Rationelle Therapie
durch Steigerung des Proteinabtransports aus den Geweben
Michael Földi
Aus der Klinik für Lymphologie und Phlebologie (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Michael Földi)
Das Lymphödem
Ein Lymphödem entsteht, wenn die Transportkapazität des Lymphge- fäßsystems zur Aufrechterhaltung der „extravaskulären Zirkulation der Eiweißkörper des Blutplasmas" nicht ausreicht. Da die der „extra- vaskulären Zirkulation der Plasmaproteine" zugrunde liegende nor- male Blutkapillarpermeabilität nicht verringert werden kann, kann eine rationelle Therapie des Lymphödems nur auf einer Steigerung des Proteinabtransportes aus den Geweben beruhen. Dies gelingt in wirksamer und schonender Weise mit Hilfe der konservativen komple- xen physikalischen Entstauungstherapie. Gewebsreduzierende opera- tive Eingriffe sind nur in seltenen Ausnahmefällen als Ultima ratio indiziert; die sogenannten „physiologischen" Operationsverfahren dürfen nur in hochspezialisierten Zentren bei strenger Indikationsstel- lung durchgeführt werden.
1. Pathogenese
Im Laufe ihrer „extravaskulären Zir- kulation" verläßt während eines Ta- ges etwa die Hälfte der zirkulieren- den Plasmaproteinmasse die Blutka- pillaren und gelangt in das Intersti- tium. Die Eiweißmoleküle werden hier von den Lymphkapillaren resor- biert und über das Lymphgefäßsy- stem in die Blutbahn zurückgeleitet.
Diejenige Eiweißmenge, welche in der Zeiteinheit an diesem Vorgang von großer physiologischer Bedeu- tung teilnimmt, wird als „lymph- pflichtige Last" bezeichnet. Genau- so wie „harnpflichtige" Stoffe nur durch die Nieren ausgeschieden werden, können Eiweißkörper aus dem lnterstitium in den meisten Kör- perregionen lediglich über das Lymphgefäßsystem abtransportiert werden.
Ein Nierenversagen führt zu einer Ansammlung der harnpflichtigen Stoffe im Blut, zu einer Azotämie; ist das Lymphgefäßsystem aus irgend- einem Grunde nicht in der Lage, die anfallende lymphpflichtige Eiweiß- last abzutransportieren, so kommt es zu einem Rückstau der die Blut- kapillaren kontinuierlich weiter ver- lassenden Eiweißmoleküle im Inter- stitium.
Der Körper mobilisiert nun das mo- nonukleäre phagozitierende System (MPS): Eiweißmoleküle werden von Makrophagen aufgenommen bezie- hungsweise abgebaut.
Versagt auch diese „extralymphati- sche zelluläre Plasmaproteinbewäl- tigung"
(V),
so verursacht der an- haltende Proteinstau infolge des kolloidosmotischen Soges der Ei- weißmoleküle eine Wasseransamm-lung, ein Lymphödem. Es ist, seinem Entstehungsmechanismus entspre- chend, durch eine hohe Eiweißkon- zentration gekennzeichnet. Hält die- ser Zustand an, so entsteht eine Fi- brose.
Bei einer Lymphostase werden nicht nur die „extravaskuläre Zirkulation"
der Plasmaproteine, sondern auch die der Lymphozyten und infolge- dessen die immunologischen Ab- wehrmechanismen beeinträchtigt.
Hinzu kommt, daß das eiweißreiche Staugebiet ein guter Nährboden für pathogene Keime ist; lymphödema- töse Gebiete sind infektionsanfällig.
Pilzinfektionen sowie Erysipele sind häufige Erscheinungen. Ihre Folgen addieren sich zu gelegentlichen ste- rilen entzündlichen Schüben und beschleunigen die Progression des Leidens von einem reversiblen Sta- dium über ein chronisch-irreversi- bles bis zu demjenigen der lympho- statischen Elefantiasis.
Die ausschlaggebende Rolle des Ei- weißkörperrückstaus in den Gewe- ben in der Pathophysiologie des Lymphödems beweisen Tierversu- che: Durch längere Zeit hindurch wiederholte Injektionen von homo- logem Plasma ließ sich ein „Lymph- ödem ohne Lymphostase" herbei- führen; das histologische Bild ent- sprach demjenigen eines Lymph- ödems (2).
') Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis
Tabelle 1: Die Klassifikation der sekundären Lymphödeme
1.
Spontane Formen
1.1. Malignome1.1.1. Lymphangiosis carci- nomatosa (Verschluß von Lymphgefäßen von innen)
1.1.2. Kompression von Lymphgefäßen oder/
und Lymphknoten 1.2. Lymphangitis 1.2.1. Bakterien 1.2.2. Pilze 1.2.3. Parasiten 1.2.4. Insekten 1.2.5. Staub 1.3. Traumen
1.4. Degenerative Lymphan- giopathien
2.
latrogene Formen
2.1. Folgeerscheinung einerradikalen Krebsopera- tion und Bestrahlung 2.2. Lymphographie (Ver-
schluß von Lymphge- fäßen)
2.3. Durch unsachgemäße Eingriffe verursacht 2.3.1. Lymphknotenentfer-
nung (Leiste, Kniekeh- le) aus Horizontal- schnitt
2.3.2. Venen-Stripping
Tabelle 2: Ärztliche Eingriffe, welche zur Verschlechterung eines Lymphödems führen können und aus diesem Grunde unbedingt vermieden werden müssen
• In das ödematöse Gebiet subkutane, intramuskulä- re, intravenöse oder in- traartikuläre Injektionen verabreichen und Blut entnehmen
• Akupunktur und Heilanäs- thesie mit Einstechen von Nadeln in das ödematöse Gebiet. Blutegel
(1)
Am ödematösen Arm den Blutdruck messen O Grobe, knetende Massa-geformen verordnen (i) Wärmebehandlung, Kälte-
behandlung, Alkoholum- schläge, Zinkleimver- bände
42
Anstrengende, schmerz- hafte Krankengymnastikf)
Invasive diagnostische Verfahren: Lymphogra-phie, Phlebographie, Ar- teriographie ohne eine klar formulierte Fragestel- lung mit ebenfalls klar formulierten therapeuti- schen Konsequenzen ein- setzen. (Versicherungs- medizinische Fragestel- lungen rechtfertigen die- se Verfahren nicht). Eine Phlebographie darf ohne vorangegangene Inspek- tion und ohne vorher nichtinvasive hämodyna- mische Untersuchungen durchgeführt zu haben, nicht indiziert werden O Eine Probeexzision (Ge-
webe, Lymphknoten) zur Lymphödemdiagnostik durchführen. (Onkologi- sche Fragestellungen rechtfertigen eine Probe- exzision!)
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2. Klassifikation
Wir unterscheiden primäre und se- kundäre Lymphödeme.
2.1. Primäre Lymphödeme
Primäre Lymphödeme beruhen auf einer Entwicklungsstörung. Bei ei- ner Hypoplasie ist die Transportka- pazität des Lymphgefäßsystems her- abgesetzt, weil die Lymphkollekto- ren zu spärlich an Zahl und zu eng- kalibrig sind. Bei einer Lymph- angiektasie kommt es infolge der Weite der Lymphgefäße zu einer In- suffizienz der Lymphgefäßklappen und zu einer Beeinträchtigung der Lymphströmung. Über eine Aplasie von Lymphkollektoren spricht man, wenn beim Versuch einer Lympho- graphie nach der subkutanen Injek- tion von Patentblauviolett keine Lymphkollektoren aufgefunden wer- den. Nach neuen Befunden von Kin- month und Wolfe (3) sollen primäre Beinlymphödeme vorwiegend auf ei- ner primären Fibrose der inguinalen Lymphknoten beruhen.
Das Leiden kann angeboren sein;
ein „Lymphoedema praecox" 2) tritt in den ersten drei Dezennien auf, ein
„Lymphoedema tardum" 3) erst spä- ter. Bei einer angeborenen Anomalie handelt es sich vor dem Auftreten des Lymphödems um eine „Lymph- angiopathie mit (noch) suffizienter Lymphdrainage": Die Transportka- pazität ist zwar herabgesetzt, sie reicht jedoch zur Bewältigung einer normalen lymphpflichtigen Last noch aus. Es gibt familiäre und spo- radische Formen.
