• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 3 Funktionalisierung von Goldnanopartikeln

3.2 Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung zu Kapitel 3

3.2.2 AuNP zur Diagnose und Behandlung neurologischer Erkrankungen

3.2.2.1 Medizinische Anwendungsgebiete von AuNP

Goldverbindungen sind seit den 1920er Jahren bekannt und zugelassen (z.B. Auranofin) für die Behandlung rheumatoider Arthritis.63,6 Bei diesen Verbindungen handelt es sich nicht um Nanomaterialien. Die Ausnutzung der besonderen Eigenschaften von Gold in der Form von Nanopartikeln, wie deren plasmonische Eigenschaften und Funktionalisierbarkeit, wurde bisher am intensivsten im Kontext von Krebserkrankungen studiert. Dementsprechend fortgeschritten ist in diesem Bereich die Entwicklung von AuNP-basierten Systemen für die Diagnose, den Wirkstofftransport, das Imaging und das gezielte Abtöten von Krebszellen durch plasmonische photothermale Therapie (PPTT).63,152,90 Während einige AuNP-basierte Therapien zur Behandlung verschiedenster Krebsarten bereits in klinischen Studien getestet werden,251,90 stellen Upscaling, also die zuverlässige Produktion großer Mengen der AuNP-Konjugate, die Frage der kontrollierten Abbaubarkeit der Partikel bzw. ihrer Entfernung oder Ausscheidung aus dem Organismus und die weitere Verbesserung ihrer Eigenschaften in vivo große Herausforderungen dar. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die fortgesetzte Forschung zu Toxizität und potentiellen ökologischen Auswirkungen der Nanomaterialien.266,267,146,268,269

AuNP werden inzwischen auch in Hinblick auf viele andere medizinische Fragestellungen erforscht, z.B. bei der Bekämpfung multiresistenter Keime,270–272 der Diagnose von Entzün-dungsprozessen273 und genetischen Defekten,143,274,158

und bei der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.

3.2.2.2 AuNP in der Neurologie

Die Forschung zur Anwendung von AuNP in der Neurologie steht im Gegensatz zur For-schung im Kontext von Krebs am Anfang ihrer Entwicklung. Die weitaus geringere Zahl von

Veröffentlichungen stammt überwiegend aus den vergangenen zwei bis drei Jahren. Auch hier zeichnet sich indes bereits jetzt eine interessante Anwendungsbreite der AuNP ab. Die Schnittstelle zur Krebsforschung stellt zunächst die Diagnose und Behandlung von Hirntumoren dar. AuNP können gezielt an Tumoren gebunden werden,275,276 um dort z.B. in Verbindung mit Kontrastmitteln und SERS-Labeln deren operative Entfernung zu unterstüt-zen.277,278 AuNP können auf verschiedene Arten für die Diagnose von neurodegenerativen Erkrankungen genutzt werden,279 und ermöglichen als Biosensoren die hochempfindliche Detektion von Neurotransmittern,280 der Aktivität von Hirnzellen281 und die quantitative Verfolgung chemischer Prozesse des Gehirns in vivo.282 In einer vergleichsweise frühen Stu-die konnten Kogan et al. zeigen, dass die Aggregation von β-Amyloiden, neurobiologisch relevante Peptide mit 40 oder 42 Aminosäuren, durch hyperthermische Behandlung mit AuNP rückgängig gemacht werden kann.283 Die Aggregation dieser β-Amyloide im Interstitium (Extrazellulärraum) des Gehirns kann zu Ablagerungen, den sogenannten senilen Plaques, führen, die mit der Alzheimerschen Krankheit in Verbindung gebracht werden. Spätere Stu-dien anderer Gruppen beschäftigten sich mit der effizienten Detektion,284,285 und der Manipulation dieser β-Amyloid-Aggregate286 mit Hilfe von AuNP. Aktuell wurden in ersten Studien die Wechselwirkungen von AuNP und α-Synuclein untersucht, einem kleine Protein, das bei der Parkinson-Krankheit eine Rolle spielt.287,288 Eine Herausforderung bei der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen ist die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke (engl.: blood brain barrier, BBB). Prades et al. funktionalisierten AuNP mit einer Peptidsequenz, die mit den Transferrin-Rezeptoren der BBB wechselwirkt, und konnten damit einen erhöhten Transport dieser AuNP durch die BBB in einem in vitro BBB-Modell und in vivo zeigen.259

