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Ausgrenzung aus der Gesellschaft, 1939 bis Herbst 1941

C. Juden in der Tschechoslowakei – ein historischer Überblick

3. Protektorat Böhmen und Mähren 1939-1945

3.1. Ausgrenzung aus der Gesellschaft, 1939 bis Herbst 1941

3.1.1. Die Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben

Den Grundstein hierfür legte die bereits erwähnte Verordnung vom 21. Juni 1939 über jüdischen Besitz, die Juden verpflichtete, einen erheblichen Teil ihres Eigentums (Wert-gegenstände, Schmuck sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke) anzumelden, ihnen den Erwerb sowie Besitz von Betrieben und Wertpapieren verbot, sofern nicht eine schriftliche Sondergenehmigung des Reichsprotektors vorlag, und die dement-sprechend zu arisierenden, sprich zu enteignenden Betriebe definierte.112 Die Verord-nung über die Ausgrenzung der Juden aus dem Wirtschaftsleben vom 12. Februar 1940 konkretisierte die Vorgehensweise des Enteignungsprozesses, soweit dies noch nötig war, denn zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Vielzahl jüdischer Unternehmen nicht mehr vorhanden.113

Im April 1940 folgte die Verordnung über die rechtliche Stellung der Juden im öffentlichen Leben, die Juden von öffentlichen Ämtern grundsätzlich ausschloß, d.h.

jüdische Lehrer, Apotheker, Notare, Redakteure, Künstler usw. erhielten Berufsverbot.

Ferner durften Juden nicht mehr am politischen Leben teilnehmen oder Mitglieder in

dungen, die das Schicksal der Juden betrafen.“ ROTHKIRCHEN Motivy, S. 164.

109 HÁJKOVÁ, ALENA Erfassung der jüdischen Bevölkerung des Protektorats, in: Theresienstädter Studien und Dokumente 1997, Praha 1997, S. 50- 62, hier S. 53.

110 Kárný geht daher von über 120.000 Personen aus, die nach den Nürnberger Gesetzen im März 1939 als Juden galten. Vgl. KÁRNÝ, MIROSLAV „Konečné řešení“. Genocida českých Židů v německé protektorátní politice, Praha 1991, S. 172.

111 Vgl. HÁJKOVÁ, S. 54.

112 Vgl. KÁRNÝ, MIROSLAV Die Protektoratsregierung und die Verordnungen des Reichsprotektors über das Jüdische Vermögen, in: Judaica Bohemiae 29 (1993), S. 54-66, hier S. 54.

113 Vgl. POLÁK, ERICH Perzekuce Židů v protektorátu v letech 1939-1941, in: Akce Nisko, S. 174-182, hier S. 175f.

Vereinen oder kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Organisationen u.ä. sein.114 Wie auch im Falle der Februar-Verordnung hinkte die offizielle Verabschiedung des Gesetzes der Realität hinterher, denn bereits in den ersten Wochen und Monaten nach der Okkupation hatte man mit den Entlassungen im öffentlichen Dienst begonnen, insbesondere in der Verwaltung sowie bei Gerichten und in Schulen.115

3.1.2. Einschränkungen und Diskriminierungen im privaten Bereich116

Bereits im August 1939 begann die Kampagne zum ,Schutze‘ der nichtjüdischen Bevöl-kerung vor Kontakten mit Juden, die mit dem Ausschluß von Juden aus bestimmten Re-staurants begann und in den folgenden Jahren zunehmend ausgeweitet wurde. Juden durften nicht mehr ins Kino oder Theater gehen, auf den Bänken an der Moldau sitzen, keine Badeanstalten besuchen oder Parkanlagen betreten, in der Straßenbahn nur im letzten Wagen fahren usw. Ferner erhielten sie geringere Lebensmittelzuteilungen, hat-ten keinen Anspruch auf den Erwerb neuer Kleidung und durfhat-ten nur zu bestimmhat-ten Zeiten in bestimmten Geschäften einkaufen. ,Luxusgegenstände‘ wie Pelze, Fahrräder, Nähmaschinen, Musikinstrumente, Skiausrüstungen usw. mußten abgegeben werden.

Arbeitsverhältnisse jüdischer Angestellter durften zum Ersten jedes beliebigen Monats ohne Rentenanspruch oder Abfindung gekündigt werden. Stattdessen wurden ab 1941 viele Juden zum Arbeitseinsatz verpflichtet, ohne irgendwelche Rechte geltend machen zu können.

Prager Juden durften ohne Erlaubnis die Stadtgrenze nicht überschreiten, in anderen Städten galt dies für den Landkreis und später für die Gemeinde.

Bereits im Juli 1939 wurden Juden von deutschen Schulen und Hochschulen ausge-schlossen, im November wurde die tschechische Universität infolge antideutscher Stu-denten-Demonstrationen geschlossen, und im August 1940 folgte die Verordnung, die auch den Schulbesuch an tschechischen Schulen für jüdische Kinder verbot. Im Juli 1942 schließlich wurden auch alle jüdischen Schulen geschlossen und jüdischer Privat-unterricht verboten.

