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Neue Ansätze in der Rechtsphilosophie

Im Dokument Manifestierte Ungleichheitsstrukturen (Seite 68-72)

II. Im Wandel der Zeit – die gesellschaftlichen geschlechts- geschlechts-spezifischen Strukturmerkmale und die theoretische

3. Darin und trotzdem draußen – Frauen und die politische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft

3.1. Neue Ansätze in der Rechtsphilosophie

Einen Versuch, die deutsche Staats- und Rechtslehre unter Berücksichtigung der politischen Berechtigung von Frauen neu zu begründen, unternahm Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831).214

Hegel unterwarf die Kernbereiche der vorrevolutionären politischen Philosophie einer elementaren Modifikation unter Berücksichtigung der gravierenden Veränderungen der Moderne.215 Dieser Versuch ist zum einen in Bezug auf die Stellung von Frau und Familie relevant, zum anderen in Bezug auf Hegels Staatsauffassung und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Ausdehnung der politischen Berechtigung. Seine Vorschläge beeinflussten den Staat und somit die gesellschaftliche Ordnung während des gesamten 19.

Jahrhunderts. Hinterfragt man jedoch Hegels Darstellung hinsichtlich der Stellung von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft, so fällt auf, dass die Entwicklung des weiblichen Individuums vom Familienangehörigen zum Mitglied des Staates in seinen Darstellungen nie zustande kam. Das männliche Geschlecht dominiert die

213 Vgl. Fichte 1796, S. 348.

214 Hegel kann als der Philosoph angesehen werden, der den Dualismus zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen in der Philosophie des Geistes prägnant formuliert hat, vgl. u.a. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich:

Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821), in: Werke Band 7, Frankfurt a.M. 1986, S. 144 ff. [im folgenden zitiert als: Hegel 1821]; Hegel, Georg Friedrich Wilhelm:

Phänomenologie des Geistes, Band 3, Frankfurt a.M. 1970, S. 328 ff.

215 Vgl. Riedel, Manfred: Tradition und Revolution in Hegels Rechtsphilosophie, in: Riedel, Manfred: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt a.M. 1969, S. 119 [im folgenden zitiert als: Riedel 1969].

bürgerliche Gesellschaft.216 Seines Erachtens fehlt es der Frau schon am notwendigen Sinn für das Allgemeine, um am Staatswesen partizipieren zu dürfen.

Hegel differenziert zwischen dem Bereich des Rechts, der durch das Nebeneinander abstrakter Individuen gekennzeichnet ist, und den für sich bestehenden, sozialen Gemeinschaften, deren Eigengesetzlichkeit er hervorhebt.

Demnach distanziert er sich deutlich von Kants Versuch, die vernunftrechtliche Begründung des abstrakten Rechts auf soziale Gemeinschaften zu übertragen.

Für Hegel stellen die Familie, die bürgerliche Gesellschaft und der Staat Bereiche der Sittlichkeit dar, in der sich das Individuum durch seine Stellung in einer Gemeinschaft zum sittlichen Menschen wandelt. Dem Prinzip der formalen Rechtsgleichheit sind sie somit nicht im vornherein unterworfen.217 Für ihn ist die Sittlichkeit die objektivierte Moralität, „die konkrete Identität des Guten und des subjektiven Willens, die Wahrheit derselben“218, die sich für und durch den Einzelnen im Eins-Sein mit den sittlichen Mächten und notwendigen Verhältnissen eines bestimmten geschichtlichen Volkes oder Staates realisiert.219 Die Einordnung in „die an und für sich seienden Gesetze und Einrichtungen“220, die als objektive Mächte das leben der Individuen regieren und diese zu bloßen Akzidenzen machen, stellt den Inhalt der Sittlichkeit dar, über den das Individuum sich selbst und über die Pflichterfüllung seine Freiheit findet.221 Als natürliche und ursprüngliche Form der Sittlichkeit wird die Familie durch die Liebe zu einer Einheit verbunden.222 Die Voraussetzung der Familie ist die Ehe als rechtliche sittliche Liebe.223 Innerhalb der Familie haben jedoch beide Geschlechter unterschiedliche Rollen, die in ihrer natürlichen Bestimmtheit angelegt sind.

