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Übergang in weiterführende Schulen und in die Berufsbildung (Schwelle 1)

Den Übergang in die weiterführenden Schulen und in Berufsbildung analysierten wir zuerst exemplarisch anhand von drei Problemfeldern beim Übergang in die Sekundar-stufe II. Danach wurden Unterstützungsangebote im Berufswahlprozess von Lernenden kommentiert.

(1) Ausgehend von der Ungleichheitsforschung gingen wir der Frage nach, welche Be-deutung Kompetenzen im Verhältnis zu Elternaspirationen in schulischen Selektions-entscheiden beim Übergang in die Sekundarstufe II und in die Berufsbildung besitzen (Boudon, 1974; Maaz et al., 2006). Erstmals wurden dabei Bildungsverläufe in der Schweiz über zwei Übergänge, von der Primarstufe in die Berufsbildung im Kanton Bern, vorhergesagt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Signalwirkungen von Noten und

verfahren. Mittelfristig erlauben aber Kompetenzen in Deutsch, die in Leistungstests des 6. Schuljahres gemessen worden sind, bessere Vorhersagen. Unabhängig davon er-laubten auch Bildungsaspirationen der Mütter gute Vorhersagen. In 83% der Fälle traten die Kinder in den Schultyp nach dem 9. Schuljahr, den die Eltern im 6. Schuljahr vor-hergesagt haben. Dieser Befund kann einerseits als Ausdruck guter diagnostischer Fä-higkeiten der Mütter interpretiert werden. Andererseits tragen die Mütter auch dazu bei, dass ihre Wünsche erfüllt werden (vgl. selbsterfüllende Prophezeiungen, Seginer, 1983).

In jedem Fall zeigten die Ergebnisse, dass die familiäre Unterstützung den Erfolg in schulischen Selektionsprozessen und den Bildungsverlauf neben den Schülerkompeten-zen entscheidend beeinflusst (Baeriswyl et al., 2006) und dadurch zur sozialen Un-gleichheit beitragen.

Wieweit dieser Befund eine soziale Ungerechtigkeit darstellt, ist eine ethische Frage.

Die Befunde widerspiegeln in erster Linie die Selektionsmechanismen des Kantons Bern, in welchen Übertrittsempfehlungen auf Noten und Elternwünsche abgestützt sind.

Während das meritokratische Prinzip fordert, dass allein die individuellen Kompetenzen über die Schullaufbahn entscheiden, verlangt eine demokratische, in der Elternschaft breit abgestützte Schulkonzeption die Verantwortungsübernahme von Eltern beim Kompetenzaufbau und bei Selektionsentscheiden. Die hohe Zuverlässigkeit der Vorher-sage von Bildungsverläufen durch Bildungsaspirationen der Mütter stützt diese Position (vgl. auch Jürgens, 1989). Doch dürften damit Bildungsungleichheiten substanziell re-produziert oder gar verstärkt werden. Das Prinzip, wonach alle Kinder unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Bildungschancen haben, wird unterwandert. Vermutlich sind Schulen eher als Familien in der Lage, Bildungsungleichheiten zu nivellieren oder je-denfalls nicht zu verstärken. Zusätzlich ist zu prüfen, ob Elterntrainings von leistungs-schwächeren Schülerinnen und Schülern einen günstigen Effekt besitzen (vgl. Schluss-folgerungen).

(2) Ein anderer Zugang, den Übergang in die Sekundarstufe II zu untersuchen, liegt in der Analyse von Determinanten erwartungswidriger Übergangsmuster (Neuenschwan-der, 2007a). Unter welchen Bedingungen können Jugendliche das Ausbildungsniveau, das sie mit dem Abschluss der Sekundarstufe I erreicht haben, beim Übergang in die Berufsbildung nicht halten, so dass es zu einem „erwartungswidrigen Bildungsabstieg“

kommt? Erwartungswidrige Bildungsabstiege schliessen wesentlich die Jugendlichen ein, die nach dem 9. Schuljahr ihre Ausbildung nicht fortsetzen, sondern erwerbstätig werden oder einfach zu Hause sind. Sie sind von der weiteren Bildung ausgeschlossen (drop-out). Diese Frage ist im Hinblick auf die Früherkennung von Jugendlichen wich-tig, die keinen S-II-Abschluss erreichen. Wenn die EDK das Ziel verfolgt, dass 95% der Jugendlichen einen Abschluss auf dem Niveau der Sekundarstufe II erreichen, sollten möglichst viele Jugendliche nach dem 9. Schuljahr eine schulische oder berufliche An-schlusslösung anfangen und abschliessen.

