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Archiv "Nahrungsmittelallergie bei Erwachsenen – über- oder unterschätzt?" (17.10.2008)

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(1)

Z

ehn bis 20 % der Erwachsenen in der Bevölke- rung berichten von Nahrungsmittelunverträg- lichkeiten – meist unter der Bezeichnung Nahrungsmit- telallergie. Doch nur bei einem kleinen Teil handelt es sich dabei tatsächlich um immunologisch vermittelte Allergien (1, 2). Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden daher einerseits überschätzt, andererseits wer- den potenziell gefährliche Nahrungsmittelallergien häufig nicht oder nur verzögert diagnostiziert.

Der Ausdruck Nahrungsmittelunverträglichkeit oder Nahrungsmittelüberempfindlichkeit ist ein Überbegriff und bedeutet: nach der Aufnahme von Nahrung, die von einer Normalperson toleriert wird, treten objektiv reproduzierbare Symptome auf (Grafik 1) (3, 4).

Die vorliegende Studie konzentrierte sich auf die Diagnose der Immunglobulin E(IgE)-vermittelten (Typ I) Nahrungsmittelallergie. Mit dem Begriff Nahrungs- mittelallergie ist daher immer die IgE-vermittelte Nah- rungsmittelallergie gemeint. Die Symptome nach dem Essen, nach Inhalation, Haut- oder Schleimhautkontakt mit einem Nahrungsmittelallergen reichen dabei von lokalen Kontaktreaktionen – beispielsweise orales All- ergiesyndrom, Bäckerasthma, gastrointestinale Sym- ptome und Kontakturtikaria – bis hin zur systemischen, potenziell lebensbedrohlichen Anaphylaxie (Kasten 1) (5, 6). Differenzialdiagnostisch zu berücksichtigende Erkrankungen, wie zum Beispiel Intoleranzreaktionen, Magen-Darm-Krankheiten oder psychovegetative Re- aktionen können meistens nicht anhand der Symptome, sondern nur nach eingehender Diagnostik abgegrenzt werden.

Methoden

Von Januar 2000 bis Dezember 2007 wurden alle Pati- enten mit Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie standardisiert mit einer allergologischen Stufendiagnos- tik untersucht. Mit der Diagnostik sollten zwei Fragen geklärt werden:

Wurden die Symptome durch Nahrungsmittel aus- gelöst?

Wenn ja, welche Nahrungsmittel waren verant- wortlich?

Auswahl und Interpretation der Diagnosemethoden sind abhängig von den Symptomen (Anaphylaxie oder orales Allergiesyndrom) und dem verdächtigen Nah- rungsmittel (bekanntes oder seltenes Allergen). Ferner müssen Sensitivität und Spezifität der Testverfahren berücksichtigt werden (Kasten 2).

ORIGINALARBEIT

Nahrungsmittelallergie bei Erwachsenen – über- oder unterschätzt?

Cornelia S. Seitz, Petra Pfeuffer, Petra Raith, Eva-B. Bröcker, Axel Trautmann

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Nach eigener Wahrnehmung haben 10 bis 20 % der Bevölkerung eine Nahrungsmittelallergie. Echte, das heißt immunologisch vermittelte Nahrungsmittelaller- gien, werden von Patienten und Ärzten aber häufiger ver- mutet als tatsächlich nachgewiesen. Besonders der Ver- dacht auf eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie kann durch Nahrungsrestriktion und Angstgefühle die Lebens- qualität eines Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Dem- gegenüber steht die plötzliche Manifestation einer nicht diagnostizierten oder unterschätzten Nahrungsmittelaller- gie mit möglicherweise lebensbedrohenden Symptomen.

In dieser Arbeit wird die Differenzierung zwischen Nah- rungsmittelallergie und nicht allergischen Überempfind- lichkeitsreaktionen dargestellt.

Methoden: Bei 419 Patienten mit Verdacht auf Nahrungs- mittelallergie wurde eine standardisierte allergologische Diagnostik mit Anamnese, IgE-Serologie, Haut- und gege- benenfalls Provokationstests durchgeführt.

Ergebnisse: Bei 214 Patienten (51,1 %) konnte eine Nah- rungsmittelallergie diagnostiziert werden. Annähernd die Hälfte dieser Patienten (24,3 % vom Gesamtkollektiv) hatte Anaphylaxiesymptome, wohingegen bei 205 Patienten (48,9 %) eine Nahrungsmittelallergie weitestgehend aus- geschlossen werden konnte.

Schlussfolgerung: Nur eine umfassende allergologische Diagnostik kann Patienten vor negativen Folgen einer Über- oder Unterschätzung der Nahrungsmittelallergie be- wahren. Dadurch kann man einerseits eine Nahrungsmit- telallergie nachweisen, die nicht selten gefährliche Ana- phylaxiesymptome verursacht. Andererseits können Nah- rungsmittelallergien ausgeschlossen und sinnlose Karenz- diäten beendet werden. Eine sachgerechte Beurteilung be- inhaltet mindestens eine ausführliche Anamnese, einen Hauttest und – falls indiziert – einen Provokationstest.

