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2.5 Prophylaxe der hypolcalcämischen Gebärparese

2.5.3 Anionenreiche Rationen in der Trockenstehphase (DCAD-Konzept)

Bereits Anfang der 70er Jahre gelang es ENDER et al. (1971)anhand eines Versu-ches zu zeigen, dass durch die Fütterung alkalischer, d.h. natrium- und kaliumreicher Rationen, die Milchfieberinzidenz erhöht und bei Fütterung eines stark „sauren“ Fut-ters, wenige Tage vor der Abkalbung, das Auftreten einer Hypocalcämie verhindert wird. Durch diese Erkenntnis gelten sie als die Begründer des DCAD-Konzeptes (Dietary Cation Anion Difference), bei dem durch Veränderung des Kationen-Anionen-Verhältnisses in der Ration, eine meist kompensierbare metabolische Azi-dose hervorgerufen wird. Zu diesem Zweck werden die Tiere 10 bis 28 Tage a.p.

(Oetzel 1993) mit einer anionenreichen Diät gefüttert, dessen positiver Einfluss auf die Stabilisierung der peripartalen Calciumhomöostase durch verschiedene Studien bestätigt werden konnte (ENDER et al. 1971; MOORE et al. 2000; GOFF 2008).

BLOCK et al. (1984) konnten beispielsweise das Auftreten der Gebärparese durch Fütterung einer Ration über 45 Tage a.p. mit einer anionenreichen Ration verhin-dern. Des Weiteren zeigten OETZEL et al. (1988) die Wirksamkeit von Ammonium-chlorid sowie Diammoniumsulfat zur Milchfieberprophylaxe. In ihrem Versuch verab-reichten sie den Kühen pro Tag je 100 g NH4Cl und (NH4)2SO4 über eine Dauer von

drei Wochen vor der Abkalbung. Es zeigte sich, dass die Gruppe, die mit Ammo-niumsalzen behandelt worden war, im Gegensatz zur Kontrollgruppe höhere Kon-zentrationen von Ca2+ und Cat um den Geburtszeitraum aufwies. Dadurch bedingt wiesen die behandelten Tiere nur zu 4% klinische Symptome von Gebärparese auf, wohingegen es bei der Kontrollgruppe 17% waren. WANG und BEEDE (1992) konn-ten ebenfalls einen positiven Einfluss von NH4Cl sowie (NH4)2SO4 auf die Calcium-homöostase feststellen. Wurden Tiere vier Wochen lang täglich mit 98 g dieser sauer wirkenden Substanzen behandelt, so ließen sich, verglichen mit einer Kontrollgruppe, niedrigere Blut-pH-Werte, eine verstärkte Ausscheidung von Calcium mit dem Harn sowie erhöhte Plasma-Cai Konzentrationen feststellen.

Ziel der induzierten azidotischen Stoffwechselllage soll es demnach sein, bereits in der Trockenstehperiode eine Stimulierung der Mechanismen zur Stabilisierung der Calciumhomöostase zu erreichen, deren verzögerte Ingangsetzung nach der Abkal-bung häufig zur Gebärparese führt.

Zur Berechnung der DCAD findet in der Regel folgende Formel Anwendung (ENDER et al. 1971; Oetzel 1993):

DCAD (meq/kg TS) = (Na+ [meq * kg TS -1] + K+ [meq * kg TS -1] ) – ( Cl- [meq * kg TS -1] + SO42- [meq * kg TS -1])

Ziel dieses Konzeptes ist es, einen Anionenüberschuss in der Ration zu erreichen, indem die Konzentrationen der für den Säure-Basen-Haushalt wichtigsten (starken) Ionen, wie Natrium, Kalium, Chlorid und Schwefel, manipuliert werden. Dadurch be-dingt überwiegen die Anionen, wodurch DCAD-Werte von -50 bis -150 meq * kg-1 erreicht werden (HORST et al. 1997). Gebräuchlich sind Verbindungen wie Magnesi-umchlorid/sulfat, Calciumchlorid/sulfat oder AmmoniMagnesi-umchlorid/sulfat, die aus Katio-nen (Ca,Mg) und (starken) AnioKatio-nen bestehen und der Ration zugesetzt werden (EN-DER et al. 1971; THILSING-HANSEN et al. 2002). Diese Verbindungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre starken Anionen, auch „Strong Ions“ genannt, besser als die Kationen vom Organismus resorbiert werden können. In Folge dessen findet im Blut ein Ausgleich der Anwesenheit der Anionen durch H+-Ionen statt, wodurch der pH-Wert des Blutes fällt und die gewünschte azidotische Stoffwechsellage entsteht,

die meist renal kompensiert werden kann (FREDEEN et al. 1988; GELFERT et al.

