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Archiv "Haarausfall und Umwelteinflüsse" (11.06.1999)

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Academic year: 2022

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aare stellen für den Menschen nur noch eine rudimentäre Struktur dar. Für die Säuge- tierwelt wichtige Funktionen des Haarkleides, wie zum Beispiel Wär- meisolierung oder Schutzfunktion, sind bei den Menschen weitestgehend in den Hintergrund getreten. Dafür überwiegen hier die sozialen Funktio- nen der Kopf- und Sexualbehaarung.

Für den Organismus eigentlich harm- lose Störungen des Haarwuchses füh- ren dementsprechend zu einer massi- ven Veränderung der Selbstwahrneh- mung, die psychische Störungen und soziale Isolierung zur Folge haben können.

Das Wort Haarausfall wird häufig von Patienten wie auch von Ärzten mißverständlich sowohl als Beschrei- bung für den Verlust von Haaren als auch für den Endzustand der sichtbar verminderten Behaarung verwendet.

Haarausfall oder Effluvium beschreibt lediglich den aktiven Vorgang des Ausfallens von Haaren, während der daraus resultierende Endzustand als verminderte Haardichte oder Alope- zie bezeichnet wird. Da jedoch die Alopezie eine Resultante aus nach- wachsenden und bereits ausgefallenen Haaren darstellt, können Patienten auch unter einer Alopezie leiden, oh- ne daß dem aktuell ein nennenswertes, das normale Maß überschreitendes Effluvium vorangegangen ist.

Haarausfall ist ein häufiges Sym- ptom, das Ärzte oft vor diagnostische

und therapeutische Probleme stellt.

Die Patienten scheuen meist keine Kosten und Mühen, um ein intaktes Haarkleid wiederherzustellen. Immer häufiger wird insbesondere von den Betroffenen die Umwelt als mögliche Ursache angesehen. Im Gegensatz da- zu steht die Tatsache, daß es nur weni-

ge Untersuchungen zur möglichen Rolle von Umweltfaktoren bei Haar- ausfall gibt. Ziel dieser Übersicht ist es, anhand einer kritischen Sichtung der wenigen Originalarbeiten die Rol- le möglicher Umweltfaktoren bei Haarausfall näher zu betrachten.

Physiologie des Haarwachstums

Am Kapillitium besitzt der Mensch zwischen 100 000 und 150 000 Haare mit einer Wachstumsrate von 0,35 bis 0,5 mm täglich (10). Intraute- rin findet ein synchronisierter Haar- zyklus statt, der bis zum 3. bis 4. Mo- nat post partum andauern kann und in dessen Verlauf die Körperbehaarung zweimal vollständig abgestoßen wird.

Anschließend erfolgt das Haarwachs- tum in einem asynchronen Haarzy- klus (18). Klinisch kann sich der letzte synchrone Haarverlust und der Über- gang in den asynchronen Haarzyklus in einem flächigen, unscharf begrenz- ten minderbehaarten Areal okzipital darstellen, das als die physiologische okzipitale Alopezie oder „Scheuer- glatze“ des Neugeborenen bezeichnet wird (19, 20, 22).

Der Haarzyklus besteht aus drei Phasen. Zunächst durchläuft das Haar die Anagenphase. Diese dauert zwei bis acht Jahre und stellt die Wachs- tumsphase dar. Nach dieser Zeit geht das Haar in die Katagen- oder Über-

Haarausfall und Umwelteinflüsse

Hartmut Ständer

1

Heiko Traupe

1

Karl Ernst von Mühlendahl

2

Immer häufiger wird von Patienten die Umwelt als mögliche Ursache für einen Haarverlust angesehen. Ziel der Arbeit ist es, anhand einer kritischen Sichtung der medizinischen Lite- ratur der Frage eines möglichen Zusammenhanges zwischen Umwelteinflüssen und Haarverlusten nachzugehen. Der Bei- trag kommt zu dem Ergebnis, daß es keine Hinweise dafür gibt, daß die chemische Belastung der Umwelt zu einem ver-

mehrten Haarverlust führt. Isolierte Analysen der Haare auf Umweltgifte

sind deshalb fast immer unbegründet; sie bringen keinen Nutzen, da zumeist exogen beigebrachte Verunreinigungen durch Kosmetika oder Badewasser nachgewiesen werden.

