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Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule

Im Dokument Lebenslagen in Deutschland (Seite 140-144)

Maßnahmen der Bundesregierung zur effektiven Regulierung der Finanzmärkte Eine der zentralen Lehren aus der Finanzkrise ist gewesen, dass die Verlusttragfähigkeit von

II. Erfolgs- und Risikofaktoren in jungen Jahren: Startchancen

II.3 Entscheidende Übergänge im Schulalter .1 Übergang Schuleintritt

II.3.2 Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule

Der Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, etwa ein Gymnasium, Ge-samt- oder Hauptschule, markiert eine sehr entscheidende Weichenstellung für den zukünftigen Lebensweg von Kindern und Jugendlichen. Der formale Bildungsabschluss ist in Deutschland der Nachweis für die Kompetenzen und den Bildungserfolg eines Menschen und beeinflusst seine weiteren Teilhabechancen entscheidend. Doch auch beim Übergang in eine weiterfüh-rende Schule setzen sich „vererbte“ Benachteiligungen fort. Dies zeigen die folgenden Ab-schnitte zum sozialen Hintergrund von Schülerinnen und Schülern und ihre Verteilung auf die Schularten.

II.3.2.1 Einflussfaktoren auf die Schulwahl

Der Übergang in die weiterführende Schule erfolgt in der Regel bereits nach einer vierjährigen Grundschulzeit. Nur in Berlin und Brandenburg lernen fast alle Kinder (außer Förderschüler) sechs Jahre gemeinsam in der Grundschule. Auch für die Fünftklässler im Schuljahr 2008/09 bestätigte sich der Trend eines veränderten Schulwahlverhaltens und damit steigender Gymna-sial- und sinkender Hauptschulanteile. Die Hauptschule als eigenständige Schulform gibt es nur noch in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nord-rhein-Westfalen.84

Nach einer aktuellen Auswertung des Mikrozensus im Rahmen des Forschungsprojektes „So-ziale Mobilität, Ursachen für Auf- und Abstiege“ durch das WZB85ist die Förderschule die Schulform mit den wenigsten Schülerinnen und Schülern, das Gymnasium weist die stärksten Schülerzahlen auf. Es folgen die Realschulen, die Hauptschulen und schließlich die Gesamt-bzw. Freien Waldorfschulen. In den Bundesländern, in denen Haupt- und Realschulgänge zusammengefasst sind, sind die Schulen mit mehreren Bildungsgängen die am stärksten besuchte Schulform.

Eine entscheidende Einflussgröße für die Bildungsbeteiligung der Kinder ist die jeweilige Bil-dung der Eltern. Je höher das BilBil-dungsniveau der Eltern, desto häufiger besuchen die Kinder nach der Grundschule eine Schule, die zu einem höheren Bildungsabschluss führt. Wenn El-ternteile selbst bereits das Abitur erreicht haben, besuchen ca. zwei Drittel ihrer Kinder ein

84 Ebenda, S. 64.

85 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2011): Soziale Mobilität, Ursachen für Auf- und Abstiege, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.), im Erscheinen.

Gymnasium. Umgekehrt wirkt sich ein geringer Bildungsstand der Eltern negativ auf die Schul-wahl der Kinder aus. Jene verteilen sich häufiger auf Sonder- und Hauptschulen als Heran-wachsende von Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss. Schaubild B II.3.1zeigt auf Basis von Berechnungen des WZB und des IAB für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht die soziale Selektivität im Bereich des Schulbesuchs unter Bezug auf den Bildungsstand der Mutter.

Schaubild B II.3.1:

Schulbesuch von 12- bis 15-jährigen Kindern nach Bildungsniveau der Mutter, 2008

Quelle: WZB und IAB, a. a. O., im Erscheinen, Berechnungen auf Basis des Mikrozensus.

Auch die von WZB und IAB durchgeführte Gesamtanalyse verschiedenster Einflussfaktoren der Schulwahl in einem einzigen Modell macht deutlich, dass für die Bildungsentscheidung am Übergang in die weiterführende Schule die Bildung der Eltern der mit Abstand dominierende Faktor ist, wobei Bildungsabschlüsse der Eltern als Platzhalter für Mechanismen fungieren, mit denen dem Kind mehr oder weniger gute Bildungschancen mit auf den Weg gegeben werden.

Hierzu zählen die Bildungserwartungen bzw. -ziele der Eltern, Kenntnisse des Schul- bzw. Bil-dungssystems oder Ressourcen der Förderung in der Familie (z. B. Unterstützung bei den Hausaufgaben). Demnach erhöht ein fehlender oder niedriger Bildungsabschluss des Vaters und insbesondere ein fehlender oder niedriger Bildungsabschluss der Mutter die Chance, dass auch ihr Kind nach der Grundschule kein Gymnasium besucht.

