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Archiv "Wege zur Optimierung der individuellen antidepressiven Therapie" (07.05.2004)

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ie unipolare Depression („major depressive episode“) wird nach einer Hochrechnungen der WHO im Jahre 2020 weltweit die zweithäufig- ste Erkrankung darstellen (28, 52). Die Lebenszeitprävalenz für eine einzelne depressive Phase liegt nach neueren europäischen Studien bei etwa 12 bis 17 Prozent bei einer 6-Monats-Prävalenz von circa 5 Prozent (73), die Rezidivra- te beträgt 50 Prozent, die Chronifizie- rungsrate 15 bis 25 Prozent (8, 74); es besteht eine 21fach erhöhte Sterblich- keit durch Suizide (26) sowie eine ge- genüber der Normalbevölkerung um das Zwei- bis Dreifache erhöhte Ge- samtmortalität (68). Die Sterblichkeit somatischer Erkrankungen, wie bei- spielsweise des Myokardinfarktes, kann durch eine gleichzeitig bestehen- de Depression stark erhöht werden (12). Die meisten Erkrankten konsul- tieren an erster Stelle den Hausarzt, ge- folgt vom Psychiater und Psychologen (45). Es ist wiederholt – und kürzlich auch an dieser Stelle – betont worden,

dass die Erkennung und Behandlung der Depression, gerade auch im Hin- blick auf die ausgeprägte somatische Komorbidität, verbessert werden muss (28, 35). Wenn eine Depression korrekt diagnostiziert wird, akzeptieren die meisten Patienten eine antidepressive Pharmakotherapie und/oder Psycho- therapie. Bei der Mehrheit der Patien- ten werden aber diagnostische und the- rapeutische Defizite beobachtet (35, 45), auch wenn die Standards der Be- handlung in zahlreichen nationalen und internationalen Leitlinien doku- mentiert sind (27). Eine kompetent durchgeführte antidepressive Behand- lung kann zu erheblichen Kostenein- sparungen, beispielsweise durch die Verringerung stationärer Aufenthalte, führen (47).

Die Gründe für die Kluft zwischen dem Stand des klinisch psychiatrischen Wissens und seiner Verbreitung und praktischen Nutzung sind vielschichtig.

In diesem Zusammenhang sind gene- relle Schwierigkeiten bei der Imple- mentierung von Leitlinien in die Be- handlungsroutine, Defizite in der kli- nisch pharmakologischen Aus- und Weiterbildung, budgetäre Restriktio- nen der Haus- und Fachärzteschaft so- wie durch Marketing bestimmte Ein- flüsse der pharmazeutischen Hersteller zu nennen (35, 36, 38). Das Kompetenz- netz Depression, über das bereits im Deutschen Ärzteblatt berichtet wurde (28), versucht, diese Kluft zu vermin- dern und den Transfer praktischer Er- fahrung in die akademische Forschung und vice versa zu befördern. Jedoch scheinen bei den Bemühungen, die De- pressionstherapie zu verbessern und ih- re Kenntnis zu verbreiten, einige kriti- sche Aspekte, die für das Verständnis und die Gestaltung einer effektiven antidepressiven Therapie bedeutsam M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 197. Mai 2004 AA1337

Wege zur Optimierung der individuellen

antidepressiven Therapie

Zusammenfassung

Die Depression ist weltweit eine der häufig- sten und schwerwiegensten Erkrankungen mit hohem Rückfallrisiko und erhöhter Sterblich- keit. Sie wird in etwa der Hälfte der Fälle nicht diagnostiziert und oft nicht adäquat behan- delt. Antidepressiva besitzen eine vergleichs- weise niedrige Effektstärke; unspezifische Kon- texteffekte spielen für das Endresultat eine wesentliche Rolle. Auch wenn durchschnittlich zwei Drittel der Patienten nach mehrwöchiger Therapie eine erniedrigte Depressivität zeigen, wird nur bei etwa 50 Prozent eine Vollremissi- on erreicht. Derzeit ist keine valide Voraussage möglich, auf welches Antidepressivum der Pa- tient ansprechen wird. Deshalb sollte neben der Optimierung der nichtmedikamentösen Wirkfaktoren inklusive psychotherapeutischer Strategien der eigentliche Medikamentenef- fekt entsprechend den vorhandenen wissen- schaftlichen Erkenntnissen maximiert werden, um häufiger und in einem akzeptablen Zeitrah- men eine Vollremission zu erreichen. Hierfür

spielt wahrscheinlich die Auswahl eines spezi- ellen Wirkstoffs eine untergeordnete Rolle.

