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Archiv "Angiologie/Phlebologie (2): Diagnose, Differentialdiagnose und Behandlung venöser Beinleiden aus orthopädischer Sicht" (21.12.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Angiologie/Phlebologie (2)

Diagnose, Differentialdiagnose

und Behandlung venöser Beinleiden aus orthopädischer Sicht

Hans Otto Dustmann Iris Ivani6

Bedeutung der Phlebologie für den Orthopäden

Bei etwa zwei Drittel der Ge- samtbevölkerung liegen pathologi- sche Veränderungen des Venensy- stems der unteren Extremitäten vor, bei etwa zwölf Prozent der Betroffe- nen finden sich klinisch relevante Befunde (4, 8).

Da Patienten mit Beschwerden im Bereich der unteren Extremitäten einen sehr hohen Prozentsatz ortho- pädischen Krankengutes stellen, werden Phlebopathien vom Ortho- päden überdurchschnittlich häufig im Rahmen der Inspektion und rou- tinemäßigen Untersuchung diagno- stiziert, und gar nicht selten ist eine Phlebopathie (Mit-)Ursache der ge- klagten Symptomatik. Darüber hin- aus suchen etwa zwölf Prozent der Patienten, die den Arzt gezielt we- gen ihrer „Krampfadern" konsultie- ren, einen Orthopäden auf (3). Auch haben phlebologische und verschie- dene orthopädische Erkrankungen einen ähnlichen pathophysiologi- schen Hintergrund: die konstitutio- nelle Schwäche des Stütz- und Bin- degewebes prädisponiert ebenso zu varikösen Veränderungen wie auch zu Bandlaxität, Luxationsneigung von Gelenken, Fußdeformitäten (Senk-Spreizfuß, Knickfuß, Hallux valgus), Wirbelsäulensyndromen und degenerativen Gelenkerkrankungen.

Weitere gemeinsame Risikofaktoren wie höheres Lebensalter, Adipositas,

Bloßer Druck- oder Spannungs- schmerz in der Wade brachte un- ter der Blitzdiagnose „Thrombo- se" Patienten unsinnigerweise ge- nauso häufig in die Klinik, wie sie mit einer reinen Venenentzün- dung aus Furcht vor Embolie ins Bett verbannt wurden. Wegen der offenkundigen Unsicherheit bei der Beurteilung venöser Beinlei- den sind eine klare Abgrenzung der Krankheitsbilder und eine si- chere klinische und apparative Diagnostik erforderlich.

Bewegungsmangel und einseitige be- rufliche Tätigkeit — überwiegend stehende oder sitzende Berufsaus- übung, Heben und Tragen schwerer Lasten — führen zu einem über- durchschnittlich häufigen gemeinsa- men Auftreten orthopädischer und phlebologischer Erkrankungen.

Ferner beeinflussen sich Phlebo- pathien, in erster Linie in fortge- schrittenen Stadien, und insbesonde- re immobilisierende orthopädische Erkrankungen gegenseitig negativ.

So führt beispielsweise die ausge- prägte chronische venöse Insuffizienz nicht selten zu Funktionsminderun- gen der unteren Extremität mit Be- wegungseinschränkung im Sprung- oder Kniegelenk, umgekehrt begün- stigt ein Bewegungsmangel infolge von Wirbelsäulen- und Gelenker- krankungen die venöse Stase. Ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Phlebopathie und Arthro- se, wie unter dem Begriff „Phlebo- Klinik für Orthopädie und Traumatologie (Chefarzt: Prof. Dr. med. Hans Otto Dust- mann) am St.Josef-Krankenhaus, Engelskir- chen/Köln

arthrotischer Symptomenkomplex"

(7) diskutiert, hat sich nach unseren Erfahrungen (1,2) und neueren Stu- dien (6) allerdings nicht gezeigt. Ei- ne negative Beeinflussung der sub- jektiven Symptomatik, insbesondere des Arthroseschmerzes, durch venö- se Stauungen konnte jedoch nachge- wiesen werden (11).

Für den operativ tätigen Ortho- päden sind phlebologische Kenntnis- se schon deshalb besonders wichtig, da insbesondere die orthopädisch- traumatologische Hüftchirurgie ein weit überdurchschnittlich hohes Thrombo-Embolie-Risiko aufweist.

