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Archiv "Adipositas bei Kindern – eine chronische Erkrankung?" (28.11.2014)

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816 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 48

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28. November 2014

M E D I Z I N

EDITORIAL

Adipositas bei Kindern –

eine chronische Erkrankung?

Sigrid Disse, Klaus-Peter Zimmer

Editorial zum Beitrag:

„Gewichtsab - nahme bei Kindern

und Jugendlichen – Systematische Übersicht und Auswertung von konser va -

tiven nicht - pharmakologischen

Adipositas- Behandlungs - programmen“

von Yvonne Mühlig und Koautoren auf den folgenden Seiten

den die bei einem adipösen Kind zusätzlich gegenüber ei- nem normalgewichtigen Kind zu erwartenden, lebenslang anfallenden direkten Kosten 12 000–19 000 US-Dollar be- tragen (8) – wobei statistisch gesehen die verkürzte Lebens- spanne adipöser Patienten die zu erwartenden Kosten relati- viert.

Erfolgsaussichten

Nach wie vor stellen konservative, verhaltensbasierte Ge- wichtsreduktionsprogramme die Standardtherapie adipöser Kinder und Jugendlicher sowohl in Deutschland (9) als auch international dar (10). Mühlig et al. geben Antworten auf zwei Kernfragen in der Therapie kindlicher Adipositas:

1) Wie effektiv sind konservative Gewichtsreduktionspro- gramme, gemessen an der Gewichtsreduktion nach einem Jahr? 2) Wie wird die Therapie von betroffenen Kindern und Jugendlichen akzeptiert?

Die Autoren haben dazu 48 nach definierten Kriterien ausgewählte, randomisierte und kontrollierte Therapiestu- dien an insgesamt 5 025 Patienten untersucht. Die Ergeb- nisse der in die Datenanalyse eingeschlossenen Studien er- scheinen auf den ersten Blick ernüchternd: Die mittlere BMI-SDS-Reduktion lag in den qualitativ hochwertigsten Studien bei 0,05 bis 0,39 SDS nach einem Jahr. Folglich ist eine Gewichtsnormalisierung für Patienten deutlich ober- halb der 97. BMI-Perzentile innerhalb dieser Programme nicht möglich. Ferner fanden die Autoren in einem Groß- teil der eingeschlossenen Studien Abbruchraten von 10–25 %. Vergleicht man diese jedoch mit Ausscheidera- ten von überwiegend 30–50 % aus Gewichtsreduktions- programmen bei adipösen Erwachsenen (Zusammenstel- lung von Wirth et al.) (11) und berücksichtigt man, dass die Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindesalter (AGA) eine BMI-SDS-Reduktion von 0,2 (entsprechend einem Gewichtsrückgang um circa 5 %) ein Jahr nach Therapie- beginn als erfolgreich ansieht, so lässt sich die Therapiead- härenz pädiatrischer Patienten durchaus sehen und spricht für die Qualität der Gewichtsreduktionsprogramme für Kinder. Die Diskrepanz zwischen Therapietreue von Kin- dern und Erwachsenen unterstreicht, dass alle Eltern kon- sequent in die Therapie ihrer Kinder einbezogen werden müssen.

Datenlage in Deutschland

Interessanterweise zeigen sich bei näherer Betrachtung der eingeschlossenen Studien deutliche Unterschiede in der BMI-SDS-Reduktion, nicht nur zwischen verschiedenen Schulungsprogrammen, sondern auch innerhalb der einzel- nen Programme. Daher sind weitere Studien notwendig, um

D

er ursprünglich Infektionskrankheiten wie Ebola und Influenza vorbehaltene Epidemiebegriff wird mittlerweile auch für nichtübertragbare Erkrankungen ver- wendet – darunter auch für Adipositas. Seit den 1980er Jah- ren stiegen die Prävalenz raten von Adipositas und Überge- wicht bei Kindern und Jugendlichen in den Industrienatio- nen und in der Mehrzahl der Schwellenländer rapide an (1).

Insofern ist die in diesem Heft des Deutschen Ärzteblattes abgedruckte systematische Übersicht von Mühlig und Ko- autoren zum Thema konservative Gewichtsreduktionsmaß- nahme sehr verdienstvoll (2).