Zur Klärung dieser Frage fokussierten wir nicht auf strukturelle, sondern individuelle Determinanten. Neuenschwander (2007a) zeigte, dass schulische Selbstwirksamkeits-erwartungen und Werthaltungen von Jugendlichen die Vorhersage von erwartungswid-rigen Bildungsabstiegen in der Sekundarschule B erlauben, aber auch im Gymnasium und in der Fachmittelschule. In der Sekundarschule A sind hingegen Noten und Ge-schlecht die zentralen Determinanten von erwartungswidrigen Bildungsabstiegen.

Die-ses Ergebnis konnte mit der vorliegenden Stichprobe der Kohorte 1, welche wesentlich Schülerinnen und Schüler der Sek A enthält, repliziert werden. Schülerinnen und Schü-ler mit niedrigen Noten aus Sek A haben eine substanziell erhöhte Wahrscheinlichkeit des Bildungsabstiegs. Darüber hinaus erlaubten unsere Daten neue Analysen, die zei-gen, dass ein schlechter Umgang mit Konflikten in der Familie (Familienklima) und ge-ringe Bildungsaspirationen der Eltern ebenfalls erwartungswidrige Bildungsabstiege vorhersagen. Erwartungen der Eltern hinsichtlich des Schulabschlusses und Familien-klima bilden offenbar wichtige familieninterne Hintergrundvariablen, welche erwar-tungswidrige Bildungsabstiege vorhersagen, aber deren Effekt durch Noten und Ge-schlecht vermittelt wird. Leistungsschwache Schülerinnen der Sek A brauchen offenbar besondere Ermutigung und Hilfe bei der Suche einer Anschlusslösung nach dem 9.

Schuljahr. Dies könnte damit zusammen hängen, dass der Anteil Mädchen in Brücken-jahren besonders hoch ist.

(3) Eine dritte Herausforderung beim Übergang in die Berufsbildung ist an das Selbst-konzept der Jugendlichen gestellt. Es stehen also nicht die Determinanten des Über-gangs zur Debatte, sondern Folgen des ÜberÜber-gangs auf die Selbstkonzeptentwicklung der Jugendlichen und wie sie die Anforderungen des Übergangs bewältigen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Übergang schwache Effekte auf das globale Selbstkonzept, aber stärke-re auf das fachspezifische Selbstkonzept in Mathematik besitzt (starke Abnahme beim Übergang ins Gymnasium). Marsh (1987) zeigte, dass das fachliche Selbstkonzept von Schülerinnen und Schülern vom Leistungsniveau der Bezugsgruppe abhängt. Damit übereinstimmend zeigten unsere Daten, dass beim Übergang in eine Gymnasialklasse die Lernenden in eine leistungsstarke Bezugsgruppe wechselten, so dass das Fähigkeits-selbstkonzept in Mathematik sinkt, während beim Übergang in ein Brückenangebot die Fähigkeitsselbstkonzepte stabil bleiben. Zusammenfassend scheinen die sozialen Her-ausforderungen des Übergangs (Veränderung der Freundschaftsbeziehungen, neuer Ta-gesrhythmus, vgl. Eder, 1989) keine Effekte auf das Selbstkonzept der Jugendlichen zu besitzen, die höheren Leistungsanforderungen nach dem Übergang können aber fachli-che Selbstkonzepte bedrohen, was wir am Beispiel des Selbstkonzepts in Mathematik zeigten.