Schlüsselwörter: Haar, Haarverlust, Umwelt, chemische Umweltbelastung

ZUSAMMENFASSUNG

Hair Loss and Environmental Conditions

Patients frequently blame the environment as a possible cause for their hair loss. Critical review of the medical literature demonstrates no data in favour of a relationship between chemical burden of our environment and increased diffuse

hair loss. Isolated analyses of hair for hazardous environmental substances are usually irrational

and of no use, as most often exogenously acquired contamina- tions such as cosmetic products or bathing water are measured.

Key words: Hair, hair loss, environment, chemical pollution

SUMMARY

H

1Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten – Allgemeine Dermatologie und Venerologie (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Luger), Westfälische Wilhelms-Universität, Münster.

2Dokumentations- und Informationsstelle für Umweltfragen der Akademie für Kinderheil- kunde und Jugendmedizin Osnabrück (Leiter:

Prof. Dr. med. Karl Ernst von Mühlendahl), Osnabrück.

Abbildung 1: Diätetisch bedingte diffuse Alopezie

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gangsphase über, die lediglich wenige Wochen andauert. Jetzt beginnt die Telogen- oder Ruhephase. Diese en- det nach zwei bis vier Monaten und führt zum Verlust des Haares. Gleich- zeitig tritt der Haarfollikel erneut in die Anagenphase ein.

Auf der Kopfhaut befinden sich 80 bis 90 Prozent der Haarfollikel in der Anagenphase, 0 bis 3 Prozent in der Katagenphase und 10 bis 20 Pro- zent in der Telogenphase. Täglich fin- det ein physiologischer Haarverlust von durchschnittlich 70 bis 150 Haa- ren statt. Bei extremer Beanspru- chung der Behaarung, wie zum Bei- spiel nach einer Kopfwäsche oder ei- nem Friseurbesuch, können bis zu 300 Haare verloren gehen (18). Zusätzlich unterliegen die Haare einem Jahres- rhythmus. Randall und Ebling konn- ten zeigen, daß die Anagenrate im März über 90 Prozent liegt. Diese nimmt im Verlauf des Jahres langsam ab und erreicht ihren Tiefstand im August und September. Dieses hat dann einen vermehrten Haarverlust zur Folge (23).

Diffuses Effluvium

durch Umweltschadstoffe

Pathogenese

Ein durch Umweltschadstoffe ausgelöster Haarverlust wird sich in der Regel als diffuses Effluvium äußern. Je nach Intensität und Dauer der einwirkenden Noxe kommt es le- diglich zu einer Unterbrechung der Anagenphase oder zu einer Unterbre- chung jeglicher proliferativer Aktivität am Haarfollikel, so daß keine der drei Haarzyklusphasen mehr durchlaufen wird. Wird lediglich die Anagenphase unterbrochen, so resultiert ein diffuses Effluvium von Spättyp, das nach Been- digung der Katagen- und Telogenpha- se zirka drei bis sechs Monate nach der Schädigung einsetzt. Im Trichogramm fällt sowohl frontal als auch okzipital eine Erhöhung der Telogenrate ohne eine Zunahme der dystrophen Haare auf (37). Dieses telogene Effluvium kann durch die Geburt eines Kindes, hohes Fieber, Hämorrhagie, Erkran- kung innerer Organe, vor allem der Leber, der Schilddrüse und anderer en- dokriner Organe, schwere konsumie-

rende Erkrankungen, plötzlichen Nah- rungsmangel oder restriktive Diäten, Unfall oder Operationstrauma, schwe- ren emotionalen Streß und verschie- dene Medikamente induziert werden (10, 16).