3.2.2.3 Wechselwirkungen von Neuronen mit AuNP

Neuronen können mit AuNP auf verschiedene Arten wechselwirken. Gilles et al. konnten über Einstellung der Oberflächeneigenschaften von AuNP und deren Anordnung in bestimm-ten Mustern auf Substrabestimm-ten das axonale Wachstum von Neuronen steuern.289 AuNP auf Substraten können auch als Mediator für die elektrische Stimulation von Neuritenwachstum dienen290 und solche Substrate haben Potential für die Herstellung von Elektroden zur Kontaktierung von Nervengewebe, die zum Beispiel in Hörgeräten oder für die Tiefe Hirn-stimulation eingesetzt werden.291 Solche Elektroden müssen sehr klein sein, um die Immunantwort zu minimieren, und im Gegensatz zu vielen anderen Materialien haben Filme von AuNP in diesen Dimensionen hervorragende elektrische Eigenschaften, die eine effiziente Kontaktierung mit Neuronen ermöglichen. Einen interessanten Effekt beobachteten

Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung zu Kapitel 3 163 Paviolo et al.,292 nämlich eine Verstärkung von Neuritenwachstum in Gegenwart von AuNR nach Laserbestrahlung. Es scheinen also die Nanopartikel über ihre plasmonischen Eigen-schaften Neuritenwachstum stimulieren zu können, der genaue Mechanismus ist allerdings ungeklärt.

3.2.2.4 Therapie neurodegenerativer Erkrankungen mit AuNP

Die Zahl der Studien zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen mit AuNP ist sehr gering. Die Auswirkungen eines ischämischen Schlaganfalls konnten bei Ratten durch Gaben von AuNP gemildert werden.293 Die Autoren fanden, dass AuNP mit d = 20 nm entzündungshemmend und anti-apoptotisch wirkten (Apoptose: programmierter Zelltod, der z.B. durch Immunzellen ausgelöst werden kann), wodurch das Infarktvolumen verringert und neurologische Schäden gelindert wurden. Bemerkenswerterweise handelte es sich um citratstabilisierte AuNP ohne weitere Funktionalisierung. Wang et al. stellten 2011 eine Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen basiert auf einer Impfstrategie mit AuNP-Konjugaten vor.294 Die nicht stattfindende neuronale Regeneration nach Wirbelsäulen-verletzungen kann teilweise auf die Präsenz inhibitorischer Moleküle zurückgeführt werden und Impfstrategien nutzen das Konzept der schützenden Autoimmunität, um deren Wirkung zu unterdrücken. Die Verabreichung des von den Autoren entwickelten Fusionsproteins als AuNP-Konjugat war der Verabreichung mit Freund-Adjuvans, einem umstrittenen Hilfsstoff zur Verstärkung von Immunreaktionen, in mehreren Punkten überlegen: die Impfung war effizienter und mit keiner nachweisbaren Toxizität verbunden. Die Antiseren (Antiserum:

Serum, das die gebildeten Antikörper enthält) der immunisierten Ratten förderten axonales Wachstum in Gegenwart inhibitorischer Moleküle und immunisierte Ratten zeigten eine verbesserte funktionale Erholung nach Wirbelsäulenverletzungen.

AuNP sind also auf verschiedenen Ebenen äußerst vielversprechend für die Anwendung in der Therapie neurologischer Erkrankungen, seien es neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit, Verletzungen der Wirbelsäule oder Infarkte wie der ischämische Schlaganfall. Zusätzlich könnten AuNP zukünftig eine Rolle bei der Entwicklung von Neuroprothesen, z.B. Hörgeräten, spielen. Wie bei den therapeutischen und diagnosti-schen Anwendungen im Kontext von Krebserkrankungen, sind ihre einfache Funktionalisierbarkeit und plasmonischen Eigenschaften wichtige Gründe für ihr besonderes Potential; in der Neurologie ergeben sich zusätzlich sehr interessante Perspektiven aus ihren elektrischen Eigenschaften. Auch die Herausforderungen sind ähnlich wie bei der Diagnose und Therapie verschiedener Krebsformen und ergeben sich aus der Komplexität der Erkran-kungen selber und der Komplexität der WechselwirErkran-kungen von Nanopartikeln im Körper.185

Die Überwindung der BBB ist eine zusätzliche spezielle Herausforderung der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Während bei der nanomedizinischen Behandlung von Krebs die Zielsetzung eine möglichst selektive, vollständige und minimalinvasive Abtötung von Krebszellen ist, zielt die Behandlung vieler neurologischer Erkrankungen darauf ab, die Regeneration von Nervengewebe zu fördern und Nervenzellen vor dem Absterben zu schüt-zen. Da die Regeneration von verletztem Nervengewebe durch die Präsenz inhibitorischer Moleküle unterdrückt wird, während ein Mangel an stimulierenden Molekülen vorliegt,295,296 ergeben sich zwei grundsätzliche Behandlungsstrategien. Zum einen kann versucht werden, wie bei der erläuterten Impfstrategie, die Wirkung inhibitorischer Moleküle zu minimieren, oder aber Moleküle zum verletzten Gewebe zu transportieren, die dessen Regeneration stimu-lieren. Für eine solche Stimulation ist das Zelladhäsionsmolekül L1 ein interessanter Kandidat.

Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung zu Kapitel 3 165