Nachfolgend sollen phlebologi- sche Diagnostik, Differentialdiagno- stik und Therapie nur so weit darge- stellt werden, wie sie speziell für den Orthopäden in Praxis und Klinik von Bedeutung sind.

Orthopädisch- phlebologische

Differentialdiagnostik Nicht nur aufgrund des gehäuf- ten gemeinsamen Auftretens, son- dern auch wegen der sich über- schneidenden Symptomatik sind or- thopädische und phlebologische Er- krankungen eng miteinander ver- knüpft.

Wie oft stellen sich zum Beispiel in unserer phlebologischen Sprech- stunde Patienten mit einer ausge- prägten Varikose vor, klagen über ziehende Schmerzen in den Beinen, nächtliche Wadenkrämpfe, Kribbeln und Sensibilitätsstörungen und füh- ren diese Beschwerden ursächlich auf eine Varikose zurück! Bei der Untersuchung findet man dann nicht selten klassische orthopädische Er- krankungen wie Lumbalsyndrom A1-4374 (46) Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992

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Abbildung 1: Lumbales Myelogramm eines 55jährigen Mannes mit Bandscheibenprolaps LWK 4/5. Schmerzen im rechten Bein und sensible Ausfälle wurden auf die gleichzeitig be- stehende Varikose zurückgeführt. Der Patient stellte sich in der phlebologischen Sprech- stunde vor.

Abbildung 2a und 2b: Rupturierte Bakerzyste mit Ausdehnung der Schwellung bis in die Wa- denmuskulatur bei 35jährigem Patienten mit chronischer Polyarthritis. Eine Kontrastmittel- darstellung gibt Aufschluß über Form und Ausdehnung der Zyste.

oder Nucleusprolaps oder Arthrosen in den Hüft- und Kniegelenken, die mit dem venösen Beinleiden in kei- nem Zusammenhang stehen. Umge- kehrt werden Varikosen als zumin- dest schmerzverstärkender Faktor orthopädischer Erkrankungen häufig verkannt und nicht — oder im Rah- men der orthopädischen Therapie — sogar falsch behandelt.

Aus orthopädischer Sicht ist, auch wenn noch so ausgeprägte vari- köse und postthrombotische Befun- de vorliegen, bei ausstrahlenden Schmerzen, Dysästhesien und Mus- kelkrämpfen vor allem an Lumbal- syndrome oder Bandscheibenläsio- nen oder Spinalkanalstenosen mit radikulären Reizungen oder Wurzel- schäden zu denken (Abbildung 1).

Bei lokalisierteren Beschwerden sind degenerative und anderweitige Ar- thropathien (zum Beispiel Hüft- kopfnekrose, Meniskusläsion oder Chondropathie) in Erwägung zu zie- hen. Ebenso muß an statische Pro- bleme infolge von Beinachsenfehl- stellungen, angeborenen oder erwor- benen Fehlstellungen von Gelenken sowie Fußdeformitäten gedacht wer- den. Auch Adduktoren-, Gracilis- und Rectus-femoris-Syndrom, Mus- kelläsionen, Insertionsligamentopa-

hören auch Beinschwellungen zu den Symptomen, die sowohl für ortho- pädische als auch für phlebologische Erkrankungen pathognomonisch sind. Schwellungen können etwa Fol- ge von Baker- oder Gastrocne- miuszysten sein (Abbildung 2a und b). Seltener sind tumoröse Knochen- oder Weichteilveränderungen (Ab- bildung 3a und b) oder Meniskusgan- glien die orthopädische Ursache lo- kalisierter Beinschwellungen. Zu be- achten ist, daß einige der erwähnten orthopädischen Erkrankungen durch Verdrängung oder Kompression von Gefäßen sekundär zusätzlich zu ve- nösen Stauungen und Schwellungen führen können.

Venöse Stauungen im Bereich des Unterschenkels und Phle- bothrombosen müssen darüber hin- aus orthopädisch-differentialdiagno- stisch abgegrenzt werden von Mus- kelrupturen (zum Beispiel Tennis- bein mit Ruptur des medialen Ga- strocnemiuskopfes), einem Com- partment- oder Tibialis-anterior- Syndrom und der Sudeckschen Dy- strophie im Frühstadium.