Werden alle drei Haarzykluspha- sen gleichzeitig unterbrochen, so setzt der diffuse Haarverlust wenige Tage oder wenige Wochen nach Einwir- kung der Noxe ein. Dabei nimmt die Zahl der dystrophen Haare im Tricho- gramm deutlich zu, bei gleichbleiben- der oder nur mäßig erhöhter Telogen- rate. Es handelt sich hier somit um ein Effluvium vom Früh- oder dystrophi- schen Typ (37). Diese Form des Efflu-

viums wird vor allem durch antimito- tische Substanzen, wie zum Beispiel Zytostatika hervorgerufen (8, 10).

Zwischen diesen beiden darge- stellten Extremformen des diffusen Effluviums gibt es jedoch je nach In- tensität und Dauer der Schädigung Zwischenformen, die mit einer gleich- zeitigen Vermehrung der Telogenrate und der dystrophischen Haare einher- gehen können. Dieses ist bedingt durch eine unterschiedliche Empfind- lichkeit der einzelnen Haarfollikel auf die verschiedenen Noxen.

Da die Reaktionsmöglichkeiten des Haarfollikels auf die unterschied- lichen Noxen nur unspezifisch sind, erlauben die im Trichogramm nachge- wiesenen pathologischen Wurzelmu- ster lediglich Rückschlüsse auf die In-

tensität und möglicherweise auch auf die Dauer, jedoch nicht auf die Art der Noxe. Weiter bestehen intraindi- viduelle Unterschiede in der Haarfol- likelempfindlichkeit auf die schädi- genden Substanzen, so daß verschie- dene Trichogrammuster entstehen könnnen. Daher stellt eine genaue Anamnese, die auch den Zeitraum von vier bis sechs Monaten vor dem Effluvium erfassen muß, die einzige Möglichkeit dar, auf die schädigende Noxe zu schließen.

Mögliche exogene Ursachen und Umweltfaktoren

Nutritiv bedingte Effluvien Der Anagenfollikel mit einer ho- hen proliferativen und metabolischen Aktivität reagiert sensibel auf die Re- duktion des Angebotes von für die Keratinsynthese notwendigen Protei- nen, essentiellen Fettsäuren und Spu- renelementen. Daher muß in diesem Zusammenhang nicht nur an eine Malabsorption oder Malnutrition wie Anorexia nervosa oder Bulimie ge- dacht werden, sondern auch an re- striktive, gewollte Diäten, die 1 000 kcal/Tag unterschreiten (2, 7, 9, 10, 14). In unserer Klinik stellte sich eine erwachsene Patientin mit einem diffu- sen Effluvium vor, die seit einigen Wochen eine Diät mit einer täglichen Nahrungsaufnahme von 800 kcal durchführte (Abbildung 1). Nach der Erhöhung der täglichen Kalorienzu- fuhr auf 1 200 kcal kam es zu einer langsamen Befundbesserung. Bei ei- ner weiteren Patientin trat Monate nach Beginn einer strengen Diät mit 300 kcal/Tag ein telogenes Effluvium auf. Der Haarbefund normalisierte sich etwa drei Monate nach Beendi- gung der Diät.

Eisen, Zink und Kupfer stellen wesentliche Spurenelemente für das Wachstum und die Struktur des Haa- res dar. Ein Mangel dieser Substanzen führt ebenfalls zu einem diffusen Effluvium. Ein typisches klinisches Beispiel für die Bedeutung einer aus- reichenden Zinkzufuhr ist die Akro- dermatitis enteropathica, bei der es neben Diarrhöen, Apathien und Wachstumsstörungen zu ekzematösen

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Diffuse Alopezie auslösende Substanzen (nach Ippen, 1970)

Äthylurethan Allylderivate (fettlöslich)

Arsen Bleitetraäthyl

Borate Chloropren-Dimere

DDT

Hexachlorcyclohexan Kadmium Linolsäure Monojodessigsäure

Ölsäure Quecksilber-Derivate

Selen Squalen Thallium Undecylensäure

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Hautveränderungen an den Akren und perioral, Nageldystrophien, brüchigem Haar und Alopezien kom- men kann. Diese Erkrankung wird ty- pischerweise nach dem Abstillen von Säuglingen manifest (34). Ursache ist eine autosomal-rezessiv vererbte Aufnahmestörung für Zink aus der Nahrung, die zu Zinkmangel führt.