Dtsch Arztebl 2008; 105(42): 715–23 DOI: 10.3238/arztebl.2008.0715 Schlüsselwörter: Allergie, anaphylaktische Reaktion, Ana- phylaxie, Immunglobulin E, Urtikaria, Nahrungsmittelallergie

Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Universität Würzburg: Dr. med. Seitz, Pfeuffer, Raith, Prof. Dr. med. Bröcker, PD Dr. med. Trautmann

(2)

Wie bei jeder Allergiediagnostik und besonders vor den Provokationstests wurden alle Patienten über Nut- zen und Risiken aufgeklärt; alle gaben ihr schriftliches Einverständnis.

Anamnese

Das Spektrum der zu erfragenden klinischen Sympto- me reichte vom oralen Allergiesyndrom und gastroin- testinalen Beschwerden über Urtikaria mit oder ohne Angioödem bis zu den Anaphylaxiesymptomen (Kas- ten 1). Der Schweregrad der Anaphylaxie wurde gemäß Tabelle klassifiziert (7, 8). Begleitumstände, wie körperliche Anstrengung, Alkoholgenuss, Arznei- mitteleinnahme (nichtsteroidale Analgetika) oder eine Infektionskrankheit wurden ebenfalls erfasst. Da die Symptome der Nahrungsmittelallergie in der Regel zeitlich eng mit der Nahrungsaufnahme assoziiert sind, war die Erfragung der Latenzzeit wichtig (5).

Zur Identifikation eines verdächtigen Nahrungs- mittels wurden neben Art, Menge und Zubereitung auch Einzelbestandteile einer Mahlzeit und die Dekla- ration bei Fertigprodukten recherchiert. Sogenannte versteckte Allergene – zum Beispiel Kuhmilch oder Hühnerei in Wurstwaren oder Fertigprodukten, Ge- würze, Soja oder Nüsse in Back- oder Süßwaren – konnten häufig nur vermutet werden. Besonders hin- weisend waren reproduzierbare Symptome, das heißt ähnliche Symptome nach früherer oder anschließen- der erneuter Exposition. Fragen nach bekannten Aller- gien und zum Formenkreis der Atopie vervollständig- ten die Anamnese.

Laboruntersuchungen

Nahrungsmittelspezifisches IgE im Serum wurde mit einem kommerziell erhältlichen Immunassay be- stimmt. Bei der verwendeten Testmethode binden die IgE-Antikörper im Serum an Festphase-gebundene Nahrungsmittelallergene. Eine positive Messung

zeigt Werte bis 100 kU/L. Nahrungsmittelspezifisches IgE wurde nur gezielt bestimmt und nicht als Suchtest verwendet. Bei positiven Hauttestreaktionen gegen häufige und bekannte Nahrungsmittelallergene und beim oralen Allergiesyndrom wurde auf IgE-Messun- gen verzichtet.

Bei Patienten mit Anamnese einer anaphylakti- schen Reaktion wurde die Tryptase im Serum mit ei- nem quantitativen Assay gemessen (9). Dabei sind Werte < 10 ng/mL normal, 10 bis 20 ng/mL ist ein Graubereich, dessen Bedeutung und Prognose unklar ist, pathologisch sind Werte > 20 ng/mL.

Hauttests

Durchführung und Ablesung der Pricktests am vola- ren Unterarm nach 20 Minuten erfolgten gemäß inter- nationalen Richtlinien (10). Beim Prick-zu-Pricktest mit nativen Nahrungsmitteln wurde zuerst mit der Pricktest-Lanzette in das Nahrungsmittel, dann mit der gleichen Lanzette in die Haut „geprickt“. Getrei- demehle, Nussmehle oder Gewürze wurden mit phy- siologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt und dann durch den Tropfen „geprickt“. Bei vielen Patien- ten wurden zusätzlich zur Standardreihe verdächtige Nahrungsmittel, zum Beispiel Fleischsorten/Innerei- en oder Samen, getestet.

Provokationstests

Sowohl ein positiver Hauttest als auch der Nachweis von nahrungsmittelspezifischem IgE sind nicht immer klinisch relevant, sondern zeigen nur eine Sensibilisie- rung an. Mit einer oralen, offenen Nahrungsmittelpro- vokation wurde in Einzelfällen eine Nahrungsmittelall- ergie ausgeschlossen. Dabei wurde die Dosis bis zu ei- ner durchschnittlichen täglichen Aufnahmemenge, zum Beispiel 150 mL Kuhmilch oder 1 Hühnerei, gesteigert.

Durchführung und Bewertung der oralen Provokations- tests folgten ebenfalls internationalen Richtlinien (11).

Klassifikation der Nahrungsmittelüberempfindlichkeit (e14)

GRAFIK 1 KASTEN 1

Symptome (3, 4)

H Haauutt

Pruritus, Erythem/Flush, Urtikaria, Angioödem, Kontakturtikaria

G

Gaassttrrooiinntteessttiinnaallttrraakktt

Orales Allergiesyndrom: Kasten 3

Gastrointestinale Allergie (meist Teilsymptom einer Ana- phylaxie, selten isoliert): Nausea, Vomitus, Bauch- schmerzen, Diarrhoe

A Atteemmwweeggee

Meist Teilsymptom einer Anaphylaxie, selten isoliert und dann oft berufsbedingt: Rhinitis, Pharynx-/

Larynxödem, Asthma bronchiale S

Syysstteemmiisscchhee RReeaakkttiioonn Anaphylaxie: Tabelle

(3)

Ergebnisse

419 Patienten im Alter zwischen 10 und 85 Jahren (Median 40 Jahre) wurden untersucht, davon 270 Frauen (64,4 %) und 149 Männer (35,6 %).

