz

Auch Verleger et al. (1999) schildern, dass eine höhere CNV mit einer ausgeprägteren Positiv-symptomatik verbunden ist.

Eine CNV-Amplitudenreduktion scheint nicht nur bei relativ akuten, sondern auch bei chronisch schizophrenen Patienten nachweisbar zu sein. In einer Längsschnittstudie mit einer allerdings geringen Stichprobengröße (n = 6) konnten Rizzo et al. (1984) über einem Zeitraum von fün Jahren zeigen, dass eine abnehmende Positivsymptomatik und der Übergang in eine schizophrene Restsymptomatik mit einer abnehmenden CNV-Amplitude verbunden ist. Auch Werther (1995) fand, dass der Faktor „Soziale Dysfunktion“ als ein Aspekt der Negativsymptomatik mit geringeren CNV-Amplituden assoziiert ist. Dieser Zusammenhang ist für die späte Komponente deutlicher als für die frühe. Bemerkenswert ist, dass Werther (1995) diesen Befund nicht für die weiteren Faktoren der Negativsymptomatik „Verarmung des Ausdrucks“ und „Kognitive Desorganisation“

bestätigen konnte, denn diese Faktoren gingen mit einer höheren CNV-Amplitude einher.

Der Überblick zeigt, dass die Befundlage hinsichtlich der CNV bei Schizophrenen heterogen ist.

Birbaumer et al. (1990) kommen so zu dem Schluß, dass die Ergebnisse zur CNV bei psychiatri-schen Patienten einen „dubiosen“ klinipsychiatri-schen Wert haben. Eine CNV-Amplitudenreduktion kann eher nicht als allgemeines Merkmal der Schizophrenie im Sinne eines Traits aufgefasst werden, sondern bildet vor allem bestimmte Merkmale der Psychopathologie ab (Pritchard, 1986).

Angesichts dieser Unspezifität liegt es nahe, Callaway (1975) zu folgen und die CNV auch mit der Motivation von Versuchspersonen in Verbindung zu bringen. So konnten Giedke und Bolz (1980) bei Gesunden und Depressiven zeigen, dass die CNV bei beiden Gruppen mit dem Anstieg der Motivation zunimmt.