Die Akrodermatitis enteropathica läßt sich durch hohe orale Zinkgaben erfolgreich behandeln (33).

Bei Frauen stellt insbesondere der Eisenmangel eine häufige Ursa- che für einen diffusen Haarverlust dar. Dabei gibt der Ferritin-Spiegel im Serum Auskunft über die Körper- eisenvorräte. Ferritin-Werte unter 40 ng/ml sind von einem telogenen Efflu- vium begleitet (27, 28, 29). Aber auch bei Ferritin-Konzentrationen von 40 bis 70 ng/ml sind deutliche diffuse Haarverluste beobachtet worden.

Erst bei einem Serum-Ferritin über 70 ng/ml stellt sich eine Normalisierung des Haarwachstums ein (27). In die- sem Zusammenhang sei darauf hin- gewiesen, daß Ferritin-Werte unter 70 ng/ml aus allgemeinmedizinischer Sicht im unteren Normalbereich lie- gen, während diese Spiegel für ein volles Haarwachstum nicht ausrei- chend sind.

Ein diffuses Effluvium kann auch durch einen Biotinmangel hervorge- rufen werden (15). Patienten, die we- gen Nageldefekten mit Biotin behan- delt wurden, berichteten über eine Verbesserung der Haarqualität bezie- hungsweise über einen verminderten Haarverlust (3). In einer von Floers- heim durchgeführten Studie mit 80 Patienten konnte der diffuse Haar- ausfall durch eine Biotintherapie bei 64 Prozent der Patienten deutlich ge- bessert werden. Bei 9 Prozent trat ei- ne leichte und bei 27 Prozent keine Befundbesserung ein (4).

Diffuses Effluvium durch chemische Noxen

Akute oder subakute toxische Alopezien werden meist durch die Schwermetalle Thallium, Kadmium und Quecksilber ausgelöst. In Abhän- gigkeit von der aufgenommenen Do- sis und der Einwirkdauer entwickelt sich entweder eine Alopezie vom

Frühtyp oder eine Alopezie vom Spättyp. Eine Übersicht von Chemi- kalien und Substanzen, die eine diffu- se Alopezie auslösen können, ist im Textkasten, modifiziert nach Ippen (13), dargestellt.

Thallium wird heute nur noch sel- ten als Nagergift und gegen andere Schädlinge wie Ameisen und Schaben verwendet. Bei Versuchen zur Che- motherapie der Syphilis fiel auf, daß Thallium regelmäßig Haarausfall er- zeugt. Daher ist es fast drei Jahrzehn- te als Epilationsmittel verwendet wor- den. Heute wird Thallium in der Me- dizin nicht mehr verwendet. Jedoch kommen vereinzelt noch Vergiftungs-

fälle durch Kontamination von Nah- rungsmitteln oder durch bewußte Einnahme von Thallium in suizidaler Absicht vor (24, 26). Der Haarverlust erfolgt bei akuten Intoxikationen et- wa ab dem 13. Tag, jedoch nie früher (6). Der Haarausfall ist bei Thallium- Intoxikationen ein höchst wichtiges Kriterium, da er bei kleineren Dosen als alleiniges Symptom auftreten kann. Typischerweise beginnt er bei den lateralen Augenbrauen (11, 12).

Bei unklaren Fällen diffuser Alopezie sollte nach Ausschluß der naheliegen- den Ursachen an eine Thalliumvergif- tung gedacht werden, vor allem wenn die Alopezie von neurologischen Symptomen begleitet wird (36).