Anamnese

35,3 % der Patienten hatten isolierte Hautsymptome, das heißt, Pruritus, Erythem/Flush und generalisierte Urtikaria mit oder ohne begleitende Angioödeme (Gra- fik 2 a). Anaphylaxiesymptome (Tabelle) – das bedeu- tet, mit oder ohne Hautsymptome kommt es zur Betei- ligung der Atemwege (Dysphonie, Husten, in- oder ex- spiratorischer Stridor, Bronchospasmus) und/oder des Herz-Kreislauf-Systems (Hypotonie, Tachykardie, Be- wusstlosigkeit) – berichteten 35,8 %. Höhergradige Anaphylaxien (Grad 2 und 3) waren bei 21 (5,0 %) be- ziehungsweise 14 Patienten (3,3 %) dokumentiert.

Nach Urtikaria und Anaphylaxie war das orale All- ergiesyndrom (Kasten 3) das häufigste Einzelsym- ptom (20,0 %), wohingegen 8,8 % der Befragten aus- schließlich gastrointestinale Beschwerden, wie Nau- sea, Vomitus, Bauchschmerzen oder Diarrhoe berich- teten.

Bei 69,0 % betrug die Latenzzeit zwischen Nahrungsaufnahme und Symptomen weniger als 2 Stunden, bei 28,6 % zwischen 2 und 4 Stunden (Grafik 2 b).

Verdächtige Nahrungsmittel wurden bei 260 Pati- enten (62,1 %) vermutet, am häufigsten Gemüse-/

Obstsorten, Baumnüsse und Getreide (Grafik 2 c).

Demgegenüber wurde bei 159 kein bestimmtes Nah- rungsmittel als Auslöser verdächtigt. 189 Patienten (45,1 %) hatten atopische Erkrankungen, eine Natur- latexallergie war 18 (4,3 %) bekannt.

Kasten 2

Fallbeispiele: Gezielte Diagnostik bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie

Eine 20-jährige Patientin bemerkt bereits beim Kauen von Äpfeln ein orales Allergiesyndrom (Kasten 3). Bei geschälten Äpfeln sind die Beschwerden ge- ringer, es treten keine Symptome auf beim Essen erhitzter Apfelspeisen, wie Apfelkuchen oder Apfelmus. Von März bis Mai – den Monaten ihrer Rhino- konjunktivitis allergica wegen Birkenpollenallergie,– kann sie gar keine Äpfel essen, in der übrigen Zeit werden bestimmte Sorten vertragen. Im Haut- Pricktest mit Apfel (Malus domestica) erscheint nach 20 Minuten eine Quaddel mit 8 mm Durchmesser. Diagnose: Birkenpollen-assoziierte Apfelallergie.

Ein 33-jähriger Patient schildert eine Grad-1-Anaphylaxie (Tabelle)30 Minuten nach dem Essen eines Garnelensalats, im Verlauf Notarzteinsatz, Besserung nach i.v.-Therapie mit H1-Antihistaminika, Volumensubstitution und Glucocorticoid-Gabe. Im Haut-Pricktest mit Garnele (Penaeus spe- cies) tritt nach 20 Minuten eine Quaddel mit 12 mm Durchmesser auf; garnelenspezifisches Serum-IgE beträgt 19,2 kU/L, Tryptase liegt bei 4,1 ng/mL (also kein Hinweis auf Mastozytose). Diagnose: Garnelenallergie (Familie Penaeidae); wegen Kreuzreaktionen Karenzempfehlung für al- le Krustentierfamilien (Crustacea: Hummerartige/Astacidae, Langusten/Palinuridae, Zehnfußkrebse/Crangonidae).

Ein 40-jähriger Patient hat seit drei Jahren mehrmals pro Jahr eine Urtikaria, die sich unter Therapie mit oralen H1-Antihistaminika bessert. Beim letzten Schub hatte er drei Stunden vor Auftreten der Quaddeln ein Glas Sojamilch getrunken; körperliche Anstrengung, Arzneimitteleinnahme und Symptome einer Infektionskrankheit konnten ausgeschlossen werden. Der Haut-Pricktest mit Sojabohne (Glycine maxima) und Sojamilch war ne- gativ, sojaspezifisches Serum-IgE nicht nachweisbar. Die anschließende orale offene Provokation mit 150 mL Sojamilch hat der Patient ohne Sym- ptome toleriert. Diagnose: chronisch-intermittierende Urtikaria.

