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3 Einsatzplanung für Fahrerlose Transportsysteme

3.1 Einordnung des Problems

3.1.2 Abgrenzung zu verwandten Problemen

Das Problem der Einsatzplanung für AGVs in Containerterminals ist eng verwandt mit einigen klassischen Routing- und Scheduling-Problemen. Abbildung 3-2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Vertreter, die im Folgenden näher beschrieben werden.

Routing- und Scheduling-Probleme für Fahrzeuge sind in den vergangenen zwei Jahr-zehnten ausführlich studiert worden. Laporte und Osman (1995) bieten einen umfassen-den Literaturüberblick zu Routing-Problemen im Allgemeinen. Routing-Probleme für Fahrzeuge wurden auch sehr ausführlich von Savelsbergh und Sol (1995) betrachtet. In ihrer Arbeit diskutieren die Autoren sowohl das allgemeine Pickup-and-Delivery-Prob-lem (auf Englisch: General Pickup-and-Delivery-ProbPickup-and-Delivery-Prob-lem; GPDP), als auch dessen wichtigste Spezialfälle, das Vehicle-Routing-Problem (VRP), das Pickup-and-Delivery-Problem (PDP) und das Dial-a-Ride-Pickup-and-Delivery-Problem (DARP).

GPDP

DARP PDP VRP

PDPTW m-TSP

TSP Einsatzplanung in Terminals

- nur 1 Depot - nur 1 Abholort pro TA - nur 1 Lieferort pro TA - Auftragsgröße = 1

- nur 1 Depot - nur 1 Abholort pro TA - nur 1 Lieferort pro TA

Auftragsgröße = 1

- nur 1 Depot

- jeder Kunde (TA) nur einmal besucht (Abholung/Lieferung nicht unterschieden)

Abholung/Lieferung nicht unterschieden

Zeitfenster oder Abhol-/Lieferzeiten oder max. Reisedauer

keine max. Ladekapazität

nur 1 Fahrzeug/Reisender - heterogene Startorte

- keine disjunkten Touren gefordert - halboffenes Zeitfenster als weiche Nebenbedingung

- heterogene Startorte

- keine disjunkten Touren gefordert - halboffenes Zeitfenster als weiche Nebenbedingung

DARPTW

Zeitfenster oder Abhol-/Lieferzeiten oder max. Reisedauer

Auftragsgröße = 1

Abbildung 3-2: Verwandte Planungsprobleme

Das GPDP beschreibt die allgemeinste Problemstellung. Gegeben ist hier eine Flotte von Fahrzeugen mit fahrzeugspezifischen Startorten, Zielorten (an denen die Tour enden soll) und maximalen Ladekapazitäten. Diese Fahrzeuge sollen eine Menge von Transportaufträgen abarbeiten, von denen jeder einzelne aus einer Anzahl von Trans-portgütern besteht, die an verschiedenen Orten abgeholt und zu verschiedenen Orten geliefert werden sollen. Dabei muss die Abholung sämtlicher Einheiten eines Auftrags vor der ersten Auslieferung erfolgen. Ziel des GPDP ist es, für jedes Fahrzeug eine Route zu finden, so dass kein Ort mehrmals in einer Route besucht und die Ladekapa-zität der Fahrzeuge nicht überschritten wird. Außerdem muss jeder Transportauftrag innerhalb einer Route vollständig abgearbeitet werden. Trotz seiner Allgemeingültigkeit hat das GPDP nie so große Aufmerksamkeit wie seine Spezialfälle erhalten, die deutlich öfter in der Praxis vorzufinden sind.