Darüber hinaus ist der Übergang in ein Gymnasium von der finanziellen Ausstattung der Fami-lien beeinflusst. Auch unter Berücksichtigung aller anderen Faktoren im Modell behält die Tat-sache, dass eine Familie unterhalb der Armutsrisikoschwelle lebt, einen signifikanten Einfluss

auf die Schulwahl nach der Grundschule. Die relative Chance für Kinder in Familien mit Ein-kommen unterhalb der Armutsrisikoschwelle ist um ca. 65 Prozent höher, die Hauptschule statt ein Gymnasium zu besuchen.

Der Migrationshintergrund der Eltern spielt ebenfalls auch unter Berücksichtigung weiterer Fak-toren noch eine Rolle. Während die größte Gruppe der Kinder ohne Migrationshintergrund ein Gymnasium besuchen (37,8 Prozent), geht die größte Gruppe der Kinder mit beidseitigem Mi-grationshintergrund auf eine Hauptschule (35,4 Prozent). Ein nur einseitiger Migrationshinter-grund hat dagegen einen nur geringen Einfluss – insgesamt sind diese Kinder den Kindern oh-ne Migrationshintergrund viel ähnlicher als den Kindern mit beidseitigem Migrationshintergrund.

In Westdeutschland führt ein beidseitiger Migrationshintergrund viel eher zu einem Hauptschul-besuch als in Ostdeutschland, wobei die Zusammensetzung nach Migrantengruppen in Ost und West differiert.

II.3.2.2 Gründe für die selektive Belegung der Gymnasialklassen

Das deutsche Bildungssystem ist weniger als andere europäische Bildungssysteme (etwa Finn-land oder Dänemark) in der Lage, familiär bedingte Bildungsungleichheiten auszugleichen. Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass bereits die Inanspruchnahme der frühkindlichen Förderan-gebote von bildungsfernen Eltern und ihren Kindern seltener wahrgenommen werden, die nachweislich die Chance auf einen Übergang auf das Gymnasium unter Kontrolle anderer be-kannter Faktoren für die Schulwahl der weiterführenden Schule erhöht.86

Kulturelle und materielle Ressourcen der Familien haben darüber hinaus einen deutlich größe-ren Einfluss auf den Lernerfolg von Kindern als in Ländern mit vornehmlich Ganztagsschulen.87 Im Schulalter fehlt es in Deutschland wegen des immer noch geringen Angebotes an Ganz-tagsschulen an Schulzeit. Im Jahr 2010 wurden nur 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Grundschulen in Ganztagsschulen unterrichtet (sieheIndikator Q.4). Hinzu kommt die Tat-sache, dass fast alle Ganztagsangebote in Grundschulen (86 Prozent) offen organisiert wird, wo sich die Schülerinnen und Schüler nur zu einzelnen Ganztagsangeboten für die Dauer eines Schulhalbjahres oder Schuljahres anmelden (siehe dazu Teil C.III.2). Statt dessen steht den Kindern ein hoher Anteil einer sehr unterschiedlich genutzten Familienzeit zur Verfügung. Da nicht alle Eltern in der Lage sind, bei den Hausaufgaben zu helfen oder aus beruflichen Grün-den Zeit oder Geld haben, die Freizeitgestaltung ihrer Kinder am Nachmittag zu steuern, ist die Familienfreizeit oft nur unbetreute Freizeit, die die Erfahrungswelt benachteiligter Kinder nicht erweitert und die Kompetenzen der Kinder nicht verbessert.

86 Siehe dazu Teil B II.2.1 zur Dauer frühkindlicher Bildung, Büchner, Ch./Spieß, K. C. (2007): a. a. O.

87 Siehe dazu zusammenfassend Allmendinger, J. (2011): „Wir brauchen die Ganztagsschule“. In: Der Spiegel Wissen, Nr. 2, 2011, S. 20-25; Solga, H. (2008): Wie das deutsche Schulsystem Bildungsungleichheiten verur-sacht, WZBrief Bildung (2008-10-01).

Die Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) 2005 bis 2010 bele-gen: Der dauerhafte und regelmäßige Besuch qualitativ hochwertiger Angebote einer Ganz-tagsschule wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Sozialverhalten, der Lernmotivation und der schulischen Leistungen aus.88Darüber hinaus reduziert der Besuch einer vollgebundenen Ganztagsschule bzw. die regelmäßige Teilnahme an offenen oder teilgebundenen Ganztags-angeboten das Risiko, in der Sekundarstufe I eine Klasse wiederholen zu müssen.89Wird im Ganztagsbetrieb Hausaufgabenhilfe und Lernzeit mit hoher Qualität angeboten, dass heißt mit einer strukturierten Lernumgebung mit effektiver Zeitnutzung, so wirkte sich das bei Schülerin-nen und Schülern mit Migrationshintergrund positiv auf die Schulnoten im Sekundarbereich I aus.90Mit den vornehmlich offenen Ganztagsschulen wird diese Kontinuität selten erreicht: Nur 18 Prozent der Befragten Schülerinnen und Schüler aller drei Erhebungswellen der StEG-Studie gab an, zu jedem der drei Befragungszeitpunkte Ganztagsangebote in Anspruch zu nehmen. Damit ist selbst für die insgesamt rund 28 Prozent der Ganztagsschüler die Nutzung von Ganztagsangeboten kein selbstverständlicher Teil der individuellen Schullaufbahn.

