• Keine Ergebnisse gefunden

Aktivitäten der Stadtwerke seriös aufklären“

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 57-63)

Interview mit Prof. Dr. Thomas Hoffmann, geschäftsführer Stadtwerke Remscheid gmbH und EWR Energie und Wasser für Remscheid gmbH

R

emscheid ist mit über 110.000 Einwohnern die kleinste der drei Städte im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen. Die beiden größeren „Schwestern“ sind Solingen und Wuppertal. Alle drei dieser Kommunen verfügen über eigene Energieversorger. An einem dieser Unternehmen, der Energie und Wasser für Remscheid, ist das kommunale Beteiligungsunternehmen Thüga als Gesellschafter engagiert. Das Unternehmen aus Remscheid hält über die Beteiligungsgesellschaft KOM9 auch Anteile an der Thüga.

Diese Einbindung in das Thüga-Netzwerk ist eines der Themen unseres Interviews mit Prof. Dr. Thomas Hoffmann, zugleich Geschäftsführer der Stadtwerke Remscheid GmbH und der EWR GmbH. Weitere Stichworte des Fragenkataloges lauteten Breitbandversorgung, regionale Wertschöpfung, Energieeffizienz und Unternehmenssteuerung.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / 3. 10. 2015 58

spielen dabei natürlich der Erfahrungsaustausch und das Lernen von den Besten eine Rolle. Noch wichtiger sind aus meiner Sicht diese Netzwerke nicht nur hinsichtlich des gemeinsamen Einkaufs von Strom und Gas, sondern für alle Arten von Produkten, Leitungen und Anlagen (wie z.B.

Trafos). Hier sind wir mit der Thüga sehr gut aufgestellt. In Remscheid profitieren wir hier-durch bereits mit einem sechsstelligen Betrag pro Jahr. Ebenfalls bietet sich die Thüga an, um gemeinsam innovative Produkte oder neue Geschäftsmodelle, z.B. rund um die Themen dezentrale Energieerzeugung und Energie-effizienz zu entwickeln. In diesem Prozess sind wir mittendrin.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Wir hatten einleitend das Überkreuz-beteiligungsmodell erwähnt: das Beteiligungsunternehmen Thüga ist als Minderheitsgesellschafter bei rund 100 kommunalen Versorgern engagiert.

Umgekehrt halten kommunale Unternehmen aus diesem Kreis über die Beteiligungs-gesellschaften KOM9 und Integra in Summe 100 Prozent der Anteile an der Thüga. Wie muss man sich das ganz praktisch vorstellen?

Gegenseitige Beteiligungen, das heißt ja unter anderem auch gegenseitige Aufsichts- und Kontrollmandate.

Prof. Dr. Hoffmann:

Grundsätzlich haben Sie recht: Die Thüga ist entsprechend ihren jeweiligen Gesell-schaftsanteilen in den Aufsichtsgremien ihrer Beteiligungsgesellschaften vertreten. Die Gremienbesetzung bei der Thüga durch die drei INTEGRA-Gesellschafter und der Kom9 – beispielsweise Aufsichtsrat, Gesellschafter-ausschuss u. a. – ist im Vergleich hierzu natur-gemäß komplex und der Gesellschaftsstruktur der Thüga Holding GmbH & Co. KGaA geschuldet. Hierzu hatten die vier Aktionäre begleitend mit dem Kaufprozess umfassende Vereinbarungen geschlossen. Natürlich ist nach der Aufbruchstimmung und Euphorie der ersten Jahre die Erkenntnis gewachsen, aufkommende Diskussionspunkte zu ana-lysieren und im Dienste einer weiterhin sehr erfolgreichen Thüga und ihres Netzwerkes verschiedene Änderungen zu beschließen.

Wir bei der EWR sehen die Thüga als starken Gesellschafter-Partner zum Wohle des Stand-orts und nutzen das Dienstleistungsportfolio intensiv und bedarfsorientiert.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Ihr Stadtwerkeverbund wird an der Spitze geprägt durch die Stadtwerke Remscheid GmbH und die EWR GmbH. Die zu 100

Prozent kommunalen Stadtwerke halten 60 Prozent an der EWR, an der weiter die Thüga und die RWE zu je 20 Prozent beteiligt sind.