Unter den drei Spezialfällen des GPDP hat das VRP aufgrund seiner vielfältigen An-wendungsbeispiele bisher die größte Aufmerksamkeit erhalten. Im Unterschied zum GPDP gibt es keine fahrzeugspezifischen Start- und Zielorte, sondern ein Depot, von dem aus alle Fahrzeuge starten und zu dem sie am Ende auch zurückkehren. Außerdem bestehen die Aufträge nicht mehr aus Abholung und Lieferung. Jeder Kunde wird nur einmal besucht. Für das VRP haben Laporte (1992) und Gambardella (2000) verschie-dene Heuristiken und exakte Lösungstechniken untersucht. Ein neuerer Vergleich von 10 typischen Heuristiken für das VRP mit und ohne weitere Nebenbedingungen findet sich in van Breedam (2002). Der Autor gibt dort eine Klassifikation der Lösungsansätze für das VRP, in der unterschieden wird zwischen Verfahren zur Routenbildung,

zwei-stufigen Lösungstechniken, unvollständigen Optimierungsverfahren und Verbesse-rungsverfahren.

Während Verfahren zur Routenbildung und zweistufige Lösungstechniken bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten, gibt es in den letzten beiden Kategorien eine Vielzahl von Ansätzen. Als universelles Modellierungs- und Lösungstool waren Verfahren der ge-mischt-ganzzahligen linearen Programmierung6 (mixed-integer linear programming, MILP) schon immer eine nahe liegende Wahl, um VRPs zu lösen. Zur Lösung von MILP-Modellen werden meist Brach-and-Cut- oder Branch-and-Bound-Verfahren be-nutzt wie in Laporte et al. (1986), Achuthan et al. (1996) und Mingozzi et al. (1999) für das VRP oder in Kohl et al. (1999) und Bard et al. (2002) für das VRP mit Zeitfenstern (VRPTW). Unter den numerischen Suchverfahren zur Lösung des VRP wird derzeit Tabu-Search bevorzugt. Dieser Ansatz wird z.B. in Golden et al. (1997) sowie in Angelelli und Speranza (2002) bei der Lösung des VRP oder in Gendreau et al. (1994) für das VRPTW verfolgt. Andere Autoren schlagen vor, Simulated Annealing zu ver-wenden (z.B. in van Breedam, 1995), Genetische Algorithmen (z.B. Hwang, 2002), oder eine Erweiterung des bekannten Savings-Verfahrens (z.B. Fleischmann, 1994).

Ein sehr prominenter Spezialfall des VRP ist das Traveling-Salesman-Problem (TSP), bei dem ein Handlungsreisender eine vorgegebene Menge von Kunden besuchen muss.7 Die Route soll dabei so gewählt werden, dass jeder Kunde genau einmal besucht wird und die dabei zurückgelegte Entfernung möglichst gering ist.

Im Gegensatz zum VRP umfasst jeder Auftrag beim PDP eine Abholung und eine Lieferung. Die daraus resultierende Forderung, dass die Abholung immer vor der Liefe-rung erfolgen muss, macht das Problem tendenziell schwieriger. Oft sind Abholung und Lieferung noch zusätzlich zeitlichen Beschränkungen unterworfen. Dies kann gesche-hen durch die Festlegung von Zeitfenstern, in denen Abholung und Lieferung erfolgen sollen, durch Abhol- und Liefertermine oder durch die Vorgabe maximaler Fahrzeiten zwischen Abholung und Lieferung (z.B. bei verderblichen Gütern). Da die genannten Bedingungen problemlos ineinander überführt werden können, fasst man alle diese Problemstellungen üblicherweise unter dem Begriff des Pickup-and-Delivery-Problems mit Zeitfenstern (PDPTW) zusammen.

Verschiedene Ansätze zur Lösung des dynamischen und statischen PDP mit diversen zusätzlichen Nebenbedingungen werden in Savelsbergh und Sol (1995) vergleichend

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6 Einen guten Überblick über gemischt-ganzzahlige lineare Programmierung im Allgemeinen und deren Anwendung für praktische Problemstellungen gibt z.B. Kallrath (2002).

7 Für eine detailliertere Beschreibung des TSP siehe Lawler et al. (1985).

bewertet. Insgesamt beschäftigen sich sehr viele Untersuchungen mit dem PDP inner-halb von Fabriken, Flexiblen Fertigungssystemen oder Lagerhäusern.