Im Rahmen der orthopädisch- sportmedizinischen Betreuung findet man ferner gelegentlich Thrombo- phlebitiden infolge stumpfer Trau- thien (Pes anserinus-Syndrom,

Achillodynie) und Periostosen sind differentialdiagnostisch von Phlebo- pathien abzugrenzen.

Ebenso wie Beschwerden im Be- reich der unteren Extremitäten ge-

A1-4376 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992

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men, wie beispielsweise Tritt in den Unterschenkel beim Fußballspielen, die zusätzlich mit Muskel- und Seh- nenrupturen einhergehen können.

Bei Beinschwellungen muß dar- über hinaus das primäre oder sekun- däre Lymphödem (Abbildung 4) von Schwellungen infolge Phlebothrom- bose abgegrenzt werden, wobei gera- de im operativen orthopädischen Krankengut die nicht seltenen Bein- ödeme aufgrund von Lymphabfluß- störungen nach Hüftendoprothesen- Implantation von postoperativen Verschlüssen tiefer Beinvenen zu unterscheiden sind.

Selbstverständlich müssen als Ursache von Beinbeschwerden oder -schwellungen auch internistische und neurologische, selten auch gynä- kologische Ursachen erwogen und eventuell abgeklärt werden (Abbil- dung 5a und b).

Orthopädie und phlebologische Diagnostik

Klinische und apparative phle- bologische Diagnostik sollte auch und gerade für den Orthopäden Routine sein. Vor der klinischen Un- tersuchung steht selbstverständlich eine exakte Anamneseerhebung. Ins- besondere bei unklaren Beinbe- schwerden, die sich nicht eindeutig auf orthopädische Ursachen zurück- führen lassen, ist eine gezielte phle- bologische Untersuchung erforder- lich. Hierbei sollte beachtet werden, daß eine deutliche Funktionsein- schränkung im Bereich des venösen Systems nicht unbedingt mit sicht- baren Veränderungen einhergehen muß und selbst ausgeprägte Phle- bothrombosen nicht selten nur auf- grund anamnestischer Angaben er- kannt werden. Umgekehrt können selbst bei ausgeprägter primärer Va- rikose wesentliche hämodynamische Konsequenzen fehlen!

Am Anfang der phlebologischen Untersuchung steht die Inspektion des stehenden Patienten von allen Seiten. Hierbei können bereits der Typ einer Varikose — Stamm-, Sei- tenastvarikose, retikuläre Varikose, Besenreiservarikose — und eventu- ell vorhandene Zeichen der chro-

Abbildung 4: Primäres Lymphödem einer 45jährigen Frau im Stadium IV (Elephantia- sis). Die Schwellung beim Lymphödem ist im Endstadium meist hart, blaß und schmerzhaft, trophische Störungen der Haut finden sich im Gegensatz zum postthrombo- tischen Syndrom nur gelegentlich.

Abbildungen 3a und 3b: (a) Chondrosarkom mit starker Schwellung über dem rechten Kniegelenk, (b) Röntgenaufnahme des Knie- gelenkes desselben Patienten

nisch venösen Insuffizienz wie Hy- per- und Hypopigmentierungen, Atrophie blanche, corona phlebecta- tica und Ulcus cruris erfaßt werden (Abbildung 6a und b).

Klinische Tests zur Prüfung der Funktionsfähigkeit des Venensy- stems wie Perthes-, Trendelenburg-, Mahorner-Ochsner-, Schwartz-, Lin- ton-, Barrow- oder Pratt-Test sind zeitaufwendig, lassen sich nur unzu- reichend dokumentieren und verfü- gen lediglich über eine begrenzte Aussagekraft. Sie wurden daher zu- nehmend von apparativen diagnosti- schen Maßnahmen verdrängt.

In der Diagnostik der Phle- bothrombose dagegen haben klini- sche Tests (nach Hohmann, Payr, Lowenberg, Meyer) neben anamne- stischen Angaben (Zustand nach operativem Eingriff, Fraktur, voran- gegangene lange Flug- oder Autorei- sen) und inspektorischen Hinweisen (Schwellung, Odembildung, Glanz- haut, livide Verfärbung) nach wie vor eine größere Bedeutung. Sie können und dürfen bei Verdacht auf einen tiefen Beinvenenverschluß je- doch keinesfalls die apparative Dia- gnostik ersetzen!

