Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 25⏐⏐22. Juni 2007 A1855
T E C H N I K
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eim Fernsehen klingelt plötzlich das Telefon – für die meisten Menschen eine alltäg- liche Situation, doch für Schwer- hörige kann die Informationsverar- beitung dieser gleichzeitig auftre- tenden Reize schon ein Problem bedeuten. Ob Computer, Handy oder Hi-Fi-Systeme, die technischen Er- rungenschaften der Kommunikati- onsgesellschaft bieten für das sozia- le Miteinander viele Vorteile. Wie kann Schwerhörigen die Nutzungvon Heimelektronik im Alltag er- leichtert werden, damit auch sie da- von stärker als bisher profitieren?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Anfang Dezember 2006 gestartete europäische Forschungsvorhaben
„Hearing at Home“. An dem inter- disziplinären Projekt beteiligen sich neben dem Kompetenzzentrum für Hörgeräte-Systemtechnik HörTech, Oldenburg, und dem ebenfalls in Oldenburg ansässigen Offis-Institut für Informatik drei weitere For- schungsunternehmen aus Schwe- den, Spanien und den Niederlanden sowie das Softwareunternehmen ProSyst, Köln.
Gerade für schwer hörende Men- schen können Entwicklungen der Informations- und Telekommunika- tionstechnologie eine wichtige Un- terstützung sein, um mittels dieser Technik Informationsdefizite im häuslichen Alltag und damit das ei- gene Handicap auszugleichen.
Doch vor allem viele ältere Men- schen mit Hör-Handicap scheuen davor zurück, diese Hilfsmittel zu benutzen. Ziel des Projekts ist es da- her, eine einfach handhabbare Lö-
sung zu finden, die Schwerhörigen den Zugriff auf technische Hilfsmit- tel erleichtert und ihnen zu mehr Le- bensqualität verhilft.
„Eine zentrale Rolle spielt bei un- serem Lösungsansatz der Fernseher“, erläutert Dr. Jens E. Appell, Offis.
„Denn die Fernbedienung wird täg- lich häufig in die Hand genommen, und der Umgang damit ist jedem ver- traut.“ Das TV-Gerät (im Zuge der Konvergenz von Computer und Fern- sehgerät auch der PC als Multime- diazentrale) soll daher als eine Art zentrale Schaltstelle fungieren, über die alle anderen Komponenten der Heimelektronik, wie Computer, Tele-
fon, Fax, Wechselsprechanlage und Hi-Fi-System, aber auch Geräte wie Mikrowelle und Waschmaschine, miteinander vernetzt werden.
Die über eine Set-Top-Box ver- netzte IT-Heimelektronik soll sich der individuellen Hörschädigung ei- nes Betroffenen anpassen und ihm helfen, Sprache und andere Signale besser zu verarbeiten. So sollen Au- diosignale mithilfe von Signalklas- sifikationen und Lärmreduzierung optimiert und die Sprachverständ- lichkeit erhöht werden. „Eine tech- nische Herausforderung besteht dar- in, die Algorithmen der einzelnen Geräte an die akustischen Signalver- arbeitungsstrategien für Schwer- hörige so anzugleichen, dass sie hel- fen, den jeweiligen individuellen Hörverlust auszugleichen“, erläutert Appell. Auch für die Signalpriorisie- rung, wenn beispielsweise mehrere Signale gleichzeitig verarbeitet wer- den müssen, und für die Signalum- setzung, beispielsweise in Form von Schrift oder Sprache im Fernsehen, müssen Lösungen gefunden werden.
So entwickelt der schwedische For- schungspartner KTH eine Software, die Sprachsignale in ein synthetisch auf dem Bildschirm erzeugtes Mie- nenspiel umsetzt und so das Lippen- lesen am Bildschirm erleichtert.
Zusätzlich zur technischen Um- setzung soll im Projekt darüber hin- aus auch die Technikaffinität der Nutzer getestet werden. So wird das Kompetenzzentrum HörTech unter anderem anhand von Fragebögen untersuchen, wie die Lösung vor al- lem auch von den älteren Nutzern akzeptiert wird.
Sowohl das Kompetenzzentrum HörTech, das Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Hörsystem-Tech- nik betreibt (www.hoertech.de), als auch das Institut Offis, das unter an- derem medizintechnische Software entwickelt (www.offis.de), sind Mit- glieder der German Medical Techno- logy Alliance, eines bundesweiten Netzwerkes von Kompetenzzentren für Medizintechnik. Das von Offis koordinierte Projekt hat eine Lauf- zeit von zweieinhalb Jahren und ein Projektvolumen von rund zwei Mil- lionen Euro (Informationen unter www.hearing-at-home.eu). I Heike E. Krüger-Brand
PROJEKT „HEARING AT HOME“
Technik-Hilfe für den Alltag Schwerhöriger
Ein europäisches Forschungsprojekt arbeitet an Lösungen,
die hörgeschädigten Menschen die Teilnahme an der Informations- und Kommunikationsgesellschaft erleichtern sollen.
Das Fernsehgerät wird in dem Szenario zur zentralen Schnittstelle für die Heimelektronik.
Foto:Earmedia