Zur Lösung des Problems für SLCs ist eine Vielzahl von Prioritätsregel-basierten An-sätzen entwickelt worden (siehe z.B. Egbelu und Tanchoco, 1984, Le-Anh und de Koster, 2005, Lau und Liang, 2001, Nayyar und Khator, 1993 oder Schrecker, 2000).

Darüber hinaus wurden Erweiterungen für MLCs vorgeschlagen (siehe z.B. Bilge und Tanchoco, 1997, Lee et al., 1996 sowie Sinriech und Kotlarski, 2002). Sehr viel Beach-tung fand auch ein Tabu-Search-Ansatz von Carlton und Barnes (1996) zur Lösung des TSP mit Zeitfenstern. Nanry und Barnes (2000) haben diesen Ansatz derart erweitert, dass damit auch das PDPTW gelöst werden kann. Lau und Liang (2001) schlagen für dasselbe Problem zusätzliche Erweiterungen vor, die das Nachbarschaftskonzept von Nanry und Barnes auf ganze Gruppen von Aufträgen ausdehnen. In letzter Zeit wird auch vielfach der Einsatz von Auktionskonzepten zur Lösung des PDP getestet (z.B.

Hwang und Kim, 1998 und Lim et al., 2003).

Das DARP ist ein Spezialfall des PDP, bei dem jeder Auftrag nur aus einer Transport-einheit besteht. Dieses zusätzliche Merkmal ermöglicht den Einsatz von sehr effizienten Ansätzen zur dynamischen Programmierung, wie sie z.B. in Desrosiers et al. (1989) und Psaraftis (1980) vorgeschlagen werden. In Psaraftis (1986) werden die so genannte Grouping-Clustering-Routing-Methode (GCR) und der so genannte Advanced Dial-a-Ride Algorithmus mit Zeitfenstern (ADARTW) von Jaw et al. (1986) für das DARP mit Zeitfenstern (DARPTW) verglichen. Lokale Suchverfahren wurden z.B. von Healy und Moll (1995) benutzt, um das DARP zu lösen.

Das in der vorliegenden Arbeit behandelte Problem der Einsatzplanung für MLCs in Containerterminals ist dem PDPTW bzw. dem DARPTW sehr ähnlich. Die Verwandt-schaft zum DARPTW ist dabei etwas größer, da in Terminals jeder Auftrag normaler-weise aus einem Container besteht. Allerdings besteht bei hochmodernen Container-brücken mitunter die Möglichkeit eines so genannten Twin-Lifts, d.h. es werden zwei 20ft-Container gleichzeitig auf ein AGV geladen. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, oder werden zwei Container im Vorhinein logisch zu einem Auftrag zusammengefasst, sollte man sich eher an der allgemeineren Formulierung des PDPTW orientieren.

Im Unterschied zu beiden vorgenannten Problemen ist es bei der Einsatzplanung jedoch nicht üblich, dass jeder Ort nur einmal (und nur von einem Fahrzeug) besucht wird.

Vielmehr besteht das Terminal aus einer begrenzten Anzahl von Orten (Lagerblöcke, Containerbrücken), an denen immer wieder neue Aufträge anfallen, welche in der Regel von verschiedenen Fahrzeugen übernommen werden. Ein weiterer wichtiger Unter-schied ist das Fehlen eines gemeinsamen Depots. Zu Beginn der Planung können die

Fahrzeuge über den gesamten Fahrkurs verteilt sein, auch ihr Beladungszustand kann variieren. Abhol- und Lieferzeiten werden hingegen weniger strikt gehandhabt. Es sind lediglich früheste Startzeiten für die Auf- und Abladeoperationen gegeben. Eine verspä-tete Ankunft der Fahrzeuge ist zulässig, führt jedoch zu einem verspäverspä-teten Start der Operation. Gerade diese Notwendigkeit der Synchronisation zwischen Lagerkränen oder Containerbrücken und AGVs ist eines der charakteristischsten Merkmale der Einsatzplanung in Containerterminals. Die Verwendung von AGVs, die sich nicht selbständig be- oder entladen können, führt dazu, dass praktisch keine Puffer zwischen den einzelnen Geräten bestehen. Zusätzlich ist die Reihenfolge der Operationen von Kranseite aus vorgegeben und sollte für Lagerkräne nur im Notfall und für Container-brücken möglichst gar nicht verändert werden. Eine Verzögerung bei der Abarbeitung eines Auftrags hält daher alle anderen Aufträge dieses Gerätes ebenfalls auf.