Kadmium wird zur Legierung von Metallen verwendet und ist in ei- nigen Farbstoffen und Trockenbatte-

rien enthalten. Zu bedrohlichen Into- xikationen kann die Inhalation von Kadmiumoxid-Rauch führen, der beim Schmelzen von Kadmium oder beim Schweißen und Schneidbrennen von kadmiumhaltigen Legierungen entsteht (6). Dabei stellt das diffuse Effluvium lediglich eines von vielen Intoxikationssymptomen dar.

Quecksilber kann ebenfalls zu diffusen Effluvien führen. Auch heute können noch vereinzelt Quecksilber- vergiftungen durch Exposition im be- ruflichen und im häuslichen Umfeld, gelegentlich auch durch die Anwen- dung obsoleter Medizinalprodukte (Merfen, Glyceromerfen, Bleich- salben) vorkommen. Die aus dem Quecksilberamalgam der Zahnfüllun- gen freigesetzten Quecksilbermengen reichen jedoch nicht aus, um Haaraus- fall herbeizuführen. Somit können Amalgamzahnfüllungen nicht für ein diffuses Effluvium verantwortlich ge- macht werden. Daher ist die routi- nemäßige Durchführung von Queck- silberbestimmungen in Blut, Urin so- wie im Haar bei der ätiopathogeneti- schen Abklärung des diffusen Effluvi- ums beziehungsweise die prophylakti- sche Entfernung von Amalgamfüllun- gen bei Vorhandensein eines chro- nisch diffusen Effluviums medizinisch nicht begründet (5, 30, 38).

Arsen wurde in früheren Jahren zur Therapie der Psoriasis und der Sy- philis verwendet. Zusätzlich war es über viele Jahre Bestandteil von Pflanzenschutzmitteln. In Deutsch- land wurde die Verwendung von Ar- sen in Pflanzenschutzmitteln verbo- ten, jedoch wird es in südlichen Län- dern noch immer verwendet. Arsen wird unter anderem durch die Haut rasch resorbiert. Es wird vor allem im Keratin der Haut eingelagert und zum Teil mit den Schuppen und Haaren abgestoßen. Vergiftungsepisoden las- sen sich in Haar- und Fingernagelana- lysen gut nachweisen. Chronische Ar- senvergiftungen zeichnen sich daher unter anderem durch Hyperkeratosen der Haut und Haarausfall aus (6). Als Umweltnoxe spielt Arsen heute in Deutschland keine Rolle mehr.

Chloropren-Dimere kommen als Nebenprodukte in der synthetischen Gummifabrikation vor und bewirken diffuse reversible Alopezien (17, 21, 25). Als Verursacher diffuser Effluvi- Abbildung 2: Androgenetische Alopezie der Frau

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en kommen Chloropren-Dimere heu- te allenfalls bei beruflicher Exposition in Frage.

Eine Exposition mit Borsäure wird selten in die differentialdiagno- stischen Überlegungen miteinbezo- gen. Borate können bei exzessivem Gebrauch von borsäurehaltigen Prä- paraten zur Mundspülung (31) oder bei beruflicher Exposition mit Natri- umborat versehentlich eingenommen werden (32). Daraus entwickelt sich eine diffuse Alopezie, die langsam be- ginnt.

Bevor ein kausaler Zusammen- hang zwischen Haarausfall und der Wirkung kleiner Dosen einer be- stimmten Substanz hergestellt wird, sollte unserer Meinung nach ein Haarneuwachstum nach Unterbre- chung der Exposition und ein erneu- ter Haarausfall bei Reexposition be- obachtet werden. Ein schwieriges Problem in der Umweltmedizin stellt die Frage nach Haarausfall bei einer Schadstoffwirkung in kleiner Dosis über einen langen Zeitraum dar. Ein Beispiel dafür ist die chronische Pentachlorphenolbelastung in Räu- men, in denen Holz verarbeitet wur- de, das mit Pentachlorphenol (PCP) behandelt wurde. Ein Effluvium gehört nach bisherigem Wissensstand nicht zu den typischen Symptomen ei- ner chronischen Pentachlorphenolbe- lastung. Andererseits muß festgestellt werden, daß nur wenige Untersu- chungen beziehungsweise epidemio- logische Erhebungen zur Rolle von chronisch einwirkenden Schadstoffen und Haarausfall vorliegen.