Schüler, die bereits ab der Grundschule ein Ganztagsangebot nutzen, nutzen dieses tendenziell auch später häufiger. In der Grundschule nutzen Kinder aus Familien mit dem höchsten sozio-ökonomischen Status häufiger Ganztagsangebote als Kinder aus Familien sozial weniger privi-legierter Familien (oberes und unteres ISEI-Quartil)91. Auch Kindern ohne Migrationshintergrund nehmen am Ganztag in der Grundschule häufiger teil als Kinder mit Migrationshintergrund. Ab der fünften Jahrgangsstufe gleichen sich beide Unterschiede aus. Plausibel wird dieser Befund dadurch, dass speziell an Hauptschulen und integrierten Gesamtschulen der Ganztagsbetrieb häufiger vollgebunden oder teilgebunden organisiert wird, während die Grundschulen mehrheit-lich offen organisiert sind.92

Auch die ungenügende ethnische Durchmischung der Grundschulklassen und der damit er-schwerte Spracherwerb der deutschen Sprache sind mitursächlich für das schlechte Abschnei-den bildungsferner Familien. So zeigen Ergebnisse einer Untersuchung vor Viertklässlern in Baden-Württemberg, dass türkische und italienische Kinder eine umso geringere Chance haben von der Grundschule auf eine Realschule oder ein Gymnasium zu wechseln, je mehr ausländi-sche Kinder in ihrer Grundschulklasse sind, unabhängig vom Leistungsniveau in der Klasse.93 Die schulischen Umgebungseigenschaften wie erfolgreiche Vorbilder und die Bildungserwar-tung an die Kinder durch Eltern und Lehrer spielen ebenso eine Rolle. Wichtige

Motivations-88 StEG-Konsortium (2011): Ganztagsschule: Entwicklung und Wirkung - Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2005 bis 2010, S. 11.

89 Ebenda, S. 18.

90 Ebenda, S. 19.

91 Der ISEI (International Socio-Economic Index of Occupational Status) erfasst den sozioökonomischen Status der Familien nach Berufen auf der Basis der Indikatoren Einkommen und Bildungsstatus, in vier Quartilen wer-den Mittelwerte für Berufs- bzw. Statusgruppen gebildet.

92 StEG-Konsortium (2011): a. a. O., S. 11.

93 Kristen, C. (2002): Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? - Ethnische Unterschiede am ersten Bildungs-übergang, in: Kölner Zeitschrift für Sozialpsychologie, 54 (2002) 3, S. 534 - 552, (549).

quellen für Kinder im Schulalltag können Lehrer aber auch Mitschüler und deren Eltern sein.94In sozial segregierten Wohngegenden sind solche Vorbilder und Motivationsquellen schwerer zu finden als in durchmischten Wohnbezirken und damit auch Schulklassen.

Darüber hinaus richten sich Eltern unterer Schichten weitgehend nach der Lehrerempfehlung für eine Haupt- oder Realschule, während Eltern aus höheren Schichten häufiger von ihrem Elternrecht Gebrauch machen, ihre Kinder auf eine Schule zu schicken, für die sie keine Emp-fehlung haben.95Der (Nicht-)Einfluss der Eltern ist somit insbesondere an diesem Bildungs-übergang ganz entscheidend. Die Entscheidungen, die das vorherrschende Bildungssystem Lehrern, aber vor allem auch Eltern und Schülern abverlangt, erschweren die Durchbrechung herkunftspezifischer Bildungszusammenhänge.96Die Ergebnisse der Studie „Zwischen Ehrgeiz und Überforderung“ der Vodafone Stiftung Deutschland macht explizit für türkischstämmige Eltern deutlich, dass sie zwar überdurchschnittlich engagiert bei der Hausaufgabenhilfe ihrer Kinder sind, ihnen diese aber mehrheitlich schwer oder sehr schwer fällt.97

Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Ausbau der Ganztagsschulen als Lernort mit vielseiti-gen Angeboten auch für die Freizeitgestaltung am Nachmittag richtig und notwendig ist. Hier-durch kann das Lernangebot insbesondere für benachteiligte Kinder verbessert und ein lernför-derliches Umfeld geboten werden. Darüber hinaus wird damit ein wesentlicher Beitrag zur Ver-einbarkeit von Familie und Beruf geleistet (zur Inanspruchnahme von Ganztagsangeboten nach Erwerbsstatus, siehe Teil C.III.2).

Im Dokument Lebenslagen in Deutschland (Seite 140-144)