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Archiv "Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie" (04.06.1986)

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Hartmut Kraft

Ein fiktives Interview mit Hans Prinzhorn

Seine berühmte Sammlung ent- stand innerhalb von drei Jahren

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie

Frage: Herr Prinzhorn, Ihr Buch

„Bildnerei der Geisteskranken"

wird auch heute noch in unver- änderter Form neuaufgelegt.

Kann man daraus schließen, daß in den vergangenen mehr als sechzig Jahren nichts Entschei- dendes mehr in diesem Grenzge- biet zwischen Kunst und Psych- iatrie geleistet wurde?

Malateliers in psychiatrischen Kliniken und zur sogenannten

„Kunsttherapie".

Frage: Allein schon der Begriff

„Kunsttherapie" ist ja nach wie vor umstritten.

Prinzhorn: Ja, er erscheint etwas hochgegriffen. Das Wort Kunst mit seiner festen affektbelade- nen Bedeutung schließt ein Wert- urteil ein. Nicht umsonst habe ich ursprünglich ganz wertneutral lediglich von „Bildnerei" ge- sprochen. Aber natürlich kön- nen wir uns an Tolstojs Auffas- sung der Kunst erinnern, der es entsprechen würde, wenn wir hinter der ästhetisch und kultu- rell zu bewertenden Schale des Gestaltungsvorganges einen all- gemein menschlichen Kernvor- gang annehmen. Der wäre in sei- nem Wesen der gleiche in der souveränsten Zeichnung Rem- brandts und dem kläglichsten Gesudel eines Paralytikers: Aus- druck von Seelischem.

Frage: Entstehen in den Gestal- tungstherapien und Malateliers von heute vergleichbare Bilder Prinzhorn: Mit meinem Buch und

der Sammlung, die sich auch heute noch an der Psychiatri- schen Universitätsklinik in Hei- delberg befindet, habe ich sei- nerzeit eine Grundlage für weite- re Diskussionen schaffen wollen.

Daß heute Publikationen z. B.

zur Bildnerei epileptischer Pa- tienten, geistig minderbegabter wie auch geriatrischer Patienten existieren, betrachte ich als eine Weiterentwicklung meiner da- maligen Ansätze. Überhaupt ha- be ich den Eindruck, als sei die von mir so benannte „Bildnerei der Geisteskranken" eigentlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg von Dubuffet mit seinem Kon- zept der „ad brut", dann in den sechziger Jahren auf breiterer Basis in Museen, Kunstvereinen und privaten Galerien gewürdigt worden. Die Entwicklung verlief von dort aus weiter über die ver- schiedenen Formen der Be- schäftigungstherapie, Gestal-

tungstherapie bis hin zu den Gouache von Blalla W. Hallmann, Köln: „Tod eines Verpackungsinge- nieurs 5.30 p. m."; Hallmann ist ein von Sammlern viel gefragter Künstler Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 23 vom 4. Juni 1986 (71) 1713

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Auch während einer Erkrankung an Schizophrenie ist künstlerisches Schaffen möglich, wie dieses Bild von Augustin Wilhelm Schnietz zeigt

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Interview mit Hans Prinzhorn

zu denjenigen, die Sie vor Jahr- zehnten gesammelt haben?

Prinzhorn: Keineswegs. Alle Bil- der, die ich sammeln konnte, entstanden spontan, ohne äuße- re Anregung. Heute ist demge- genüber geradezu von einer „ad ä deux", wie Alois Marksteiner es einmal nannte, zu sprechen.

Der Einfluß des Therapeuten, speziell eines „Kunsttherapeu- ten", kann nicht mehr vernach- lässigt werden. Wenn ich es überspitzt formuliere: Es gibt Fälle, da äußert sich letztlich der Kunsttherapeut selber — über den Patienten als Medium.

Frage: Eine im wesentlichen ähn- liche Sammlung zu der Ihrigen ließe sich, Zeit, Geld und Auf- wand einmal nicht eingerechnet,

also heute nicht mehr auf- bauen?

Prinzhorn: Das ist ganz unmög- lich! Sie dürfen nicht vergessen, daß zwei entscheidende Grund- lagen für die Entstehung der Bil- der sich geändert haben. Zum ei- nen die Anstaltssituation. Durch die Reform der Psychiatrie, an- gefangen bei der „Arbeitsthera- pie" Hermann Simons im Lan- deskrankenhaus Gütersloh über die Einflüsse der Anti-Psychia- trie-Bewegung bis hin zu den Auswirkungen der Psychiatrie- Enquäte, hat sich die radikale Ausgrenzung psychisch Kran- ker, speziell chronisch Erkrank- ter, doch deutlich abge- schwächt. Die Isolation war je- doch einer der bestimmenden

Faktoren für typische, später von

Helmut Rennert aufgelistete Bildmerkmale wie Stereotypie, Reihungen, den Horror vacui.

