Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 8⏐⏐20. Februar 2009 A329
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esundheit und Wohlbefinden sind sowohl für den Einzel- nen als auch für die gesamte Bevöl- kerung von größter Bedeutung; vor allem aber sind sie ein grundlegen- des Menschenrecht (1). Regierun- gen sowie internationale Institutio- nen müssen die Gesundheitsversor- gung in ihre gesellschaftlichen und politischen Agenden integrieren und dafür sorgen, dass Gesundheit als ein öffentliches Gut angesehen wird, das gerecht verteilt und auf dem höchsten erreichbaren Niveau ver- ankert sein muss (2).Doch der medizinische Fortschritt und die Verwirklichung eines ange- messenen und fairen Zugangs zur Gesundheitsversorgung und zu Prä- ventionsmaßnahmen werden durch ungelöste und neu entstehende Pro- bleme bedroht, zum Beispiel durch:
cden demografischen Wandel hin zu einer alternden Gesell- schaft (3)
cden Klimawandel und seine gesundheitlichen Auswirkun- gen (4)
cneue Epidemien (Übergewicht, psychische Erkrankungen, Verletzungen durch Gewalt) cbestehende Epidemien wie
HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria (5)
csteigende Kosten der Gesund- heitsversorgung und
cdie weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise.
Es ist daher dringend erforder- lich, eine globale Debatte darüber zu initiieren, wie diese Herausfor- derungen am besten gemeistert werden können. Zeitgleich mit ihrem 300-jährigen Jubiläum will die Charité – Universitätsmedizin Berlin in Partnerschaft mit der Uni- versité Paris Descartes diese Lücke füllen und organisiert den hochran- gigen World Health Summit Cha- rité Berlin, der unter dem Titel
„Evolution of Medicine“ vom 15.
bis 18. Oktober 2009 in Berlin statt- finden wird.
Dieses Ereignis bringt Forscher, Ärzte, führende Vertreter von Re- gierungen, internationalen Institu- tionen, der Industrie und von Nicht- regierungsorganisationen zusammen, um die dringendsten Probleme in Angriff zu nehmen, mit denen die Medizin und die Gesundheitssyste- me über die nächsten Jahrzehnte hinaus konfroniert werden.
Der World Health Summit in Ber- lin wird die erste einer Reihe von jährlichen Konferenzen sein, wel- che die Debatte fortführen und den Fortschritt dokumentieren werden.
Das übergeordnete Ziel ist die Ent- wicklung von überzeugenden und zeitnahen Lösungen für eine bessere Gesundheit der Weltbevölkerung.
Deutschland – wie auch andere eu- ropäische Staaten – hat es lange Zeit
versäumt, internationale Gesund- heitsfragen mitzugestalten – ob- wohl es gerade durch berühmte Pio- niere wie Rudolf Virchow, Emil von Behring, Paul Ehrlich, Hermann von Helmholtz und Robert Koch hier in der Vergangenheit eine inter- nationale Führungsrolle hatte.
Basierend auf der Tradition des 19. Jahrhunderts will Europa mit der Einrichtung des World Health Sum- mits als führende internationale Konferenz in der Gesundheitsver- sorgung wieder eine Vorreiterrolle einnehmen. Der Berliner Medizin- gipfel hat eine starke politische Un- terstützung: So steht die Veran- staltung 2009 unter der gemeinsa- men Schirmherrschaft des französi- schen Präsidenten Nicolas Sarkozy und von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Um dem Projekt eine fundierte wissenschaftliche Grundlage zu verleihen, wurde ein internationales Netzwerk von medizinischen Fa- kultäten und Akademien, die „M-8- Allianz“, zusammengerufen. Dazu gehören:
cCharité – Universitätsmedizin Berlin
cUniversité Paris Descartes cKyoto University Graduate
School of Medicine
cPeking Union Medical College and Hospital
cImperial College, London cJohns Hopkins University,
Baltimore
cMonash University, Melbourne cInteracademy Medical Panel
(IAMP), das globale Netzwerk von 65 nationalen Akademien der Wissenschaften und der
Medizin. 1
WOLRD HEALTH SUMMIT CHARITÉ BERLIN 2009
Die Zukunft des Gesundheitswesens gestalten
Nach Vorbild des Davoser Weltwirtschaftsforums findet im Oktober in Berlin erstmals die Konferenz „Evolution of Medicine Summit“ statt, die sich
drängenden Fragen der Medizin und Gesundheitssysteme in einer sich rasant
verändernden Welt widmet.
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Der rasche Fortschritt der medi- zinischen Wissenschaft und Technik eröffnet enorme Möglichkeiten für die Diagnose, Therapie und Präven- tion von Erkrankungen; er hat das Potenzial, die globale Gesundheits- situation zu verbessern und merk- lich zu wirtschaftlicher Stabilität beizutragen.
In der Praxis jedoch sind die Mechanismen zur Umsetzung von Innovationen im Gesundheitswesen kaum in globalen Regierungsstruk- turen verankert. Das riesige Poten- zial des medizinischen Fortschritts ist bei Weitem noch nicht aus- reichend ausgeschöpft. Die Her- ausforderung des 21. Jahrhunderts wird darin liegen, sowohl klare Ziele und Verantwortlichkeiten zu definieren als auch die Investi- tionen für die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien und medizinischer Innovationen zu si- chern.
