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Archiv "Perinatalmedizin: Beabsichtigte Strukturpolitik" (13.02.2015)

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A 284 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 112

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Heft 7

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13. Februar 2015

Das Leser-Forum

PERINATALMEDIZIN

Zu den Beiträgen (DÄ 1–2/2015: „Perinatalme- dizinische Versorgung: Maximale Sicherheit für Mutter und Kind anstreben“ von Rainer Rossi, Christian Poets und Gerhard Jorch und „Inter- view mit Gernot H. G. Sinnecker, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Wolfsburg: ,Die Daten sind nicht direkt mitein- ander vergleichbar‘“ von Jens Flintrop).

Pädiatrischen Sicherstellungs- zuschlag einführen

In einem im Vergleich zu Schweden (circa 440 000 km2) kleinen Land wie Deutschland (circa 360 000 km2) wäre trotz einer Zentralisierung perinatologi- scher Betten eine flächendeckende Versor- gung möglich. Am Beispiel Bayern wäre denkbar, statt 36 Standorten nur 22, statt 115 Geburtsklinken nur circa 50 (Kliniken mit > 750 Geburten/2014) vorzuhalten.

Die Erweiterung eines Münchener Perina- talzentrums von drei auf sechs Betten durch das Staatsministerium für Gesund- heit und Pflege gibt hier dagegen sicher das falsche Signal.

Eine gute perinatologische Versorgung von Mutter und Kind ist in meinen Augen nicht verhandelbar. Eltern sind bereit, für eine gute medizinische Versorgung ihrer Kinder weite Wege in Kauf zu nehmen, was die Daten aus Nordeuropa und eigene Erfahrungen mit werdenden Eltern auch zeigen. Aber solange man in Deutschland mit < 800 g Geburtsgewicht ~ 120 000 Euro erwirtschaften kann, sind für kleine Kliniken finanzielle Anreize falsch ge- setzt. Auch in einem reichen Bundesland wie Bayern darf Geld nicht in vielen klei- nen Klinikeinheiten versickern, vielmehr muss die Politik ihren Bürgern vermitteln, dass medizinische Schwerpunkte nicht in jeder Klinik vorgehalten werden können.

Der selektiven Schließung von Geburtskli- niken, verbunden mit einer deutlichen Re- duzierung der Perinatalzentren, zum Bei- spiel nach DKG-Vorgaben, kann ich – wie auch die Autoren Rossi, Poets, Jorch – nur zustimmen, um die Versorgung dieser Ri- sikokinder an 365 Tagen rund um die Uhr auf hohem Niveau zu gewährleisten.

Der Vollständigkeit halber darf nicht uner- wähnt bleiben, dass im DRG-System die neonatalen Diagnosen (P-DRG s. o.) so gut

bewertet werden, dass diese in der Finan- zierung einer Kinderklinik nicht wegzu- denken sind. Mehr als 75 Prozent der sta- tionären Aufnahmen kommen über die Notfallaufnahme, sind somit nicht planbar.

Circa 50 Prozent der Kinder bleiben hier- von nur eine Nacht. Somit entstehen enor- me Vorhaltekosten, die im DRG-System nicht gegenfinanziert sind. Fiele im Rah- men von Umstrukturierungen die Neona- tologie für einzelne Kinderkliniken weg, hieße das für viele Kinderkliniken auch das Aus. Denn diese Kliniken wären für Weiterbildungsassistenten/-innen dann un- interessant, was zu einer personellen Not- lage führen würde. Wird im Gegenzug zur sinnvollen Zentralisierung nicht gleichzei- tig das pädiatrische DRG-System neu und damit höher bewertet, schaffen sich Kin- derkliniken auf diesem Weg selbst ab und eine flächendeckende Versorgung ist im stationären Segment nicht mehr gewähr- leistet, weder für die Geburtshilfe noch für die gesamte allgemeine Pädiatrie. Hier ist die Politik ebenfalls gefordert, die Idee eines pädiatrischen Sicherstellungszu- schlags umzusetzen, so dass die Finanzie- rung einer Kinderklinik gesichert ist, ohne diese auf den Schultern der Frühgebore- nen auszutragen.

Literatur beim Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Seeliger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendliche, Kliniken St. Elisabeth, 86633 Neuburg/Donau

Beabsichtigte Strukturpolitik

. . . Es ist meines Erachtens davon auszu- gehen, dass die Autoren Rossi, Poets und Jorch mit ihrem Artikel beabsichtigten, aus ihrer Position heraus Strukturpolitik zu betreiben, ohne dafür demokratisch le- gitimiert zu sein . . .

Im Umgang mit Sekundärdaten ist bei der Verwendung unterschiedlicher Quellen, die zusammengeführt werden, eine Vali- dierung der Daten bezüglich der Daten- erhebung obligat.