TABELLE

Schweregradeinteilung der Anaphylaxiesymptome (7)

Grad 1 (gering) Grad 2 (mäßig) Grad 3 (schwer)

Haut Pruritus, Erythem/Flush, Grad-1-Symptome möglich Grad-1-Symptome möglich Urtikaria, Angioödem

Atemwege Rhinitis: Niesen, Rhinorrhoe, Dysphonie (raue Stimme), Asthmaanfall, Zyanose, Hypoxämie, Obstruktion Husten, Schluckbeschwerden, Atemstillstand

Pharyngealer Pruritus, Stridor (Larynxödem), Dyspnoe, pharyngeales Engegefühl Asthmasymptome (Giemen)

Herz-Kreislauf- Tachykardie Tachykardie Hypotonie, Schock, Arrhythmie

System (Zunahme > 15/Min.) (Zunahme > 15/Min.) (Bradykardie), Herz-Kreislauf-Stillstand Gastrointestinal- Oraler Pruritus, Lippenödem, Krampfartige Bauchschmerzen, Inkontinenz (Defäkation)

trakt Nausea, geringe Bauch- Vomitus

schmerzen

Nervensystem Unruhe, Angst Benommenheit, Sehstörungen, Verwirrtheit, Bewusstlosigkeit Ohrendruck

(4)

Laborwerte

176 Patienten (42,0 %) hatten mindestens gering er- höhte IgE-Werte (> 0,70 kU/L) gegen verdächtige Nahrungsmittel, bei 206 Patienten wurde kein Nah- rungsmittel-spezifisches IgE bestimmt (Grafik 3 a).

Unter den Patienten mit Anaphylaxiesymptomen hat- ten drei aufgrund einer systemischen Mastozytose Se- rumtryptasewerte > 20 ng/mL (Grafik 3 a).

Hauttests

Die Testergebnisse der Standardreihe zeigt Grafik 3 b.

Allgemeinreaktionen durch Pricktests mit nativen Nahrungsmitteln sind selten aber nicht ausgeschlos- sen (12). Ein Patient mit Verdacht auf eine Fischaller- gie entwickelte 10 Minuten nach Testbeginn neben der positiven Testreaktion geringgradige Allgemein- symptome mit Erythem, Flush und generalisierter Ur- tikaria.

Provokationstests

Zum Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie wurden 66 Provokationen mit negativem Ergebnis durchge- führt, unter anderem mit

Kuhmilch (viermal), Hühnerei (sechsmal), Garnele (viermal), Kabeljau (viermal), Baumnüssen (siebenmal) Soja (zehnmal)

sowie mit anderen Nahrungsmitteln, zum Bei- spiel Erdbeere, Spargel, Birne, Reis.

Diagnose

Bei 214 Patienten (51,1 %) konnte durch eindeutige Befunde eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie diagnostiziert werden, wohingegen die allergologi- sche Stufendiagnostik bei 205 Patienten (48,9 %) eine Nahrungsmittelallergie weitestgehend ausschloss (Grafik 4).

Diskussion

Um seriöse von fragwürdigen Methoden abzugren- zen, wie beispielsweise die sinnlose Messung und In- terpretation von nahrungsspezifischem IgG, bemühen sich nationale und internationale Institutionen seit Anamnesedaten bei Patienten mit Verdacht auf Nahrungsmittelallergie. a) Symptome (Eintei-

lung der Anaphylaxie in die Schweregrade 1 bis 3 siehe Tabelle; OAS = orales Allergiesyn- drom, siehe Kasten 3). b) Latenzzeit zwischen Exposition und Symptomen. c) Nahrungsmittel, die bei 260 Patienten als Ursache vermutet wurden.

GRAFIK 2

KASTEN 3

Orales Allergiesyndrom (e9)

D Deeffiinniittiioonn

Kontakturtikaria wenige Minuten nach dem oder bereits während des Kauens roher (hitzelabiler) Obst- und Gemüsesorten mit nur milden oropharyngealen Symptomen

U Urrssaacchhee

Pollen-assoziierte Nahrungsmittelallergie: Kreuzallergie mit Pollenaller- genen, dabei entweder Pollenallergie mit saisonaler Rhinokonjunktivitis allergica oder klinisch nicht relevante Pollensensibilisierung

A Alllleerrggeennee

Kreuzallergie mit Birken-, Erlen-, Haselpollen: Apfel (50–60 %), Haselnuss (40–60 %), Pfirsich (20–30 %), Kirsche (10–20 %), Karotte (10 %), Soja (10 %)

Kreuzallergie mit Beifußpollen: Sellerie (40 %), Gewürze (10 %) S

Syymmppttoommee

Oropharyngealer Pruritus, Parästhesien (Kribbeln, Brennen,

Kratzen), Erythem, Ödem an Lippen, Zungen- und/oder Mundschleim- haut; während der Pollenflugsaison Verstärkung der Symptome möglich

(5)

Jahren anhand von Leitlinien die Diagnostik der Nah- rungsmittelallergie zu optimieren.

Bei den eigenen Patienten wurden durch eine stan- dardisierte Diagnostik Nahrungsmittelallergene iden- tifiziert und so eine sinnvolle Allergenkarenz ermög- licht. In vielen Fällen war aber der Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie und damit die Verhinderung unnötiger Diäten und Einschränkungen im täglichen Leben genauso wichtig.

Die Diskussion der Ergebnisse bei 419 Patienten mit Verdacht auf Nahrungsmittelallergie muss natür- lich das ausgewählte Patientenkollektiv einer univer- sitären Spezialambulanz berücksichtigen. Die Vertei- lung der beobachteten Symptome und Allergene kann daher nicht einer Zufallsstichprobe aus der Allge- meinbevölkerung entsprechen. Originaldaten und ei- ne Metaanalyse zur Prävalenz der Nahrungsmittelall- ergie in der Allgemeinbevölkerung wurden kürzlich publiziert (2, 13).