Daß diese institutionellen Fakto- ren sich verändert haben und hoffentlich noch weiter verän- dern werden, kann gewiß nie- mand bedauern. Neu hinzuge- kommen ist der große Einfluß durch die Pharmakopsychiatrie.

Hierbei sind einerseits Beein- trächtigungen des bildnerischen Gestaltens festzustellen, ande- rerseits wird in vielen Fällen ein Gestalten erst möglich, und es entstehen auch heute noch — trotz oder wegen der Psycho- pharmaka—faszinierende Bilder.

Frage: Aber ist dann nicht das gesamte Gebiet der „Bildnerei der Geisteskranken" ein im we- sentlichen historisches?

Prinzhorn: Ja und nein. In dem oben skizzierten Sinne ist es hi- storisch. Aber weit ergiebiger scheint es, den verwandten Zü- gen in der allgemeinen Gefühls- haltung der letzten Kunst die Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Und da finden wir in der Tat als einen Grundzug die Abkehr von der schlicht erfaßten Umwelt, ferner eine konsequente Entwer- tung des äußeren Scheins, an dem die gesamte abendländi- sche Kunst bislang gehangen hatte, und schließlich eine ent- schiedene Hinwendung auf das eigene Ich. Am deutlichsten wur- de dies doch wohl in der von Ha- rald Szeemann organisierten V.

Documenta in Kassel 1972 zum Generalthema „Individuelle My- thologien". Wenn heute dann sogar in verschiedenen künstle- rischen Zusammenhängen der Begriff „Ein-Personen-Kultur"

auftaucht, so ist dies eine Fort- setzung des gleichen Gedan- kens. Diese Formeln aber sind uns bei unseren Bemühungen, das Weltgefühl des Schizophre- nen zu umschreiben, ganz ge- läufig geworden.

Frage: Ist damit eine „Schizo- phrenie-Diagnose" unserer Zeit und Gesellschaft gemeint?

1714 (72) Heft 23 vom 4. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Interview mit Hans Prinzhorn

Prinzhorn: Natürlich rede ich kei- ner Schizophrenie-Diagnose un- serer Gesellschaft das Wort!

Worauf ich abziele, das ist „der Zerfall des traditionellen Weltge- fühls", das Thema des sterben- den Gottes, wie Anton Ehren- zweig es nannte, oder auch die Erkenntnis der Hybris, nachdem in der Französischen Revolution die Menschen lernten, ICH zu sa- gen, sich ihrer selbst bewußt zu werden, wie Peter Sloterdijk es so vortrefflich beschrieben hat.

Damals begann der lange Weg der Abdankung des traditionel- len, auf vermeintlich göttliche Gesetze basierenden Weltge- fühls, der heute zu einem Psy- choboom für die um Selbster- kenntnis und Orientierung rin- genden Individuen geführt hat.

Dem Schizophrenen hingegen legt sich die „Entfremdung der Wahrnehmungswelt" als ein grauenhaftes, unentrinnbares Los auf, gegen das er oft lange kämpft, bis er sich fügt und lang- sam in seiner wohnhaft berei- cherten autistischen Welt hei- misch wird. Hier beim Künstler unserer Tage geschah die Ab- wendung von der einst vertrau- ten und umworbenen Wirklich- keit zwar im besten Falle auch unter einem Erlebniszwang, aber immerhin mehr oder weni- ger als ein Akt, der auf Erkennt- nis und Entschluß beruhte. Sie geschah infolge quälender Selbstbesinnung.

Frage: Sie haben — in aller Vor- sicht und Zurückhaltung — in Hinblick auf den Expressionis- mus Parallelen zur Bildnerei psychiatrischer Patienten aufge- zeigt. Wie konnte unter diesen Bedingungen Ihre Sammlung überhaupt den Bildersturm der Nazizeit überdauern?