Bei der apparativen Diagnostik stehen, ausgenommen bei Verdacht auf Phlebothrombose, zunächst die nichtinvasiven Methoden Digitale Photoplethysmographie (DPPG) so- Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992 (51) A1-4377

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A 1-1 m *** . ORr_ L

- F 16•01

TS/175r (.-.4.ODER HILDEGAR

. la. 22

9.0

£ 25 4613

Abbildung 5a und 5b: Röntgenbild und Computertomogramm einer 42jährigen Frau mit ei- nem metastasierenden Hypemephrom. Der vierte Lendenwirbelkörper und das umliegende Gewebe sind destruiert. Die Patientin wurde wegen Beschwerden im linken Bein mit der Verdachtsdiagnose Phlebothrombose in die Klinik eingewiesen.

wie Sonographie im Vordergrund.

Die DPPG erfordert wenig Zeitauf- wand, liefert gut reproduzier- und dokumentierbare sowie aussagekräf- tige Ergebnisse über den funktionel- len Zustand des Beinvenensystems, orientierend lassen sich sogar Aussa- gen zur Lokalisation von Störungen machen. Sie hat sich als Screening- Methode sowie zur Therapieüberwa- chung gut bewährt.

Die Ultraschall-Dopplerunter- suchung als ebenfalls nichtinvasive Methode erfordert bereits etwas mehr Zeitaufwand, kann dafür aber auch genauere Aufschlüsse über Lo- kalisation und Ausmaß von Verän- derungen extrafaszialer Venen ge- ben. Sowohl DPPG als auch Dopp- ler-Sonographie lassen nur eine un- zureichende Beurteilbarkeit des tie- fen Venensystems zu.

Zur Diagnostik der Phlebo- thrombose oder zur Unterscheidung zwischen primärer Varikose und Va- rizenbildung aufgrund tiefer Abfluß- störungen ist die Phlebographie nach wie vor unverzichtbar. Der niederge- lassene Orthopäde sollte die Indika- tion zur Phlebographie einwandfrei stellen können, vom Kliniker sind profunde Kenntnisse in Durchfüh-

rung und Beurteilung von Phlebo- grammen unbedingt zu fordern, wo- bei die Beherrschung der aszendie- renden Phlebographie unter Bild- wandlerkontrolle in der Regel genügt.

Eine zwar invasive, aber unge- fährliche, wenig patientenbelasten- de, rasch durchführbare und äußerst kostengünstige Funktionsuntersu- chung des Beinvenensystems, die wir ausgenommen bei gesicherter Phle- bothrombose routinemäßig im An- schluß an jede Phlebographie durch- führen, ist die blutige Venendruck- messung, die Phlebodynamometrie.

Eine Unterscheidung zwischen lymphatisch und anderweitig beding- tem Odem erlaubt die Lymph-Blau- Probe, die zwar invasiv, trotzdem aber wenig patientenbelastend und ungefährlich ist. Exaktere Aussagen liefert die allerdings wesentlich auf- wendigere Lymphographie.

Phlebologische Therapie in der Orthopädie

Die Therapie venöser Beinlei- den ist in vorangegangenen Beiträ- gen des Deutschen Ärzteblattes be- reits erschöpfend abgehandelt wor-

den, so daß wir uns auf therapeuti- sche Gesichtspunkte, die speziell den Orthopäden betreffen, be- schränken wollen.

Der niedergelassene Orthopäde muß in der Lage sein, die Differen- tialindikation zur konservativen oder operativen Behandlung zu stellen.

Da die orthopädische Routine-Un- tersuchung sich oft vorwiegend auf die unteren Extremitäten konzen- triert und daher Phlebopathien so häufig, wie in kaum einer anderen Fachdisziplin, als Neben- oder sogar Hauptbefund diagnostiziert werden, sollte der Orthopäde wissen, welche Phlebopathien er in der Praxis selbst behandeln kann und welche er ei- nem anderen Fachkollegen oder ei- ner Klinik vorstellen muß. So ist zum Beispiel eine frische Phlebothrom- bose immer eine Indikation zur Wei- terüberweisung oder Klinikeinwei- sung, während selbst das ausgepräg- te Ulcus cruris venosum durchaus er- folgreich konservativ in der orthopä- dischen Praxis behandelt werden kann (Abbildung 7a und b).