Messungen des nahrungsmittelspezifischen IgE ha- ben nicht immer eine ausreichende Sensitivität und Spezifität. Verwertbare Ergebnisse sind bei häufige- ren Allergenen zu erwarten wie Kuhmilch, Hühnerei, Fische, Krustentiere, Erdnuss, Soja, Pollen- und Latex- assoziierten Nahrungsmitteln (14). Demgegenüber ist bei seltenen Nahrungsmittelallergenen die IgE-Be- stimmung oft nicht ausreichend validiert.

Für Hauttests sollten nicht nur die von den Patien- ten verdächtigten Nahrungsmittel geprüft werden, sondern zusätzlich eine Standardreihe, die die häu- figsten Nahrungsmittelallergene berücksichtigt. Dabei hat der Pricktest mit nativen, das heißt, frischen Nah- rungsmitteln, eine höhere Sensitivität als mit kom- merziellen Nahrungstestlösungen (15).

Ein Prick-zu-Pricktest mit nativen Nahrungsmit- teln hat einen negativen Vorhersagewert von > 95 %, das heißt, wenn der Hauttest negativ ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Allergie gegen dieses Nah- rungsmittel < 5 % (16). Der positive Vorhersagewert ist dagegen nur < 50 %, das heißt, die klinische Rele- vanz eines positiven Hauttests muss gegebenenfalls überprüft werden (17–20). Ein Intrakutantest mit Nahrungsextrakten ist wegen der hohen Wahrschein- lichkeit falschpositiver Testergebnisse nicht sinnvoll, beziehungsweise muss sorgfältig kontrolliert werden (21). Die Frage, ob ein positiver Hauttest und/oder der Nachweis Nahrungsmittel-spezifischer IgE-Antikör- per klinisch relevant sind, oder nur eine Sensibilisie- rung anzeigen, kann mit einer Nahrungsmittelprovo- kation geklärt werden (20).

Die Nahrungsmittelallergie ist eine häufige Ana- phylaxieursache, publizierte Allergene sind meist Krustentiere, Fische, Erdnuss und Baumnüsse, im ei- genen Untersuchungskollektiv auch Fleischsorten/In- nereien, Getreide und Gemüse-/Obstsorten (Grafik 4 a,b) (22, 23).

Eine Kuhmilch- oder Hühnereiallergie kommt bei Kindern häufiger vor, bei Erwachsenen ist sie selten.

Die Anaphylaxie ist die Maximalvariante einer IgE- vermittelten Allergie und betroffene Patienten müssen

über versteckte Allergene (Soja, Nüsse), Lebensmit- telkennzeichnung und Kreuzkontaminationen sorgfäl- tig aufgeklärt werden (24). Häufig kommt es beim Es- sen in Restaurants oder Imbissbuden zu Anaphylaxie- rezidiven, weil dort die Inhaltsstoffe nicht bekannt oder nicht vollständig deklariert sind (25). Die meis- ten Patienten, die infolge einer Anaphylaxie starben, wussten von ihrer Nahrungsmittelallergie und kann- ten das ursächliche Allergen (e1).

Patienten mit einer nahrungsmittelabhängigen, an- strengungsinduzierten Anaphylaxie zeigen nur nach Nahrungsaufname mit anschließender physischer Be- lastung Symptome. Sie tolerieren alle Nahrungsmit- tel, wenn keine körperliche Anstrengung folgt, und haben auch keine Beschwerden nach Anstrengung oh- ne vorherige Nahrungsaufnahme (e2). In diesem Zu- sammenhang häufiger publizierte Nahrungsmittelall- ergene sind Weizen, Sellerie, Kuhmilch, Tomaten oder Geflügelfleisch. Die Autoren identifizierten bei 21 Patienten elfmal eine Allergie gegen Weizen, drei- mal gegen Sellerie, zweimal gegen Hühnerei, zweimal gegen Erdnuss und je einmal gegen Soja, Haselnuss und Banane. Als auslösende Anstrengung wurden meist bewegungsintensive Sportarten, wie Jogging, Tennis, Tanzen, Aerobic oder Radfahren berichtet, seltener geringere Belastungen, wie Wandern oder Spazierengehen (e3). Zur Pathogenese dieser unge- wöhnlichen Manifestation einer Nahrungsmittelaller- gie gibt es nur Hypothesen. Eine dieser Hypothesen Nachweis einer IgE-Sensibilisierung gegen Nahrungsmittel in vitro und in vivo.

a) Messung des nahrungsmittelspezifischen Serum-IgE und der Serumtryptase (n.d. = nicht durchgeführt). b) Hauttestergebnisse der Standardreihe. Getreide: Roggen-, Weizenmehl;

Gemüse/Obst: Sellerie, Tomate, Karotte, Apfel, Banane; Baumnüsse: Hasel-, Walnuss, Mandel;

Gewürze: Paprika, Pfeffer, Senf, Currymischung.

GRAFIK 3

(6)

Ergebnisse der allergologischen

Diagnostik bei 419 Patienten mit Verdacht auf Nahrungs- mittelallergie.

a) 214 Patienten mit diagnostizierter

Nahrungsmittel- allergie, die sich als Anaphylaxie Grad 1 bis 3, orales Aller- giesyndrom oder akute Urtikaria manifestierte (Einteilung der Anaphylaxie in die Schweregrade 1

bis 3 siehe Tabelle;

OAS = orales Allergiesyndrom,

siehe Kasten 3).

b) Nahrungs- mittelallergene und Symptome.

c) Bei 205 Patienten konnte eine Nah- rungsmittelallergie weitestgehend ausgeschlossen werden (GI = gastro- intestinal).