Die nicht angeborenen primären Lymphödeme können entweder in chronischer Form oder akut begin- nen. Beim akuten Beginn kann ein auslösender Faktor (Verrenkung des Fußes, Insektenstich usw.) vorhan- den oder nicht vorhanden sein.
Die meisten primären Lymphödeme treten an den unteren Extremitäten in Erscheinung. Oft ist nur eine
2) praecox = verfrüht, vorschnell 3) tardus = spät
Tabelle 3: Der Spontanverlauf primärer und sekundärer Lymph- ödeme zeigt eine Progression. Durch eine komplexe physikalische Entstauungstherapie kann eine Umkehr herbeigeführt werden
Spontanverlauf
Latentes Stadium, bzw.
Lymphangiopathie mit noch suffizienter Lymphdrainage
Reversibles Stadium
Chronisch-irrever- sibles Stadium
Lymphostatische Elephantiasis
Stewart-Treves- Syndrom
Komplexe physikalische Entstauungstherapie Gliedmaße betroffen; bei der (noch)
ödemfreien Gliedmaße handelt es sich in diesen Fällen um eine
„Lymphangiopathie mit (noch) suffi- zienter Lymphdrainage". Bei dop- pelseitigem Befall ist das eine Bein meist stärker betroffen als das ande- re. Gelegentlich bestehen zusätzlich Entwicklungsstörungen anderer Or- gane.
2.2. Sekundäre Lymphödeme Bei sekundären Lymphödemen ist die Transportkapazität des Lymph- gefäßsystems durch eine Lymph- angiopathie beziehungsweise durch eine mechanische Unterbrechung des Lymphflusses herabgesetzt (Ta- belle 1). In Europa sind die im Zu- sammenhang mit Malignomen ste- henden sekundären Lymphödeme von größter Bedeutung. Ein Lymph- ödem kann durch die Geschwulst selbst verursacht sein oder als Fol- geerscheinung einer radikalen Krebsoperation durch die Resektion regionaler Lymphknoten bezie- hungsweise durch eine Irradiation auftreten. In solchen Fällen manife- stiert sich das Lymphödem manch- mal erst nach Jahren, nach einem klinisch ödemfreien „Latenzsta- dium".
3. Prognose
Wenn wir die primären Lymphöde- me sowie diejenigen sekundären Lymphödeme, die entweder von ei- nem Malignom unabhängig entstan- den sind oder als Folge einer end- gültig erfolgreichen Malignombe- handlung in Erscheinung getreten sind, als „benigne" Lymphödeme bezeichnen, so geschieht das, weil ihre Prognose quoad vitam gut ist:
das Lymphödem selbst beeinträch- tigt die Lebenserwartung nicht. Le- diglich eine Komplikation des Lymphödems, das Lymphangiosar- kom (Stewart-Treves-Syndrom)führt in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zum Tod.
Bei primären Lymphödemen muß mit dieser Komplikation in 1,2 Pro- zent, bei sekundären Lymphödemen
nach Brustkrebsoperation in bis zu 10 Prozent (4, 5) der Fälle gerechnet werden.
Die Prognose eines „malignen"
Lymphödems wird vom Krebsleiden bestimmt. Quoad sanationem ist die Prognose eines unbehandelten be- nignen Lymphödems schlecht. Wie bereits erwähnt, schreitet das Lei- den von Stadium zu Stadium voran.
Es kann zu frühzeitiger Invalidität führen (Tabelle 2). Eine Restitutio ad integrum ist auch durch adäquate therapeutische Maßnahmen nicht möglich.
Mittels einer rechtzeitig eingesetz- ten „komplexen physikalischen Ent- stauungstherapie" (siehe Punkt 7) gelingt es jedoch zumindest, die Progression aufzuhalten und im günstigsten Fall die Rückkehr selbst aus dem Stadium der lymphostati- schen Elefantiasis bis zum Latenz- stadium beziehungsweise zum Sta- dium einer „Lymphangiopathie mit suffizienter Lymphdrainage" herbei- zuführen; hierdurch wird die Ar- beitsfähigkeit der Patienten wieder- hergestellt (Tabelle 3).
4. Diagnose
Die Kenntnis der allgemeinen Diffe- rentialdiagnostik ödematöser Zu- stände sowie der verschiedenen ty- pischen Lymphödemformen ermög- lichen in der überwiegenden Mehr- zahl der Fälle die Diagnose aufgrund der Anamnese sowie der Inspektion und der Palpation des ganzen ent- blößten Körpers.