Auch bei der Varikose ist zu un- terscheiden zwischen Befunden, die durchaus in der eigenen Praxis kon- servativ oder durch Sklerosierung A1 -4378 (52) Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992

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Abbildung 6a: Postthrombotisches Syndrom mit ausgeprägter Schwellung und sekundä- ren Hautveränderungen: Atrophie blanche, Hyperpigmentierung und Mikroblutungen

Abbildung 6 b: Typisches Blow-out-Ulkus im Bereich einer Cockettschen Perforansve- ne über dem Innenknöchel

Abbildung 7a und 7b: Ulcus cruris ve- nosum mit ausge- prägter Beinschwel- lung. Nach Kompres- sionstherapie und Verödung der Nähr- venen ist das Ulkus geschlossen, sogar die trophischen Stö- rungen haben sich teilweise zurückge- bildet.

therapiert werden können, und sol- chen, die einer operativen Sanierung bedürfen.

Einen Schwerpunkt orthopä- disch-phlebologischer Diagnostik und Therapie stellen thrombo-embo- lische Komplikationen dar: Orthopä- disch-traumatologische Hüfteingriffe führen in etwa 60 bis 70 Prozent zu einem Verschluß im Bereich der tie- fen Beinvenen (11, 5, 9, 10), wovon mehr als 90 Prozent glücklicherweise klinisch stumm und ohne Komplika- tionen verlaufen. Trotzdem ist die Rate an Lungenembolien nach or- thopädisch-traumatologischen Hüft- eingriffen überdurchschnittlich hoch.

Vor diesem Hintergrund gehört es zu den wichtigen Aufgaben des niedergelassenen Orthopäden, Risi- kofaktoren vor Einweisung zu einem Hüfteingriff so weit wie möglich zu reduzieren. So sind Varizen zu sa- nieren, venöse Stauungen und even- tuelle Ulzera zu beseitigen, wobei die Kompressionstherapie eine wesentli- che Rolle spielt. Darüber hinaus sollte natürlich unbedingt auf eine Reduzierung von Übergewicht hin- gewirkt werden.

Für den operativ tätigen Ortho- päden ist die Thromboembolie-Pro- phylaxe eine Conditio sine qua non.

Durch konservative, krankengymna-

operativ mit der Kompressions- strumpf-Versorgung. Bei Patienten mit venösen Beinleiden reicht der gängige, sogenannte „Anti-Embolie- Strumpf" der Klasse I unserer Mei- nung nach nicht aus, hier muß die Versorgung mit einem Strumpf der Kompressionsklasse II erfolgen. We- sentlich ist, daß der Strumpf im Sin- ne einer bestmöglichen Thrombo- seprophylaxe auch während der Operation auf der kontralateralen Seite getragen werden muß, da be- kanntermaßen ein Großteil der Phlebothrombosen bereits intraope- rativ entsteht. Schon präoperativ sollte der Patient krankengymna- stisch zu Entstauungsübungen ange- leitet werden, und selbstverständlich, hat eine frühestmögliche Mobilisati- on zu erfolgen.

Die kostengünstige Low-dose- Heparinisierung mit 3 x 5000 bezie- hungsweise — bei Risikopatienten

— 3 x 7500 IE Heparin bei allen or- thopädischen Eingriffen, die mit ei- ner Mobilitätsminderung einherge- hen, hat sich bestens bewährt. Den Einsatz niedermolekularer Heparine beschränken wir aus Kostengründen zur Zeit im wesentlichen auf den am- bulanten Bereich. Bei Hochrisiko- stische und medikamentöse Maß-

nahmen kann das Thromboserisiko bei Implantation von Hüftgelenks- Totalendoprothesen um mehr als die Hälfte gesenkt werden. Die Throm- boseprophylaxe beginnt bereits prä-

Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992 (53) A1-4379

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Patienten (thrombo-embolische Ge- schehen in der Anamnese, Tumorpa- tienten, Adipositas per magna, even- tuell noch verbunden mit kardiovas- kulären und Stoffwechselerkrankun- gen) kommt peri- und postoperativ auch die PTT-gesteuerte i.v.-Hepari- nisierung in Frage. Wir beobachte- ten hierunter keine überdurch- schnittliche Blutungsneigung oder Hämatombildung.

