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Archiv "Millennium-Tage in Kassel: Futurologie in der Medizin" (10.11.2000)

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as Internet verändert die Bezie- hung zwischen Arzt und Patient.

Die US-amerikanischen Hoch- schulen treffen bereits Vorbereitungen, junge Ärzte auf diesen Wandel vorzu- bereiten. Unterdessen droht Deutsch- land wegen seiner Zögerlichkeit und Schwerfälligkeit medizintechnisch ins Hintertreffen zu geraten. Das waren zwei Botschaften der Kasseler Millen- nium-Tage, die der „Zukunft der Ge- sundheit“ gewidmet waren. Die Millen- nium-Tage wenden sich jeweils im Herbst Themen der Zeit an der Schwel- le zum Jahrtausendwechsel zu.

Immer mehr Informationen

Eine Änderung der Beziehung zwi- schen Arzt und Patient sagte die Medi- zindidaktikerin Professor Dr. Elizabeth Armstrong von der Harvard Medical School voraus. Heute schon suchten 98 Millionen Amerikaner im Internet nach Gesundheitsinformationen. Mit dem Wissen um ihre Krankheit und dem Verlangen nach einer bestimmten The- rapie konsultierten sie den Arzt. Der informierte und technisch gut ausge- rüstete Patient könne sich selbst über- wachen, zum Beispiel den Blutdruck messen. Angehörige könnten Aufga- ben im Dienste der Patienten überneh- men. Armstrong sprach von der Not- wendigkeit der Eigenvorsorge. Sie sag- te, nun gelte es, die jungen Ärzte auf die neue Generation umfassend informier- ter Patienten vorzubereiten. Der Arzt müsse den Patienten helfen, die Fülle der Informationen zu sichten und zu ge- wichten. Um Kosten zu senken, sei es sinnvoll, die Therapie diagnostizierter Krankheiten, die eine standardisierte Behandlung erlaubten, von den Ärzten an das Pflegepersonal zu übertragen.

Zwar ist die neue Technik in der Medi- zin teuer, aber die teure Technik erlaubt

die Minderung der noch höheren Ko- sten. Die neue Hi-Tech benötige die Er- gänzung durch Low-Tech. Die neuen Methoden müssten durch „high train- ed“ Personal, insbesondere bestens ge- schulte Pflegekräfte mit menschlichen Qualitäten, angewandt und somit er- gänzt werden.

Indes warf Professor Dr. med. Diet- rich Grönemeyer, Inhaber eines Lehr- stuhls für Radiologie und Mikrotherapie an der Universität Witten-Herdecke, den Deutschen vor, den wahren volks- wirtschaftlichen Wert ihres Gesund- heitswesens zu verkennen. Das Gesund- heitswesen zähle einschließlich der Pharma- und Medizintechnikindustrie 4,2 Millionen Beschäftigte. In der viel beachteten Autoindustrie arbeiteten da- gegen nur 744 000 Beschäftigte. Durch das Setzen falscher Rahmenbedingun- gen und die mangelnde Bereitschaft, In- vestitionskapital bereitzustellen, würden Forscher samt ihren Ideen ins Ausland vertrieben. Grönemeyer warb in Kassel für „Med. in Germany“ als Qualitätsbe- griff und Zukunftschance, welche die Kapitalanleger und die Selbstverwal- tung von Leistungserbringern und Kas- sen, vor allem aber die Politiker ver- nachlässigten. Von Letzteren verlangte Grönemeyer die permanente Fortbil- dung in der Medizin, wenn die Politiker die Entwicklung des Gesundheitswesens mitgestalten wollten. Schließlich müss- ten sich auch die Ärzte fortbilden. Das Wissen in der Medizin veralte schnell.

Auch Professor Dr. med. Dr.-Ing.

Michael Ungethüm, Vorstandsmitglied der Firma B. Braun Melsungen AG, schilderte die Deutschen zwar als tech- nologisch oftmals führend, aber in der Anwendung neuer Verfahren als eher schwerfällig. In Amerika vergehe zwi- schen der Entwicklung eines neuen me- dizintechnischen Produktes und der Markterschließung etwa ein Jahr. In Deutschland seien es drei Jahre. Die B.

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A2982 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 45½½½½10. November 2000

Millennium-Tage in Kassel

Futurologie in der Medizin

Medizintechnik wird revolutioniert.

Herbert Rebscher, Vorsitzender des Vorstandes des Verbandes der Ange- stellten-Krankenkassen (VdAK) und des AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Ver- bandes, Siegburg

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er Vorschlag bedeutet eine voll- ständige Abkehr von der solidari- schen Krankenversicherung und einen Ausstieg aus der paritätischen Finan- zierung – und damit gleichzeitig eine systematische Aushebelung der sozia- len Grundprinzipien. Die als „soziale Komponente“ titulierten steuerfinan- zierten Zuschüsse für sozial Schwä- chere ebnen den Weg zu einer grundsätzich steuerfinanzierten Kran- kenversicherung.

Zudem lässt die Fi- nanzierung unab- hängig von der Einkommenshöhe der Versicherten befürchten, dass zur Sicherung der Finanzierung und zum Aufbau eines Kapitalstocks risi-

koadäquate Prämienhöhen angesetzt werden, durch die Alte und Kranke extrem belastet würden. Das Kon- zept erscheint deshalb als nicht akzep- tabel.

