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Archiv "Wege zur Optimierung der individuellen antidepressiven Therapie: Bei Pharmakotherapie an Östrogene denken" (29.10.2004)

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klein der Anteil an intrinsischer anti- depressiver Eigenwirkung ist – die Ef- fektstärke wird mit 0,2 bis 0,4 angege- ben.

Der Placeboeffekt hingegen ist für die so genannten Antidepressiva aus- gesprochen hoch. Wie jeder Psychiater weiß, bedeutet das nicht, dass die Pati- enten mit Placebos leicht zu behan- deln wären (abgesehen von dem ethi- schen Problem der Lüge in einer ver- trauensvollen Beziehung, das in der Placebobehandlung liegt).

Es wird von der pharmakologischen Wissenschaft gefordert, Studiende- signs zu entwickeln, die den Placebo- effekt ausschließen und nur derartigen Studien wird zuerkannt, dass sie eine hohe Evidenz hätten. Dieses Vorge- hen entspricht dem naturwissenschaft- lichen Erkenntnisanspruch – aller- dings wird hier vergessen, dass eine kritische Beurteilung aus naturwissen- schaftlicher Sicht nicht mit Evidenz im Sinne von Bedeutsamkeit im klini- schen Alltag gleichzusetzen ist.

Gerade in der Behandlung der De- pression wird deutlich, dass die reinen pharmakologischen Effektstärken auch bei „good practice“ niedrig sind – niedriger auch als die Effektstärken der unspezifischen Faktoren. Die strenge naturwissenschaftliche For- schung kann gerade das, was wichtig ist, eben nicht abbilden, weil sie es systematisch eliminiert. Die Heraus- destillation des Placeboeffekts will die Effekte der Beziehungen zwischen Arzt (oder Therapeutin) und Patient aus der Berechnung der Effektstärke nehmen – und so wird im naturwissen- schaftlichen Erkenntnisinteresse der für die Behandlung und Auslösung der Depression enorm wichtige Be- ziehungsaspekt statistisch unsichtbar gemacht. Wenn wir Pech haben, ver- schwindet er auch aus unseren Gedan- ken. Legitim ist ein derartiges Vorge- hen, wenn es um die Erarbeitung von objektiven Erkenntnissen geht. Die müssen dann keine große Bedeutung für die Praxis haben, aber genau sein.

Wenn wir uns im medizinischen Alltag aber auf reine Naturwissenschaft ein- schränken lassen, übersehen wir syste- matisch die Bedeutung der Beziehun- gen, der Subjektivität von Patient und Arzt und die Bedeutung unserer Le-

bendigkeit und Überzeugungen auf die Behandlungen. Die Psychothera- pieforschung hat nachgewiesen, dass die therapeutische Beziehung für den Behandlungserfolg entscheidend ist.

Andererseits kennt die Psychothera- pieforschung die gleichen Probleme:

Empirische, also objektive Nachweise der Wirksamkeit einzelner Interven- tionen müssen die Beziehungsfakto- ren ausblenden, obgleich diese zu- meist wichtiger sind.

Sie entwickeln aus den vorhande- nen Studienergebnissen die Empfeh- lung, Wirkstoffspiegel der Antidepres- siva zu kontrollieren. Hier setzt mein Wunsch an. Wenn wir aus der pharma- kologischen Forschung wissen, wie stark mangelnde Compliance wirksa- me pharmakologische Behandlung er- schwert und aus der Forschung über Antidepressiva wissen, wie groß der Anteil der so genannten Placeboeffek- te an der Wirksamkeit ist, dann wäre es für unseren klinischen Alltag zu fordern, nicht die meiste Forschungs- anstrengung auf die Suche nach intrin- sischer Aktivität zu konzentrieren, sondern an die alte Forderung von Michael Balint zu erinnern, auch die Pharmakologie der Droge Arzt zu erforschen. Zum Beispiel müsste man der Frage nachgehen: Wie kann die Compliance gesteigert werden?

Natürlich gibt es hierzu einige For- schung, aber zum Beispiel bei politi- schen Auseinandersetzungen um Be- handlungsbedingungen in der Klinik oder um Gebührenordnungen werden diese Aspekte immer wieder überse- hen. Ich plädiere dafür, der Medizin die Erkenntnis der Personen Arzt und Patient zu erhalten.

Leider sind hier keine Drittmittel zu erwarten und die große praktische Bedeutung für den medizinischen All- tag und für die Krankheitsauslösung bleibt wenig beachtet. Es ist leicht zu erkennen, dass die Industrieinteressen hier über Drittmittel einen prägenden Einfluss ausüben, selbst wenn jede Einflussnahme auf Studien unterlas- sen wird.