Die manifeste Phlebothrombose erfordert vom behandelnden Ortho- päden neben raschem Erkennen die Entscheidung über die richtige Thera- pie. Hierfür sind genaue Kenntnisse über Indikationen und Kontraindika- tionen der i.v.-Heparinisierung, der Lysetherapie und der chirurgischen Thrombektomie und Zusammenar- beit mit anderen Fachdisziplinen un- erläßlich. Verlaufskontrollen und sachgerechte Nachbehandlung dür- fen nicht versäumt werden, um sekun- dären Varikosen und postthromboti- schen Syndromen vorzubeugen.

Schlußfolgerung

Orthopädische Erkrankungen sind häufig mit Phlebopathien verge- sellschaftet, da beiden verschiedene prädisponierende Faktoren wie die konstitutionelle Schwäche des Stütz- und Bindegewebes, Adipositas und höheres Lebensalter gemein sind.

Darüber hinaus gehören Beschwer- den im Bereich der unteren Extre- mitäten zu den meistgeklagten Sym- ptomen in der orthopädischen Pra- xis, so daß venöse Beinleiden schon im Rahmen der routinemäßigen In- spektion und Untersuchung so häu- fig wie in kaum einer anderen Fach- disziplin diagnostiziert werden.

Der Orthopäde muß daher in der Lage sein, phlebologische Dia- gnostik, Differentialdiagnostik und -Therapie durchzuführen. Anderer- seits muß jeder phlebologisch Tätige

— gleichgültig welcher Fachrichtung

— zumindest die Grundlagen or- thopädischer Untersuchungstechnik und Differentialdiagnostik beherr- schen, da Beschwerden infolge or- thopädischer Erkrankungen vom Pa- tienten häufig irrtümlich auf ein gleichzeitig bestehendes Venenlei- den zurückgeführt werden.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) .A 1 -4374 4380 [Heft 51/52]

Literatur

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Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. H. 0. Dustmann Dr. med. Iris Ivani6

Klinik für Orthopädie und Traumatologie

am St.-Josef-Krankenhaus Wohlandstraße 18

W-5250 Engelskirchen/Köln

Endoskopisches Screening auf

Ösophagusfrühliarzinom

Mit Invasion der Submukosa weisen bereits 50 Prozent aller Öso- phaguskarzinome hämatogene und lymphatische Metastasen auf. Eine Verbesserung der Prognose ist somit nur durch eine Früherkennung in ei- nem Stadium möglich, wo das Tu- morwachstum noch auf die Schleim- haut beschränkt ist. Oberflächliche karzinomatöse Veränderungen sind kaum mit dem bloßen Auge erkenn- bar, während sie sich mit Lugolscher Lösung deutlich markieren lassen.

Die Autoren führten bei 178 Pa- tienten mit einem Plattenepithelkar- zinom im Kopfbereich, bei denen ei- ne kurative Therapie möglich gewe- sen war, endoskopische Untersu- chungen durch, wobei eine glyzerin- freie Lugolsche Lösung über einen Polyäthylenschlauch unter direkter Sicht auf das Plattenepithel der Spei- seröhre aufgeträufelt wurde. Bei neun (5,1 Prozent) ließ sich ein Öso- phaguskarzinom nachweisen. In acht der neun Patienten lagen zum Zeit- punkt der Diagnosestellung noch keine Lymphknotenmetastasen vor.

Neun der 13 entdeckten Läsionen waren weder radiologisch noch bei der Routineendoskopie aufgefallen.

Die Autoren empfehlen des- halb, bei Patienten mit einem Plat- tenepithelkarzinom der Mundhöhle und der oberen Luftwege gezielt auch nach karzinomatösen Verände- rungen der Ösophagusschleimhaut zu suchen.

Shiozaki, H. H. Tahara, K. Kobayashi et al.: Endoscopic Screening of Early Esopha- geal Cancer With the Lugol Dye Method in Patients With Head and Neck Cancers.

Cancer 66: 2068-2071, 1991.

Departments of Surgery II and Radiology, Osaka University Medical School, Osaka, Japan.

A1 -4380 (54) Dt. Ärztebl. 89, Heft 51/52, 21. Dezember 1992

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