Eine Ausnahme stellt der Che- mieunfall in Frankfurt-Schwanheim im Februar 1993 dar, bei dem es auf- grund des Niederschlages einer che- mischen Wolke zu einer erheblichen Kontamination des Bodens und damit zu einer längerfristigen Exposition der Bevölkerung in der Umgebung des Schadensortes gekommen ist. Im Niederschlag fanden sich eine Viel- zahl von chlorierten und Azo-Verbin- dungen sowie als Leitsubstanz eine 100fach erhöhte Konzentration von o-Nitroanisol, das im Körper zu Nitro- phenol metabolisiert wird. Dieser Me- tabolit konnte bei 22 stark belasteten Personen noch nach drei bis fünf Mo- naten in erhöhter Konzentration im Urin nachgewiesen werden. Unmit-

telbar nach dem Unfallereignis klag- ten viele Anwohner zwar über Hautausschläge an den Händen und Füßen, nicht aber über Haarausfall.

Bei einer Untersuchung zirka einein- halb bis zwei Jahre nach dem Ereignis von über 400 Kindern aus diesem Be- reich zeigte sich ebenfalls kein ver- mehrtes Effluvium, während das Risi- ko für die Entwicklung einer atopi- schen Dermatitis gegenüber einer Kontrollgruppe aus Südhessen signifi- kant angestiegen ist (35).

Zusammenfassend läßt sich fest- halten, daß nur wenige Studien vorlie- gen, bei denen der mögliche Effekt von Umweltnoxen zum Beispiel nach konkreten Unfallereignissen in bezug auf das Haarwachstum untersucht

wurden. Gerade angesichts dieser dürftigen Datenlage können spekula- tiv alle möglichen Behauptungen ge- neriert werden. Um so wichtiger ist es, daß nicht Anekdotisches, sondern reproduzierbar Belegtes, pathogene- tisch Plausibles den Boden formt, auf dem die Medizin sich im Sinne einer

„evidence based medicine“ bewegt.

Diffuses Effluvium durch physikalische Faktoren

Im Rahmen von Strahlentherapi- en oder durch Strahlenunfälle in der Rüstungsindustrie oder in Kernkraft- werken kann es zu diffusen Alopezien durch ionisierende Strahlungen kom- men. Ab einer Dosis von etwa 3,8 Gy stellt sich drei Wochen nach der Be- strahlung ein diffuser, meist anagen- dystropher Haarverlust ein. Zu einem Wiederwachstum kommt es nach zir- ka vier bis zwölf Wochen. Bei Strah-

lendosen von mehr als 8 Gy kann es zu einem dauernden Verlust der Haare kommen. Hierbei kommt es zu einer vollständigen Zerstörung der Haar- matrix.

Differentialdiagnose zu umweltbedingtem Haarverlust

Betrachtet man die umweltbe- dingten Haarverluste, so resultieren daraus in erster Linie nicht vernar- bende diffuse Alopezien. Daher müs- sen in die differentialdiagnostischen Überlegungen zum umweltbedingten Haarverlust alle Formen von nicht vernarbenden diffusen Effluvien ein-

bezogen werden. Die Ursachen für ein diffuses Effluvium sind vielfältig.

Mögliche Auslöser können Mangel- ernährung, hormonelle Störungen, Schilddrüsenstörungen, Störungen im Eisenstoffwechsel sowie schwere Erkrankungen wie zum Beispiel hochfieberhafte Infekte oder Tumor- erkrankungen sein. Weiter können gängige Medikamente wie Antikoa- gulantien, β-Blocker, Lipidsenker, Retinoide, Thyreostatika und orale Kontrazeptiva mit androgener Par- tialwirkung eine diffuse Alopezie auslösen (8, 10). Aufgrund der intra- individuell unterschiedlichen Haar- follikelempfindlichkeit auf die schä- digenden Substanzen läßt sich bei den Medikamenten keine genaue Dosis festlegen, ab der ein diffuses Effluvi- um beginnt.

