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Archiv "Interview mit Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Präsident des 2. World Health Summit in Berlin „Man hat ,Global Health‘ sträflich vernachlässigt“" (08.10.2010)

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A 1914 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 40

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8. Oktober 2010

„Man hat ,Global Health‘ sträflich

Herr Professor Ganten, wie soll sich der World Health Summit (WHS) 2010 von dem des Vorjahres unterscheiden?

Ganten: Das Thema globale Ge- sundheit umfasst so viele unter- schiedliche und wichtige Facetten, dass es immer eine Qual der Wahl ist. Die richtigen Prioritäten sind ent- scheidend. Die weltweite Zunahme chronischer Erkrankungen, der Kli- mawandel, die Wirtschaftskrise und die schwierigen Bedingungen für ei- ne adäquate Gesundheitsversorgung und -forschung in vielen Teilen der Erde stellen uns vor so drängende Fragen, dass wir sie nur als Weltge- meinschaft und schrittweise lösen können. Aber auch die Globalisie- rung des Medizinstudiums oder neue Ausbildungsmodelle für Gesund- heitsberufe in strukturschwachen Re - gionen erfordern eine enge Abstim- mung zwischen dem akademischen System und der Politik.

Kritiker sagen, es gebe schon zu viele Veranstaltungen dieser Art. Welche Ar- gumente setzen Sie dagegen?

Ganten: Wenn die Probleme der Weltgesundheit gelöst wären, wä-

ren auch solche Meetings überflüs- sig. Leider ist das Gegenteil der Fall. Die Diskussionen der Regie- rungschefs bei den Vereinten Natio- nen Ende September haben dies eindrücklich gezeigt. Die großen Millenniums-Entwicklungsziele blei- ben also auf der Tagesordnung. Ent- scheidend ist es, die Strategien der verschiedenen Gruppen und deren unterschiedliche Interessen offen und unvoreingenommen zu disku- tieren. Denn die Meinungen der Protagonisten können sich dia - metral gegenüberstehen: Die einen wollen Geld verdienen, die anderen die Welt verbessern – und manche am liebsten beides. Die M-8-Alli- anz der universitären Einrichtungen und Nationalakademien kann hier eine wichtige Rolle spielen.

Inwiefern?

Beim WHS geht es darum, diese Kontroversen offenzulegen und auf verschiedenen Ebenen zu kom - munizieren – zuerst auf der Ebene der Entscheidungsträger, dann zwi- schen ihren Partnern und am Ende in die Öffentlichkeit hinein. Wenn wir die Öffentlichkeit nicht von notwendigen Veränderungen über- zeugen können, sind die Politiker machtlos. Der Wissenschaft kommt hier argumentativ eine neutrale und entscheidende Bedeutung zu. Der World Health Summit hat sich da-

her erneut zum Ziel gesetzt, über- zeugende Kernbotschaften zu for- mulieren, die Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt werden.

Die Wirtschaftskrise hat allerdings ge- zeigt, dass ungeregelte Finanzsysteme das globale Geschehen eher beeinflus- sen als Politiker und Wissenschaftler.

Wie sollen sich die Teilnehmer des WHS dagegen mit ihren Ideen und Strategien durchsetzen können?

Ganten: Ja, es ist unbestritten, dass die Finanzkrise eine ganz besondere Gefährdung darstellt. Denn sie führt dazu, dass Krankenhäuser nicht ge- baut, Kredite nicht gegeben und mo- derne Geräte und Medikamente nicht gekauft werden können. In der Folge sterben mehr Menschen – al- lerdings tragisch unauffällig, un- spektakulär und im System verbor- gen, so dass nicht unmittelbar er- kennbar wird, wie viel persönliches Leid auf die Finanzkrise zurückzu- führen ist. Wir müssen auch solche und andere indirekte Faktoren deut- lich machen und beispielsweise im Finanzbereich die Dinge schonungs- los offenlegen.

Ist durch die Finanzkrise nicht viel Idealismus verloren gegangen?

Ganten: Nein, das glaube ich nicht.

Katastrophen und Verbrechen hat es immer gegeben. Nur die Methoden sind heute andere, und das Ausmaß

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Präsident des 2. World Health Summit in Berlin

Internationale Repräsentanten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden unter dem Motto „Translation – Transition – Transformation“ vom 10. bis 13. Oktober über Fragen der globalen Medizin diskutieren. Das Deutsche Ärzteblatt ist Medienpartner.

vernachlässigt“

Prof. Dr. med. Detlev Gan- ten ist seit 2005 Vorsitzen- der des Stiftungsrats Stif- tung Charité. Als Facharzt für Pharmakologie und mo- lekulare Medizin war er Gründungsdirektor des Max- Delbrück-Centrums für Mo- lekulare Medizin in Berlin- Buch. Von 2004 bis 2008 stand er dem Vorstand der Charité – Universitätsmedi- zin Berlin vor. Für seine For- schungen zur hormonalen Regulation der Hypertonie hat er hohe nationale und internationale Auszeichnun- gen erhalten.

Foto: Georg J. Lopata

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Deutsches Ärzteblatt

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8. Oktober 2010 A 1915 ist in der globalen Welt größer

und in der Komplexität weniger leicht erkennbar. Die Welt ist nicht schlechter geworden. Die Zi- vilgesellschaft funktioniert erfreu- lich gut, und eine freie Presse und Berichterstattung hat heute mehr denn je weltweite Wirkung.

Finanzielle Hilfen sind wichtig, aber müssen die verfügbaren Mittel nicht effektiver eingesetzt werden, um eine höhere Wirksamkeit zu erreichen?