Wichtiger erscheint die Therapieoptimierung, beispielsweise durch die Bestimmung des Plas- maspiegels und eine daraus abgeleitete Anpas- sung der Dosis, adäquate Berücksichtigung von Risikofaktoren sowie die rechtzeitige Ver- ordnung wissenschaftlich belegter Augmenta- tionsstrategien.

Schlüsselwörter: Depression, Therapieerfolg, Psychopharmakotherapie, Serotoninwiederauf- nahmehemmer, psychische Störung

Summary

Improving the Individual Antidepressant Therapy

Depressive disorders belong to one of the most frequent and most severe diseases world-wide with a high risk of recurrence and increased mortality. Depression is not diagnosed in about 50 per cent of the cases and is often not treated

adequately. Antidepressants have a relatively low effect size, and unspecific context effects play an essential role for the final outcome.

Even if the average response rate is about 66 per cent, full remission is achieved in only about 50 per cent. Furthermore, at present no valid prediction exists to which antidepressant an individual patient will respond. Therefore, the obviously low true drug effect should be improved in order to achieve at least a higher rate of full remission instead of just partial re- mission within an acceptable time frame. Most likely, the selection of a special antidepressant compound does not play an essential role in this context. More important appears to be the optimization by e.g. therapeutic drug monitor- ing, adaptation of the individual dosage, ap- propriate consideration of risk factors and the early initiation of scientifically proven augmen- tation strategies.

Key words: depression, therapeutic success, psychopharmacotherapy, serotonin re-uptake inhibitor, psychic disorder

1Brandenburg Klinik, Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik (Direktor: Dr. med. Dr. phil. Jürgen Münch), Bernau-Waldsiedlung

2Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft, Berlin

Barbara Oeljeschläger1 Bruno Müller-Oerlinghausen2

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sind, wenig Aufmerksamkeit zu finden.

Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Einsicht in die nach wie vor be- schränkte Kenntnis des Wirkmechanis- mus sowie die oft überschätzte reale Wirksamkeit von Antidepressiva und die sich daraus ergebende Notwendig- keit, die Therapie individuell zu opti- mieren.

Wirkungsweise von Antidepressiva

Die ätiopathogenetischen Konzepte der Depression wurden noch vor zehn Jahren als wenig fundiert und von eher hypothetischer Natur bezeichnet (48).

Grund hierfür ist ganz wesentlich die Heterogenität und ausgeprägte Ko- morbidität auch scheinbar gut abge- grenzter nosologischer Einheiten wie der unipolaren oder bipolaren Depres- sion (24, 46, 70). Zwar existieren teil- weise gut ausformulierte pathogeneti- sche Modelle, doch „fehlen bisher in entscheidenden Bereichen die empiri- schen Belege“ (8). Als verursachende oder beteiligte Faktoren werden neu- robiochemische und mikroanatomisch strukturelle Veränderungen (60), so- wie vorangegangener oder aktueller biopsychosozialer Stress (20, 64) dis- kutiert, die eine entsprechende Vulne- rabilität bedingen sollen. Wie bedeut- sam oder entscheidend eine bestimmte Variable oder eine Variablenkonstella- tion hinsichtlich der Entwicklung und Rezidivierung/Chronifizierung einer Depression aber letztlich sind, ist bis- her nicht geklärt worden. Dies trifft auch auf psychologische Konzepte wie beispielsweise „erlernte Hilflosigkeit“

zu. Der immer noch gebräuchliche An- satz, von der präklinischen Pharmako- logie angewandter Psychopharmaka auf ein komplementäres (oder dem Krankheitsgeschehen gar vorgängiges) pathologisches Substrat im Gehirn der Erkrankten zu schließen, hat sich als kaum tragfähig herausgestellt. Unbe- streitbar ist zwar, dass als Antidepres- siva klinisch angewandte Substanzen neuro- oder verhaltenspharmakologi- sche Effekte hervorrufen und dass auf- grund solcher Effekte neue Substan- zen entwickelt werden können. Diese Effekte sind aber offenbar weder not-

wendig noch hinreichend für die kli- nisch antidepressive Wirksamkeit (51).