Regina Schmidt-Zadel, MdB, Gesund- heitspolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion

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ch begrüße ausdrücklich alle Über- legungen, welche sich mit der zukünf- tigen Ausgestaltung der Gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung in Deutschland befassen. Der Verein- te-Vorschlag klingt interessant, weckt bei mir aber eine Menge an Gegen- fragen. In Hinsicht auf die aktuel- le Gesundheitspo- litik würde mich interessieren, wie das dann neue, an- gedachte Kassen- system mit den Aspekten Risikose- lektion, Qualitätssicherung und Lei- stungssteuerung umgehen soll. ✮

Foto: Deutscher Bundestag Foto: Dr. Dr. Herbert Mück

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Braun AG setzt mit Medizintechnik wie Implantaten und Infusionslösungen im Jahr weltweit etwa 4,5 Milliarden DM um. Sie ist Europas größter Kranken- hausversorger und mit einem Marktan- teil von 15 Prozent der international größte Hersteller von chirurgischen In- strumenten.

USA sondiert den Markt

Grönemeyer schilderte, dass immer mehr amerikanische Gesellschaften in Deutschland medizintechnische Ideen, Konzepte und Unternehmen aufkauf- ten. Der starke Dollar beschleunigt nach seiner Einschätzung diese Ent- wicklung. Schon sollen 43 Prozent aller medizintechnischen Unternehmen in Europa amerikanischen Eigentümern gehören. Fachleute werden nach Grö- nemeyers Schilderung aus Deutschland abgeworben. Die amerikanischen Ka- pitalanleger sondierten den Markt der Medizintechnik im Gegensatz zu den deutschen sehr gründlich und seien rasch bereit zu investieren. Seine Kli- nik, die in der Entwicklung der Mikro- therapie, der Operation mithilfe klein- ster Instrumente unter Einsatz modern- ster bildgebender Verfahren, interna- tional führend sei, bekomme die Flexi-

bilität der Amerikaner zu spüren. In Deutschland räume die Politik den neu- en Verfahren dagegen keine Chance ein, indem diese nicht hinreichend ge- genüber den Versicherern abgerechnet werden könnten.

Zwar seien die Geräte zur Anwen- dung der neuen Methoden teuer. Aber die Politiker würden den gesamtwirt- schaftlichen Nutzen nicht erkennen, sagte Grönemeyer. Durch mikroinvasi- ve Methoden sei es an seiner Klinik ge- lungen, schon 40 Prozent der Band- scheibenoperationen ambulant auszu- führen, berichtete Grönemeyer. Die Dauer der stationären Aufenthalte we- gen Bandscheibenoperationen habe sich um 30 bis 40 Prozent verringert.

Die Volkskrankheit Rückenleiden, die jährlich Behandlungskosten in Höhe von 20 Milliarden DM und einen weite- ren Schaden in Höhe von 90 Milliarden DM durch Arbeitsausfälle verursache, oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ließen sich wesentlich wirkungsvoller diagnostizieren und behandeln.

Die ultraschnelle Computertomo- graphie biete ohne Einsatz des Kathe- ters mit der Darstellung von Gefäß- verengungen ein effektives Verfahren zur Prävention von Herzinfarkten, an denen jährlich 90 000 Patienten in Deutschland sterben. Schon Jahre oder

Jahrzehnte vor der krankhaften Schädi- gung würden Mikroverkalkungen mit- hilfe der Computertomographie sicht- bar. Aber bis heute, zehn Jahre nach Einführung des Verfahrens, gebe es kei- ne Abrechnungsnummer.

Konservative deutsche Medizin

Grönemeyer verwies auf die konserva- tive Haltung der deutschen Medizin den Innovationen gegenüber. Die (zeit- sparende) Endoskopie sei einst in Deutschland entwickelt, aber „ver- spielt“ worden. Ungethüm führte dies auf das Abrechnungssystem zurück, das den Krankenhäusern bisher keinen An- reiz setze, Patienten rasch zu entlassen.

Grönemeyer sagte, heute dominier- ten die japanischen Hersteller mit ei- nem Anteil von 80 Prozent den Endo- skopie-Markt mit seinem Volumen in Höhe von bis zu fünf Milliarden DM.

Der Erfinder des Herzkatheters und spätere Nobelpreisträger Prof. Dr. med.

Werner Forßmann sei wegen dieser Idee in Deutschland verhöhnt worden.

Als Forßmann eine Arbeit zu dem The- ma als Habilitationsschrift verfassen wollte, habe er zu hören bekommen:

„Mit einem derart lächerlichen Kunst- stück habilitiert man sich vielleicht in einem Zirkus, aber nicht an einer or- dentlichen deutschen Klinik.“

Ungethüm sagte die verbesserte Züchtung weiterer biologischer Werk- stoffe für Implantate, Fortschritte in der Koppelung von Nervenzellen und eine fortdauernde Miniaturisierung der chirurgischen Instrumente voraus. Die klassischen Chirurgen seien die Verlie- rer, die Kardiologen und Radiologen, die die Veränderung rechtzeitig er- kannten, die Gewinner dieser Entwick- lung. Braun werde künftig noch mehr Prozesse statt Produkte verkaufen. Mit Erfolg kauften amerikanische Kran- kenhäuser von Braun Pakete, in denen zum Beispiel vom Tupfer über die Me- dikamente bis hin zu den chirurgischen Instrumenten alles Nötige für eine Gal- lenoperation enthalten sei. Dies senke die Kosten der Krankenhäuser um bis zu 50 Prozent, entlaste sie von logisti- schen Aufgaben und mindere ihre Ka- pitalbindung. Claus Peter Müller-von der Grün P O L I T I K

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A2984 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 45½½½½10. November 2000

Direkt aus dem sterilen Bereich kann das Operations-Team die wichtigsten OP-Komponenten bedie- nen und auf Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten zugreifen. Ermöglicht wird dies durch SIOS (Siemens Integriertes OP-System), einer Systemlösung für die Optimierung von Prozessabläufen

im Operationssaal der Zukunft. Foto: Siemens

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