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Archiv "Zwei Jahre „Reformparagraph 218“ — was ist, was wird?: II." (08.03.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Zwei Jahre „Reformparagraph 218"

Ungeborenes Leben aber ist zwei- felsfrei eine schwächere Gruppe in unserer Gesellschaft als die Men- schen, die ihre Rechte vertreten können.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung die Begriffe

„Recht auf freie Selbstentfaltung der Frau" und „Rechtsgut des vor- geburtlichen Lebens" gebraucht und dem vorgeburtlichen Leben Priorität eingeräumt.

Unter liberal verstehe ich nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch das Recht auf freie Selbstentfaltung, das natürlich eine stärkere Gruppe der Gesellschaft nicht zu Lasten ei- ner wesentlich schwächeren Gruppe gewaltsam durchsetzen darf.

Ethische Minima

Wenn ich im Hinblick hierauf noch die Aussage des „Lane-Reportes"

betrachte, die besagt, daß schon deshalb eine Abruptio durchgeführt werden kann. weil die Schwanger- schaft als unbequem empfunden wird, und wenn der Autor unmittel- bar fortfahrend ausführt, daß die Praxis des neuen Paragraphen 218 in der Bundesrepublik in dieselbe Richtung gehen wird, dann möchte ich mir gar nicht erst die Waagscha- len ansehen, in der in Zukunft in der einen das „Rechtsgut des vorge- burtlichen Lebens" und in der ande- ren das „Recht auf freie Selbstent- faltung der Frau" gewogen werden.

Welch traurige und verhängnisvolle Entwertung erfahren die Liberalisie- rung und die Gesetzgeber, wenn sie sich im „Zeichen des Pluralismus (dieser Begriff hat hier doch wohl nur eine scheinheilige Alibifunktion) auf ethische Minima zurückziehen müssen (?!), weil ... sittliche Werte wie das Recht des Ungeborenen auf Leben nicht freiwillig von der Mehr- zahl der Bürger akzeptiert werden".

Vor noch nicht so langer Zeit haben wir Deutsche und andere Völker uns noch vorgeworfen, daß wir die Ver- letzung von Menschenrechten in un- serem Staat geduldet haben, worun-

ter wohl sicher eine Relativierung ethischer Begriffe verstanden wer- den darf. Jetzt darf bei sicherlich gleich hohem Rechtsgut ethisch re- lativiert werden? „Tempora mutan- tur et nos mutamur in illis."

Ich will nicht auch noch die peinli- che Frage stellen, ob der Staat nur eine materielle Fürsorgepflicht hat.

Ich will nicht die anklagende Frage stellen, ob wir uns nicht zum Töten entschlossen haben, weil wir nicht willens oder — und — unfähig sind, soziale und menschliche Vorausset- zungen für neues Leben zu schaf- fen. Mir erscheint die Frage an den Arzt nach seiner Aufgabe, Leben zu erhalten und nicht zu zerstören, an- gesichts des „Fortschrittes unserer Gesellschaft" schon als rück- ständig.

Geradlinigste Lösung (Endlösung) Ich will auch nicht die Gretchenfra- ge stellen, was eigentlich Juristen, Frauenärzte, Soziologen, Kriminolo- gen und Politiker autorisiert, Ent- scheidungen im Sinne des refor- mierten Paragraphen 218 oder der vom Autor vorgeschlagenen Fristen-

lösung als „geradlinigste Lösung"

(Endlösung) zu treffen und damit die Tötung zu bewirken.

Sicher ist Herrn Prof. Lau zuzustim- men, daß es organisatorisch und medizinisch-technisch bessere Lö- sungen gibt in der Gestalt von spe- ziellen Einrichtungen; sicher kann der Gesetzgeber auch durch die ge- forderte Fristenlösung die so emp- findsamen Gewissen entlasten; si- cher kann den Ärzten die bedrük- kende Einsamkeit der Entscheidung genommen werden; sicher kann sich eine solche reformfreudige Ge- sellschaft auch besonderer „Libera- lität" brüsten:

Wir sollten aber auch so ehrlich sein und eingestehen: Wir haben uns dem Druck einer Masse, die Töten verlangt hat, gebeugt. Wir haben un- ser höchstes Rechtsgut, das Leben verraten und unsere ethischen Ge- setze aus Bequemlichkeit und um materieller Vorteile willen relativiert,

ja manipuliert. Wir sind nicht menschlicher geworden, sondern unmenschlicher; dies zu tragen nimmt uns niemand ab, und unge- borenes Leben klagt uns an.