GRAFIK 4

(7)

geht beispielsweise von einer gestörten Temperaturre- gulation (manchmal kommt gleichzeitig eine choli- nerge Urtikaria vor) aus, eine andere von einer gestei- gerten Allergenresorption (e4). Drei Stunden Nah- rungs- beziehungsweise Allergenkarenz vor der kör- perlichen Belastung ist eine sichere prophylaktische Maßnahme.

Eine akute, generalisierte Urtikaria mit oder ohne Angioödeme kann Früh- oder Teilsymptom einer Ana- phylaxie sein (e5). Daher werden in einer anderen Anaphylaxieklassifikation vier Schweregrade (1 bis 4) differenziert, die akute Urtikaria als Anaphylaxie Grad 1 bezeichnet (e6). Im Gegensatz zur Urtikaria, die durch ein intensiv juckendes, flüchtiges Ödem der oberen Dermis verursacht wird, ist das Angioödem (Synonym Quinckeödem) ein Ödem der tieferen Der- mis und Subkutis, das bis zu zwei Tage persistieren kann und eher von einem Spannungsgefühl begleitet ist (e7). Man nimmt an, dass die akute Urtikaria zu den häufigeren Manifestationen einer Nahrungsmit- telallergie zählt, obwohl keine genauen Daten zur Prävalenz publiziert sind (5). In der eigenen Untersu-

chung war bei 28 von 214 Patienten (13,1 %) eine Ur- tikaria beziehungsweise ein Angioödem das Symptom der Nahrungsmittelallergie, davon hatten zehn Patien- ten eine Kontakturtikaria (Grafik 4 a, b). Dabei verur- sacht direkter Hautkontakt mit Nahrungsmittelaller- genen, wie Kartoffel, Fische, Fleischsorten, Obst oder Gemüse eine auf das Kontaktareal begrenzte Urtikaria (e8). Die Autoren identifizierten bei zehn Patienten dreimal Getreide (Weizen, Roggen), einmal Fleisch (Schwein), dreimal rohe Kartoffel, zweimal Fisch und einmal Kiwi als sogenannte Proteinkontaktallergene.

Ursache für Sensibilisierung und klinische Manifesta- tion ist meist ein beruflich bedingter Kontakt bei ge- schädigter Hautbarriere, wie zum Beispiel ein chroni- sches Handekzem oder irritativ bedingte Fissuren.

Häufiger beobachtet man dann eine kombinierte Urti- karia- und Ekzemreaktion, das heißt 20 bis 30 Minu- ten nach Exposition kommt es zunächst zur Kontakt- urtikaria, nachfolgend entwickelt sich im Verlauf von 1 bis 3 Tagen ein Proteinkontaktekzem (e8).

Die pollenassoziierte Nahrungsmittelallergie tritt während oder innerhalb weniger Minuten nach Mund- KASTEN 4

Differenzialdiagnosen

P

Pssyycchhoovveeggeettaattiivvee RReeaakkttiioonneenn

Heterogene Gruppe: häufiger sind somatoforme Störungen, Depression, Angstkrankheit und vegetative Funktionsstörungen

Typisch sind chronische Symptomatik, lange Leidensgeschichte, Ärzte- Odyssee (Doctor-hopping-Phänomen) und starker Leidensdruck (e15, e16) FFuunnkkttiioonneellllee ggaassttrrooiinntteessttiinnaallee SSttöörruunnggeenn

Manifestationen und Ursachen sind vielfältig, wie genetische Disposition, Motilitätsstörungen, viszerale Hyperreaktivität und psychosoziale Faktoren Reizdarmsyndrom (Colon irritabile) ist eine Ausschlussdiagnose, neben

einer Nahrungsmittelallergie sind vor allem organische Magen-Darm- Krankheiten (zum Beispiel Zöliakie, entzündliche Darmkrankheiten, Karzi- nome) auszuschließen (e17, e18)

A

Addddiittiivvaa--IInnttoolleerraannzz

Additiva (= Zusatzstoffe) werden zugesetzt, um im Nahrungsmittel eine bestimmte Wirkung zu erzielen und/oder dessen Eigenschaften zu verän- dern oder zu beeinflussen

Symptome nach unterschiedlichen Nahrungsmitteln, nach Fertigproduk- ten und Beschwerdefreiheit bei frisch zubereiteten Speisen lenken den Verdacht auf eine Additiva-Intoleranz, zum Beispiel eine Glutamat-, Sa- licylat- oder Sulfit-Intoleranz (e19, e20)

H

Hiissttaammiinn--IInnttoolleerraannzz

Ursache für eine Histamin-Intoleranz ist eine niedrige individuelle Tole- ranzschwelle für Histamin-haltige Nahrungsmittel

Durch Proteolyse und Degradierung der freien Aminosäure Histidin zu Histamin steigt der Histamingehalt mit der Reife- und Lagerungsdauer einzelner Nahrungsmittel

Relativ viel Histamin enthalten zum Beispiel Hartkäse, Schinken, Fisch- konserven und Rotwein, wohingegen frische Nahrungsmittel Histamin- arm sind (e21, e22)

IIddiiooppaatthhiisscchhee AAnnaapphhyyllaaxxiiee

Sorgfältiger Ausschluss immunologischer und nicht immunologi- scher Triggerfaktoren notwendig

