A814 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 12⏐⏐23. März 2007
W I R T S C H A F T
D
as Bundesverfassungsgericht fordert vom Gesetzgeber ei- ne Neuregelung der Vermögensbe- steuerung bis spätestens Ende 2008.Kernstück des Urteils ist die Bemes- sungsgrundlage einer Immobilie zum Zeitwert und nicht mehr – wie bisher – zu einem Wert, der im Schnitt etwa 40 Prozent darunter- liegt. Für die Politik scheint dies ei- ne Gelegenheit zu sein, darüber hin- aus an der Steuerschraube zu dre- hen. Noch aber gilt der heutige Rechtszustand, den man gut über- legt nutzen sollte. Vor allem gilt es, ins Auge gefasste Schenkungen rasch umzusetzen, besonders wenn Immobilienvermögen im Spiel ist.
Da die Höhe von Erbschaft- und Schenkungsteuer (ErbSt) nicht nur mit verwandtschaftlichem Abstand des Begünstigten vom Schenker/
Erblasser, sondern auch mit wach- senden Vermögenswerten steigt, empfiehlt sich zur Steuerersparnis ei- ne vorweggenommene Erbfolge – vorausgesetzt, man akzeptiert den da- durch ausgelösten Vermögensüber- gang auf den Beschenkten, der nicht nur auf dem Papier steht. Es werden nämlich zur endgültigen Ermittlung der Höhe von Erbschaft- und Schen- kungsteuer alle Netto-Erwerbe eines Dritten von einem Schenker/Erblas- ser innerhalb von zehn Jahren zu- sammengezählt, und daraus wird die (End-)Steuerschuld ermittelt. Steuer- schuldner ist der Erwerber, bei Schen- kungen auch der Schenker.
Das ErbStG sieht eine Reihe sachbezogener Steuerbefreiungen, persönliche Freibeträge sowie be- sondere Versorgungsfreibeträge vor.
Steuerfrei bleibt derzeit der Erwerb 1. des Ehegatten in Höhe von 307 000 Euro;
2. der Kinder und der Kinder be- reits verstorbener Kinder in Höhe von 205 000 Euro;
3. der übrigen Personen der Steu- erklasse I in Höhe von 51 200 Euro;
4. der Personen der Steuerklasse II in Höhe von 10 300 Euro;
5. der Personen der Steuerklasse III in Höhe von 5 200 Euro.
Neben dem persönlichen Freibe- trag wird ein besonderer Versor- gungsfreibetrag gewährt:
> dem überlebenden Ehegatten 256 000 Euro abzüglich Kapital-
lässigt. Die gesamte Belastung durch Erbschaftsteuer für den Erbfall von Ehemann (113 243 Euro) und des- sen Witwe (52 444 Euro) beträgt hier 165 687 Euro. Beanspruchen die Kinder hingegen anlässlich des ersten Erbfalls ihren Pflichtteilsan- spruch (= zweimal 125 000 Euro), ergibt sich unter Berücksichtigung des steuerfreien Erwerbs durch die Kinder eine Gesamtbelastung der Nachlässe durch Erbschaftsteuer von 51 902 Euro plus 31 690 Euro = 83 592 Euro. In einer intakten Fami- lie wird die Witwe vor diesem Hin- tergrund das Geltendmachen des Pflichtteilsanspruchs durch die Kin- der akzeptieren.
Legt man die obigen Verhältnisse zugrunde, könnte der Testamentar seine beiden Kinder als Erben mit der Maßgabe einsetzen, dass diese der Witwe eine lebenslange Rente zu zahlen haben. Dieser Weg sichert teilweise oder voll den Lebensun- terhalt der Witwe namentlich bei be- fürchtetem Familienstreit nach dem Ableben. Das Risiko der Witwe da- bei: Ein rentenzahlungspflichtiges Kind könnte in Vermögensverfall geraten (Spielsucht, Insolvenz), so- dass die Rentenzahlungen gefährdet würden. Um derlei Gefährdungen zu minimieren, könnte man an eine Auflage denken: die Renten durch ein dingliches Recht an möglichst erster Rangstelle im Grundbuch ab- zusichern, sofern ein zu vererbender Grundbesitz dies ermöglicht.
Beispiel: Der Testamentar be- stimmt beide Kinder zu seinen Er- ben und belastet diese zugunsten seiner Witwe mit einer Jahresrente von je 20 000 Euro (Alter der Witwe im Todesfall: 65 Jahre). Nachlass je Kind 500 000 Euro minus Kapital- wert der Rente (10,601 mal 20 000 Euro) 212 020 Euro, bleiben 287 980 Euro, minus persönlicher Freibetrag 205 000 Euro. Der ErbSt unterlie- gen 82 980 Euro, die ErbSt daraus nach Steuerklasse I jeweils elf Pro- zent 9 128 Euro.
Es empfiehlt sich, die Renten- höhe situationsbezogen festzulegen, wobei auch einkommensteuerrecht- liche Aspekte zu bedenken sind. Da sich der Ablebenszeitpunkt nicht voraussagen lässt, sollte man das Testament zumindest im Zweijah- wert etwaiger Versorgungsbezüge,
die diesem anlässlich des Todes des Erblassers zukommen,
> Kindern/Stiefkindern bis zum 27. Lebensjahr altersabhängig zwi- schen 10 300 Euro und 52 000 Euro, ebenfalls abzüglich Kapitalwert et- waiger Versorgungsbezüge.
Das „Berliner Testament“
Das gut gemeinte „Berliner Testa- ment“ (Ehegatten setzen sich ge- genseitig als Alleinerben ein, sodass deren Kinder erst nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten den Gesamtnachlass erben) erweist sich steuerlich als fatal.
Beispiel: Anfangs-Nettovermö- gen des verstorbenen verheirateten Steuerpflichtigen (gesetzlicher Gü- terstand, zwei Kinder) eine Million Euro. Die Witwe, 65, erwirbt von Todes wegen eine lebenslange Ren- te von jährlich 15 000 Euro (= Kapi- talwert 159 015 Euro). Die sachli- chen Freibeträge für Hausrat und sonstige Gegenstände sowie Grenz- fallentlastungen seien hier vernach- ERBSCHAFTSTEUER
Die Uhr tickt
Noch gilt das alte Erbschaftsteuerrecht – ein Zustand, den man nutzen sollte.
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 12⏐⏐23. März 2007 A815
W I R T S C H A F T
resabstand aktualisieren: mit Blick auf das aktuelle Vermögen sowie die Höhe der Rente, deren Kapitalwert mit zunehmendem Alter der Ren- tenberechtigten ja sinkt.
Auch das Mittel der Erbausschla- gung kann sich fallweise als steuer- sparend erweisen. Dies ist aller- dings binnen sechs Wochen zu er- klären und lässt sich nicht mehr rückgängig machen; auf die Einbe- ziehung der Enkel in Steuerklasse I sei in diesem Zusammenhang be- sonders aufmerksam gemacht.
Gestaltungsmöglichkeiten bei Schenkungen
Zwei Anregungen vorab:
> Pflegekinder fallen unter die ungünstige Steuerklasse III. Sollen sie mit Schenkungen oder Nachläs- sen bedacht werden, stellt sich die Frage, ob man sie nicht vorher adop- tieren sollte, was einerseits zur ErbSt-Berechnung nach Steuerklas- se I führt, den Adoptierten aber auch zum pflichtteilsberechtigten Miter- ben befördert.
>Verschafft ein Ehegatte seinem Ehepartner Eigentum oder Mitei- gentum am eigengenutzten Famili- enwohneigentum durch Schenkung, bleibt diese Zuwendung nach der- zeitigem Recht ErbSt-frei; wobei die Schenkung sogar mit dem Vor- behalt einer Rückforderung (etwa bei Vorabtod des Beschenkten oder bei Scheidung) verknüpft werden kann. Wird nun ein beiden Ehepart- nern gehörendes Haus an ein Kind verschenkt, liegen Schenkungsvor- gänge von zwei Schenkern vor, wo- durch der Beschenkte nicht nur zweimal seinen persönlichen Frei- betrag nutzen kann, sondern die Schenkungen oft auch mit niedrige- ren ErbSt-Sätzen belastet sieht. Al- lerdings scheitert dieser Versuch aus steuerlicher Sicht, wenn der erste Schenkvorgang (an den Ehepartner) erkennbar ausschließlich auf die spätere ErbSt-Ersparnis zielt – die zeitliche Nähe beider Schenkungs- vorgänge könnte diese „Ketten- schenkung“ als solche enttarnen.
Jeder Schenkung haben nicht nur steuerliche Überlegungen vorauszu- gehen; der Schenker muss sich über seine persönlichen wie familiären Ziele im Klaren sein. Er gibt einen
Vermögenswert aus der Hand, den er hinterher ohne bereits vorweg fest- gelegte Rechtsgrundlage nicht wie- der zurückverlangen kann.
Schenkungen und Erbschaften eines Schenkers/Erblassers an den Begünstigten binnen eines Zeit- raums von zehn Jahren werden zur Ermittlung der ErbSt-Schuld zu- sammengezählt. Folglich empfiehlt sich die Etappenschenkung im Zehnjahresturnus, um nicht nur Freibeträge wiederholt zu nutzen, sondern darüber hinaus durch Ver- kleinerung der zu versteuernden Einzelzuwendungsvorgänge gerin- gere ErbSt-Sätze zu erreichen.
Beispiel: Der verwitwete Vater will sein Vermögen von 900 000 Euro seinem alleinigen Sohn zu- kommen lassen. Der Entschluss reift am 1. November 2004; er stirbt am 15. Dezember 2024. Es wird un- verändertes ErbSt-Recht unterstellt.
a) Der Sohn erbt am 15. De- zember 2024 das Nettovermögen (= 132 050 Euro ErbSt).
b) Der Vater schenkt dem Sohn am 1. November 2004 250 000 Eu- ro, am 11. November 2014 weitere 250 000 Euro; das Restvermögen fällt mit Erbfall an (= 60 833 Euro Gesamt-ErbSt).
c) Der Vater schenkt dem Sohn am 1. November 2004 300 000 Eu- ro, am 11. November 2014 weitere 300 000 Euro; das Restvermögen fällt mit Erbfall an (= 29 051 Euro Gesamt-ErbSt).
Gerade mit wachsendem Vermö- gen lohnt es sich, unter Beachtung der Zehnjahresfristen, Schenkungen vorzunehmen. Dabei ist festzule- gen, ob die Schenkung als vorweg- genommenes Erbe zu qualifizieren ist oder nicht.
Will der Schenker auf die Erträg- nisse des zu verschenkenden Vermö- genswerts nicht verzichten, kann er den Vermögensgegenstand gegen Vorbehalts-Nießbrauch verschen- ken. Neuer Eigentümer wird der Be- schenkte, und der Schenker kann weiterhin alle Nutzungen (Nieß- brauch) aus dem Vermögensgegen- stand ziehen (das schließt auch kos- tenfreies Wohnrecht ein). Schen- kungsteuerrechtlich wird dabei der Kapitalwert des Nießbrauchs von der Schenkung abgezogen und die auf
den abgezogenen Kapitalwert entfal- lende ErbSt gestundet. Allerdings hat der Bundesgerichtshof 1994 die Möglichkeit gestoppt, auf dem Weg über den Vorbehalts-Nießbrauch als
„Nebenprodukt“ einen ungeliebten Pflichtteilsberechtigten zu enterben:
Denn auch nach der Zehnjahresfrist ist dessen Pflichtteilsergänzungsan- spruch bei einer Schenkung mit Vor- behalts-Nießbrauch noch nicht un- tergegangen.
Bei Immobilien liegt die steuerli- che Bemessungsgrundlage derzeit immer noch unter dem mutmaßli- chen Verkehrswert einer Immobilie.
Dagegen darf ein Erbe Grundstücks- belastungen in voller Höhe zur Er- mittlung des Nettovermögens anset- zen; bei Schenkungen aber ist eine Grundstücksbelastung nach dem Verhältnis Verkehrswert zu Immobi- lien-Steuerwert geltend zu machen.
Sonderfall: Immobilien Bei Geldschenkungen zum Immo- bilienerwerb sind zwei Fallgestal- tungen zu unterscheiden:
>Der Schenker schreibt kein be- stimmtes Objekt zum Erwerb vor.
Bemessungsgrundlage für die ErbSt ist die Höhe des Geldbetrags.
> Der Schenker definiert exakt die Immobilie, die der Schenker zu erwerben hat, und der Beschenkte realisiert das Vorhaben zeitnah (dafür wären laut BFH allerdings zwei Jahre schon zu lange). ErbSt- Bemessungsgrundlage: Steuerwert der dafür erworbenen Immobilie be- ziehungsweise Anteil der Schen- kung an der Relation Verkehrswert zu Immobilien-Steuerwert.
Fazit: Zu erwartende Gesetzesän- derungen, die auf eine steuerliche Mehrbelastung von Schenkungen und Erbschaften zielen, sollten für den Arzt schon heute Anlass zum Handeln sein: um nicht durch späte- re Hektik das Risiko einer unzurei- chend durchdachten Entscheidung einzugehen. Ein Fachanwalt für Erb- recht sowie ein einschlägig qualifi- zierter Steuerberater helfen bei der Entscheidungsfindung und der Um- setzung gefasster Beschlüsse.
Übrigens: Durch die Errichtung eines ja jederzeit änderbaren Testa- ments ist noch niemand gestorben.I Michael Bandering