Die EWR sind der eigentliche städtische Ver-sorger mit den Sparten Strom, Gas, Wasser, Energiedienstleistungen und erneuerbare Energien. Können Sie uns weitere Fakten zur Beteiligungsstruktur erläutern?

Bitte gehen Sie dabei auch auf Strukturen ein, die nach Ihrer Wertung über Remscheid hinaus unter inhaltlich-organisatorischen Aspekten von Interesse sein könnten, und erläutern uns auch, in welcher der beiden eingangs genannten Gesell-schaften Holdingfunktionen angesiedelt sind.

Prof. Dr. Hoffmann:

Die Stadtwerke Remscheid GmbH war bis zum Jahr 2000 ein typisches Querverbundunter-nehmen mit den Geschäftsfeldern Versorgung, ÖPNV und Bäderbetrieb. Mit der Öffnung der Energiemärkte lag es nahe, die tradierten Strukturen „aufzubrechen“ und die Gesell-schaft auf die zukünftigen Marktanforderungen auszurichten. Mit der Ausgliederung der Ver-sorgungssparten und der Etablierung der EWR GmbH, der H2O GmbH für den Bäderbetrieb sowie in der Folge der Gründung der Park Service Remscheid GmbH wurde eine effiziente Konzernstruktur geschaffen, die es jeder Gesell-schaft unter einheitlicher Führung erlaubt, flexibel ihren Kernaufgaben nachzugehen. Dabei sind in der heutigen Muttergesellschaft Stadt-werke das operative Geschäft des ÖPNV sowie Minderheits-Beteiligungen vor allem im Ent-sorgungs-und Immobilienbereich angesiedelt.

Mit den drei Tochtergesellschaften bestehen jeweils Ergebnisabführungsverträge. Die EWR konzentriert sich auf die Geschäftsfelder Erneuerbare Energien, Netze, Energie- und Wasservertrieb sowie Energiedienstleistungen.

Aus der EWR heraus werden im Wege der Dienstleistung auch die kaufmännischen SharedService-Aufgaben für alle Gesellschaften des Stadtwerke Remscheid-Unternehmensver-bundes wahrgenommen. Damit erzielen wir Synergieeffekte und sichern eine einheitliche Unternehmenssteuerung. So können wir mit etwa 500 Mitarbeitern einen Umsatz von über 170 Millionen Euro erwirtschaften.

„Engagement beim Ausbau der Breitbandtechnologie sehen wir als Chance für den Einstieg in ein neues Geschäftsfeld“

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Ein von Ihnen für das erwähnte Irrtümerbuch genanntes Beispiel betrifft die Etablierung von Breitbandinfrastrukturen in Remscheid durch die EWR. Was passiert da genau, warum musste hier das kommunale Unternehmen aktiv werden, obwohl Remscheid als Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern für die großen Kommunikationsanbieter eigentlich ein Thema sein müsste?

Prof. Dr. Hoffmann:

Wir sehen unser Engagement auf dem Gebiet der Breitbandtechnologie sowohl als Einstieg in ein neues Geschäftsfeld und auch als Chance, neue Wege zu beschreiten, um damit unseren Service als innovativer Infrastrukturdienstleister unter Beweis zu stellen. Besonders für zahlreiche Gewerbe- und Industrieunternehmen in Remscheid möchten wir einen zusätzlichen Service bieten, weil für diese Unternehmen eine sichere Energieversorgung und eine funktionierende Glasfaserinfrastruktur sehr wichtig sind. Wir haben das nötige Know-how und wir verfügen dazu über Glasfaserkabel für eigene Zwecke sowie über Leerrohrkapazi-täten. Für uns ergeben sich Synergieeffekte bei der Verlegung von Leitungen für Strom, Gas, Wasser und Straßenbeleuchtung. Da können wir Breitbandkabel gleichzeitig mit verlegen. Zudem sind wir in Remscheid das dauerhaft aktivste Unternehmen im Tiefbaubereich. Wir sind der Überzeugung, dass die leitungsgebundene Daten-übertragung über Glasfaserkabel auf absehbare Sicht den wichtigsten Übertragungsweg darstellen wird. Warum sollten wir bei diesen vielen Vor-teilen darauf warten, dass andere Dienstleister die Standortattraktivität in Remscheid vorantreiben?

Diese Chance nutzen wir lieber selbst, zum Wohle aller Beteiligten.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Müsste man angesichts der von Ihnen dar-gestellten Situation nicht von Marktver-sagen sprechen und ist es generell so, dass die

Prof. Dr. Thomas Hoffmann

Kommunen und deren Unternehmen immer dann einspringen, wenn Leistungen der Daseinsvorsorge für private Anbieter nicht lukrativ genug sind?

Prof. Dr. Hoffmann:

Der Markt ist hier sehr differenziert zu betrachten. Sicherlich haben wir z.B. beim ÖPNV eine – auch historisch gewachsene – Daseinsvorsorge. Aber auf dem Energiemarkt und bei den energienahen Dienstleistungen gelten die Mechanismen der Marktwirtschaft, insbesondere seit der Liberalisierung der Energiewirtschaft im Jahr 1998. Im Breitband-geschäft stehen wir im Wettbewerb zu anderen Unternehmen. Wir gehen jedoch davon aus, dass wir aufgrund unserer Vorteile im lokalen Markt viele Industrie- und Gewerbekunden von unseren Angeboten überzeugen können.

Seit unserem Einstieg im Jahr 2012 haben wir hier zweistellige Zuwachsraten.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Jetzt kommt, zugegebenermaßen ein rhetorische Frage: Wer kommt eigentlich für die Verluste auf, die bei den kommunalen Unternehmen entstehen, wenn Sie in der dargestellten Weise

in die Bresche springen? Man könnte das Vor-halten von Infrastruktur mit einiger Recht-fertigung als hoheitliche Aufgabe definieren, und dann stünde nicht mehr die Kommune allein im Obligo, Stichwort Konnexitätsprinzip.

Prof. Dr. Hoffmann:

Nun, zunächst möchte ich festhalten, dass sich jedes unserer Unternehmen, ob „geborener“

Verlustbetrieb oder „Ergebnisbringer“, den Anforderungen und Herausforderungen an eine wirtschaftliche Betriebsführung stellen muss. Für alle vergleichbaren kommunalen Unternehmen muss einmal stellvertretend die Lanze gebrochen werden: Die EWR subventioniert nicht mit ihrem Strom- und Gasgeschäft die Fahrpreise des ÖPNV oder die Eintrittspreise im H2O.

Die EWR muss sich dem harten Wettbewerb stellen und überzeugt ihre Kunden mit ihrem Leistungs- und Serviceangebot sowie persön-licher Nähe und marktgerechten Preisen. Mit den erwirtschafteten Erträgen muss sie natür-lich ihre Gesellschafter zufriedenstellen. Das die Stadtwerke den ihr zustehenden Gewinn nebst weiteren Erträgen aus anderen Beteiligungen nutzt, die Verluste aus dem ÖPNV und Bäder-betrieb steueroptimiert aufzufangen, ist kein

Geheimnis. „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen…“; nach dem Konnexitätsprinzip zahlt letztendlich die Kommune die hoheit-lichen Aufgaben aus dem ÖPNV und Bäder-betrieb, denn der ihr zustehende Gewinn aus dem Versorgungsgeschäft wird entsprechend eingekürzt.

„Jeder unserer Arbeitsplätze sichert einen weiteren Job in Remscheid.“

UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Ein zweites Buchthema war die regionale Wertschöpfung durch das kommunale Unter-nehmen. Wie lauten hier die Fakten?

Prof. Dr. Hoffmann:

Wir, damit meine ich den gesamten Stadtwerke Remscheid-Verbund, sind ein starker Impuls-geber für die regionale Wertschöpfung. Um genau herauszufinden, in welchem Umfang wir hier agieren, haben wir im Jahr 2010 das unabhängige Eduard Pestel-Institut aus Hannover mit der Durchführung einer Studie beauftragt, um die regionalwirtschaftliche Bedeutung der SR-Unternehmen zu ermitteln.

Wir bei der EWR sehen die Thüga als starken

Gesellschafter-Partner zum Wohle des Standorts und nutzen das Dienstleistungsportfolio intensiv

und bedarfsorientiert.