Die von Prof. Sinnecker genannte Litera- turstelle von Graafmans et al. mit dem di- rekten Vergleich der drei Gesundheitssys- teme nach Adjustierung der Neonataldaten zeigt eine im Prinzip gleichwertige Ver- sorgungsqualität der skandinavischen Länder und Deutschland und entzieht da-

mit den weiteren Ausführungen der Auto- ren jegliche Grundlage. Diese Literatur ist nach meinem Dafürhalten auch nicht schwer zu finden.

Konkret zum Beitrag:

Der Zählpunkt der Betrachtung der Auto- ren beginnt offensichtlich mit dem Kind auf dem Reanimationstisch des Kinderarz- tes, die gesamte vorgeburtliche Versorgung wird als gleichwertig gegeben betrachtet.

Tatsächlich unterscheiden sich die Bevöl- kerungen der genannten Länder in der Zu- sammensetzung, der Lebensweisen und der Erwartungshaltungen erheblich, wel- ches sich auch in anderen Zusammenhän- gen jeden Tag in den tagesaktuellen Me- dien nachvollziehen lässt.

Für die Rezeption der spezifischen Proble- me einer Schwangerschaft reicht ein Blick in die Risikolisten eines Mutterpasses, wie ihn jede Schwangere von ihrem Frauen- arzt erhält. Der strukturelle Umgang mit diesen Risiken ist ebenfalls länderspezi- fisch, so dass es eigentlich naheliegend sein müsste, dass sich am Zählpunkt Re- animationstisch eine unterschiedliche Population an Neugeborenen mit unter- schiedlichen prognostischen Parametern befinden wird. Im Interview wird dieser Sachverhalt auch kurz gestreift . . .

Dr. med. Eric Neuschwander, 73037 Göppingen

Unscharf

Beide Artikel bleiben in wesentlichen Punkten unscharf.

Zum einen mutet es etwas einseitig an, das (fraglich) bessere Outcome der Schweden und Finnen allein an den großen Geburts- zentren festzumachen. Denn gerade in Schweden und Finnland ist das Gesund- heitssystem rein strukturell ein anderes als in Deutschland, wie in dem Artikel ange- deutet, und erst recht die Geburtshilfe:

In Schweden werden Schwangere von An- fang an von Hebammen betreut, Ärzte wer- den nur bei Komplikationen in Schwanger- schaft oder unter Geburt hinzugezogen, und auch die Nachsorge wird von Hebam- men geleistet. Zudem ist eine Eins-zu-eins- Betreuung durch eine Hebamme unter der Geburt die Regel, was in Deutschland bei weitem nicht der Fall ist. Es kommen also weitere Faktoren hinzu, die eine bessere

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Deutsches Ärzteblatt

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13. Februar 2015 A 285 Betreuung während Schwangerschaft und

Geburt zur Folge haben und Einfluss neh- men auf die niedrigere Zahl an Frühgebur- ten und geringere Anzahl an Kindern mit geringem Geburtsgewicht . . .

Nehmen wir an, dass sich die Kernzahlen zu Mütter- und Säuglingssterblichkeit nach Äquivalenzrechnungen und so weiter in Schweden, Finnland und Deutschland ähneln. Dann ist nachzufragen, wie die Finnen und Schweden trotz weniger gro- ßer Zentren so gute Ergebnisse erzielen.

Denn ich glaube nicht, dass dies allein dem Glück geschuldet ist!

Zudem bleiben ein paar andere Zahlen, die man erst recht nicht einfach mit

„Glück gehabt“ erreicht:

Da ist die Kaiserschnittrate, die halb so hoch ist wie in Deutschland, sowie der deutlich geringere Anteil an Kindern mit Geburtsgewicht unter 2 500 g und Früh- chen. Hier können und müssen wir sehen, was wir verbessern können, denn Früh- chen haben nicht selten lebenslänglich mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.

Wenn wir diesen Bereich dem „Glück al- lein“ überlassen, dann ist das ein echtes Armutszeugnis!

Die Versorgung von Frühgeborenen ist in Deutschland insgesamt nicht zu bemän- geln. Diese Kinder sind sehr wahrschein- lich in großen Zentren besser aufgehoben.

Das ist aber kein Argument, nun alle Ge- burten in große Zentren zu verlegen.

Denn: Wo bleibt ein Ansatz zur Präventi- on von Frühgeburten und Kindern mit ge- ringem Geburtsgewicht? Hier können wir von den Schweden und Finnen etwas ler- nen. Ich denke, dass die gute Hebammen- versorgung ein wichtiger Faktor ist. Da haben wir noch viel Nachholbedarf.

Dasselbe gilt für die viel zu hohe Kaiser- schnittrate in Deutschland: Inzwischen häufen sich die Hinweise auf die poten- ziellen lebenslangen Nachteile für die Kinder (zum Beispiel erhöhte Inzidenz für Autoimmunerkrankungen). Spätestens jetzt müssen wir hier gegensteuern.