Das Deutsche Ärzteblatt ist Medienpartner
Stabile „public private partner- ships“ und ein erneuertes politisches Engagement werden die Grundlage für die Innovationskraft und den wissenschaftlichen Fortschritt sein;
sie sind von entscheidender Bedeu- tung, um neue Erkenntnisse zum Wohl der globalen Gesundheit um- zusetzen. Es ist an der Zeit, in die- sem Prozess eine Führungsrolle zu übernehmen: Der Berliner World Health Summit ist bereit, diesen Schritt tun.
Das Deutsche Ärzteblatt und The Lancet sind die Medienpartner des Gipfeltreffens. Dieser Artikel er- scheint zeitgleich in beiden Journa-
len (6). n
Dr. med. Mazda Adli, Charité Dr. med. Sabine Kleinert, The Lancet Prof. Dr. med. Karl M. Einhäupl, Charité Prof. Dr. Axel Kahn, Université Paris Descartes Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Charité
Korrespondenzadresse:
Dr. med. Mazda Adli
Charité – Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1
10117 Berlin
E-Mail: mazda.adli@charite.de
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ebärmutterhalskrebs ist in Deutschland heute eine ver- gleichsweise seltene Erkrankung.Von jeweils 1 000 im Jahr 2005 ver- storbenen Frauen starben circa 40 an Brustkrebs, 26 an Lungenkrebs und vier an Gebärmutterhalskrebs (1).
Obwohl die Inzidenz in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen hat, ist Gebärmutterhalskrebs wei- terhin ein ernst zu nehmendes Ge- sundheitsproblem. Die Krankheit ist eng mit Infektionen durch humane Papillomviren (HPV) assozi- iert. Mindestens 13 HPV- Typen gelten als soge- nannte Hochrisikoty- pen, die zelluläre Ver- änderungen am Ge- bärmutterhals bis hin zum Gebärmutterhals- krebs induzieren kön- nen (2).
Zwei Impfstoffe (Garda- sil®und Cervarix®) richten sich gegen die beiden onkogenen HPV- Typen HPV 16 und 18, die mit den meisten Krebsfällen assoziiert wer- den. „Das ist eine gute Nachricht“, so Charlotte Haug in einem Editorial des
„New England Journal of Medicine“
(NEJM) vom August 2008. „Die schlechte Nachricht ist, dass wir die Wirksamkeit der Impfung auf Ge- bärmutterhalskrebs nicht kennen.“
(3) Die Zeitschrift hatte im Mai 2007 die beiden wichtigsten Zulassungs- studien zum Impfstoff Gardasil – FUTURE I und II (Females United to Unilaterally Reduce Endo/Ecto- cervical Disease) – veröffentlicht.
Bereits damals stufte ein begleiten- des Editorial die Wirksamkeit ledig- lich als „modest“ (mäßig) ein und
wies auf fehlende Daten hin (4). Die nationale schwedische Agentur zur Bewertung von Gesundheitstechno- logien stellte die Aussagekraft der meisten internationalen Kosten-Ef- fektivitäts-Studien infrage, da diese regelmäßig eine zu optimistische Wirksamkeit der HPV-Impfung von etwa 70 Prozent angenommen hät- ten, ohne diesen Wert in Sensiti- vitätsanalysen zu variieren (5).
Wirksamkeit: zentrale Frage, unklare Antworten
Im Zentrum der Nutzen-Schaden- Abwägung steht die Frage der wis- senschaftlich belegten Wirksamkeit.
Daten aus publizierten Studien sind einerseits entscheidend hinsichtlich der Einführung einer Impfung im Rahmen des Gesundheitssystems, andererseits unterstützen sie die ärzt- liche Beratung und die informierte Entscheidung für oder gegen die Impfung auf individueller Ebene.
Ist die Grundlage für eine infor- mierte Entscheidung bei der HPV- Impfung gegeben? In Deutschland ist für die Bewertung des Nutzen- Schaden-Verhältnisses und dessen Kommunikation die Ständige Impf- kommission am Robert-Koch-Insti- tut (STIKO) zuständig, an deren Zahlen sich Ärztinnen und Ärzte, potenziell zu impfende Mädchen sowie deren Eltern orientieren.
Die STIKO hat im März 2007 die Impfung für Mädchen im Alter von zwölf bis 17 Jahren empfohlen. Sie begründete ihre Entscheidung mit der „Verminderung der Krankheits- last durch Gebärmutterhalskrebs“.
Bei der Frage der Wirksamkeit nahm die STIKO eine „lebenslange
GEBÄRMUTTERHALSKREBS
Wie wirksam ist die HPV-Impfung?
Im November 2008 forderten 13 Wissenschaftler eine Neubewertung der HPV-Impfung wegen eines unzureichenden Wirksamkeitsnachweises. Das Deut- sche Ärzteblatt dokumentiert diese Kritik ebenso wie die Position der Zulassungsbehörde im folgenden Heft.
Foto:GlaxoSmithKline
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0809
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T H E M E N D E R Z E I T
LITERATUR
1. Backman G, Hunt P, Khosla R et al.: Health systems and the right to health: an assess- ment of 194 countries. Lancet 2008; 372:
2047–85.
2. Feachem R, Medlin C. Global public goods:
health is wealth. Nature 2002; 417: 695.
3. Binstock R. Our aging societies: ethical, moral, and policy changes. J Alzheimers Dis 2007; 12: 3–9.
4. St Louis M, Hess J: Climate change: im- pacts on and implications for global health.
Am J Prev Med 2008; 35: 527–38.
5. Beaglehole R, Bonita R: Global public health:
a scorecard. Lancet 2008; 372: 1988–96.
6. Adli M, Kleinert S, Lafont A et al.: Shaping future health: Berlin Evolution of Medicine Summit. Lancet 2009; 373: 519–20.