„ ______________________

Prof. Dr. Thomas Hoffmann

Sparkassen-Finanzgruppe Hessen-Thüringen

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / 3. 10. 2015 60

Durch die Ergebnisse sehen wir uns mehr als bestätigt. Die EWR, die Stadtwerke Remscheid, das H2O und die PSR leisten einen wertvollen Beitrag für die Stadt und sind damit ein starker Impulsgeber für Remscheid. Hier die Ergeb-nisse im Detail: Ob als Steuerzahler, als starker Investor in Remscheid oder als Auftraggeber für ortsansässige Unternehmen, durch die wirtschaft-lichen Verflechtungen profitieren Bürger, Unter-nehmen, Kommune und das gesamte lokale Umfeld in hohem Maße von den Aktivitäten des Unternehmensverbundes. Laut Studie gehen durch den Unternehmensverbund insgesamt Nachfrageimpulse von mehr als 30 Millionen Euro auf die Stadt Remscheid aus.

Als kommunales Unternehmen trägt der Stadtwerke Remscheid-Verbund eine besondere Verantwortung für sichere Arbeitsplätze. Im Jahresdurchschnitt waren im Unternehmen 503 Mitarbeiter direkt beschäftigt. Indirekt werden durch den Erwerb von Waren und Dienst-leistungen bei lokalen Unternehmen weitere 596 Arbeitsplätze in Remscheid gesichert, somit insgesamt 1.099 Jobs hier in der Stadt.

Unterm Strich bleibt festzuhalten: Jeder direkt Beschäftigte in unseren Unternehmen zieht in Remscheid weitere 1,2 Arbeitsplätze nach sich.

So werden durch den Stadtwerke Remscheid-Unternehmensverbund vor Ort insgesamt fast

1.100 Arbeitsplätze gesichert. Dieser hohe und wichtige Beschäftigungseffekt für Remscheid kann sich sehen lassen.

Biogas-BHKWs produzieren CO2-neutral Strom und Wärme UNTERNEHMERIN KOMMUNE:

Das letzte der eingangs genannten Stich-worte lautete Energieeffizienz. Dieses Thema ist nach unserer Kenntnis auch eines, zu dem das Thüganetzwerk Know-how bei-steuert. Welche Schwerpunkte setzen die

UNSER gESPRÄCHSPARTNER Prof. Dr. Thomas Hoffmann wurde am 14.02.1961 in Essen geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine kaufmännische und ingenieurwissenschaftliche Ausbildung in Es-sen, Berlin und St. Gallen und promovierte an der Universität Essen zum Dr.-Ing. Seit über 20 Jahren ist er als Führungskraft in der Energie- und Stadtwerkebranche tätig, u. a.

von 1998 bis 2005 als Geschäftsführer eines Energieproduktions- und Energiedienstleis-tungsunternehmens in Bremen.

Zum 01.04.2005 übernahm er die Aufgabe des Allein-Geschäftsführers der Stadtwerke Remscheid GmbH. Darüber hinaus ist Prof.

Dr. Hoffmann Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum und Lehrbeauf-tragter für „Strategisches Management und Unternehmensführung“.

i infos

kommunalen Unternehmen für Remscheid, wie können Sie dabei Thüga-Kompetenzen nutzen und welche Effekte generieren Sie aus diesem Zugriff?

Prof. Dr. Hoffmann:

Seit fast 15 Jahren besteht bei der EWR GmbH eine eigene Abteilung, die sich auf den Bereich Energie-dienstleistungen und Energieeffizienz (z.B. BHKWs, Druckluft, Wärme, Klima) spezialisiert hat. Das ist mittlerweile für uns ein wirtschaftlich positives Geschäftsfeld mit circa zehn Prozent Umsatz-wachstum pro Jahr. Wir unterhalten insgesamt 13 Blockheizkraftwerke (BHKW). Darunter befinden sich zwei BHKWs, bei denen Biomethangas zum Einsatz kommt.

Allein unser Biogas-BHKW im H2O produziert jährlich CO2-neutral rund 7,5 Millionen Kilowattstunden Strom und circa 8 Millionen Kilowattstunden Wärme. Durch den Einsatz von Biomethan statt Erdgas werden insgesamt jährlich circa 5.000 Tonnen CO2 ein-gespart. Für die BHKW-Technik nutzen wir z.B.

das Thüga-Netzwerk, um uns an den technischen und wirtschaftlich machbaren Rahmenbedingen zu orientieren. Dazu zählt auch die Optimierung von Eigenstromkonzepten, also Fremdstrom-Substitution durch Eigenstromerzeugung mittels BHKW.

Auch unser Wärme-Contracting hat sich erfolgreich am Markt positioniert und sorgt für mehr Energieeffizienz in Remscheider Haus-halten. Mittlerweile gibt es ca. 350 Projekte, verteilt auf rund 420 Gebäude, fast 2.000 Wohn-einheiten und knapp 60 Gewerbe- und Industrie-betriebe. Das Kleinanlagen-Contracting hat sich mit rund 420 Wohneinheiten, verteilt auf circa 170 Gebäude, gut etabliert.

Ein weiterer Punkt der Zusammenarbeit mit der Thüga sind die Energieaudits. Die EWR als großes Unternehmen ist verpflichtet, sogenannte Energieaudits durchzuführen. Energieaudits

führen dazu, dass Unternehmen ihre eigenen Energieeinsparpotenziale besser kennen und in gezielte Maßnahmen investieren können. Bereits heute werden diese Audits in vielen Unternehmen genutzt, um betriebliche Energieversorgungs-systeme technisch und wirtschaftlich zu verbessern.

Von der Thüga wurden zwei unserer EWR-Mit-arbeiter entsprechend der Anforderungen laut

DIN EN 16247-1 ausgebildet und arbeiten als Energieauditoren an zwei Projekten. Mehrere Industrieunternehmen in Remscheid haben Interesse an diesen Energieaudits und dazu schon Kontakt mit uns aufgenommen. Mit unserem Know-how können wir hier den Ein-stieg in ein sinnvolles Energiemanagementsystem erleichtern. n Das Gespräch führte Michael Schäfer

www.ewr-gmbh.de

Ebenfalls ein Pestel-Befund: Jeder EWR-Arbeitsplatz sichert einen weiteren Job in Remscheid Laut einer Pestel-Studie wirken 30 Millionen Euro jährlich vor Ort.

Der Gasometer in Berlin-Schöneberg ist vielleicht das markanteste unter den vielen Industriedenkmalen der deutschen Haupt-stadt. Umgeben von S-Bahn-Trassen, inmitten typischer Berliner Mietskasernen und mit seinen 78 Metern weithin sichtbar, avancierte der Gaso-meter zu einem echten Wahrzeichen. Wie vieles in Berlin, gibt auch der Gasometer kein auf Hochglanz poliertes Postkartenmotiv ab, sondern weiß eher mit sprödem Charme zu glänzen. Er repräsentiert die Berliner Industriekultur, die die Mentalität in der Stadt bis heute prägt. Gleich-zeitig steht er für den Wandel der Zeiten von der Geburt der Metropole im Zeitalter der Hoch-industrialisierung bis hin zur postmodernen Boomtown von Kreativität, Gründergeist und Innovation.

Zu Zeit der Reichsgründung 1871 war Schöneberg noch ein kleines märkisches Ackerdorf. 37 Jahre später mit dem Beginn der Bauarbeiten am Gasometer lebten bereits 150.000 Menschen in den engen Grenzen der Gemarkung Schöneberg. Dies beschreibt die enorme Rasanz, mit der sich Berlin von einer vergleichsweise überschaubaren preußischen Residenzstadt zu einer Metropole von Welt-rang entwickelte. In den weniger als 50 Jahren zwischen der Reichsgründung 1871 bis zur Weimarer Republik verfünffachte sich die Einwohnerzahl von knapp 800.000 auf über vier Millionen. Damit verbunden war ein exponentiell wachsender Energiebedarf. Gas wurde benötigt für die Stadtbeleuchtung und für den Haushaltsgebrauch zum Kochen wie zum Heizen.