Das Wesen der Frau gibt ihr die Beschränkung auf die Familie vor: Die Frau ist unentzweite Individualität, deren Sittlichkeit und Empfindung bleibt und auf den Bereich ihrer unmittelbaren Umgebung bezogen ist;224 dies prädestiniert sie zur

216 Vgl. Dörner, Heinrich: Industrialisierung und Familienrechte. Die Auswirkungen des sozialen Wandels dargestellt an den Familienmodellen des ALR, BGB und des französischen Code Civil, Berlin 1974, S. 65 ff. [im folgenden zitiert als: Dörner 1974].

217 Zu Hegels Begriff der Sittlichkeit vgl. Rosenzweig, Franz: Hegel und der Staat, Neudruck der Ausgabe München/Berlin 1920, Aalen 1962, S. 111 f. [im folgenden zitiert als: Rosenzweig 1920]; Riedel, Manfred:

Bürgerliche Gesellschaft und Staat bei Hegel, Neuwied 1970, S. 16 ff. [im folgenden zitiert als: Riedel 1970].

218 Hegel 1821, S. 141.

219 Vgl. Zippelius 1994, S. 162 ff.; Zippelius, Reinhold: Rechtsphilosophie. Ein Studienbuch, 3. Aufl., München 1994, S. 99 ff. [im folgenden zitiert als: Zippelius 1994a].

220 Hegel 1821, S. 144.

221 Vgl. Hegel 1821, S. 149.

222 Vgl. Hegel 1821, S. 158.

223 Vgl. Hegel 1821, S. 160 ff.

224 Vgl. Hegel 1821, S. 166.

Erziehung der kleinen Kinder.225 Ihre Gesinnung ist die Pietät, „das Gesetz der empfindenden subjektiven Substantialität, der Innerlichkeit“226, ihre substantielle Bestimmung die Familie.

Hegel nennt die Antigone des Sophokles als Beispiel für diese sittliche Integrität, die dem Mann verloren gegangen ist, weil er sich nicht auf die Zwecke der Familie beschränken kann. Für die Philosophie, die höheren Wissenschaften und die Wirksamkeit im Staat eignet sich die weibliche Gesinnung nicht, denn in diesen Bereichen ist das Objektive und Allgemeine verlangt, welches der Frau unzugänglich bleibt.227

Gerade aus der Beschränkung ihrer Bestimmung kann und muss die Frau Einheit bleiben. Den Mann kennzeichnet die Entzweiung. Er kennt neben der „für sich seiende[n] persönlichen Selbständigkeit [auch das] Wissen und Wollen der freien Allgemeinheit, [er hat] sein wirkliches substantielles Leben im Staate, der Wissenschaft und der gleichen, und sonst im Kampf und der Arbeit mit der Außenwelt und mit sich selbst.“228

Die Familie ist für ihn lediglich Rückzugsort, an dem er die ruhige Anschauung der empfindenden subjektiven Sittlichkeit findet.229 Aus dieser Wesensverschiedenheit, die durch ihre Vernünftigkeit von der Ebene des Natürlichen auf die des Sittlichen gehoben wird230, ergibt sich zudem, dass der Ehemann die Einheit der Familie nach außen repräsentiert. Für die Geschlechter sind somit Ehe und Familie von unterschiedlicher Bedeutung. Zwar ist die Ehe für beide sittliche Pflicht231, doch kann die Frau ihre Erfüllung nur in der Familie finden. Der Mann kann sich dagegen auch in seiner sittlichen Wirksamkeit für den Staat verwirklichen.232 Seine Familienbezogenheit ist immer nur ein kleiner Aspekt seines männlichen Wesens.