Hochrechnungen aus der KiGGS-Basiserhebung zu Fol- ge waren in Deutschland im Jahr 2008 etwa 1,7 Millionen Kinder und Jugendliche ab dem zweiten Lebensjahr über- gewichtig, davon 750 000 adipös (3). Erfreulicherweise zeichnet sich derzeit gemäß Daten der Schuleingangsunter- suchungen eine Stabilisierung beziehungsweise sogar ein geringer Rückgang der Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas in den meisten deutschen Bundesländern ab (4).

Bis vor einigen Jahren wurde Adipositas lediglich als Ri- sikofaktor für Folgeerkrankungen verstanden und eine Ein- ordnung als Krankheit wurde kontrovers diskutiert (5). Mit Anerkennung als eigenständige Erkrankung auf nationaler Ebene (zum Beispiel Bundessozialgericht, Deutsche Adi- positas Gesellschaft) wie auf internationaler Ebene (WHO, American Medical Association) hat Adipositas als medizi- nischer Krankheitsbegriff in den letzten zehn Jahren eine grundlegende Wandlung erfahren. In Deutschland ist die Debatte über juristische und sozioökonomische Implikatio- nen der Pathologisierung von Adipositas geblieben: Im pä- diatrischen Bereich werden die ambulanten (Ermächtigun- gen, Hochschulambulanzen) und stationären (Rehabilitati- onsmaßnahmen) Behandlungsübernahmen der Kranken- kassen vorwiegend als nicht ausreichend wahrgenommen.

Beträchtliche Folgekosten

Diese Zurückhaltung der Krankenkassen erscheint umso paradoxer, weil Longitudinalstudien zeigen, dass Adiposi- tas bei Kindern bei 25–50 % der Betroffenen, wenn diese im Erwachsenenalter sind, persistiert (6). Und: Der Grund- stein wird früh – sozusagen in die Wiege – gelegt: Während ein Body-mass-Index (BMI) Nadir im Alter von 5–6 Jahren physiologisch ist (dies wird auch als „adiposity rebound“

bezeichnet), war ein vorzeitiger Wiederanstieg des BMI vor dem 5. Lebensjahr in einer englischen Studie an 546 Kin- dern mit einem deutlich erhöhten Anteil von Adipositas im Alter von 15 Jahren assoziiert (18 % versus 9 %) (7). Die zu erwartenden Folgekosten der unzureichend behandelten kindlichen Adipositas sind beträchtlich: In den USA wür-

Justus-Liebig- Universität:

Dr. med. Disse, Prof. Dr. med.

Zimmer

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Prädiktoren für eine erfolgreiche Therapie zu identifizieren.

Darüber hinaus besteht besonders in Deutschland weiterer Forschungsbedarf, weil von den eingeschlossenen Studien nur eine einzige aus Deutschland stammt. Aktuell ist die derzeit für adipöse Kinder verfügbare nicht-pharmakologi- sche Therapie nicht zufriedenstellend. Gibt es Alternativen?

Bariatrisch-chirurgische Maßnahmen führen auf den ersten Blick kurzfristig zur einer deutlichen Gewichtsreduktion, sind jedoch mit hohem Risiko für Komplikationen und Ne- benwirkungen behaftet und werden daher bisher bei Ju- gendlichen nur in Fällen extremer Adipositas nach strenger Indikationsstellung erwogen. Ein US-amerikanisches Re- view kam zu dem Schluss, dass multimodale verhaltens - basierte Programme den beiden dort verfügbaren Medika- menten (Lipase-Inhibitor beziehungsweise Appetitzügler) hinsichtlich Gewichtsreduktion überlegen und mit weniger Nebenwirkungen behaftet waren (10).