Anaphylaxie manchmal nur nach gleichzeitiger Exposition gegen mehrere Triggerfaktoren: Summationsanaphylaxie

Bei rezidivierender „idiopathischer“ Anaphylaxie und normaler Se- rumtryptase Knochenmarkbiopsie zum Ausschluss einer systemi- schen Mastozytose (e23, e24)

M

Maassttoozzyyttoosseenn

Klinisch heterogenes Spektrum von Krankheiten mit erhöhter Mastzellzahl in Haut, Magen-Darm-Trakt, Knochenmark, Knochen, Lymphknoten, Milz, Leber

Symptome ähnlich denen einer IgE-Allergie sind Folge einer spon- tanen oder getriggerten Freisetzung von Mastzellmediatoren Die besondere Bedeutung der Mastozytosen für die Allergiediagnos-

tik liegt darin, dass Anaphylaxiesymptome verursacht oder aggra- viert werden können (e24–e27)

LLaaccttoossee--UUnnvveerrttrräägglliicchhkkeeiitt

Primärer oder sekundärer Lactasemangel: nach Lactoseexposition (Kuhmilch, Kuhmilchprodukte) dosisabhängig Bauchschmerzen, Flatulenz und Diarrhö (e28, e29)

EEnnttzzüünnddlliicchhee DDaarrmmkkrraannkkhheeiitteenn

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa: Nahrungsaufnahme kann gastroin- testinale Symptome provozieren (e30)

Z

Zöölliiaakkiiee ((GGlluutteenneenntteerrooppaatthhiiee))

Bei genetischer Disposition durch Gluten verursachte Autoimmun- krankheit: Bauchschmerzen, Diarrhö, Obstipation, Flatulenz, Nau- sea (e31)

(8)

schleimhautkontakt mit rohen Früchten oder Gemüse auf und ist meist durch das orale Allergiesyndrom – einen plötzlichen orophrayngealen Juckreiz bis hin zu einem Lippenödem – gekennzeichnet (e9). Ursache ist eine inhalative Sensibilisierung gegen Pollen: Birken- pollenallergiker können sowohl auf Äpfel, Haselnüs- se, Kirschen, Pfirsiche und andere Kern- und Stein- obstsorten, als auch auf rohe Karotten, Sellerie und Soja reagieren, wohingegen die Graspollenallergie mit einer Allergie gegen Tomaten assoziiert sein kann (e10). Die mit Pollen kreuzreagierenden Nahrungs- mittelallergene sind hitzelabil, sodass die entspre- chenden Nahrungsmittel nach Erhitzen in der Regel toleriert werden. Abhängig von der Empfindlichkeit gegen Proteasen verursachen pollenassoziierte Nah- rungsmittelallergene meist nur ein orales Allergiesyn- drom, sie können aber auch eine generalisierte Urtika- ria oder Anaphylaxiesymptome auslösen. Eine pollen- assoziierte Nahrungsmittelallergie kann nach Litera- turangaben in 1 bis 2 % der Fälle Anaphylaxiesympto- me bedingen, von den eigenen 96 Patienten hatten acht (8,3 %) eine generalisierte Urtikaria, vier (4,2 %) geringgradige Anaphylaxiesymptome.

Die Naturlatexallergie wird durch die Proteinkon- tamination in Naturlatexgummi verursacht (e11). Die Sensibilisierung erfolgt entweder durch intensiven Haut-/Schleimhautkontakt, zum Beispiel durch medi- zinische Gummihandschuhe oder Katheter, oder über die Atemwege. Hier wird Handschuhpuder inhaliert, das durch Bindung der Naturlatexproteine an das Pu- dermaterial ein potenziell sensibilisierendes Bioaero- sol ist. Durch Kreuzreaktionen mit bestimmten Nah- rungsmitteln (in 15 bis 20 % der Fälle Banane, 10 bis 15 % Avocado, 5 bis 20 % Kiwi) kann es zur klini- schen Manifestation einer latexassoziierten Nah- rungsmittelallergie kommen (e12). In der Regel ent- wickeln sich nach dem Essen entsprechender Nah-

rungsmittel systemische Symptome, meist eine Urti- karia mit oder ohne Angioödem, bis hin zur schweren, lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Von den eigenen 17 Patienten hatten zehn eine Urtikaria beziehungsweise ein Angioödem, sieben Anaphylaxiesymptome.

Auch in der Klinik der Autoren stellen sich viele Patienten mit chronisch-intermittierender Urtikaria, einer episodischen Urtikaria mit erscheinungsfreien Intervallen über Wochen bis Monate, vor, mit dem Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie. Mit drei Fragen kann man eine Nahrungsmittelallergie als Ur- sache für die Urtikaria erwägen oder ausschließen (e13):

Kommt es reproduzierbar bis zwei Stunden (meist 30 Minuten bis 1 Stunde) nach dem Essen bestimmter Nahrungsmittel zur Urtikaria?

Tritt die Urtikaria nach dem Essen und nachfol- gender körperlicher Anstrengung auf?

Kommt es nach Hautkontakt mit bestimmten Nahrungsmitteln zur Urtikaria?