Zusätzlich können sich Haarer- krankungen wie die androgenetische Alopezie(Abbildung 2), die Alopecia areata, der anagene Haarausfall des

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Tabelle

Laboruntersuchungen zur Abklärung eines diffusen Effluviums

Kleines Laborprogramm Blutsenkung, Blutbild, Eisen, Ferritin im Serum

Erweitertes „Kleines Laborprogramm“ + Eiweißelektrophorese Laborprogramm Leber-, Nieren-, Schilddrüsenwerte

Vergiftung Quecksilber (Urin), Blei (EDTA-Blut), Kadmium (Urin oder EDTA-Blut), Thallium (EDTA-Blut) Mangelerscheinung Eisen, Ferritin, Kupfer, Zink

Hormonelle Abklärung Prolaktin, DHEAS, Testosteron, SHBG, LH, FSH

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Kindesalters oder die Trichotilloma- nie in einer diffusen Alopezie äußern.

Diese kann auch durch entzündliche Veränderungen der Kopfhaut, wie zum Beispiel einer Psoriasis oder ei- nem atopische Ekzem, hervorgerufen werden. Häufig ist auch ein Zusam- menwirken mehrerer Faktoren für ein diffuses Effluvium verantwortlich.

Identifikation von

Haarausfall auslösenden Umweltfaktoren

Will man versuchen, mögliche Umweltfaktoren als Auslöser für den Haarverlust zu identifizieren, so muß das Effluvium zunächst so genau wie möglich eingeordnet werden (ver- narbende oder nicht vernarbende Alopezie, Alopecia areata oder diffu- se Alopezie, anagenes, telogenes oder gemischtes beziehungsweise nicht klassifizierbares Effluvium). Dafür wird oftmals der Rat eines Dermato- logen erforderlich sein. Die sehr sorg- fältig zu erhebende Anamnese sollte das gesamte zurückliegende Jahr ab- decken. Manchmal gelingt es so, den möglichen Einwirkzeitpunkt einer potentiellen Noxe abzuschätzen.

Bei erkennbaren Ursachen oder Zuordnung zu bekanntermaßen nicht umweltbedingtem Effluvium erübrigt sich jegliche Suche nach etwaigen Schadstoffen. Dies gilt für alle For- men der Alopecia areata, für die ver- narbenden Alopezien, das androge- netische sowie das postpartale Efflu- vium und die Folge von Trichotillo- manie. Bei einem Effluvium oder ei- ner Alopezie ohne jegliche faßbare Hinweise auf eine mögliche Ursache, kann ein „kleines Laborprogramm“, das eine Blutsenkung, ein Blutbild so- wie Eisen und Ferritin im Serum bein- haltet, als grobes Screening durchge- führt werden.

Bei einem gravierenden Haar- ausfall wird man die Laboruntersu- chungen vorwiegend nach eventuell weiteren vorhandenen Zeichen und Symptomen auswählen. Geschieht das „blind und breit“ so müßte zusätz- lich zu dem bereits erwähnten „klei- nen Laborprogramm“ eine Kontrolle der Leber-, Nieren-, Schilddrüsenwer- te und der Eiweißelektrophorese er- folgen. Besteht der Verdacht auf eine

Vergiftung, so sollte in erster Linie Quecksilber (Urin), Blei (EDTA- Blut), Kadmium (Urin oder EDTA- Blut) und Thallium (EDTA-Blut) la- borchemisch untersucht werden. Bei einem Effluvium durch einen mögli- chen Ernährungs- oder Aufnahme- mangel sollten Eisen, Ferritin, Kupfer und Zink näher betrachtet werden (Tabelle). Sollte der begründete Ver- dacht auf hormonelle Störungen be- stehen, so müssen Prolaktin, DHEAS, Testosteron, SHBG, LH und FSH im Serum untersucht werden.