Prinzhorn: Ganz einfach: als ab- schreckendes Beispiel. Es wurde eine Umwertung vorgenommen, so daß nicht mehr künstlerische Werte in einigen der Bilder wahr- genommen wurden, sondern Objekte der Sammlung statt des- sen in der Ausstellung „Entarte-

te Kunst" benutzt wurden, Künstler zu diffamieren. Ich ha- be zwar schon Anfang der zwan- ziger Jahre gesagt, daß es ober- flächlich und falsch sei, aus Ähn- lichkeit der äußeren Erschei- nung Gleichheit der dahinterlie- genden seelischen Zustände zu konstruieren. Der Schluß: Dieser Maler malt wie jener Geistes- kranke, also ist er geisteskrank, ist keineswegs beweisender und geistvoller als der andere: Pech- stein, Heckel u. a. machen Holz- figuren wie Kamerun-Neger, also sind sie Kamerun-Neger. Wer zu so einfältigen Schlüssen neigt, hat keinen Anspruch, ernst- genommen zu werden. Daß ich mich darin getäuscht habe, daß vor der Ausstellung „Entartete Kunst" 1937 lange Zuschauer- schlangen standen, hat mich sehr betroffen gemacht. Aber auf diese Weise blieb es der Sammlung wenigstens erspart, auf dem Scheiterhaufen zu lan- den.

Frage: Welche zukünftigen Auf- gaben sehen Sie für die Arbeiten auf dem Grenzgebiet zwischen Kunst und Psychiatrie?

Prinzhorn: Zunächst einmal eine sorgfältige Wahrung des histori- schen Vergleichsmaterials. Ent- wicklung kann immer nur dann verstanden und gewürdigt wer- den, wenn wir uns und den nach- folgenden Generationen vor Au- gen halten, von wo wir ausge- gangen sind. Wertvoll wäre in diesem Zusammenhang natür- lich auch, wenn Vergleichsmate- rial aus früheren Jahrhunderten ausfindig gemacht werden könn- te. Bislang stehen die Bilder- handschrift des Opicinus de Ca- nistris, eines schizophrenen Kle- rikers aus dem vierzehnten Jahr- hundert, und die „Illustrations of Madness" von J. T. Matthews aus dem Jahre 1810 wie isolierte Pflöcke im Fluß der Geschichte.

Da ist historische Arbeit zu lei- sten, auch wenn auf Grund der damaligen rein negativen Bewer- tung psychischer Erkrankungen das meiste Material vernichtet

worden sein dürfte. Für die Ge- genwart scheinen mir Verlaufs- dokumentationen dringend not- wendig. Da können sinnfällige Beiträge geliefert werden, um den immer noch verbreiteten Mythos von der zwangsläufigen Destruktivität psychiatrischer Er- krankungen, speziell der Schi- zophrenien, zu entkräften. Gera- de kreative und gegebenenfalls künstlerische Tätigkeiten kön- nen sehr wohl einen Beitrag zur Wiedererlangung eines stabilen Selbstgefühls leisten, wie es sich z. B. an den Arbeiten von Blalla W. Hallmann, Augustin Wilhelm Schnietz oder Friedrich Schrö- der-Sonnenstern ablesen läßt.

Sie haben künstlerisch relevante Formulierungen gefunden.

Schließlich und endlich kann es für die aktuelle Kunstentwick- lung einer jeden Epoche klärend sein, sich kritisch in Beziehung zu setzen zu soziokulturell und historisch ganz anders oder auch weniger verankerten künst- lerischen Gestaltungen, wie es z. B. für die sogenannte primitive Kunst gilt oder eben auch für die Bilder psychiatrischer Patienten.

Aspekte wie die „individuellen Mythologien" oder der des „Ge- samtkunstwerks", die wir so- wohl auf die Arbeiten von Adolf Wölfli als auch Karl Junker in Lemgo anwenden können, sind ja erst in den letzten Jahren aktu- ell geworden. Dabei will ich noch gar nicht diskutieren, ob nicht manche Kunstformen in- nerhalb der „Bildnerei der Gei- steskranken" sogar tendenziell vorausgenommen worden sind, z. B. frühe Formen der Perfor- mance, — aber das ist noch ein

weites Gebiet.

Die in diesem fiktiven Interview verwand- ten Prinzhorn-Zitate, durch Kursivsatz hervorgehoben, sind seinem Buch „Bild- nerei der Geisteskranken" (1922) ent- nommen.

Termine der Gedenkveranstal- tungen für Prinzhorn und Litera- tur beim Verfasser:

Dr. med. Hartmut Kraft An der Ronne 196 5000 Köln 40

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 23 vom 4. Juni 1986 (73) 1715

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