Dr. med. Klaus Augustin

Facharzt Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse Weusthoffstraße 1

21075 Hamburg

Bei Pharmakotherapie an Östrogene denken

Je nach Definition sollen in Deutsch- land jedes Jahr vier bis acht Millionen Menschen an einer behandlungsbedürf- tigen Depression leiden. Im WHO-Jah- resbericht 2001 werden für entwickelte Länder an Häufigkeit zunehmende De- pressionsprobleme gleich nach Herz- Kreislauf-Leiden genannt. Zwischen beiden besteht eine Wechselwirkung:

Depressive sterben um ein mehrfaches häufiger an Apoplex und haben ein höheres Herzinfarktrisiko. Auch das Osteoporoserisiko sei höher. All diese Probleme erfahren bei Frauen einen ra- santen Inzidenzanstieg mit dem Erlö- schen der Ovarialfunktion um das 50.

Lebensjahr. Eines dieser Phänomene zeigt sich recht prompt: Frauen berich- ten über bisher nicht bekannte Depres- sionen. Das gilt vor allem für berufstäti- ge Frauen, die sich an einem vorher po- sitiv erlebten und oft anspruchsvollen Arbeitsplatz recht kraftlos fühlen. Ex- plizit danach befragt, werden keine neu aufgetretenen Stressfaktoren in ande- ren Lebensbereichen mit Depressions- reaktionen angegeben.

Frauenärzte mit Erfahrung im Um- gang mit Hormonersatz haben Ver- ständnis für dieses Phänomen – und ein erfolgreiches Therapiekonzept. Den Frauen wird ein Östrogenersatz für drei Monate vorgeschlagen. Zwei Drit- tel berichten über deutlich antidepres- sive Effekte der Sexualsteroid-Substi- tution. Das entspricht psychometri- schen Studien zu diesem Thema.

Leider fehlt dieser medikamentöse Therapiearm im Kompetenznetzwerk Depression. Für viele der vier bis acht Millionen Frauen im Klimakterium wä- re eine vorurteilsfreie Forschung nütz- lich.

An der biologischen Plausibilität solch eines Forschungsprojektes gäbe es keinerlei Zweifel. Zur Bedeutung von Östrogenen für das zentrale Ner- vensystem (ZNS) und die Manifestati- on psychiatrischer Erkrankungen un- ter Östrogenmangel gibt es umfang- reiche empirische Daten.

Beispielsweise werden Sexualhor- mone im Vergleich zur Plasmakonzen- tration im übrigen Körper im ZNS um ein Mehrfaches angereichert. Der Um- M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 101⏐⏐Heft 44⏐⏐29. Oktober 2004 AA2969

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satz von Östrogen ist im ZNS deutlich höher als der von Corticoidsteroiden.

Neurosteroidrezeptoren garantieren die biologische Wirksamkeit von Östrogenen. Die Östrogenrezeptoren im ZNS haben Steuerungsfunktion in der DNA der Neuronen und Glia- zellen. Die Verfügbarkeit von Östroge- nen ist wesentlich für die Bereitstel- lung von Neurotransmittern. Durch Östrogen-Substitution lässt sich eine verstärkte Serotoninwirkung mit anti- depressiven Effekten nachweisen.

Östrogene hemmen die MAO-A- Aktivität und wirken wie MAO-Hem- mer antidepressiv in der Perimeno- pause.

Gynäkologen mit Kompetenz auf dem Gebiet der Endokrinologie haben mit endokrin „getriggerter“ Depression schon vor der Menopause zu tun. Beim ausgeprägten prämenstruellen Syndrom mit lebensqualitätsmindernder Depres- sion sind transdermale niedrige Östro- gengaben in der späten Lutealphase er- folgreich. Auch bei postpartaler Depres- sion, also der Wochenbettdepression im Hormontief (nach Plazentaausstoßung um den Faktor 30 bis 50 weniger Sexual- steroide) wäre die Östrogensubstitution eine Therapieoption, die ebenfalls ins Kompetenznetz Depression gehören sollte. Bekanntlich stellt das Wochenbett den stärksten endokrinen Stressfaktor für den Rückfall in eine bekannte Schizo- phrenie und Depression dar.

Im Gesundheitsreport 2003 einer Krankenkasse wurden die Daten zu Fehlzeiten wegen depressiver Erkran- kungen mit volkswirtschaftlicher Be- lastung im Milliarden-Euro-Bereich untersucht. Bei Frauen lagen die höch- sten Ausfallzeiten zwischen 55 und 59 Jahren, also postmenopausal. In die- sem Report interessierte die Verord- nung von Antidepressiva in Tages- dosen (DDD). Diese lagen bei Frauen doppelt so hoch wie bei Männern.

Das heißt, bei perimenopausal erst- mals auftretenden Stimmungsverän- derungen, die keine mittelschwere oder schwere Depression darstellen, lohnt die Östrogensubstitution. Diese wirkt bei zwei Drittel erfolgreich anti- depressiv.

Lässt sich bei einer Major-Depressi- on, die erstmals prämenopausal auftritt, mit mehreren Versuchen einer Antide-

pressionsbehandlung keine Vollremissi- on erreichen, sollte man Östrogene in transdermaler Form als Zusatzmedi- kation verordnen. Bekannt ist, dass das Östrogenangebot das Ansprechen serotonerger und noradrenerger Neu- ronen auf Antidepressiva erleichtert.