Ähnlich wie heute stellte sich auch damals die Frage, wie sich Energie möglichst sinnvoll speichern lässt, damit sie flexibel zum Ein-satz kommen kann und Engpässe vermieden

werden. Im Gasometer Schöneberg ließen sich 160.000 Kubikmeter Gas speichern. Mit diesem Füllvolumen war er der drittgrößte Gasbehälter Europas. Über Jahrzehnte hinweg wurden die Berliner Wohnlagen südlich der Spree aus Schöneberg heraus zuverlässig mit Stadtgas versorgt. 1940 übernahm die Gasag das Schöneberger Gaswerk, welches nach dem Krieg allerdings nur noch als Behälterstation genutzt wurde. Der letzte Gastank wurde im Jahr 1995 außer Betrieb genommen. Das gesamte Areal mit dem Teleskopgasbehälter, dem Retorten-, dem Kesselhaus und weiteren Gebäuden wurde unter Denkmalschutz gestellt und wartete seitdem auf eine neue Nutzung.

2007 verkaufte die Gasag den gesamten Komplex an die EUREF AG. Ein zuvor ent-wickeltes Nutzungskonzept sah zahlreiche Neubauten und eine Anschlussnutzung des Gasometers vor. Auf der Grundfläche des Gaso-meters befindet sich nun ein Kuppelbau, der für vielfältige Veranstaltungen genutzt wird.

Am bekanntesten war hier sicherlich der all-sonntägliche Polittalk mit Günther Jauch.

Mittlerweile hat sich das gesamte Gelände enorm weiterentwickelt. Seit dem Winter-semester 2012/2013 bietet die Technische Universität Berlin auf dem neuen TU-Campus EUREF drei disziplinübergreifende Master-studiengänge an. Sie widmen sich allesamt den Themen Stadt & Energie und passen so zur Historie des Ortes. Bis heute haben sich zahlreiche weitere renommierte Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus dem Themenkomplex Energie, Nachhaltigkeit und Mobilität, aber auch einige Start-Ups auf dem EUREF-Campus angesiedelt. Aktuell forschen und arbeiten mehr als 1.300 Menschen an diesem Standort.

Rund 30.000 Quadratmeter Geschossfläche stehen schon jetzt zur Verfügung. Dabei sind denkmalgeschützte Gebäude und ambitionierte Entwürfe in besonderer Weise miteinander ver-knüpft worden. Aktuell entstehen rund 20.000 Quadratmeter Geschossfläche in zwei weiteren Neubauten. Ziel ist es, den traditionsreichen Industrie- und Energiestandort am Schöne-berger Gasometer schrittweise zu einem modernen Büro- und Wissenschaftscampus zu entwickeln. Am Ende dieses Prozesses sollen bis zu 25 Gebäude mit rund 165.000 Quadrat-meter Geschossfläche für Büro-, Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Wohnfläche zur Verfügung stehen. Die sogenannte Schöneberger Insel – eingeschlossen zwischen verschiedenen Bahn-trassen – erhält so eine erhebliche Aufwertung.

Der einst abgelegene Arbeiterkiez schmiegt sich nun zwischen den Potsdamer Platz, den neuen Fernbahnhof Südkreuz, die ebenfalls erst kürz-lich eröffneten ausgedehnten Parkanlagen am Gleisdreieck und den neuen EUREF-Campus.

Mit der Gasag zu einer

nachhaltigen Energieversorgung Nachdem auch der letzte Gasbehälter abgeschaltet wurde, lag das Areal um den Gasometer Schöneberg praktisch ungenutzt brach. 2007 fand sich endlich ein Käufer. Der Projektentwickler und Architekt Reinhard Müller hatte die Idee, das ehemalige Gaswerk samt Gasometer zu einer großen europäischen Energieuniversität auszubauen. Mitten in Berlin sollte auf traditionsreichem Gelände ein Forschungscluster von Weltniveau entstehen – mit Kongresszentrum, einer agilen Start-Up-Szene und universitärer Anbindung. Müller gründete dazu die Europäische Energieforum AG FORSCHUNgSCAMPUS EUREF AM gASOMETER BERLIN-SCHÖNEBERg

Ein altes Industriedenkmal

in neuem Licht

gasag unterstützt bei Entwicklung und Umsetzung eines innovativen Energiekonzepts

W

ann genau die Energiewende begonnen hat, lässt sich nur schwerlich beziffern. Im Hinblick auf die aktuellen Energieziele lässt sich am ehesten der September 2010 heranziehen. Damals beschloss die Bundesregierung nicht nur eine viel diskutierte Laufzeitenverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke, sondern auch verbindliche Energieziele für die Jahre 2020 und 2050. Die Laufzeitenverlängerungen wurden nach dem Atomunglück in Fukushima zurückgenommen, die Kernziele blieben bestehen.