2007; DEGARIS & LEAN 2008). Des Weiteren sollten bei der Anwendung dieses Konzeptes die kaliumreichen Futterstoffe (vor allem Welksilage) durch Maissilage ersetzt oder aus der Ration entfernt werden. Da der Kaliumgehalt einen großen Ein-fluss auf den DCAD-Wert hat, ist die Vermeidung hoher Kalium-Gehalte der Ration eine wichtige Maßnahme bei der Reduzierung der Kationen-Überschüsse.

TUCKER et al. (1988)variierten in ihrem Versuch die DCAD-Werte von -10 über +10 bis +20 meq/kg TS und konnten einen linearen Anstieg der Blut-, Pansensaft- und Harn-pH-Werte, ohne Beeinflussung des Fermentationsmusters, bei größer werden-den DCAD-Werten feststellen.

Die genaue Wirkungsweise dieser Methode auf die einzelnen Organe ist noch nicht hinreichend erklärt, jedoch wird vermutet, dass durch die Fütterung einer anionenreichen Diät die Sensitivität des Gewebes gegenüber PTH, bedingt durch eine effektivere Interaktion zwischen PTH und seinem Rezeptor, erhöht ist (HORST et al. 1997). Für diese Annahme spricht auch, dass bei der Fütterung einer anionenreichen Ration ein Anstieg der 1,25-(OH)2D3-Synthese sowie eine erhöhte Knochenresorption beobachtet wurde, sobald es zu einer Belastung der Calciumho-möostase kam (BLOCK 1984; GOFF et al. 1991). Tiere, die vor der Abkalbung eine Ration mit hohen K+ und Na+ Werten bekamen, zeigten hingegen niedrigere Calcit-riol-Plasmakonzentrationen um den Geburtszeitraum und häufiger Hypocalcämien (GAYNOR 1989). Eine In-vitro-Studie konnte die Vermutung einer erhöhten PTH-Sensitivität infolge einer gesteigerten Interaktion zwischen PTH und seinem Rezep-tor, bedingt durch eine metabolische Azidose, untermauern. DISTHABANCHONG er al. (2002) konnten zeigen, dass eine metabolische Azidose zu einer 1,5-2-fach er-höhten PTH-Bindung sowie zu einer 2-fach erer-höhten PTH/PTHrP-Rezeptor-Expression auf mRNA-Ebene führt. In den Knochen führt das azidotische Milieu zu einer verstärkten Lysis der intramitochondrialen Calcium-Phosphat-Komplexe sowie schließlich zum Austritt dieser beiden Elemente und zum nachfolgenden extrazellulä-ren Konzentrationsanstieg (BRAITHWAITE 1972; FREEDEN et al. 1988). Es kommt zu einer Vermehrung der Osteoklasten und zu einer gesteigerten Aktivität dieser (NAITO et al. 1990; TAKAGI & BLOCK 1991). Eine metabolische Alkalose, oftmals

bedingt durch hohe Kalium- und Natriumgehalte im Futter, verursacht hingegen eine verminderte Ansprechbarkeit der PTH-Rezeptoren am Knochen- sowie Nierengewe-be, da aufgrund einer pH-bedingten Veränderung am Rezeptor die Interaktion zwi-schen Rezeptor und PTH ineffektiver wird.

Des Weiteren wird durch den pH-Wert der Ingesta der Anteil des ionisierten Calci-ums beeinflusst. Durch einen niedrigen pH-Wert bei der Fütterung einer anionenreichen Diät steigt der Ionisierungsgrad des Calciums im Magen-Darm-Kanal (STORRY 1961), wodurch die parazelluläre Calcium-Transportrate erhöht wird (GOFF et al. 1991).

Die Gebärpareseprophylaxe besitzt, im Gegensatz zu den anderen Prophylaxemethoden, eine Reihe von Vorteilen (OETZEL et al. 1988). Beispielsweise entfällt die parenterale Medikamentenapplikation, eine exakte Kalkulierung des Abkalbetermines ist nicht mehr nötig, die nur schwer umsetzbare Reduzierung des Calciumgehaltes im Futter ante partum wird unnötig, die notwendigen Mineralstoffe lassen sich bei TMR-Einsatz relativ gut verfüttern, sind außerdem preiswert und stel-len kein Gesundheitsrisiko für das Tier dar. Ein negativer Effekt dieser Methode ist allerdings darin zu sehen, dass die Futteraufnahme aufgrund einer verminderten Schmackhaftigkeit in vielen Studien rückläufig war (GOFF & HORST 1997;

THILSING-HANSEN et al. 2002; GOFF et al. 2004). Bedingt dadurch können ver-mehrt Störungen des Energiestoffwechsels (beispielsweise Ketosen) auftreten. Aus diesem Grund ist es ratsam, die anionischen Salze mit einer TMR (Total Mixed Rati-on) zu verfüttern, so dass eine Futtermittelselektion durch die Kühe minimiert und eine optimale Trockensubstanzaufnahme erreicht werden (OETZEL 2000). Wird die angestrebte Futteraufnahme der Tiere allerdings nicht erreicht, so sollte diesem durch eine Reduzierung der Dosis der anionischen Salze entgegen gewirkt werden.