Der antidepressive Nutzen substi- tuierter Östrogene in den ersten Jah- ren nach der Menopause bei sonst ge- sunden Frauen ist sicher höher als die Risiken. Erinnert sei, dass im WHI- Östrogen-Studienarm das Mamma- karzinomrisiko im Placebovergleich um bis zu einem Drittel reduziert wurde (3). Wenn der WHI-„Wirbel“

abgeklungen ist, wäre eine Übersichts- arbeit zu psychotropen Effekten substituierter Östrogene sicher sehr nützlich.

Literatur

1. Behl C (MPI-Psychiatrie): Estrogen – mystery drug for the brain. New York, Berlin, Heidelberg: Springer- Verlag 2000.

2. Halbreich U: Role of estrogen in postmenopausal depression. Neurology 1997; Suppl. 48: 16–20.

3. The Women´s Health Initiative Steering Comittee:

Effects of conjugated equine estrogen in postmeno- pausal women with hysterectomy. JAMA 2004; 291:

1701–1712.

4. Wenderlein JM: Depression und Klimakterium, psycho- metrische Studie. Gebfra Thieme 1982; 11: 833–837.

Prof. Dr. med. Dipl. Psych.

J. Matthias Wenderlein Universität-Frauenklinik Prittwitzstraße 41, 89075 Ulm

Schlusswort

Auch wenn unser Artikel primär der Optimierung der medikamentösen Therapie galt, so dürfte doch schon aufgrund der Tatsache, dass eine Auto- rin ihren Arbeitsschwerpunkt in der Psychotherapie hat, klar sein, dass wir uns der Wichtigkeit psychotherapeu- tischer Strategien bei der Depressions- behandlung bewusst sind. Freilich gilt für diese Ansätze genauso wie für Antidepressiva, dass aus der Beobach- tung einer Wirksamkeit eines Ver- fahrens kein direkter Schluss auf die Pathogenese der Depression erlaubt ist. Wie die Leitlinie der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzte- schaft (AkdÄ) zur Depressionsbe- handlung auch in ihrer kommenden Neuauflage darstellen wird, ist nur für

wenige psychotherapeutische Verfah- ren eine antidepressive Akut- oder Langzeitwirksamkeit gesichert. Die von Rabenbauer zitierte Studie von Evans et al. untersuchte, ob eine drei- monatige kognitive Therapie (allein oder in Kombination mit Imipramin) im Vergleich mit einer zwölfmona- tigen Imipramin-Monotherapie über zwei Jahre Rezidive verhindern kann.

Ihre Wirksamkeit war in der Tat der Imipramintherapie vergleichbar. Den- noch räumen die Autoren selber ein, dass die untersuchte Studienpopula- tion im Grunde zu klein und die Beob- achtungsphase zu kurz war, um ein- deutig Rückfälle von Rezidiven unter- scheiden zu können. Interessanter- weise zitieren sie eine ältere Studie von Prien und Kupfer (1986), (3) un- terschlagen aber daraus einen ent- scheidenden Punkt: Dass nämlich das Rückfall- beziehungsweise Rezidiv- risiko nicht so sehr davon abhing, ob nach Erreichen der Remission die Me- dikation fortgesetzt wurde oder nicht, sondern von der in der behandelten Indexepisode erreichten Dauer der Symptomfreiheit (also Vollremission).

Mindestens viermonatige durchge- hende Symptomfreiheit prädisponiert zu anschließend gleich hoher Rezidiv- wahrscheinlichkeit unter Verum und Placebo. Im Übrigen wurden die Er- gebnisse der Evans-Studie auch in einer speziellen Sektion des Journal of Consulting and Clinical Psychology (1996; 64: 74–108) kritisch kommen- tiert.

Auch wenn wir mit der Gleichset- zung des Beziehungsaspekts und des Placeboeffekts sicher nicht einver- standen sind, so stimmen wir selbst- verständlich Dr. Augustin zu, dass „die therapeutische Beziehung für den Be- handlungserfolg eine entscheidende Rolle hat“. Hierzu existieren ja auch durchaus Studien (vergleiche zum Beispiel [2]), auch zur Frage von Com- pliance-fördernden oder -behindern- den Faktoren. Im Übrigen gibt es auch in der Psychotherapie eine heftige Diskussion zu der Frage „medizini- sches Modell“ oder „kontextuelles Modell“ (vergleiche hierzu Wampold 2001 [4]).

Die positive Einstellung von Prof.

Wenderlein zur antidepressiven Wirk- M E D I Z I N

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A2970 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 101⏐⏐Heft 44⏐⏐29. Oktober 2004

Referenzen

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Interessanter- weise zitieren sie eine ältere Studie von Prien und Kupfer (1986), (3) un- terschlagen aber daraus einen ent- scheidenden Punkt: Dass nämlich das

(62), dass nur 20 bis 25 Prozent der Behandelten sensu stricto Verum-Res- ponder sind, wirft insbesondere in An- betracht der hohen Zahl nur teilweise gebesserter Patienten sowohl

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