In Flexiblen Fertigungssystemen hingegen existiert vor jeder Maschine in der Regel ein Eingangspuffer, auf den ein wahlfreier Zugriff besteht. Dadurch muss die Abarbeitungs-reihenfolge an den Maschinen nicht der EingangsAbarbeitungs-reihenfolge der Werkstücke entspre-chen, auch eine zeitliche Synchronisation zwischen Maschinen und AGVs ist weniger strikt erforderlich. Diese Unterschiede sind der wichtigste Grund dafür, dass die An-sätze zur Einsatzplanung in Flexiblen Fertigungssystemen nicht so einfach auf Contai-nerterminals übertragen werden können.

Im Gegensatz zur Einsatzplanung von Fahrzeugen in Fertigungssystemen wurde die Einsatzplanung von AGVs in Containerterminals bisher recht wenig untersucht. Das liegt vor allem daran, dass bisher AGVs erst in wenigen – hauptsächlich in den mo-dernsten – Containerterminals (z.B. im CTA in Hamburg oder im ECT Rotterdam) ein-gesetzt werden. Allerdings ist ein steigendes Interesse zu beobachten, manuell gesteu-erte Fahrzeuge durch AGVs zu ersetzen, um eine höhere Verfügbarkeit und geringere Kosten zu erzielen. Vor diesem Hintergrund lässt sich trotz der geringen Zahl der Ver-öffentlichungen zu diesem Thema der hohe Anteil von aktuellen Beiträgen innerhalb dieser Veröffentlichungen erklären. Zu nennen wären vor allem Evers und Koppers (1996) sowie Bae und Kim (2000), die sich mit der Einsatzplanung von Fahrzeugen in Containerterminals beschäftigen. Der Einsatz von AGVs für ein unterirdisches Trans-portsystem wird von van der Heijden et al. (2002) untersucht. Ein sehr aktueller Beitrag findet sich bei Koo et al. (2004), in dem jedoch, wie auch bei Bae und Kim (2000), nur SLCs betrachtet werden. Ebenfalls für SLCs entwickeln Kim und Bae (2004) eine effi-ziente look-ahead-Heuristik, die in deren numerischen Untersuchungen deutlich besser als konventionelle Einsatzplanungsregeln abschneidet. In Briskorn et al. (2006), wo erneut nur SLCs Gegenstand der Betrachtung sind, wird ein neuartiges Verfahren zur AGV-Einsatzplanung vorgestellt, das so genannte inventory-based dispatching.

Detaillierte Simulationsuntersuchungen belegen, dass dieses Verfahren in sehr

dynamischen Anwendungsumgebungen der Einsatzplanung auf der Basis von due dates überlegen ist. Nishimura et al. (2005) betrachten eine der Einsatzplanung von AGVs sehr ähnliche Fragestellung, das Yard-Trailer-Routing-Problem. In dem Beitrag wird ein genetischer Algorithmus zur Einsatzplanung von manuell gesteuerten Multi-Load-Trailern verwendet. Durch eine Simulationsstudie wird gezeigt, dass dynamische Routing-Strategien, die die Fahrzeuge nicht einem festen Kran zuordnen, den statischen Strategien überlegen sind, die eine solche Zuordnung vornehmen. Allerdings ist der Ansatz aufgrund der hohen Rechenzeiten kaum auf eine Einsatzplanung unter Echtzeitbedingungen, wie sie in Containerterminals notwendig ist, übertragbar.