Derzeit wird beispielsweise sehr kon- trovers diskutiert, ob Effekte auf die hippocampale Neurogenese tatsäch- lich konstitutiv für die therapeutische Wirkung von Antidepressiva sind (31, 58, 71). Darüber hinaus modulieren verschiedene Faktoren den virtuellen, nicht präzise festzustellenden antide- pressiven Pharmakoneffekt. Letzterer sei hier als Nettoremissionsrate im ran- domisierten, klinisch kontrollierten Versuch definiert. Thase und Kupfer führen 80 bis 90 Prozent der Varianz im Ansprechen bei der Behandlung leich- ter bis mittelschwerer Depressionen auf so genannte unspezifische Fakto- ren zurück (23, 66); hier sind insbeson- dere die Arzt-Patient-Beziehung (44) und so genannte Kontexteffekte (16) zu nennen.

Aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften besitzen Antidepressiva ein unterschiedliches Nebenwirkungs- spektrum. Das jeweilige Nebenwir- kungsprofil einer Substanz wird schon seit der Frühphase der Antidepressiva- therapie als wichtiges Auswahlkriteri- um neben der individuellen Vorerfah- rung von Arzt oder Patient mit einer spezifischen Substanz empfohlen. Dies bedeutet, dass eine Inbeziehungset- zung der pharmakologischen Wir- kungsmechanismen und der (individu- ellen) Pathogenese der Krankheit – und damit eine valide Prädiktion des (individuellen) Behandlungsergebnis- ses – derzeit nicht möglich ist. Auch wenn es interessante Ansätze zur Vor- aussage des Therapieeffektes bei nach neurobiologischen Hypothesen defi- nierten Patientengruppen gibt (10, 30, 43, 75), hat sich bis heute daraus kein für die Praxis wesentlicher Prädiktor ergeben (13, 46).

Wirkungsstärke von Antidepressiva

Es besteht weitgehend Übereinstim- mung in der wissenschaftlichen Litera- tur, dass im randomisierten, kontrol- lierten Versuch etwa zwei Drittel der Patienten innerhalb von vier bis acht Wochen auf Antidepressiva anspre- chen (7). Die Vollremission wird aller-

dings nur bei weniger als der Hälfte er- reicht (40, 53). Je nach Studienproto- koll sind sehr hohe Ansprechraten auf Placebo zu beobachten (22, 72). Die mittlere Differenz zwischen dem An- sprechen auf Verum und Placebo be- trägt circa 20 Prozent. Die Effektstär- ke von Antidepressiva liegt im Mittel bei circa 0,2 bis 0,4 (49) und ist damit entsprechend den bei Greenberg et al.

(22) zitierten Kriterien trotz der kriti- schen Diskussion von Quitkin et. al.

(57) niedrig. Zusammen mit der Hete- rogenität affektiver Störungen dürfte dies der entscheidende Grund dafür sein, dass in zahlreichen klinischen Studien eine Wirksamkeit von Antide- pressiva gar nicht nachzuweisen war.

Darüber hinaus ist überraschender- weise der Zeitverlauf der Remission bei depressiven Patienten unter der Therapie mit pharmakologisch unter- schiedlichen Antidepressiva und Pla- cebo nach den Ergebnissen einer Zür- cher Arbeitsgruppe analog (62). Somit ist der jeweilige Anteil eines vermut- lich genetisch vermittelten spezifi- schen und unspezifischen Remissions- faktors unklar. Frühe Symptombesse- rung ist ein starker Prädiktor für eine spätere Remission (63). Wirksamkeits- unterschiede, hier reflektiert als un- terschiedliche Ansprechraten, zwi- schen den verschiedenen Substanzen inklusive Placebo resultieren Meta- analysen zufolge vor allem aus der un- terschiedlichen Rate von Studienab- brechern aufgrund nicht tolerierter Nebenwirkungen und fehlendem The- rapieerfolg. Das Fazit von Stassen et al. (62), dass nur 20 bis 25 Prozent der Behandelten sensu stricto Verum-Res- ponder sind, wirft insbesondere in An- betracht der hohen Zahl nur teilweise gebesserter Patienten sowohl im Ver- um- als auch Placeboarm die Frage auf, wie der medikamentöse Gesamt- effekt einer antidepressiven Akutthe- rapie maximiert werden kann; denn die Teilremission mit bestehender Restsymptomatik stellt einen wesent- lichen Risikofaktor für das Auftreten eines Rezidivs dar (18). Jedes Rezidiv erhöht aber das Risiko der Chronifi- zierung und des Suizids. Im Folgenden soll primär auf die Optimierung des pharmakologischen Effekts eingegan- gen werden.

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Ziel ist Vollremission

Vorrangiges Ziel einer Therapieopti- mierung muss die Erhöhung der Zahl voll remittierter Patienten in der Akut- und Erhaltungstherapie sein.

Geht man davon aus, dass sich die Wirksamkeit („efficacy“) einer anti- depressiven Pharmakotherapie im kontrollierten Versuch tatsächlich als ein dem Placebo überlegener Verum- effekt darstellt – und nicht als der Gesamteffekt eines Verums als ak-

tives Placebo (42) – so sollte sich die Verbesserung des Ergebnisses einer medikamentös antidepressiven Thera- pie theoretisch möglichst nur auf me- dikationsbezogene Variablen zurück- führen lassen. Ob dies der Fall ist, wird in der Regel klinisch zunächst in Stu- dien mit jeweils modifizierter Dosis untersucht.

Auf die komplexen methodischen Fragen hinsichtlich dieses Ansatzes und seiner praktischen Umsetzung in der antidepressiven Pharmakothera- pie wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen (54). Die Empfehlung für eine Hochdosierung von Antidepres- siva bei unzureichendem Therapieer-

folg wird in der internationalen Lite- ratur häufig mit der Übersichtsarbeit von Quitkin (56) begründet. Wie Oel- jeschläger (54) kritisch ausführt, wird de facto auf fünf Studien Bezug ge- nommen, von denen vier Imipramin betreffen. Aber nur zwei befassen sich explizit mit dem Effekt verschiedener Imipramindosen und nur eine stellt eine randomisierte, doppelblinde Do- sis-Effekt-Vergleichsstudie (150 mg/d versus 300 mg/d Imipramin) dar. Nach heutigem methodischem Standard

weist aber selbst diese Untersuchung (59) gravierende methodische Mängel auf. So kam es unter anderem zu einer Auswahlverzerrung bei der Randomi- sierung, die zu einem doppelt so hohen Anteil wahnhaft depressiver Patien- ten im 150-mg-Arm im Vergleich zum 300-mg-Arm geführt hatte. Vor diesem Hintergrund ist das ohnehin nicht überzeugende Ergebnis der ausge- prägteren Reduktion von Einzelsym- ptomen auf der in Studien gebräuch- lichsten Hamilton-Depressions-Skala (HAMD-17) zurückhaltend zu inter- pretieren.

Die Behandlungseffekte, definiert als Ansprechraten beziehungsweise

Vollremissionsraten, haben sich durch im Studienprotokoll vorgesehene Do- siserhöhungen meist nicht verbessern lassen. Auch die Wahl neuerer Anti- depressiva, wie aus der Gruppe der selektiven Serotoninrückaufnahme- inhibitoren (SSRI), haben bisher kei- ne generellen klinischen Vorteile ge- genüber dem Einsatz eines nichtselek- tiven Monoaminrückaufnahmeinhibi- tors (NSMRI) erbracht. Vielmehr be- legen verschiedene Metaanalysen für die Akutbehandlung eine vergleich- bare Wirksamkeit und eine weitge- hend vergleichbare Verträglichkeit von SSRI und NSMRI (1, 21). Zwar wurde für die NSMRI eine etwas höhere Abbruchrate aufgrund von Unverträglichkeit im Vergleich zu den SSRI berichtet (4); deren klinische Relevanz muss jedoch zurückhaltend bewertet werden, weil bloße Abbruch- raten keine einfach interpretierbaren Daten darstellen. Die Übersichten der Cochrane-Gruppe und andere hier nicht aufgeführte Metaanalysen infor- mieren zudem nicht über die jeweils erzielten Vollremissionsraten, sofern diese in den jeweils in die Metaana- lysen aufgenommenen Einzelstudien überhaupt ausgewiesen wurden. Voll- remissionsraten sind aber aus einschlä- gigen Einzelstudien und anderen Un- tersuchungen bekannt (14, 15, 55, 61).