Bei der Erstellung der Diagnose
„primäres Lymphödem" muß es sich stets um eine Diagnose „per exclu- sionem" handeln.
Ein durch ein Malignom verursach- tes sekundäres Lymphödem muß, vor allem beim „Lymphoedema tard- um", durch eine gründliche interni- stische, hämatologische, gynäkolo- gische, urologische, sonographi- sche und möglichst nichtinvasive ra- diologische Untersuchung (Compu- tertomographie) ausgeschlossen werden.
Da ein Lymphödem durch eine Lym- phographie mit einem öligen Kon- trastmittel verschlechtert werden
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Tabelle 4: Hinweise für Patientinnen nach einer Brustkrebsbehandlung (Operation; Bestrahlung; Operation und Bestrahlung) mit und ohne Armlymphädem
1. Im Beruf und Haushalt
Verletzungen, Überanstrengung, Hitze und Kälte meiden
1.1. Vorsicht mit dem Küchenmesser
1.2. Vorsicht beim Nähen (Fingerhut benützen) 1.3. Kein Abwasch im heißen Wasser
1.4. Bedienen Sie keinen heißen Ofen oder Back- ofen ohne Handschuhtopflappen
1.5. Putzen Sie keine Fenster mit erhobenem Arm 1.6. Keine schweren Einkaufstaschen tragen 1.7. Vorsicht beim Bügeln
1.8. Keine Zigarette in die Hand des geschwolle- nen Armes nehmen
1.9. Keine Armbanduhr an der geschwollenen Seite tragen
Auch bei Arbeiten im Haushalt Armstrümpfe bzw. Gummihaushaltshandschuhe anziehen
2. Bei der Kleidung
Die Träger des Büstenhalters dürfen nicht einschneiden, weder an der Schulter noch am Brustkorb
Tragen Sie eine federleichte Prothese
3. Bei der Schönheits
-und Körperpflege
Peinlichste Sauberkeit — gründliche Haut- pflege
3.1. Bei der Nagelpflege den Nagelfalz nicht schneiden. Vorsicht beim Feilen. Nagelhaut weder zurückschieben noch schneiden 3.2. Keine reizenden, allergisierenden Kosmetika
verwenden 3.3. Keine Sauna 3.4. Kein Sonnenbad
3.5. Keine knetende Massage des Armes
4. Beim Friseur
Schulter und Arm vor der Hitzeeinwirkung der Trockenhaube schützen
5. Im Garten
Verletzungen vermeiden (Stacheln, Dornen, Geräte)
6. Bei der Tierhaltung
Bisse und Kratzer am geschwollenen Arm un- bedingt vermeiden (Katzenkrallen müssen operativ entfernt werden)
7. Beim Sport
7.1. Keine Anstrengung 7.2. Keine Frostschäden7.3. Keine Verletzungen (Schwimmen gehört zu den therapeutischen Maßnahmen)
8. Bei der Ernährung
8.1. Sollgewicht halten8.2. Ausgewogenheit (Fleisch, Gemüse, frisches Obst)
8.3. Kochsalzzufuhr einschränken
9. Während des Tages
Spezielle gymnastische Übungen im Arm- strumpf durchführen. Den vom Arzt verordne- ten Armstrumpf tragen
10. Während der Nachtruhe
Den ödematösen Arm hochlagern11. Bei der Urlaubsplanung
Insektenverseuchte Gebiete meiden
12. Beim Arzt
12.1. Blutdruck nicht auf der operierten/geschwol- lenen Seite messen lassen
12.2. Keine Injektion (weder in die Haut noch in die Muskeln, in die Vene oder ein Gelenk) auf der operierten/geschwollenen Seite geben lassen.
