Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 5⏐⏐2. Februar 2007 A217
S E I T E E I N S
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enn nach Monaten einer anstrengenden, kontro- versen und nicht selten verwirrenden Gesetzes- diskussion eine Entscheidung fällt, müsste dies allein schon deshalb Erleichterung auslösen, weil endlich Klarheit herrscht. Wenn der Bundestag in dieser Woche mit der Mehrheit der Großen Koalition das sogenannte GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz beschließt, dürfte sich dieses Gefühl weder bei den Ärztinnen und Ärzten noch bei ihren Patientinnen und Patienten einstellen.Denn schon jetzt ist klar, dass die Diskussion – auch über das abschließende Votum des Bundesrats hinaus – weitergehen wird, angesichts der Qualität des Beschlos- senen auch weitergehen muss.
Zur Erinnerung: Vor der Bundestagswahl wurde die große Reform angekündigt, weil die allgemeine Ein- sicht bestand, dass eine Neuordnung der Finanzgrund- lagen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) unumgänglich geworden sei. Herausgekommen ist ein unausgegorenes, misslungenes Gesetz, das kein Problem löst, aber zahlreiche neue schafft. In dieser Bewertung stimmen – von denjenigen abgesehen, die sich qua Re- gierungs- oder Fraktionsamt zum Euphemismus ver- pflichtet fühlen – alle überein: Heilberufe, Kranken- kassenmanager und Wissenschaftler.
Nicht einmal kleine Schritte in die richtige Richtung lassen sich ausmachen. Die Politiker der großen Parteien haben in zentralen Fragen in entgegengesetzte Richtun- gen gezogen. Von einem gemeinsamen schlüssigen Konzept für das Gesundheitswesen sind sie weit ent- fernt. Das drängende Problem, eine nachhaltige Finan- zierung sicherzustellen, bleibt ungelöst. Gegen eine Pflicht zur Versicherung, wie sie die SPD nun als Erfolg feiert, wird niemand etwas einwenden. Sie erfordert aber keine Einheitsversicherung, auf die Deutschland nun zu- steuert: Die private Krankenversicherung (PKV) werde teilweise „GKVisiert“, beklagt nicht nur Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundes- ärztekammer. Der neue PKV-Basistarif mit Kontrahie- rungszwang für den Versicherer, Quersubventionierung aus den Beitragseinnahmen der Vollversicherungstarife und Behandlungspflicht für den Arzt ist verfassungs- rechtlich fragwürdig, sodass Karlsruhe das letzte Wort sprechen muss. Als unmittelbare Folge werden Ärzte und Krankenhäuser empfindliche Honorarverluste bei Privatpatienten zu spüren bekommen. Ist dem Gesetz- geber nicht bewusst, dass sich Elemente aus einem Um- lagesystem wie der GKV und einer kapitalgedeckten Versicherung mit risikoäquivalenten Beiträgen nicht wie
in einem Baukasten kombinieren lassen? Dass die PKV die Reformoperation nicht überleben könnte, wird jene SPD-Politiker nicht schrecken, die das Ziel einer Ein- heitsversicherung fest im Blick haben. Als weitere Etap- pensiege dürfen sie feiern: die Schaffung eines einheitli- chen Spitzenverbandes Bund für die Krankenkassen, die Einführung des Gesundheitsfonds und den einheitlichen GKV-Beitragssatz, den die Bundesregierung per Rechts- verordnung festlegen soll. Die Grundrichtung geht zu Zentralisierung, zu mehr staatlichem Einfluss zulasten der Selbstverwaltung – und diese Richtung ist falsch.
Schon deshalb muss die Diskussion weitergehen. Da wichtige Elemente wie PKV-Basistarif, Gesundheits- fonds und Umstellung der Beitragserhebung erst 2009 kommen sollen, hat der Gesetzgeber noch mehr als ein Jahr Zeit, um Korrekturen vorzunehmen.
In letzter Minute geändert wurden, auch unter dem Eindruck der massiven ärztlichen Proteste, die Bestim- mungen zur Reform der ambulanten Vergütung. Zwar wurde die Budgetierung nicht beseitigt, aber der Budget- deckel hat doch einige Löcher bekommen. Auf die Fest- legung, die Einführung der neuen Gebührenordnung in Euro und Cent müsse kostenneutral erfolgen, hat der Gesetzgeber verzichtet, wie Dr. med. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, hervorhebt. Damit kann das ärztliche Ho- norar erstmals seit Beginn der 90er-Jahre stärker steigen als die Grundlohnsumme. Noch sind dies nur hoff- nungsvolle Ansätze, noch ist die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens damit nicht beseitigt. Zur Verab- schiedung der Gesundheitsreform gilt vorerst der von Bertolt Brecht entlehnte Satz von Marcel Reich- Ranicki: „Und so sehen wir betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
GESUNDHEITSREFORM
Misslungen
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur