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Archiv "Hue vor zehn Jahren und heute" (22.06.1978)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 25 vom 22. Juni 1978

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Huö vor zehn Jahren und heute

In memoriam Prof. Dr. H. G. Krainick, Elisabetha Krainick, Dr. R. Discher, Dr. A. Alteköster

Wilfried Seipp

Im April 1968 wurde die deutsche Bevölkerung und besonders die deutsche Ärzteschaft durch die Nachricht aufgeschreckt, daß in Vietnam drei deutsche Ärzte und ei- ne Arztfrau auf grauenhafte Weise ums Leben gekommen waren.

Im Jahre 1961 war mit deutscher Hil- fe an der Universität Huö die Grün- dung einer medizinischen Fakultät zustande gekommen. Huö ist eine mittelgroße, reizvolle Stadt in Zen- tralvietnam. Für die kulturelle Ent- wicklung des Landes hat sie stets eine überragende Rolle gespielt.

Seit Anfang des vorigen Jahrhun- derts bis zum Ende der Monarchie war Huö die Residenz der vietname- sischen Kaiser. Von Huö erhielt der zentralvietnamesische Reform- Buddhismus seine wichtigsten Im- pulse. Viele Wissenschaftler, Maler, Schriftsteller und Lyriker stammen aus Huö. Vor diesem Hintergrund war es eine sinnvolle entwicklungs- politische Entscheidung, der bereits bestehenden Universität beim Auf- bau einer medizinischen Fakultät behilflich zu sein.

Dies geschah durch Entsendung ge- eigneter Gastprofessoren, durch medizinisch-technische Ausrüstung mit Mikroskopen, Laboreinrichtun- gen und dgl., durch Lieferung von Lehrmaterial, Büchern und Zeit- schriften, nicht zuletzt durch die Ausbildung vietnamesischer Ärzte an deutschen Universitäten. Auch andere Länder, zum Beispiel Kanada

und Frankreich, haben beim Aufbau der Fakultät mitgewirkt; die ent- scheidende Initiative ist jedoch von der Bundesrepublik ausgegangen.

Projektleiter war von Anfang an Prof. Horst Günther Krainick, ein Pädiater, der vorher an der Universi- tät Freiburg i.Br. gewirkt hatte. Ne- ben ihm waren etliche andere deut- sche Ärzte verschiedener Fachrich- tungen nacheinander mit unter- schiedlich langer Vertragsdauer an der Fakultät tätig. Auch der Schrei- ber dieser Zeilen gehörte 1966/67 als Dermatologe für ein Jahr zum Ärzte-Team in Huö.

Prof. Krainick leitete die Kinderklinik des Provinzhospitals und war zu- ständig für die Ausbildung der Stu- denten in der Kinderheilkunde. Als Projektleiter hatte er die ganze Last der Verhandlungen mit den vietna- mesischen Behörden und die Korre- spondenz mit den zuständigen Stel- len in der Bundesrepublik zu tragen.

Sein Name wird mit der medizini- schen Fakultät in Huö untrennbar verbunden bleiben. Freiwillig be- treute er noch zusätzlich die Kran- ken eines kleinen Dorfkrankenhau- ses, das aus Spenden von Misereor erstellt worden war. Seine Frau, die bis in den Tod stets an seiner Seite war, half ihm dabei.

Dr. Raimund Discher gehörte seit September 1962 als Internist zu den deutschen Gastprofessoren. Seine idealistische Grundhaltung, sein un- Vor zehn Jahren, im April

1968, wurden nach der Wie- dereroberung von Huö durch amerikanische und südvietna- mesische Truppen drei deut- sche Ärzte und die Ehefrau des einen erschossen aufge- funden. Ein Arzt, der an dem gleichen Entwicklungshilfe- projekt — der Einrichtung ei- ner medizinischen Fakultät — tätig gewesen war, hat zehn Jahre später Huö besuchen können.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Hue

nach zehn Jahren

ermüdlicher Einsatz für seine Pa- tienten und seine Studenten, seine fachliche Kompetenz als Arzt, seine Sprachbegabung und seine Eig- nung zum akademischen Lehrer machten ihn zu einer besonders wichtigen Stütze des Projektes. Sei- ne Frau, eine ausgebildete MTA, stand ihm als Leiterin des zu seiner Klinik gehörenden Labors zur Seite.

Sie reiste Ende 1967 mit vier Kindern nach Deutschland zurück und ent- ging dadurch dem Schicksal ihres Mannes.

Dr. Aloys Alteköster war im Novem- ber 1966 zur dortigen Ärztegruppe gestoßen. Er war gleichfalls Inter- nist, nahm am Vorlesungsbetrieb teil und wurde mit der Betreuung der Infektionskranken beauftragt, eine Aufgabe, der er sich mit großem En- thusiasmus widmete. Wegen seiner

rheinischen Frohnatur, seines uner- schütterlichen Optimismus, seines Unternehmungsgeistes und seiner Hilfsbereitschaft war er in Huö bei allen, die mit ihm zu tun hatten, sehr beliebt.

Ab etwa 1966 geriet das Projekt in zunehmende Schwierigkeiten. Die gewaltige Eskalation des amerikani- schen Kriegseinsatzes hatte im Land Verhältnisse entstehen lassen, die das organische Wachsen eines lang- fristig angelegten Entwicklungspro- jektes unmöglich machten. Die übermächtige amerikanische Prä- senz erweckte in der Bevölkerung düstere Erinnerungen an die Zeit des französischen Kolonialismus;

immer mehr Angehörige der vietna- mesischen Intelligenzschicht rea- gierten zunehmend xenophob und begannen ausländische Projekte, soweit sie mit Weisungsbefugnis und Einfluß verbunden waren, zu obstruieren und zu sabotieren. Die deutschen Ärzte, die mit der Bevöl- kerung und den Studenten niemals Schwierigkeiten hatten, fanden ihre Hauptwidersacher unter den vietna- mesischen Kollegen.

Wir hatten Ende 1967 noch die Ge- nugtuung, das erste Staatsexamen an der medizinischen Fakultät in Huö zu erleben. Etwa 25 Kandidaten bestanden die etwa einwöchige Prü- fungsprozedur. Die aus Saigon zur Oberaufsicht angereisten Professo- ren zeigten sich von den Leistungen beeindruckt. Auch die ersten medi- zinischen Doktorarbeiten konnten sich neben vergleichbaren Disser- tationen an europäischen Universi- täten sehen lassen.

Ausgehend von der Einsicht, daß man in Ländern, in denen Krieg herrscht, keine geordnete Entwick- lungshilfe leisten kann, hatte die Bundesregierung — zuständig war das Bundesministerium für wirt- schaftliche Zusammenarbeit unter der damaligen Leitung von H. J. Wi- schnewski — das Projekt in Huö zum Ende des Jahres 1967 schließen wol- len. Nach manchem Hin und Her — das deutsche Team hatte selbst für den Fortbestand seines Projektes gekämpft — wurde die Abberufung der Restgruppe (Prof. Krainick, Dr.

Discher, Dr. Alteköster) noch einmal hinausgeschoben. Dieser Aufschub wurde den Kollegen und Frau Krai- nick zum Verhängnis.

Entgegen der optimistischen Lage- beurteilung des amerikanischen Oberbefehlshabers Westmoreland („dem Gegner ist der Dampf ausge- gangen") holten die Truppen der Nationalen Befreiungsfront zu Be- ginn des chinesischen Neujahrsfe- stes 1968 zu einem großen Schlag aus. Im Zuge der „Tet-Offensive"

