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Das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit

Initiiert wurde das Aktionsbündnis 2006 gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nerven-heilkunde (DGPPN) mit dem deutschen Verein »Open the doors«, der sich als Partner des internationalen Antistigma-Programms der World Psychiatric Association (WPA) bereits in den Jahren nach dem Weltkongress der Psy-chiatrie 1999 in Hamburg gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung

psychisch erkrankter Menschen gegründet hatte. (Ramge & Becker, 2017) Das Bündnis ist trialogisch ausgerichtet und umfasst Mitglieder aus dem professionellen Bereich, aus dem Bereich der Betroffenen sowie der Ange-hörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Zu den derzeit 120 Mitgliedsorganisationen und Initiativen gehören Selbsthilfeverbände sowie Verbände aus den Bereichen Gesundheitsförderung, Psychiatrie und Politik.

Für die Koordination und Abstimmung der Aktivitäten des Bündnisses ist eine ebenfalls trialogisch besetzte Steuerungsgruppe zuständig, sie berät auch über die Aufnahme neuer Organisationen. Zurzeit besteht die Steue-rungsgruppe aus 12 Bündnismitgliedern. Das Aktionsbündnis befindet sich seit vielen Jahren in Trägerschaft der DGPPN, die neben der inhaltlichen Mitgestaltung organisatorische Belange übernimmt und für die strukturelle Ausstattung und Funktionalität des Bündnisses aufkommt. Daneben wird das ABSG durch eine Projektförderung des BMG bei Maßnahmen seiner Aufklärungsarbeit unterstützt.

Unter dem Motto »Für die Menschen – gegen Ausgrenzung«, seiner schriftlich niedergelegten Aufgabenstellungen und Zielsetzungen, agiert das Bündnis im breiten Spektrum von Maßnahmen und Forschungsaktivitäten zur Förderung psychischer Gesundheit und Aufklärung über psychische Erkrankungen sowie deren Präventions-, Therapie- und Versorgungsmög-lichkeiten. Es informiert über die Möglichkeiten von Früherkennung und Prävention, die Vielfalt von Anlaufstellen für Hilfesuchende und es ermutigt Menschen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen seiner Öffentlich-keitsarbeit klärt es auch über die Relevanz und die Möglichkeiten der beruf-lichen und sozialen Inklusion, zum Beispiel zum »supported employment«

von psychisch Erkrankten oder von Erkrankung bedrohten Menschen auf.

Damit zeigt es, wie Betroffene und ihre Familien an der Gesellschaft positiv teilhaben können.

Was bedeutet psychische/seelische Gesundheit? Entsprechend der Definition der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) ist psychische oder seelische Gesundheit ein Zustand des Wohlbe-findens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann. Diese Definition findet nicht jedermanns Zustimmung und bedarf sicherlich auch der Moderation in verschiedener Hinsicht, z. B. bezüglich des Verlaufs über die Lebensspanne und den Rah-menbedingungen, unter denen Menschen leben. Jetzt in Krisenzeiten ist es nötig, sich hier noch einmal mit dem Thema zu befassen. In den letzten

der »Offensive Psychische Gesundheit«

ein bis zwei Dekaden ist das Thema »psychische oder seelische Gesundheit«

sehr in den Vordergrund geraten. Es gibt eine Reihe von Aktionsplänen von der WHO dazu, auch die Europäische Union (EU) hat sich in dem Projekt

»Joint Action On Mental Health and Well-Being« (deutsch: gemeinsame Aktion für psychische Gesundheit und Wohlbefinden) geäußert. 2015 hat die Organisation der Vereinten Nationen (United Nations, UN) in ihre 17

»Sustainable Development Goals« (deutsch: nachhaltige Entwicklungsziele) auch das Thema psychische Gesundheit miteinbezogen, was sehr viel Bei-fall gefunden hat, zum Beispiel von der WHO. Der derzeitige Direktor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat in Anbetracht der weltweiten COVID-19-Pandemie eine weitere »Special Initative for Mental Health«

