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Archiv "Im Schnittpunkt zwischen Tradition und Fortschritt" (10.09.1986)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

Im Zeichen einer Rückbesinnung auf die Tradition der Medizin — sie fällt zusammen mit der Abkehr von einer am technisch Machbaren orientierten Medizin und der Hin- wendung zu einer als „mensch- licher" verstandenen Diagnostik und Therapie — stand der 30. Inter- nationale Kongreß für Geschichte der Medizin, der vom 31. August bis zum 5. September in der Düs- seldorfer Universität stattfand.

Dieser Kongreß der „Sociötö Inter- nationale d'Histoire de la Mödici- ne" fand große Resonanz. Der der- zeitige Präsident der Gesellschaft, Professor Dr. Hans Schadewaldt (Düsseldorf), begrüßte bei der fei- erlichen Eröffnung in der Universi- tät Teilnehmer aus über vierzig Nationen mit einer in lateinischer Sprache gehaltenen Rede.

Bundesgesundheitsministerin Pro- fessor Dr. Rita Süssmuth hob in ih- rer Ansprache die aktuelle Bedeu- tung der Medizingeschichte her- vor. In einer Zeit zunehmender Re- serviertheit gegenüber der als

„Apparate-Medizin" apostrophier- ten modernen Medizin könne die Rückbesinnung auf die Tradition zu einer neuen Bewertung der Möglichkeiten und Grenzen ärzt- lichen Handelns verhelfen: „Wir entdecken, daß Krankheit keine Störung der Maschine Mensch ist, sondern ein Anpassungsvorgang des sozialen Wesens Mensch, ja häufig sogar eine Art von Körper- sprache und ein Ausdruck zwi- schenmenschlicher Befindlich- keit." Diese scheinbar neue Denk- weise knüpfe an alte, fast verges- sene Traditionen an, denen sich die medizinhistorische Forschung widmen müsse, damit die Ganz- heitlichkeit das bisherige mehr eindimensionale, nur auf die Tech-

nik gestützte Verständnis vom Menschen ablöse.

Frau Süssmuth wollte „Geschich- te der Medizin" aber auch als die

„Beobachtung des Wandels im Sinnverständnis des Menschen"

verstanden wissen. Die Krankheit, auch und vor allem die unheilbare, dürfe nicht unakzeptabel gemacht werden. Der Mensch werde von ei- ner voll technisierten Medizin in seine einzelnen Bestandteile „zer- legt", anstatt ihn in seiner Gesamt- heit im Blick zu halten. Die Orien- tierung auf den Patienten gehe da- durch zugunsten einer „Vergöt- zung" der Apparatemedizin verlo- ren.

Kritik auch vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar: Er warnte in seiner Rede vor einem blinden Glauben an die Technik, auch wenn diese noch so perfekt sei. So seien beispielswei- se Großkrankenhäuser als „Kathe- dralen des Zeitgeistes" entstan- den, die sich heute vielfach als „in Beton gegossene Fehlentschei- dungen" erwiesen hätten.

Vilmar kritisierte den kritiklosen Fortschrittsglauben vieler Men- schen, der zu einem Anspruchs- verhalten, zum vermeintlichen

„Recht auf Gesundheit" geführt habe. Mancher Politiker komme angesichts des enormen Kosten- anstiegs im Gesundheitswesen und der Feststellung, daß auch die Zahl der Behandlungen zunehme, zum Fehlschluß, daß die Medizin

„versagt" habe.

In der Mitte zwischen notwendiger Technik und menschlicher Zuwen- dung sieht Vilmar den richtigen Weg: Die Abkehr von der Technik, von vielen als „seelenlose Hoch- leistungsmedizin" verteufelt, dür-

fe jedoch nicht zu einer kritiklosen Hinwendung zu unwissenschaft- licher „Alternativ-Medizin" führen.

Der Medizingeschichte komme für die Zukunft wegweisende Funk- tion zu. Diese Ansicht spiegelte sich auch im Grußwort des Kon- greß-Schirmherrn, Bundespräsi- dent Richard von Weizsäckers, wi- der: „Die Pflege des Bewußtseins vielschichtiger Traditionen wird es uns erleichtern, in der heutigen medizinischen Forschung die er- forderlichen Maßstäbe eigener Verantwortung zu gewinnen."

Vielfältige Einblicke in die Medizingeschichtsforschung Der Kongreß der 1921 in Belgien gegründeten Medizinhistoriker- Gesellschaft, der alle zwei Jahre stattfindet, tagte zum erstenmal in Düsseldorf. In über 200 Vorträgen wurde in der Kongreßwoche ein Einblick in die aktuelle Medizinge- schichtsforschung gegeben.

Schwerpunktthemen waren insbe- sondere die Geschichte der Schiff- fahrtsmedizin, die Tropenmedizin, die großen europäischen Medizin- schulen, die Ethnomedizin und die Verbindung zwischen Medizin und Kunst. Das letztgenannte Thema fand eindrucksvolle Bestätigung in einer Reihe von Ausstellungen in der Düsseldorfer Universität, in Bibliotheken, Museen und Geldin- stituten, die teilweise noch über das Ende des Kongresses hinaus in Düsseldorf zu besichtigen sind.

Eine speziell für den Medizinhisto- riker-Kongreß in Düsseldorf ge- schaffene Gedenkplakette, von der Düsseldorfer Bildhauerin Dr.

Marianne Kiesselbach entworfen, wurde in der Eröffnungsveranstal- tung der Bundesgesundheitsmini- sterin Süssmuth und der 91jähri- gen, aus Cambridge angereisten Dr. Erna Eckstein-Schloßmann vom Tagungspräsidenten, Profes- sor Schadewaldt, überreicht. Letz- tere immatrikulierte sich 1919 an der damaligen Medizinischen Aka- demie und ist damit einer der älte- sten noch lebenden Düsseldorfer Medizinstudenten. A. Reiners

Im Schnittpunkt zwischen Tradition und Fortschritt

Kongreß der Medizinalhistoriker in Düsseldorf:

Medizingeschichte hat eine wegweisende Funktion

2432 (30) Heft 37 vom 10. September 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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