wurde Huö 25 Tage lang besetzt und fiel erst unter massivem Einsatz von Schiffsgeschützen und Bomben wieder in die Hand der Amerikaner und der Thieu-Truppen. In dieser Phase gerieten mehrere Ausländer, darunter auch die deutsche Ärzte- gruppe, in Gefangenschaft. Alle an- deren überlebten und äußerten sich nach ihrer Freilassung positiv über die Behandlung. Der deutsche Mu- sikprofessor Söllner berichtete nicht ohne Staunen über die Korrektheit des „Vietcong". Die farbige ameri- kanische Studentin Sandra Johnson schrieb sogar mit Wärme und Sym- pathie über ihre Gefangenschaft bei der Befreiungsfront. Kenner der dor- tigen Szene, wie zum Beispiel Frau Discher, bangten in keinem Augen- blick ernsthaft um das Leben der vermißten Deutschen. Um so größer war der Schock über die Meldung, daß man sie in einem Gartengelände unweit Huö, vergraben in einem Erd- loch, aufgefunden hätte. Sie waren durch Genickschuß ermordet wor- den.

Von links nach rechts: Horst Günther Krainick, Raimund Discher, Aloys Alteköster, Elisabetha Krainick Fotos: Privat (3), Stober (1)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Huö nach zehn Jahren

Nach Lage der Dinge mußten beson- dere Umstände zu der gräßlichen Bluttat geführt haben. Die deut- schen offiziellen Stellen, auch unse- re Botschaft in Saigon, begnügten sich mit der Erklärung von amerika- nischer Seite, die Gruppe sei der Mordlust des Feindes zum Opfer ge- fallen. Ich selbst bin 1969 und 1971 noch zweimal in Huö gewesen und habe durch eigene Recherchen ver- sucht, Einzelheiten über das Schick- sal unserer Freunde ans Tageslicht zu bringen. Ich stieß aber nur auf Gerüchte. Immerhin würden diese, wenn sie zutreffen, eine Erklärung darüber abgeben, wie es zu der Blut- tat kommen konnte. Da es sich je- doch um bis jetzt unbewiesene In- formationen handelt, will ich einer vielleicht noch möglichen Aufklä- rung des Falles nicht vorgreifen. Alle Anzeichen sprechen aber gegen die Annahme, daß es sich um „Mord- lust" gehandelt hat.

Ich habe Ende Dezember 1977 die erste Reisemöglichkeit wahrgenom- men, um mir von den jetzigen Ver- hältnissen in Vietnam ein Bild ma- chen zu können. Leider erlaubte mir der straff organisierte Reiseplan nur einen Aufenthalt von 24 Stunden in Hub. Ich konnte aber der medizini- schen Fakultät, an der ich vor elf Jahren als Gastprofessor tätig war, einen Besuch abstatten. Meine Überraschung und Freude waren groß. Das totgeglaubte deutsche Entwicklungsprojekt lebt: das frühe- re Fakultätsgebäude ist fertiggestellt und erweitert worden. Die drei in Deutschland ausgebildeten Ärzte Dr.

Le Van Bach, Dr.. Dai und Dr.

Phuong gehören nach wie vor dem Lehrkörper an; es gibt zur Zeit über 1000 Medizinstudenten; zwei Wo- chen vor meinem Besuch hatten wiederum 45 Kandidaten ihr Staats- examen absolviert. Ich selbst hatte die Genugtuung, daß der von mir Ende 1966 gegründete Lehrstuhl für Dermatologie noch heute besteht und von einem meiner damaligen Studenten besetzt ist.

Das kleine Denkmal, das die Studen- ten zur Erinnerung an die ermorde- ten deutschen Ärzte gebaut hatten, ist wieder entfernt worden. Ich ge-