Die aktuelle Datenlage zur konservativen Adipositas- Therapie bei Kindern zeigt, dass die existierenden Schu- lungsprogramme zu kurzfristig angelegt sind und keine Ge- wichtsnormalisierung innerhalb dieser kurzen Zeiträume ermöglichen. Der Übersichtsartikel von Mühlig et al. macht jedoch auch deutlich, dass weiterer Forschungsbedarf be- steht, um die von der Therapie stärker profitierenden Patien- ten zu identifizieren. Um die weltweite Adipositas-„Epide- mie“ einzudämmen, müssen nachhaltige Schulungspro- gramme für Kinder und Jugendliche entwickelt und hin- sichtlich ihres Therapieerfolgs evaluiert werden. Nur eine frühzeitige Intervention kann es ermöglichen, dass Adiposi- tas nicht zur chronischen Erkrankung für eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen wird.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

LITERATUR

1. Wang Y, Lobstein T: Worldwide trends in childhood overweight and obesity. Int J Pediatr Obes 2006; 1:11–25.

2. Mühlig Y, Wabitsch M, Moss A, Hebebrand J: Weight loss in children and adolescents—a systematic review and evaluation of conservative, non-pharmacological obesity treatment programs.

Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 818–24.

3. Kurth B-M, Schaffrath Rosario A: Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2010; 53: 643–52.

4. Moss A, Klenk J, Simon K, Thaiss H, Reinehr T, Wabitsch M:

Declining prevalence rates for overweight and obesity in German children starting school. Eur J Pediatr Feb 2012; 171: 289–99.

5. Hebebrand J, Dabrock P, Lingenfelder M, Mand E, Rief W, Voit W: Ist Adipositas eine Krankheit? Interdisziplinäre Perspektiven. Dtsch Arztebl 2004; 101: A-2468.

6. Must A, Strauss RS: Risks and consequences of childhood and ado- lescent obesity. Int J Obes Relat Metab Disord 1999; 23 Suppl 2:

S2–11.

7. Hughes AR, Sherriff A, Ness AR, Reilly JJ: Timing of adiposity rebound and adiposity in adolescence. Pediatrics 2014; 134:

e1354–61.

8. Finkelstein EA, Graham WC, Malhotra R: Lifetime direct medical costs of childhood obesity. Pediatrics 2014; 133: 854–62.

9. Wabitsch M, Kunze D: Konsensbasierte (S2) Leitlinie zur Dia gnostik, Therapie und Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kin- des- und Jugendalter. www.aga.adipositas-gesellschaft.de/index.

php?id=9 (last accessed on 10 October 2014)

10. Whitlock EP, O’Connor EA, Williams SB, Beil TL, Lutz KW: Effective- ness of weight management interventions in children: a targeted systematic review for the USPSTF. Pediatrics. 2010; 125:

e396–e418.

11. Wirth A, Wabitsch M, Hauner H: The prevention and treatment of obesity. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 705–13.

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Klaus-Peter Zimmer

Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Feulgenstraße 12, 35392 Gießen

klaus-peter.zimmer@paediat.med.uni-giessen.de

►Zitierweise

Disse S, Zimmer KP: Obesity in children—a chronic disease? Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 816–7.

DOI: 10.3238/arztebl.2014.0816

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

GRAFIK

Algorithmus der Behandlung rezidivierender oraler Aphthen zur Reduktion der Erkran- kungsdauer und der Aphthengröße

4. Stufe

Amlexanox (5 % Paste 2×/Tag) 5-Aminosalicylsäure ( 5 % Creme 3×/Tag)

Sucralfat (5 mL Lösung 4×/Tag)

Triamcinolonacetonid (0,1 % Haftsalbe 3×/Tag) Dexamethason (0,1 % Mundhaftpaste 4×/Tag)

Sucralfat (4 × 1 g/Tag p.o.) Colchicin (2 × 0,5 mg/Tag bis 2 × 1 mg/Tag p.o.)

Pentoxifyllin (2 × 200 mg/Tag p.o.) Prednisolon (10–30 mg/Tag p.o.) 1. Stufe

3. Stufe 2. Stufe

Berichtigung

Aufgrund eines sehr bedauerlichen Fehlers befindet sich in der in Heft 46 abgedruckten Berichtigung ein gravierender Fehler:

Die dort angegebene Dosierung von Colchicin ist falsch. Die richtige Dosierung liegt bei 2 × 0,5 mg/Tag bis 2 × 1 mg/Tag.

Die nebenstehende Grafik zeigt die Dosie- rung der verschiedenen Präparate im Rahmen des Behandlungsalgorithmus für rezidivie- rende orale Aphthen in korrekter Form. Die medizinisch-wissenschaftliche Redaktion be- dauert diesen Fehler außerordentlich. MWR

Referenzen

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