Befunde zu den Zürcher Berufsfachschulen: Besonders für den Kanton Zürich diskutier-ten wir zudem Schwierigkeidiskutier-ten im Berufswahlprozess von Jugendlichen. Während mit dem Begriff Übergang die Ausbildungs- bzw. Kontextperspektive eingenommen wird, wird mit dem Begriff Berufswahl die Perspektive des aktiv seinen Lebensweg gestal-tenden Jugendlichen am Ende der Sekundarstufe I eingenommen. Dabei meinen wir nicht - wie der Begriff Berufswahl suggerieren könnte - dass die Berufswahl aus-schliesslich eine Leistung der Jugendlichen darstellt. Vielmehr gehen wir mit Heinz, Krüger, Rettke, Wachtveitl und Witzel (1987) davon aus, dass Berufswahl auf einer in-tensiven beruflichen Exploration, aber in enger Abstimmung mit Anforderungen und Angeboten im Ausbildungs- bzw. Lehrstellenmarkt basiert. Jugendliche können zwar berufliche Optionen entwickeln, sie müssen aber ein Aufnahmeverfahren erfolgreich durchlaufen, um in eine Anschlusslösung aufgenommen zu werden.

Auf der institutionellen Ebene stellt sich die Herausforderung, dass der Zeitpunkt der Berufswahl in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr früh angesiedelt ist.

Ju-England und USA sind entsprechende Prozesse zwei Jahre später anstehend, in Deutschland etwa ein Jahr später (Beinke, 2000). Diese Schwierigkeit erhält aufgrund der nach wie vor bestehenden Lehrstellenknappheit verstärkt. Wie die Statistik des Mit-telschul- und Berufsbildungsamtes Zürich zeigt, ist die Halbwertszeit der Vergabe von Lehrstellen bei zahlreichen Lehrstellen nach wie vor sehr kurz und beträgt nur 1-2 Mo-nate (z.B. Pharmaassistent/-in, Fachangestellte Gesundheit). Die Lehrstellenvergabe verkürzt sich damit formal auf eine sehr kurze Zeit bzw. das Auswahlverfahren wird auf das 8. Schuljahr vor verschoben. Je früher Jugendlicher die Lehrstelle suchen, desto besser sind ihre Lehrstellenchancen. Ein zweiter Aspekt dieses Timing-Problems liegt in der Normierung des Übergangszeitpunktes. Manche Jugendliche können sich früh für eine Anschlusslösung entschliessen, bei anderen Jugendlichen ist der Berufswahlpro-zess hingegen verzögert. Gleichwohl ist der Übergangszeitpunkt am Ende des 9. Schul-jahres normiert und für alle Jugendlichen gleichzeitig. So wie über eine Flexibilisierung der Einschulung nachgedacht wird (Basisstufe), müsste auch eine Flexibilisierung des Schulaustritts reflektiert werden (vgl. Schlussfolgerungen).

In diesem Zusammenhang erhalten die Brückenangebote Rechtfertigung, nämlich als Angebot für Jugendliche, deren Berufswahlprozess verzögert ist (vgl. auch Neu-enschwander & Bleisch, 2003). Allerdings zeigen die Ergebnisse, dass viele Jugendli-che in Ermangelung einer Lehrstelle in ein Brückenangebot ausweiJugendli-chen. Damit verzö-gert sich ihre Ausbildung und es entstehen erhebliche Bildungskosten. Brückenangebote sind prinzipiell ungeeignet, Jugendliche ohne Lehrstelle aufzufangen. Kantonale und nationale Anstrengungen zur Schaffung zusätzlicher Lehrstellen bzw. Ausbildungsmög-lichkeiten sind weiterhin erforderlich (vgl. Schlussfolgerungen).

Ein anderer Punkt ist die institutionelle Berufswahlunterstützung in Schule und BIZ.

Eine Mehrheit (74%) der Jugendlichen bejaht eine Unterstützung der Lehrperson im 9.

Schuljahr. Die Qualität der Unterstützung durch Lehrpersonen wird rückblickend als gut bewertet. Die Eltern geben an, über die Anschlusslösungen nach dem 9. Schuljahr gut informiert zu sein.

Demgegenüber wird die Beratung im Berufsinformationszentrum (BIZ) als mittelmäs-sig bewertet. Mangels präziser Daten zu diesem Ergebnis bleibt die Interpretation spe-kulativ. Möglicherweise sind die berufsrelevanten Informationen aus dem BIZ für Ju-gendliche abstrakt, so dass sie sich primär auf konkrete Erfahrungen aus Schnupperleh-ren beziehen. Oder sie beurteilen die Informationen als zu wenig auf ihre individuelle Situation zugeschnitten. Hier besteht HandlungsbedarF(vgl. Schlussfolgerungen).