Ganten: Ja, auf jeden Fall. Der wirksamere koordinierte Einsatz vorhandenen Geldes hat eine ganz hohe Priorität. Um verbesserte Re- sultate zu erzielen, müssen einer- seits verschiedene Finanzierungs- mechanismen genutzt und diese an jedes landesspezifische System an- gepasst werden. Darüber hinaus ist die gegenseitige Rechenschafts- pflicht ein absolutes „Muss“, also sowohl die Geldgeber als auch die Empfänger müssen zur Verantwor- tung gezogen werden können. Denn auch in der Entwicklungshilfe gilt:

Man muss kritisch bewerten, was man tut. Dafür bedarf es der Qua - litätskontrolle durch „health met - rics“-Systeme – und zwar von Pro- jektbeginn an. Die ist übrigens ein Schwerpunkt auf der Konferenz.

Wie soll Qualitätskontrolle in Entwick- lungsländern funktionieren?

Ganten: Nun, nehmen Sie das Bei- spiel einer Ambulanz in einem Ent- wicklungsland. Am Anfang zählt man vielleicht nur, wie viele Leute dorthin kommen. Und weil pro Tag 1 000 Patienten versorgt werden, hält man das für einen Erfolg. Aber wie viele Menschen davon tatsäch- lich geheilt wurden, muss weiter verfolgt werden – erst über kurze,

dann über längere Zeiträume. Die Evaluation wird immer detaillierter, so dass die Projektverantwortlichen auf solider Basis überlegen können, ob Aufwand und Erfolg in rechtem Maß stehen beziehungsweise wel- che Dinge konkret verändert wer- den müssen, um das Programm zu optimieren. Eine derartige selbst- kritische, wissenschaftliche Bewer- tung ist zwingend.

Es gibt viele Initiativen und Institutio- nen, die das Thema globale Gesundheit adressieren. Konkurrieren diese unter- einander? Oder gibt es ein Alleinstel- lungsmerkmal für den WHS?

Ganten: Vielfalt ist wichtig und hat einen hohen Stellenwert, sonst stirbt die Kreativität. Der World Health Summit, verbunden mit der M-8-Allianz, zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Nationalakade- mien und die akademische For- schung zusammengetan haben, um die Strategien zum Thema „global health“ mit den Methoden der Grundlagenforschung aufzubereiten und Verantwortung zu übernehmen.

Diese Initiative ist von unschätz - barem Wert, weil die Nationalaka- demien und die Universitäten die Aufgabe haben, den Nachwuchs auszubilden und ihn für das The- ma „global health“ zu sensibilisie- ren. Leider ist es in der Vergangen- heit bei uns sträflich vernachlässigt worden, die Themen globale Ge- sundheit und Prävention im Medi- zinstudium ihrer Bedeutung ent- sprechend zu verankern.

Das heißt, dass sich die medizinische Ausbildung in den nächsten Jahren deutlich verändern muss . . .

Ganten: Ja, eindeutig. Die Ausbil- dung für die Mediziner hängt in

diesem Punkt weit hinter den Erfor- dernissen her – und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland. Sie be- zieht weder den evolutionären Aspekt der Medizin ein noch in ausreichendem Maß die Präventi- on mit Aspekten wie Ernährung, Bildung, Gesundheitserhaltung und -erziehung. Bisher fühlen sich die Ärzte für diese Fragen nicht ausrei- chend verantwortlich.

Das klassische Bild, dass Ärzte erst ins Spiel kommen, wenn Krank- heiten bereits entstanden sind, muss sich dahingehend verändern, dass Ärzte die Bevölkerung besser un- terrichten, wie Krankheiten gar nicht erst entstehen. Prävention wird zwar gepredigt, aber nicht wirklich praktiziert.

Haben Sie dafür ein positives Beispiel?

Ganten: Ja, am Campus Berlin- Buch gibt es einen Kurs, bei dem kleinere Kinder über ihren Körper und Gesundheit unterrichtet wer- den. Solche und andere Programme müssen Kindergärten und akademi- sche Einrichtungen anbieten, um nachhaltig Verhaltensveränderun- gen bei den Menschen zu bewirken.

Je früher, desto besser.

Die sich verändernden gesellschaftli- chen Ansprüche spiegeln sich demnach nicht im Medizinstudium wider?

Ganten: Nein, nicht ausreichend, deshalb wurde 1999 mit der Bologna-Deklaration der Entwick- lungsprozess zu einem gemeinsa- men europäischen Hochschulraum eingeleitet, in dem die Studien - gänge auch für die Medizin auf das Bachelor-Master-System um- gestellt und flexibilisiert wurden.

Obwohl einige EU-Länder dies be- reits umgesetzt haben, herrscht hierüber in Deutschland noch kei- ne Einigkeit. Dabei gibt es durch- aus Aufgaben in der Medizin, zum Beispiel die Präventionserzie- hung, die man hervorragend mit einem Bachelorabschluss ausfüh- ren kann. Aber diese Ansicht ist hierzulande bisher nicht konsens- fähig. Australien und USA hinge- gen sind diesbezüglich sehr zu-

kunftsgewandt. ■

Das Gespräch führte Dr. med. Vera Zylka-Menhorn.

Die Ergebnisse des World Health Summit 2009 „The Evolution of Medicine“ hat der Deutsche Ärzte-Verlag als „Book of Proceedings“

herausgegeben. Das Buch ist eine lebendige Zusammenfassung der verschiedenen Schwerpunktthemen und ihrer Diskussion von Wissenschaftsjournalisten. Jedes Kapitel schließt mit Kernaussagen und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen

(ISBN 978-3-7691-1291-7, 115 Seiten, broschiert, 12,50 Euro).

DER WHS 2009 IN BUCHFORM

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