Keine Spritzen in die Operationsnarbe 12.3. Kein Blut auf der operierten/geschwollenen
Seite entnehmen lassen
12.4. Keine Akupunkturbehandlung, keine Heilan- ästhesie auf der operierten/geschwollenen Seite durchführen lassen
13. Sofort den Arzt aufsuchen,
13.1. wenn am ödematösen Arm eine Entzündung auftritt (Fieber, Rötung, Schüttelfrost)
Tabelle 5: Hinweise für Patienten mit Beinlymphödemen
1. Keine Verletzungen
1.1. Tragen Sie kein enges und hochhackiges Schuhwerk und keinen einschneidenden Pumpsabschluß
1.2. Gehen Sie nicht außerhalb der Wohnung barfuß
1.3. Vorsicht bei der Fußpflege; den Nagelfalz nicht schneiden
1.4. Keine reizenden, allergisierenden Kosmetika verwenden
1.5. Keine Injektion (weder in die Haut noch in die Muskeln oder in ein Gelenk) auf der ge- schwollenen Seite geben lassen
1.6. Keine Akupunkturbehandlung; keine Blut- egelbehandlung
1.7. Bei der Urlaubsplanung insektenverseuchte Gebiete meiden
1.8. Keine Frostschäden (bei kalter Witterung warme Socken tragen)
2. Bei der Kleidung
Bei der Unterwäsche sollten keine Slips mit in die Haut einschneidenden Abschlußrändern, die sichtbare Rillen hinterlassen, getragen werden. Unterhosen mit Bein bevorzugen.
Keine engen Gürtel tragen.
3. Während des Tages
Spezielle gymnastische Übungen im Kom- pressionsstrumpf beziehungsweise in der Kompressionsstrumpfhose durchführen. Den vom Arzt verordneten Kompressionsstrumpf (Kompressionsstrumpfhose) tragen. Nicht mit übergeschlagenen Beinen sitzen.
4. Während der Nachtruhe
Das ödematöse Bein hochlagern 5. Keine AnstrengungSchwimmen gehört zu den therapeutischen Maßnahmen
6. Bei der Ernährung 6.1. Sollgewicht halten
6.2. Ausgewogenheit (Fleisch, Gemüse, frisches Obst)
6.3. Kochsalzzufuhr einschränken 7. Keine Sauna
8. Kein Sonnenbaden
9. Knetende Massage des ödematöseri Beines nicht gestattet
10. Bei Platt- und Spreizfüßen: die vom Orthopä- den verordneten Einlagen tragen
11. Frau: Bei der Familienplanung den Lympho- logen konsultieren
12. Sofort den Arzt aufsuchen,
12. 1. wenn eine Fußpilzerkrankung auftritt (Ein- risse zwischen den Zehen; gelbe, brüchige Nägel)
12.2. im Fall einer bakteriellen Infektion bezie- hungsweise eines infektiösen Schubes (Fie- ber, Rötung, Schüttelfrost)
kann, steht sie bei der Tumorsuche, nach der Ausschöpfung aller ande- ren Verfahren, an letzter Stelle (6).
Zur Differentialdiagnose zwischen Lymphödemen auf der einen und phlebo-lymphostatischen bezie- hungsweise phlebo-lymphodynami- schen Ödemen auf der anderen Sei- te dienen neben Anamnese und phy- sikalischer Untersuchung, Doppler-
Sonographie, Venenverschlußple- thysmog raph ie und Venendruck- messung. Beim Einsatz der Phlebo- graphie ist Zurückhaltung geboten, da es gelegentlich auch nach einer Phlebographie zu einer Verschlech- terung des Lymphödems kommt.
Die Phlebographie hat beim Ver- dacht auf eine tiefe Beinvenen- thrombose ihren Platz. Bei Gewebs- entnahmen ist Vorsicht geboten; die
Entfernung von inguinalen oder po- plitealen Lymphknoten, vor allem aus langen horizontalen Schnitten, kann Lymphödeme verschlechtern und eine lympho-(nodo-)venöse Shunt-Operation unmöglich ma- chen. Wenn Verdacht auf ein „mali- gnes Lymphödem" besteht, ist, falls eine Feinnadelbiopsie keine Klärung verschafft hat, eine Probeexzision selbstverständlich unerläßlich.
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5. Nil nocere!
Bei jedem Lymphödem-Patienten sowie bei jedem Lymphödem-Ge- fährdeten — in erster Linie bei Pa- tienten nach operativer oder/und strahlentherapeutischer Krebsbe- handlung an der Wurzel einer Glied- maße — handelt es sich um einen äußerst delikaten Gleichgewichtszu- stand zwischen der lymphpflichti- gen Last und der Transportkapazität des Lymphgefäßsystems.
In Tabelle 3 sind diejenigen ärztli- chen Eingriffe zusammengestellt, welche in diesen Fällen zum Auftre- ten eines Lymphödems beziehungs- weise zur Verschlechterung eines bereits bestehenden Lymphödems führen können. Diese Eingriffe ver- ursachen meist gleichzeitig eine Senkung der Transportkapazität des Lymphgefäßsystems und eine Erhö- hung der lymphpflichtigen Last.
6. Prophylaxe — Die
Aufklärungspflicht des Arztes
Die Aufklärung über die Möglichkeit des Entstehens eines sekundären Lymphödems ist nach operativer oder/und strahlentherapeutischer Krebsbehandlung ebenso unerläß- lich wie die Belehrung über die zu dessen Verhütung notwendigen Ver- haltensmaßregeln; die Behauptung, hierdurch würden die Patienten„verunsichert", ist unsachgemäß und daher zurückzuweisen. Bei Pa- tienten mit Beinlymphödemen ist auf die Gefährdung durch Schwan- gerschaften hinzuweisen.
Aufgrund von Literaturdaten und ei- genen Erfahrungen wurden für lymphödemgefährdete sowie an ei- nem Lymphödem leidende Patien- ten Merkblätter zusammengestellt (Tabellen 4 und 5). Das Mißachten der in diesen enthaltenen Vorschrif-
ten kann — durch Steigen der lymph- pflichtigen Last oder/und Senkung der Transportkapazität des Lymph- gefäßsystems — dazu führen, daß sich aus einem Latenzstadium schlagartig ein manifestes Lymph- ödem entwickelt oder daß sich ein bereits bestehendes Lymphödem verschlechtert.
7. Therapie
Jedes Lymphödem ist behandlungs- bedürftig. Zunächst müssen Infek- tionen (Pilze, Bakterien) saniert und eine Hautpflege eingeleitet werden.
Anschließend wird eine konservative komplexe physikalische Entstau- ungstherapie durchgeführt. Diese besteht aus Spezialmassagen, Bandagierungen, Krankengymna- stik, Elevation und gelegentlich ap- parativer Expression und muß in schwierigen Fällen stationär durch-
Tabelle 6: Chirurgische Maßnahmen beim Gliedmaßenlymphödem
Anwendungsgebiet, Indikation Anmerkung Keine Routinever- fahren!
Sekundäre Lymphödeme vor dem Eintritt fibrotisierender Gewebsveränderungen Prophylaxe sekundärer Lymphödeme nach Lymphadenektomie bei Malignom- operationen
„Physiologische"
Verfahren
1. Lympho-(nodo-)venöser Shunt
2. Lymphgefäßtransplantation
Resektive Verfahren
Lymphostatische Elefantiasis, wenn die Relative Indikation komplexe physikalische Entstauungsthe-rapie versagt hat
Amputation
LymphangiosarkomTotale Plexus-brachialis-Lähmung
Absolute Indikation Relative Indikation
Obsolete Verfahren
1. Implantation von Fäden, Schläuchen, Netzen 2. Arterienligatur
3. Omentumtransplantation 4. Venolyse
geführt werden (7, 8, 9, 10). Gleich- zeitig müssen eventuell bestehende, das Lymphödem aggravierende Be- gleiterkrankungen behandelt wer- den.
Die durchschnittliche Behandlungs- dauer beträgt sechs Wochen und endet mit dem Anmessen eines Kompressions-(Arm-)strumpfes. Ein- zelne Bausteine dieses komplexen Verfahrens sind, in isolierter Weise vorgenommen, insuffizient.
Wir lehnen aufgrund theoretischer Überlegungen und praktischer Er- fahrungen das sogenannte "Auswik- keln" (11 ), eine chronische Verabrei- chung von Diuretika (12), die soge- nannte "Mesotherapie" (13) und die Verabreichung von Glukokortiko- iden (14) ab.
Das Anwendungsgebiet der chirur- gischen Therapie ist sehr begrenzt (Tabelle 4).
..,.. Die Gefahr einer Metastasenför- derung durch die komplexe physika- lische Entstauungstherapie bei der Behandlung von mit Malignomen in Zusammenhang stehenden sekun- dären Lymphödemen besteht nicht.