Dr. med. Gerhard Artzt Kinderarzt

Hunsrückstraße 16 5000 Köln 60 (Nippes)

C.3

Wenn Herr Lau zwei Jahre nach der Reform des § 218 mit der anspruchs- vollen Fragestellung „was ist — was wird" Bilanz zu ziehen versucht, so ist das sicherlich im Hinblick auf die für diese komplexe Problematik noch relativ kurze Zeitspanne etwas verfrüht.

Ob die Schwangerschaftsabbrüche seit der Novellierung des Gesetzes wirklich so rapide angestiegen sind, ließe sich m. E. nur dann in zuverläs- sigen Zahlen erfassen, wenn man die Dunkelziffern vor der Reform des

§ 218 von dem Anteil der Notlagen- indikation an der heutigen Gesamt- zahl der Abbrüche abziehen könnte.

Denn die Notlagenindikation ermög- lichte doch die Legalisierung des Hauptkontingentes der seinerzeitig illegalen Abbrüche.

Die Problematik im Umkreis des § 218 ist weit verzweigt, weil ja neben den Betroffenen, den unfreiwillig Schwangeren, ihren Beratern, den Indikationsstellern, den Operateu- ren und schließlich den Kranken- hausträgern auch die nicht Betroffe- nen, Außenstehenden sich ebenfalls an der Frage des Schwangerschafts- abbruches mit höchst unterschiedli- chen, keineswegs immer uneigen- nützigen Tendenzen emotional en- gagieren.

Um nur ein Beispiel solch fragwürdi- gen Engagements zu zitieren, sei an die von vielen Bürgern artikulierte Sorge um die Renten am Ende unse- res Jahrhunderts erinnert, die diese Zeitgenossen also mit dem Gebär- zwang und der Armee unerwünsch- ter Kinder gesichert sehen möchten.

658 Heft 10 vom 8. März 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zwei Jahre „Reformparagraph 218"

Des weiteren werden hinter vorge- schobenen weltanschaulichen Be- denken sehr oft unbewußte Impulse sexueller Zwangsreglementierun- gen transparent (... „wir haben uns früher auch zusammennehmen müssen, warum nicht auch die heutige Generation" . . . oder .. .

„wer den Genuß haben will, muß nun auch die Folgen dafür auf sich nehmen" ...).

Was erwarten wir denn eigentlich von einem Gesetz, das jahrelang durch die Mangel bundesrepublika- nischen Parteienstreites und deut- scher Prinzipienreiterei gezerrt wur- de? Natürlich hat es Schwächen und Lücken. Aber dennoch könnten wir damit besser leben als vorher, wenn alle Beteiligten guten Willens wären.

Wenn nun Herr Lau die Schwierig- keiten, die sich aus der Notlagenin- dikation ergeben, beklagt, so darf doch nicht verschwiegen werden, daß die Schwierigkeiten in erster Li- nie auf das bedauerliche Defizit an qualifizierten Beratern und Ärzten zurückzuführen sind, die eben das

„setting" einer Notlage auszuloten und damit eine fundierte Indikation zu stellen in der Lage sind. Die Ärz- teschaft hatte sich seinerzeit mit ih- rer Mehrheit ganz entschieden ge- gen die Fristenlösung gewehrt, ob- schon wir, eine kleine Minderheit, damals eindringlich darauf hinge- wiesen haben, daß mit der Ein- führung der Indikationenlösung zwangsläufig das der Notlage inne- wohnende kasuistische Definitions- problem auftauchen würde*), wes- halb wir damals von vielen Kollegen verleumdet und verfemt wurden. Si- cherlich gebührt Herrn Lau Respekt dafür, daß er die Fristenlösung nun- mehr als die ehrlichere Lösung hin- stellt. Doch für diesen Teil seines

„was wird" ... ist es nunmehr leider zu spät!