Werden alle drei Fragen mit nein beantwortet, dann ist eine Nahrungsmittelallergie als Ursache für die Ur- tikaria unwahrscheinlich. 91 Patienten (21,7 %) des Untersuchungskollektivs hatten eine chronische Urti- karia ohne Nachweis einer Nahrungsmittelallergie (Grafik 4 c) (e5). Einen Überblick über weitere teil- weise interdisziplinär abzuklärende Differenzialdia- gnosen zur Nahrungsmittelallergie gibt Kasten 4.

Resümee

Eine leitlinienorientierte allergologische Diagnostik (e32) kann Patienten sowohl vor einer Über- als auch vor einer Unterschätzung der Nahrungsmittelallergie bewahren.

Die schrittweise allergologische Diagnostik ist in den Händen erfahrener Allergologen sehr sicher. Nah- rungsmittelallergien können in der Regel in Zusam- menschau von Anamnese, Hauttest und spezifischem IgE diagnostiziert werden.

An dem hier vorgestellten, selektionierten Patien- tenkollektiv einer Universitätsklinik war bei ungefähr 50 % der Patienten, die eine entsprechende Anamnese berichteten, eine Nahrungsmittelallergie nachweisbar.

Eine gezielte Allergenkarenz und gegebenenfalls Not- fallmedikamente zur Selbsttherapie sollen die Patien- ten vor Rezidiven bewahren. Bei den anderen circa 50 % konnte eine Nahrungsmittelallergie weitestge- hend ausgeschlossen und dadurch unter anderem überflüssige Karenzdiäten beendet werden.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 8. 5. 2008, revidierte Fassung angenommen: 2. 7. 2008

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Klinische Kernaussagen

Die IgE-vermittelte (Typ I) Nahrungsmittelallergie ist charakterisiert durch eine enge zeitliche Beziehung zwischen der Exposition mit dem Allergen und dem Auftreten der Symptome. Das heißt: Lokalisierte (orales Allergiesyndrom) oder generalisierte (Urtikaria, Angioödem) bis bedrohliche (Anaphylaxie) Symptome treten plötzlich in Erscheinung.

Bei typischen Symptomen einer Nahrungsmittelallergie und eindeutig positiven IgE-Tests (nahrungsmittelspezifisches Serum-IgE, Haut-Pricktest) ist keine weitere Diagnostik (Provokation) notwendig.

Der negative Vorhersagewert der IgE-Tests ist > 95 %, eine orale Provokation mit negativ Prick-getesteten Nahrungsmitteln wird in der Regel toleriert.

Eine leitlinienorientierte Allergiediagnostik identifiziert das auslösende Nah- rungsmittelallergen und ermöglicht eine gezielte Allergenkarenz (Cave: ver- steckte Allergene, Kreuzallergien); bei Anaphylaxie müssen Notfallmedikamen- te verordnet werden.

Ebenso wichtig ist der Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie, weil dadurch unnötige und potenziell gefährliche Diäten verhindert werden.

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Anschrift für die Verfasser PD Dr. med. Axel Trautmann Klinik und Poliklinik für Dermatologie,

Venerologie und Allergologie der Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 2

97080 Würzburg

E-Mail: trautmann_a@klinik.uni-wuerzburg.de

SUMMARY

FFoooodd AAlllleerrggyy iinn AAdduullttss:: AAnn OOvveerr-- oorr UUnnddeerrrraatteedd PPrroobblleemm??

Background: 10% to 20% of the population sees itself as suffering from food allergy, yet genuine, immune-mediated food allergy is sus- pected by patients and their physicians far more often than it is ac- tually shown to be present. The unfounded suspicion of an IgE-me- diated food allergy can substantially impair a patient's quality of life through needless dietary restriction and the accompanying anxiety.

On the other hand, an IgE-mediated food allergy that has gone undia- gnosed or that has not been taken seriously can manifest suddenly with anaphylaxis, which may be life-threatening. The present study, carried out on a large cohort of patients, underscores the importance of differentiating IgE-mediated food allergy from other, non-allergic types of food reaction. Methods: 419 patients that had been referred to our outpatient allergy clinic for suspected food allergies underwent a standardized allergologic diagnostic evaluation, including thorough allergologic history-taking, IgE serology, and challenge tests when in- dicated. Results: 214 patients (51.1%) were found to have an IgE- mediated food allergy. Almost half of these patients (24.3% of the overall group) had previously experienced food-induced anaphylaxis.

In 205 patients (48.9%), however, an IgE-mediated food allergy was ruled out as far as possible. Conclusion: Only a comprehensive aller- gologic evaluation performed by an experienced allergologist in ac- cordance with current guidelines can protect patients from the nega- tive consequences of excessive concern about a non-existent food al- lergy (e.g., needless dietary restriction) or, on the other hand, the ne- gative consequences of inadequate attention to a genuine food aller- gy (anaphylaxis). A proper evaluation consists of detailed allergologic history-taking, skin tests, and challenge tests when indicated.

Dtsch Arztebl 2008; 105(42): 715–23 DOI: 10.3238/arztebl.2008.0715 Key words: allergy, anaphylaxis, immunoglobulin, urticaria, food allergy

Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:

www.aerzteblatt.de/lit4208

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

@

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ORIGINALARBEIT

Nahrungsmittelallergie bei Erwachsenen – über- oder unterschätzt?

Cornelia S. Seitz, Petra Pfeuffer, Petra Raith, Eva-B. Bröcker, Axel Trautmann

Referenzen

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