stehe, daß es mir einen Stich ins Herz gab,,,als ich nur noch den Sok- kel vorfand. Allerdings dürfen wir uns in der Bundesrepublik über ein solches Verhalten nicht allzusehr wundern. Es ist in Vietnam wohl be- merkt worden — das hat man uns auf dieser Reise öfters zu verstehen ge- geben —, daß die Bundesrepublik Deutschland niemals ein kritisches Wort an ihren Nato-Verbündeten ge- richtet hat. Es mußte vielmehr so scheinen, daß die Bundesregierung vorbehaltlos hinter der amerikani- schen Vietnampolitik stand. Infolge- dessen werden alle Deutschen, die zu jener Zeit in Südvietnam tätig wa- ren, bis zum Beweis des Gegenteils als „Gegner des vietnamesischen Befreiungskampfes" eingestuft. Es gehört zur Tragik des Schicksals un- serer ermordeten Kollegen, die sich um Vietnam wirklich verdient ge- macht haben, daß sie diesem Res- sentiment vorerst mit zum Opfer ge- fallen sind.

Der Aufbau der medizinischen Fa- kultät in Hue, so dornenvoll und op- ferreich er auch war, kann heute als großer Erfolg von Entwicklungshilfe auf medizinischem Gebiet angese- hen werden. Die Fakultät ist unter den geänderten politischen Verhält- nissen nicht zugrunde gegangen.

Sie hat im Gegenteil ein kraftvolles Eigenleben entfaltet. Die für dieses Projekt aufgebrachten deutschen Steuergelder haben sich gelohnt.

Aber auch Arbeit und Opfer von H. G. Krainick, R. Discher und A. Al- teköster, die vor zehn Jahren in Viet- nam ihr Leben lassen mußten, sind nicht vergeblich gewesen. Die deut- sche Ärzteschaft hat daher allen Grund, diesen Kollegen ein ehren- des Andenken zu bewahren.

Anschrift d. Verfassers:

Dr. Wilfried Seipp, Frankfurter Straße 3 6100 Darmstadt.

BRIEFE AN DIE REDAKTION

BETRIEBSÄRZTE

Wie die betriebsärztliche Versorgung in einigen Bezirken Norddeutschlands der- zeit aussieht, skizziert ein Leserbrief, der an den Leitartikel „Betriebsärztliche Ver- sorgung weitgehend sichergestellt", in Heft 14/1978, Seite 797 ff. anknüpft:

Gewerkschaften und Betriebe

sind aufgerufen

Wenn die Gewerkschaften jetzt ger- ne einen Betriebsarzt für 20 Arbeit- nehmer sähen, so sollten sie sich besser um die Großbetriebe küm- mern, die gar nicht daran denken, einen Betriebsarzt einzustellen. Ich nehme an, daß unser Kreis keine Ausnahme darstellt! Unsere Kreis- verwaltung (etwa 300 Angestellte) hat keinen Betriebsarzt. Das Kreis- krankenhaus, die Stadtverwaltung und die größte Baufirma (500 Arbeit- nehmer) beschäftigen keinen Be- triebsarzt — schon gar nicht die klei- neren Firmen. Nur zwei haben einen Betriebsarzt: Eine Fahrzeugfabrik mit 370 und eine Zigarrenfabrik mit 220 Beschäftigten. Außer mir haben im Ort noch drei weitere Kollegen die arbeitsmedizinische Fachkunde erworben. Sie haben sich angebo- ten, aber die Firmen winken ab, weil sie das Geld nicht nur sparen wol- len, sondern es ja auch' schon er- folgreich seit mehreren Jahren spa- ren. So wie hier ist es außerhalb auch. Da müßte angesetzt werden, besonders bei den kommunalen Verwaltungen.

Eine Ausnahme: Ich kenne in Bre- men eine Schokoladenfabrik (350 Arbeitnehmer), die bereits seit 20 Jahren einen Betriebsarzt beschäf- tigt.

Noch eine Anregung: Zur Weiterbil- dung der Ärzte mit der Fachkunde müßten kleinere Kongresse stattfin- den, im engen Kreis für den Erfah- rungsaustausch, zur Fortbildung und zur Aussprache, mehrmals im Jahr, in geeignet gelegenen Zentren.

Dr. med. H. Voigtlaender Chirurg

2860 Osterholz-Scharmbeck

1508 Heft 25 vom 22. Juni 1978

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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