Eine Eins-zu-eins-Betreuung bei jeder Ge- burt durch eine qualifizierte Hebamme und die gleiche Bezahlung von vaginaler Geburt und Sectio wären da ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es ohnehin bizarr, dass ein 15-minütiger Eingriff deutlich besser bezahlt wird als die stundenlange Begleitung einer Frau unter Geburt, die Einfühlungsvermögen und Personalressourcen voraussetzt . . .

Literatur bei der Verfasserin Iris Appel, Ärztin, 41539 Dormagen

Ein weiterer Aspekt

. . . Ich möchte gerne noch auf einen wei- teren Aspekt hinweisen: Aufgrund der un- terschiedlichen Gesetzgebung unterschei- det sich die Abtreibungsrate in diesen Ländern erheblich – 2012 wurden laut Bundesamt für Statistik in Deutschland 7,1, in Finnland 10,8 und in Schweden 21,3 Abtreibungen pro 1 000 Frauen im gebährfähigen Alter durchgeführt. Zu ver- muten ist, dass dies insbesondere Kinder mit vorgeburtlich festgestellten Erkran- kungen betrifft, bei denen auch eine er- höhte perinatale Komplikations- und Sterblichkeitsrate zu erwarten wäre. Bei- spielhaft sei der Fall einer befreundeten Familie angeführt, bei der die sonografi- sche Diagnostik in Schweden zur ärztli- chen Empfehlung einer Abtreibung und erst die in Deutschland eingeholte Zweit- meinung zur Aufklärung der Eltern über Therapiemöglichkeiten und Überlebens- wahrscheinlichkeiten führte.

Es scheint mir geboten, diesen Aspekt in der Debatte um Zentralisierung und in der Flä- che ausgedünnte Versorgung zu berücksich- tigen und die vorgelegten Zahlen auch unter diesem Blickwinkel kritisch zu bewerten.

Dr. med. Robert Wilhelm, 38875 Elbingerode

Vorsicht vor falschen Anreizen

In dem Artikel von Rossi et al. werden OECD und EuroPeriStat Ergebnisdaten zur perinatologischen Versorgung von Mutter und Kind von Deutschland einmal mehr den vermeintlich besseren Ergebnis- sen in den nordeuropäischen Ländern – vornehmlich Schweden und Finnland – gegenübergestellt und daraus weitreichen- de Schlussfolgerungen für die künftige ge- sundheitspolitische Strukturplanung in Deutschland gezogen. Wie in dem dazu veröffentlichten Interview von Sinnecker bereits dargestellt, bestätigt auch eine Er- hebung von Mohangoo et al., dass auf- grund differierender Kriterien bei der Re- gistrierung von tot- und lebendgeborenen Frühgeborenen Unterschiede zwischen verschiedenen europäischen Ländern bei der Frühgeborenensterblichkeit nur mit deutlichen Einschränkungen zu interpre- tieren sind. Die Säuglingssterblichkeit ist nicht geeignet, die Ergebnisqualität bei der Frühgeborenenversorgung verschiede- ner Länder vergleichend zu prüfen. Hier fand sich keine Korrelation in zehn euro- päischen Regionen, die niedrigste Sterb- lichkeitsrate der Frühgeborenen fand sich

dabei in Deutschland (MOSAIC Studie, Draper 2009). So erlaubt auch die in Ost- Deutschland höhere Säuglingssterblichkeit im Vergleich zu Westdeutschland keine Rückschlüsse auf die Ergebnisqualität der Frühgeborenenversorgung. Bei der ge- sundheitspolitischen Strukturplanung ist es wichtig, die Ergebnisqualität als Steue- rungsinstrument zu benutzen und nicht die Fallzahl, weil diese mit der Ergebnisquali- tät nicht kausal verknüpft ist (Rogowski 2004) und falsche Anreize bietet.

Literatur bei den Verfassern

Prof. Dr. med. Andreas Trotter, Klinik für Kinder- und Jugendliche, Hegau-Bodensee-Klinikum Singen, 78224 Singen

Prof. Dr. med. Frank Pohlandt, Universitätskinderklinik Ulm, 89075 Ulm

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DAS GESPRÄCH

Rechtsmediziner zum Stand ihres Fachgebietes (DÄ 51–52/2014: „Hilfsorgan der Staatsanwalt- schaft“, Leserbrief von Honke Georg Hermichen).

Schweigepflicht

Herr Dr. Hermichen gab an, nie ein Ob- duktionsprotokoll von der Rechtsmedizin bekommen zu haben. Das ist nicht ver- wunderlich, da die Protokolle nur für die Auftraggeber bestimmt sind, also meist die Staatsanwaltschaft. Auch hier gilt eine

„Schweigepflicht“ gegenüber Dritten.

Nach Abschluss der Ermittlungen war es aber noch nie ein Problem, dass die be- handelnden Ärzte (Kliniker, Hausarzt) oder die Angehörigen über die Staatsan- waltschaft das Obduktionsprotokoll beka- men – und dann erst ist auch das direkte Gespräch über die Befunde mit den Rechtsmedizinern möglich.

Dr. med. Horst Bock, Facharzt für Rechtsmedizin, 87700 Memmingen

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