Maligne Veränderungen werden aus der manuellen Behandlung ausge- spart. Sollten dennoch derartige, unentdeckt gebliebene Areale zufäl- lig massiert werden, so ist es keines- wegs bewiesen, daß es dadurch zu einer Propagation maligner Zellen kommt.
Selbst die Lymphographie, bei wel- cher Öl in die Lymphgefäße und Lymphknoten infundiert wird, verur- sacht dies nicht (15). Sollte bei der Massage dennoch die Zahl der zir- kulierenden Karzinomzellen erhöht werden, so gelten die Befunde von Wal/ace, der im Tierversuch den Be- weis erbrachte, daß ein intensives Massieren eines Walker-Karzinoms weder die Zahl noch das Ausmaß der Metastasen beeinflußt (16).
Bei durch einen Krebs verursachten
"malignen" Lymphödemen hat die onkologische Behandlung selbst- verständlich absoluten Vorrang. Bei
gleichzeitiger onkologischer Be- handlung ist eine von E. Földi (17) modifizierte komplexe physikalische Entstauungstherapie indiziert. Falls notwendig, wird eine perkutane Ödempunktion mit Hilfe der Cursh- manschen Kanülen vorgenommen;
gelegentlich werden vorübergehend Diuretika verabreicht.
Literatur
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"Lymphedema" without Lymphostasis: Ex- cess Proteins as the Cause of Chronic lnflam- mation, Vortrag 7. Internationaler Kongreß für Lymphologie, Florenz, 28. 10. bis 2. 11. 1979- (3) Kinmonth, J. B.; Wolfe, J. H.: Fibrosis in the lymph nodes in primary lymphoedema, Annals of the Royal College of Surgeons of England 62 (1980) 344- (4) Servelle, M.: Pathologie vasculaire, 3. Pathologie Lymphatique, Mas- son & Cie, Paris (1975) - (4) Bacmann, D.;
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1. 1980
Professor Dr. med. Michael Földi Haus am Kurpark
Haslachstraße 1 7821 Feldberg 1-Falkau
Dipyridamol und Azetylsalizylsäure bei rezidivierenden
tiefen Venenthrombosen
Bei Patienten, bei denen trotz ad- äquater Antikoagulation und ohne Existenz von prädisponierenden Faktoren rezidivierende tiefe Ve- nenthrombosen entstehen, stellte der Autor eine verkürzte Thrombozy- tenüberlebenszeit fest. ln dieser Un- tersuchung wurde versucht, durch Gabe von Azetylsalizylsäure und Di- pyridamol die Rezidivthromboserate zu senken.
ln einer prospektiven doppelblinden Studie wurde über 18 Monate 100 mg Dipyridamol/die und 1200 mg Azetylsalizylsäure/die gegeben. Die Plättchenüberlebenszeit wurde nach 6, 12 und 18 Monaten be- stimmt. 19 Patienten erhielten Ve- rum, 19 Placebo.
ln der Verumgruppe kam es zu 1 Thromboserezidiv, in der Placebo- gruppe zu 7 frischen Thrombosen.
Die Thrombozytenüberlebenszeit wurde durch Azetylsalizylat und Di- pyridamol signifikant verlängert; 2 Patienten der Verumgruppe entwik- kelten jedoch Ulzera.
Die Ergebnisse sprechen für einen Zusammenhang zwischen der Plätt- chenüberlebenszeit und der Präven- tion von tiefen Venenthrombosen.
Die Befunde gewinnen dadurch an Bedeutung, daß die Plättchenüber- lebenszeit auch bei 80 Prozent der Patienten, die nach einer tiefen Ve- nenthrombose unter Antikoagulan- tien rezidivfrei waren, verkürzt war.
Die relativ hohe Rate an Ulzera ist wahrscheinlich auf die hohe Azetyl- salizylat-Dosis zurückzuführen. Die Gabe von 300 mg Salizylat und 75 mg Dipyridamol 2-3 x/die, hat nach Ansicht des Autors denselben Effekt auf die Plättchenüberlebenszeit; die Nebenwirkungsrate wäre jedoch wahrscheinlich geringer. Jns
Peter .steele: Trial of Dipyridamoi-Aspirin in recurnng venous thrombosis. The Lancet 11 (1980), 1328-1329