Wer hat denn in den langen Jahren vor der Reform des § 218 — und auch

*) Poettgen, H.: Vortrag auf der 154. Sitzung der Niederrhein-Westfälischen Gesellschaft für Gyn. u. Geburtshilfe im Dezember 1971, GEBFRA 32 (1972) S. 493-500; Poettgen, H.:

DA, 69. Jg., Heft 14, S. 830-843 (1972);

Poettgen, H.: DÄ, 71. Jg., Heft 1, S. 38-42 (1974)

nachher — die pragmatischen Belan- ge ins Auge gefaßt? Außer der Deut- schen Gesellschaft für Sexualbe- ratung und Familienplanung, dem Fortbildungs-Seminarkongreß für Psychosomatische Gynäkologie an der Universität Mainz und der Ärzte- kammer Nordrhein hat sich doch bis heute niemand im ärztlichen Raum um Ausbildungsmöglichkeiten in Schwangerschaftskonfliktberatung gekümmert. Und diese Form der Be- ratung ist nach übereinstimmender Ansicht aller Experten aus dem Be- reiche der psychologischen Bera- tungspraxis die schwierigste Form der Beratung, die es überhaupt gibt.

Zum Schluß noch ein Wort zu den Bangemachern: Wer die Juristen Hiller und Hiersche mit ihrem Artikel

„Die Verfassungswidrigkeit der Not- lage-Indikation" (DÄ, Heft 13/1978) zitiert, muß auch die fach- und sach- gerechte Analyse und Widerlegung dieser Arbeit („Unhaltbare Analyse"

von Prof. Dr. D. Krauß, DÄ, Heft 28/

1978, S. 1649) anführen, denn These und Antithese bleiben noch immer Grundlage korrekter wissenschaftli- cher Auseinandersetzung.

Es waren immerhin Juristen, die sei- nerzeit den Anstoß zur Novellierung des Gesetzes gaben, da sie erkannt hatten, daß dieses Gesetz hinter der Wirklichkeit untauglich einherhink- te. Schon von daher ist es doch un- sinnig, anzunehmen, daß der Ge- setzgeber im reformierten § 218 Fußangeln für die Ärzte ausgelegt habe. Die große Auseinanderset- zung mit der Jurisprudenz hat auf einem ganz anderen Gebiet zu erfol- gen, nämlich im Bereiche der ärztli- chen Aufklärungspflicht. Hier wird in der Tat das Arzt-Patienten-Verhält- nis unterminiert und geschädigt.

Dr. med. Herwig Poettgen Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie — Psychotherapie Mitglied der begleitenden Kommission zur Auswertung der Erfahrungen

mit dem reformierten § 218 beim BMJFG

Josef-Schregel-Straße 17 5160 Düren

Schlußwort

Im März 1976 hatte sich die Mittel- rheinische Gesellschaft für Geburts- hilfe und Gynäkologie ausführlich mit den klassischen (medizinischen) und den neuen Indikationen zum Schwangerschaftsabbruch ausein- andergesetzt. Zwei Jahre später hat- te mich der Vorsitzende dieser Ge- sellschaft dringend um eine erste Bi- lanz gebeten. Diese wurde in einem Referat anläßlich der Jahrestagung im Mai 1978 gezogen. Ihm lagen die statistischen Daten der gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche und In- formationen von kompetenter Seite zugrunde. Im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT wurde nur eine Kurzfassung meines Versuches abgedruckt, da der Redaktion der gesamte Text zu lang erschien. Der volle Wortlaut des Referates erschien unter dem Titel

„Die Abruptio — Praxis und Proble- me nach Inkrafttreten der Reform des § 218 StGB" in „Sexualmedizin"

7 718-733 (1978).

Neben den vorstehenden Leserzu- schriften habe ich persönliche Schreiben von Kollegen erhalten, die auf Polemik und Selbstdarstel- lung verzichteten. Sie interpretierten meinen Vorschlag zur weiteren Li- beralisierung des Gesetzes als man- gelhafte Achtung des Lebens und warfen mir mangelnde Qualifikation zur Leitung einer Klinik vor, weil ich nachgeordneten Ärzten Abruptiones durchzuführen gestatte, deren Indi- kation ich selbst nicht teile.

Tatsächlich bin ich der Meinung, daß dem vorgeburtlichen Leben gleiche Achtung, gleiches Recht und gleicher Schutz gebührt wie dem Leben nach dem Geborensein.

Ich bin persönlich nur dann zu einer Abruptio bereit, wenn die Existenz einer Frau durch eine Schwanger- schaft aus schwerwiegender somati- scher oder psychosozialer Causa bedroht ist oder eine kindliche Schädigung erwartet werden kann.

Der Vorschlag zur Streichung des Gesetzes resultiert aus der Unmög- lichkeit seiner echten Praxis, seiner trügerischen Anwendung und dem offensichtlichen Unvermögen so-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 8. März 1979 659

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