114 Lediglich Anwälte und Ärzte durften weiter praktizieren, solange sie eine rein jüdische Klientel hat-ten, allerdings durfte ihre Anzahl nicht mehr als 2 Prozent aller im Protektorat zugelassenen An-wälte und Ärzte betragen. Vgl. LEXA, JOHN G. Anti-Jewish Laws and Regulations in the Protector-ate of Bohemia and Moravia, in: The Jews of Czechoslovakia, Vol.III. Philadelphia / New York, 1984, S. 75-103, hier S. 84.

115 Vgl. ebenda, S. 84.

116 Zu den folgenden Ausführungen vgl. POLÁK, S. 178-180, sowie LEXA, S. 76-87.

Im März 1940 wurden alle Protektoratsjuden vepflichtet, ein J in ihre Personalaus-weise eintragen zu lassen. Seit dem 19. September 1941 mußten sie in der Öffentlichkeit einen gelben Stern mit der Aufschrift Jude tragen.

3.1.3. Auswanderung

Am 15. Juli 1939 wurde in Prag die Zentralstelle für jüdische Auswanderung eingerich-tet, die ab September 1939 dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin unterstand und zum Zentrum der nationalsozialistischen Judenpolitik im Protektorat wurde. Die Zentralstelle organisierte sowohl Auswanderung im eigentlichen Sinn des Wortes,117 aber auch im Sinne von Deportationen in ein unwirtliches Siedlungsgebiet.

Ferner unterstützte sie von der Jüdischen Gemeinde oder vom Palästina-Amt in Prag organisierte Umschulungskurse, in denen junge Leute handwerkliche und landwirtschaftliche Berufe erlernen sollten, die ihnen in der Emigration nützlich sein würden.118

Tatsächlich konnten nach dem 15. März 1939 noch 26.111 Menschen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten, aus dem Protektorat emigrieren.119 Allerdings wurde die Ausreise zunehmend erschwert, da immer weniger Länder bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen, und nach Ausbruch des Krieges die Verkehrswege zu Lande und zu Wasser immer unsicherer wurden. Zu diesen äußeren Hindernissen kamen auch häufig persönliche Gründe, die die Emigration vereitelten, da viele ihre Eltern, Ehepart-ner, Kinder nicht zurücklassen wollten.

Im Oktober 1939 kam es allerdings auch zu ersten Deportationen. Aus Ostrava und Frýdek gingen Transporte mit insgesamt 1.291 Männern nach Nisko im sogenannten Generalgouvernement. Das Lager wurde jedoch im April 1940 wieder aufgelöst, und

117 Dabei wurde den Ausreisewilligen eine sehr hohe Fluchtsteuer auferlegt, die nach ihrem Gesamtver-mögen bemessen wurde: „Die aus der Juni-Verordnung hervorgehende Pflicht, den wesentlichen Teil des Vermögens zu melden, brachte der Zentralstelle genügend Unterlagen einer Bemessung einer derartig hohen Taxe für die Ausreise, daß dadurch die freiwilligen sowie die zwangsmäßigen Emigranten maximal expropriiert wurden.“ MILOTOVÁ, JAROSLAVA Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag, in: Theresienstädter Studien und Dokumente 1997, Prag 1997, S. 7-30, hier S. 21. Ab November 1939 wurde diese Steuer auf 25 Prozent des Gesamtvermögens festgesetzt.

Vgl. ebenda.

118 Im Herbst 1940 wurde in Česká Lípa ein sogenanntes ,Umschulungslager‘ eingerichtet. Anfangs waren die Lebensbedingungen dort relativ erträglich, doch verschlechterten sie sich zunehmend, so daß sich das ,Umschulungslager‘ letztlich kaum mehr von einem KZ unterschied. Vgl. ROTH

-KIRCHEN, LIVIA The Jews of Bohemia and Moravia: 1938-1945, in: The Jews of Czechoslovakia Vol.III., S. 3-74, hier S. 41.

119 Vgl. SCHMIDT-HARTMANN, S. 358.

die überlebenden Insassen (aus Mähren nur noch 460 Menschen) durften nach Hause zurückkehren.120 Unter anderem wird das Scheitern dieses ersten Versuches, mittel-europäische Juden nach Polen zu deportieren, darauf zurückgeführt, daß der Gouverneur Polens, Hans Frank, das Generalgouvernement so schnell wie möglich ,judenrein‘ haben wollte und daher gegen die Transporte aus dem Westen protestierte.121

Seit Oktober 1941 wurde die Auswanderung in ihrer eigentlichen Bedeutung einge-stellt, stattdessen widmete sich die Zentralstelle von nun an der Durchführung der ,End-lösung‘, und entsprechend wurde sie am 12. August 1942 in Zentralamt für die Rege-lung der Judenfrage in Böhmen und Mähren umbenannt.