Und so feiert die Energiewende in ihrer aktuellen Ausprägung ein kleines Jubiläum – das 5jährige. Das, was auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg aktuell umgesetzt wird, startete ebenfalls vor etwa fünf Jahren.

Der Betreiber des Geländes hatte sich zum Ziel gesetzt, die Energiewende im Kleinen schon heute vorwegzunehmen. EUREF fand dabei die intensive Unterstützung der Gasag, des ältesten Berliner Energieversorgers, der sich nicht nur dem Gelände selbst verbunden fühlte, sondern vor allem bemüht ist, die ökologische Erneuerung der Berliner Energiewirtschaft mitzugestalten. Rund um den alten Schöneberger Gasometer gelingt schon jetzt im Kleinen, was hoffentlich bald auch deutschlandweit möglich sein soll – eine weitgehend emissionsfreie Versorgung mit Strom, Wärme, Kälte und Mobilität zu marktfähigen Preisen.

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 02 / 3. 10. 2015 62

(EUREF), die das Projekt in den folgenden Jahren weiter entwickeln sollte. Noch konnten nicht alle der ambitionierten Pläne umgesetzt werden, doch der EUREF-Campus ist auf einem guten Weg.

In einem einzigartigen Ambiente soll erforscht und umgesetzt werden, wie sich städtische Ent-wicklung mit den Grundsätzen der Nachhaltigkeit in Einklang bringen lässt. Die Gasag ist dabei einer der engsten Partner.

Der traditionsreiche Berliner Gasversorger fühlt sich seinem ehemaligen Gaswerk nicht nur aus nostalgischen Gründen verbunden.

Der Blick geht eher in die Zukunft. Denn auf dem EUREF-Campus kann die Gasag zeigen, welch innovative Lösungen sie für ein modernes und nachhaltiges Energiemanagement in

innerstädtischen Quartieren anbieten kann.

Ulrich Paschke ist Technischer Leiter bei der Gasag Contracting. Er erinnert sich: „Rein-hard Müller wollte einen besonderen Stand-ort schaffen. Dazu zählte eine CO₂-neutrale Energieversorgung, und zwar zu Preisen, die mit denen anderswo in der Stadt konkurrieren können.“ Für die Gasag war diese Vision zunächst einmal eine Herausforderung. Es galt, kreative Lösungen für eine ökologische Versorgung des Geländes mit hocheffizienter Technik zu finden, die zugleich wirtschaftlich attraktiv sind. Das ist gelungen. „Wir zahlen im Vergleich zur herkömmlichen Fernwärme in Berlin den gleichen Preis pro Megawattstunde.

Bei Kälte sind wir sogar billiger“, sagt Reinhard

Müller. Die Energiewende sei machbar, man müsse nur den richtigen Partner finden. Schon seit Januar 2014 erfülle das Gelände die Klima-schutzziele, die die Bundesregierung für das Jahr 2050 definiert hat, so der Vorstandschef der EUREF AG.

Das Energiekonzept für den EUREF-Campus wurde von der Gasag Contracting erarbeitet. Die Gasag-Tochter wird bis zum Jahr 2018 eine zentrale Wärme- und Kälteversorgung aufbauen. Das Unternehmen übernimmt dabei auch die Installation der Anlagentechnik sowie der Verteilnetze für Wärme und Kälte. Die Dimensionen sind gewaltig. Mit einer Brutto-geschossfläche von 165.000 Quadratmetern soll der EUREF-Campus noch deutlich größer

Mit der Gesag gelingt auf dem Gelände eine weitgehend CO2-neutrale Versorgung mit Strom, Wärme, Kälte und Mobilität – zu marktfähigen Preisen.

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 57-63)