(deutsch: spezielle Initiative für psychische Gesundheit) ausgerufen, mit dem Ziel der Verbesserung der Versorgung bis 2023. In dieser Initiative spricht er sich dafür aus, dass psychische Gesundheit weltweit ein wesentliches An-liegen der psychischen Gesundheitssicherung werden muss: »Mental health must be an integral part of universal health coverage.« Hier spielt auch das Thema Qualitätsmedizin eine wichtige Rolle: Menschen mit seelischen oder psychischen Behinderungen und Erkrankungen müssen Zugang zu den bestmöglichen therapeutischen Versorgungsmöglichkeiten haben (Gaebel &

Stricker 2020). Auch die UN hat im Mai 2020 unter dem Druck der COVID-19-Krise dieses Thema noch einmal in ihrem Bericht »COVID-19 and the Need for Action on Mental Health« (deutsch: COVID-19 und der Handlungsbedarf für die psychische Gesundheit) hervorgehoben mit dem Ziel, eine durch die Pandemie katalysierte globale Mental Health Krise zu verhindern.

Welche Rolle spielt Stigmatisierung? Trotz vielfältiger Anstrengungen sind Stigmatisierung und Diskriminierung psychisch erkrankter Menschen nicht verschwunden, sondern weiterhin ein wichtiges Thema (Gaebel et al. 2017). Wie einige Untersuchungen zeigen, hat das Stigma für einige Erkrankungsbilder sogar eher zugenommen, wie z. B. für Schizophrenie, während andere Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout mittlerweile offenbar besser akzeptiert sind (Schomerus & Angermeyer 2017). Eine Problematik dabei ist, dass Betroffene und Angehörige gesellschaftliche Stigmatisierungen am Arbeitsplatz, in der Ausbildung oder in der eigenen Familie verinnerlichen. Dieses Selbststigma äußert sich in einem negativen Selbstbild, mangelndem Selbstbewusstsein und auch durch Scham, Tabui-sierung oder gar Furcht vor Sanktionierung. Gerade am Arbeitsplatz kommt für Betroffene z. B. die Frage auf, ob sie öffentlich machen, dass sie eine

psy-Wolfgang Gaebel, Julia Thimm, Birgit Oehmcke

chische Problematik haben und vielleicht damit rechnen müssen, bei nächs-ter Gelegenheit gekündigt zu werden. Diese Abwägung ist durchaus nicht ungerechtfertigt und daher ist auch im Kontext unserer Arbeit abzuwägen, ob Menschen mit einer psychischen Problematik dazu aufgefordert werden, sich am Arbeitsplatz oder gegenüber Vorgesetzten unter allen Umständen zu »outen«. Stigmatisierung ist auch als »zweite Erkrankung« bezeichnet wor-den, um deutlich zu machen, dass sie auch den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen kann. Durch die beschriebene Selbststigmatisierung wird nicht nur der Gesundungsprozess, sondern auch die frühzeitige Beratung, Dia-gnostik und Behandlung behindert oder verhindert. Auf der anderen Seite sind Antistigma-Interventionen der Öffentlichkeit besonders dann wirksam, wenn sie neben Aufklärung den Kontakt mit Betroffenen oder Testimonials ermöglichen. Eine weitere Initiative ist aber auch der gezielte Protest, wenn es vor allem um sog. strukturelle Diskriminierungen von Betroffenen in verschiedenen Lebensbereichen geht.

Prävention, Therapie und Rehabilitation, aber auch eine gesundheitsför-dernde Haltung gehen z. T. fließend ineinander über. Präventive Maßnahmen werden traditionell in Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention differen-ziert. Mit zunehmender Vorverlegung der präventiven Maßnahmen im oder vor dem Krankheitsausbruch wird Primärprävention weiter untergliedert in universale (nicht erkrankte Bevölkerung), selektive (krankheitsdisponierte Risikopersonen) und indizierte Prävention (bereits Frühsymptome einer Erkrankung). All diese Bemühungen finden jedoch aus Sicht der Betroffenen oft ihre Grenzen an den Grundformen von Stigmatisierung und Diskrimi-nierung. Die Tatsache, dass man einer Risikoperson klarmachen will, später eine schwere Erkrankung zu bekommen und sich daher einer präventiven Maßnahme zu unterziehen, findet auch sonst in der Medizin nicht unbedingt Begeisterung und muss bei der Aufklärung auch unter ethischen Gesichts-punkten bedacht werden.