Sie sollten bei der Beurteilung der kli- nischen Wirksamkeit eines bestimm- ten Antidepressivums mit berücksich- tigt werden.

Außerdem ist davon auszugehen, dass etliche in Metaanalysen einbe- zogene Studien durch Nichtberück- sichtigung hinsichtlich pharmakoki- netischer Variablen wie Metabolisie- rungsstatus und Geschlecht (34) sowie durch Einsatz einfacher Standarddo- sierung anstelle plasmaspiegelgesteu- erter Dosierung methodisch nicht op- timiert durchgeführt wurden. Über die möglichen Gründe für diese Unterlas- sungen kann spekuliert werden. In- wieweit aber Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen und fehlendem Ansprechen eher durch nicht adäqua- te Studienprotokolle als durch den Einsatz bestimmter Substanzen (wie NSMRI) zustande gekommen sind, bleibt nach Meinung der Autoren eine offene Frage. Klare Wirksamkeitsun- M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 197. Mai 2004 AA1339

´ Tabelle ´

Serum- und Plasmaspiegel von Antidepressiva

Antidepressivum Blutspiegel bei wirksamen Plasmaspiegel als

Dosen (ng/mL) Routineuntersuchung

Amitriptylin 100–220 sinnvoll

Clomipramin plus 175–450 sinnvoll

Norclomipramin

Desipramin 100–300 sinnvoll

Doxepin 20–150 wahrscheinlich sinnvoll

Fluvoxamin 20–300 wahrscheinlich sinnvoll

Fluoxetin 100–400 ungeklärt, ob sinnvoll

Imipramin plus Desipramin 175–300 sinnvoll

Maprotilin 125–200 wahrscheinlich sinnvoll

Mirtazapin 5–100 ungeklärt, ob sinnvoll

Nortriptylin 70–170 sinnvoll

Paroxetin 40–120 wahrscheinlich sinnvoll

Venlafaxin 195–400 wahrscheinlich sinnvoll

Angegeben sind Blutspiegel, die im Fließgleichgewicht unter Normdosen eingestellt werden und bei denen Therapiean- sprechen zu erwarten ist. Modifiziert nach Hiemke und Laux (32).

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terschiede zwischen Imipramin und Mirtazapin zeigten sich zum Beispiel dann, wenn die Imipramindosis nach dem Blutspiegel titriert wurde (9).

Wichtiger als fragliche Verträglich- keitsvorteile der SSRI und weiterer neuerer Substanzen ist die Tatsache, dass für einige NSMRI therapeutisch optimale Blutspiegelbereiche doku- mentiert sind (Gegebenenfalls sind dabei aktive Metabolite zu berück- sichtigen [19]). Deren Einbeziehung bei der individuellen Dosierung führt zu einem signifikanten Anstieg der Vollremissionsrate innerhalb der Ge- samtansprechrate im Vergleich zur Do- sierung ohne therapeutisches Drug- Monitoring (7, 11).

Substanzen, für die entsprechende Daten vorliegen (17, 33, 69), bieten so- mit Anwendungsvorteile gegenüber älteren und neueren Antidepressiva, bei denen ein therapeutisch optimaler Blutspiegelbereich (noch) nicht belegt ist (Tabelle). Die Eintitrierung adä- quater Blutspiegel kann durch Be- rücksichtigung der individuellen phar- makogenetischen Ausstattung des Pa- tienten wesentlich verbessert werden (40, 41).

Fazit für die Praxis

Angesichts der Tatsache, dass die Sub- stanzauswahl nur eine sehr beschränk- te Bedeutung für die zuverlässige Vor- aussage des individuellen Therapieer- folges hat, sollte alles getan werden, um die jeweils angesetzte Therapie so weit wie möglich zu optimieren (37).

Die erwähnten theoretischen Erörte- rungen bedeuten für eine optimierte Therapie in der Praxis insbesondere Folgendes:

Eine rationale antidepressive The- rapie beginnt mit der Erstellung präzi- ser Therapieziele. Auch wenn die Lin- derung des akuten depressiven Syn- droms kurzfristiges Therapieziel ist, kommt doch mittelfristig der Erzie- lung der Vollremission und langfristig der Prävention von weiteren depressi- ven Phasen sowie des Suizids minde- stens gleich große Bedeutung zu. Eine klare Vorstellung über die Therapie- ziele ist Voraussetzung für die Wahl der jeweilig anzuwendenden Substanz

und der initialen Dosis. Stehen zum Beispiel Angst, Agitation und Schlaf- störungen im Vordergrund, wird unter Umständen eine eher sedierende Sub- stanz vorzuziehen sein; ist mit Suizida- lität zu rechnen, sollte an Präparate mit geringer Toxizität und keinen exzi- tatorischen Nebenwirkungen gedacht werden. Liegt eine bipolare Depressi- on vor, ist gegebenenfalls von vorn- herein das Antidepressivum mit Lithi- umsalzen zu kombinieren, um den Umschlag in eine Manie zu verhin- dern. Ein wesentliches Kriterium für die Substanzauswahl, das heißt für die Verträglichkeit, sind Komorbidität und Komedikation. Genaue Hinweise hierzu finden sich in der Neuauflage der Depresssionsleitlinie der Arznei- mittelkommission der deutschen Ärz- teschaft (2) sowie bei Hegerl und Hoff (29).

Weitere wichtige Kriterien zur Aus- wahl des optimalen Medikaments sind die individuelle Erfahrung von Arzt und Patient mit einer bestimmten Substanz, eventuell das Ansprechen in einer früheren Krankheitsphase und die Kosten. Für die Anwendung von NSMRI bei geeigneten Patienten spricht neben der langjährigen An- wendungserfahrung (5) auch der gün- stige Preis. Sie müssen aber individuel- ler eintritriert und kontrolliert werden als die SSRI oder andere neuere Anti- depressiva. Frühzeitige Plasmaspie- gelbestimmungen sind deshalb insbe- sondere bei Anwendung von NSMRI dringend zu empfehlen (7, 50). Dies gilt insbesondere auch für die antide- pressive Therapie bei alten Menschen, Risikopatienten, hoher Dosierung und bei fehlender Symptombesserung wäh- rend der ersten zwei Wochen.

Zeigt ein Patient nach vier Wochen keinerlei Besserung, sinkt die Wahr- scheinlichkeit erheblich, dass er da- nach noch auf diese Substanz anspre- chen wird. Bei tatsächlicher Therapie- resistenz oder bei einer Teilremission empfiehlt sich eine Augmentation mit Lithiumsalzen (6). Man versteht dar- unter die Kombination der bisherigen, in einem adäquaten Zeitraum nicht als ausreichend wirksam beurteilten anti- depressiven Medikation mit Lithium- salzen (angestrebter Lithiumblutspie- gel: 0,5 bis 0,8 mmol/L). Etwa 50 bis 60

Prozent der bislang therapieresisten- ten Patienten sprechen nach zahlrei- chen kontrollierten Studien innerhalb von zwei bis sechs Wochen auf die Augmentation an. Alternativ können auch Schilddrüsenhormone zur Aug- mentation eingesetzt werden (7). Das häufig geübte Umsetzen auf ein ande- res Antidepressivum, beispielsweise aus einer anderen pharmakologischen Klasse, findet bezüglich seiner Wirk- samkeit in der Literatur nur geringe Unterstützung (67). Zusätzlich ist bei diesem Vorgehen für den Patienten nachteilig, dass die Latenzzeit von mehreren Wochen bis zum Eintreten der erwünschten Wirkung mit dem neuen Antidepressivum noch einmal durchlaufen werden muss.

Nutzenoptimierung einer antide- pressiven Pharmakotherapie bedeutet zuerst die Erhöhung der Wahrschein- lichkeit für das Erreichen und die Auf- rechterhaltung der Vollremission. Sie muss von einer Risikominimierung begleitet werden, also der Vermeidung aller Faktoren, die die angestrebte Nutzenoptimierung verhindern kön- nen (25). Eine leitliniengerechte, kom- petente Depressionstherapie kann zu einer gewissen Erhöhung der direkten Kosten führen, die aber durch größere Kosteneffektivität kompensiert wird (3, 65).

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskript eingereicht: 30. 5. 2003, revidierte Fassung angenommen: 16. 2. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 1337–1340 [Heft 19]

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A1340 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 197. Mai 2004

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1904 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – Berliner Büro –

Jebensstraße 3 10623 Berlin

E-Mail: bmoe@zedat.fu-berlin.de

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