Darüber hinausgehende „Um- weltuntersuchungen“, die ihren er- sten Ansatzpunkt im Erstellen von Laboranalysen haben, sind unsinnig und sollten von Ärzten nicht veran- laßt und von den Kostenträgern nicht erstattet werden. Dieses trifft insbe- sondere für sogenannte Haaranalysen zu, da selbst hohe Konzentrationen an Kadmium, Kupfer oder anderen Schwermetallen in den Haaren nicht zwangsläufig auf eine Intoxikation schließen lassen. Hier müssen zunächst exogene Verunreinigungen, wie zum Beispiel durch Haarpflege- produkte oder Schwimmbadwasser, sicher ausgeschlossen werden, bevor aufgrund der Haaranalyse der Ver- dacht auf eine Intoxikation geäußert werden kann. So konnte zum Beispiel durch eine Atomemissionsspektro- skopie ein erhöhter Kupferspiegel in Haaren nachgewiesen werden, das exogen aus dem Schwimmbadwasser durch regelmäßiges Schwimmen auf- genommen wurde (1). Somit hat die isolierte Haaranalyse auf Umweltgif- te meistens keinen verwertbaren Aus- sagewert und ruft lediglich unbegrün- dete Ängste bei den Patienten hervor.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1571–1575 [Heft 23]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Hartmut Ständer Universitätshautklinik Münster Von-Esmarch-Straße 56 48149 Münster

Bei Schwangeren erhöht sich das Risiko für einen Spontanabort signi- fikant, wenn sie Zigaretten rauchen oder Kokain nehmen. Dies zeigte ei- ne Studie von Roberta B. Ness et al., Universität Pittsburgh, USA, an ins- gesamt 970 schwangeren Frauen im Alter von 14 bis 40 Jahren, die sich vor der 22. Schwangerschaftswoche in der Notfallambulanz des Kranken- hauses der Universität von Pennsyl- vania in der Innenstadt von Philadel- phia vorstellten. 400 der Teilnehme- rinnen erlitten einen Spontanabort, 570 Frauen trugen die Schwanger- schaft länger als 22 Wochen aus.

Der Kokaingebrauch wurde durch eine Selbsteinschätzung wäh- rend des Interviews sowie durch die Untersuchung von Haar- und Urin- proben gemessen; im Hinblick auf Zigarettenrauchen nutzte die Ar- beitsgruppe ebenfalls Selbsteinschät- zungen und die Analyse von Urin- proben.

Die untersuchten Frauen hatten überdurchschnittlich häufig eine schwarze Hautfarbe und gehörten ei- ner niedrigen sozialen Schicht an. In der Gruppe mit Spontanaborten zeig- te sich bei der Haaranalyse der Frau- en bei 28,9 Prozent Kokaingebrauch;

in den Urinproben von 34,6 Prozent wurden Nikotinmetaboliten nachge- wiesen – im Vergleich zu jeweils 20,5 Prozent und 21,8 Prozent der Frauen, deren Schwangerschaften nicht mit einer Fehlgeburt endeten.

Auch nachdem demographische und den Gebrauch anderer Drogen betreffende Faktoren in die Daten- auswertung einbezogen wurden, zeigte sich ein erhöhtes Fehlgeburts- risiko bei Frauen, die Kokain nah- men (odds ratio 1,4; 95 Prozent Kon- fidenzintervall 1,0 bis 2,1) oder Ziga- retten rauchten (odds ratio 1,8; 95 Prozent Konfidenzintervall 1,3 bis

2,6). silk

Ness RB, Grisso JA et al.: Cocaine and tobacco use and the risk of spontaneous abortion, N Engl J Med 1999; 340;

333–339.

Dr. Roberta B. Ness, University of Pitts- burgh, Graduate School of Public Health, 130 DeSoto St., 517 Parran Hall, Pittsburgh, PA 15261, USA.

Rauchen, Kokain

und Fehlgeburten

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