„Die Natur teilt dem einen Geschlecht das eine, dem anderen das andere Gesetz zu. Beide sittlichen Mächte geben sich an den beiden Geschlechtern ihr individuelles Dasein und ihre Verwirklichung.“233

225 Vgl. Hegel 1821, S. 175. Grund dafür ist, dass die Sittlichkeit als Empfindung in das Kind gepflanzt wird.

226 Hegel 1821, S. 175.

227 Vgl. Hegel 1821, S. 166.

228 Hegel 1821, S. 166.

229 Vgl. Hegel 1821, S. 166.

230 Vgl. Hegel 1821, S. 165.

231 Vgl. Hegel 1821, S. 162.

232 Vgl. Hegel 1821, S. 164.

233 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, Band 3, Frankfurt a.M. 1970, S. 343.

Die Familie und somit die private Sphäre bleibt Heimstadt der Frau, wobei die Hegelsche Familie nicht mit der häuslichen Gesellschaft Kants verglichen werden kann. Das Eigentum und nicht mehr das „Ganze Haus“ ist ihre äußere Realität.

Der Mensch als Individuum findet sich in der öffentlichen Erwerbssphäre wieder.

Die Begrifflichkeiten Hausvater oder Hausgenosse sind in der Hinsicht obsolet.

Daraus resultiert ein grundlegender Wandel hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Familie. Die ökonomischen und zum Teil auch sozialen Aufgaben der Familie werden in der modernen Welt, die Hegel darzustellen versucht, von der bürgerlichen Gesellschaft übernommen, die als Differenz zwischen Familie und Staat tritt.234 Die natürliche Einheit der Familie existiert nicht mehr. Die Einzelnen treten sich als Individuen gegenüber, als Bürger235, die neben- und gegeneinander ihre Interessen vertreten.

Die Familie wird zu einem außerstaatlichen Gebilde, zu einem sittlichen Raum. Sie ist kein Teil des Staatskörpers mehr, sondern „Werkstatt“, in dem der vom Staat vorausgesetzte Geist der Individuen bearbeitet wird.236 Hegel unternimmt die Separatisierung des Menschen, der die Familie und den öffentlichen Raum nicht mehr als Einheit erfahren kann. Es kommt zur Trennung beider Rollen, die sich in rechtlicher Hinsicht differenzieren. Dies gesteht Hegel ausschließlich dem männlichen Geschlecht zu, wobei dem weiblichen Geschlecht, im speziellen der Ehefrau diese Trennung nicht zugesprochen wird, da sie die Einheit der Familie verkörpert. Die Familie hat ihre ökonomische Basis verloren, aber nicht ihre sittliche Notwendigkeit.237 So soll nun die Liebe und nicht mehr wirtschaftliche Bedingungen die Einheit der Familie sichern. Kern der Liebe ist aber im allgemeinen der Geschlechterunterschied, die Komplementarität des Männlichen und Weiblichen, das die Ehe zur dauerhaften Verbindung macht.238

Die Reduktion der Frau auf die Familie ist laut Hegel keine Verletzung ihrer individuellen Rechte, solange sie sich aus der Bestimmung ihres Geschlechts ergibt.

In seiner Theorie gab es keine Gleichheit der Geschlechter. Im Vergleich zur

„Hausmutter“ der traditionellen Ordnung hat die bürgerliche Ehefrau verloren. Der

234 Vgl. Hegel 1821, S. 182.

235 Vgl. Hegel 1821, S. 182.

236 Vgl. Rosenzweig 1920.

237 Vgl. Zippelius 1994, S. 162 ff.

238 Vgl. dazu Hodge, Joanna: Women and the Hegelian State, in: Kennedy, Ellen/Mendus, Susan (Hg.): Women in Western Political Philosophy. Kant to Nietzsche, Brighton 1987, S. 127 ff. [im folgenden zitiert als: Hodge 1987].

Mann als Individuum tritt hervor aus der traditionellen Einheit und lässt die Frau am Ort ihrer Bestimmung zurück.

Die Sphärenzuweisung war somit auch nach Hegel eindeutig.239

3.2. Auswirkungen auf die Rechte für Frauen in der bürgerlichen

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