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Archiv "Hausärzte: „Die Zeit der Friedlichkeit ist vorbei“" (24.09.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 38

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24. September 2010 A 1779 HAUSÄRZTE

„Die Zeit der Friedlichkeit ist vorbei“

Der Hausärzteverband fürchtet um seine mühsam errungene „Tarifautonomie“.

Denn im Zuge der Gesundheitsreform sollen die Honorare in den Hausarztverträgen auf das Niveau der Regelversorgung sinken. Jetzt gehen die Mitglieder auf die Straße.

H

ausärzte fordern: Schluss mit der Umsonst-Medizin“, „Kran- kenkassen: Verweigerer einer haus- arztzentrierten Versorgung“, „Erst stirbt die Praxis, dann stirbt der Pa- tient“ – Mit diesen und ähnlichen Transparenten protestierten Haus- ärzte, deren Mitarbeiterinnen und Patienten am 15. September vor und in der Essener Grugahalle ge- gen die Reformpläne von Bundes- gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Er will die Honorare in den Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) an die der Re- gelversorgung angleichen. Höhere Honorare dürfen nur noch dann ge- zahlt werden, wenn sie durch Ein- sparungen an anderer Stelle gegen- finanziert werden können. Zwar tastet der vorliegende Gesetzent- wurf die Pflicht der Krankenkassen zum Abschluss von Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung in erster Linie mit dem Hausärztever- band (§ 73 b SGB V) nicht an. Au- ßerdem gilt für bestehende Verträge Bestandsschutz. Der Hausärztever- band befürchtet jedoch, dass die geplante Honorarangleichung neue HzV-Verträge gänzlich unattraktiv macht.

„Wir müssen uns wehren gegen eine Politik, die die Abschaffung der hausarztzentrierten Versorgung zur Folge hat“, forderte deshalb der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes (HÄV), Ulrich Weigeldt, in Essen. Nach Angaben des Verbandes hatten sich in der Grugahalle 1 800 aufgebrachte Haus - ärzte versammelt. Auch Weigeldt machte seinem Ärger Luft: „Ich bin von keinem Gesundheitsminister so verschaukelt worden wie von die- sem“, erklärte er. Rösler habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass er

§ 73 b nicht möge. Er habe aber im- mer bekräftigt, dass er sich an den

Koalitionsvertrag halten wolle, der für die Hausarztverträge eine Er- probungsphase von drei Jahren vor- sehe. Angesichts der jetzigen Pläne warf Weigeldt dem Minister Wort- bruch vor. Höhere Beiträge, totale Budgetierung, ungeahnte Zentrali- sierung und Versorgung auf nied - rigem Niveau: „Das einzige, das auf dem Rücken der Patienten aus- getragen wird, ist diese Gesund- heitsreform“, kritisierte der Haus- ärztechef. Am Tag zuvor hatte Rösler im Interview den Hausärz- ten vorgeworfen, ihren Protest auf dem Rücken der Patienten auszu- tragen.

Hart ins Gericht ging Weigeldt auch mit der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV): „Sie lösen die Probleme nicht, sie schaffen sie“, sagte er mit Blick auf eine seiner Ansicht nach unstrukturier- te und häufig geänderte Weiterbil- dungsordnung sowie eine intrans-

parente und ungerechte Honorar- ordnung.

Die Zukunft liegt für Weigeldt in direkten Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen. „Die müssen ja wissen, was sie zahlen können und was sie dafür haben wollen“, mein- te der Hausärztechef. „Das ist heute ein guter Auftakt“, sagte er zu den Protestierenden in der Grugahalle,

„wir müssen die Blockade von KVen und Krankenkassen durch- brechen und die Tarifautonomie Wirklichkeit werden lassen.“ Denn ins „Gefängnis der KV“ wollten die Hausärzte nicht zurückkehren.

Auch für den Vorsitzenden des Landesverbandes Westfalen-Lippe, Dr. med. Norbert Hartmann, ist die- ser Punkt entscheidend. Weil KVen und Kassen in Nordrhein-Westfalen bei der jüngsten Honorarreform

„gepennt“ hätten, sei man dort jetzt Schlusslicht bei den Honoraren.

Daran ändere auch die Regelung im Gesetzentwurf nichts, nach der der

Foto: ddp

Protest und Plakate:

1 800 Reformgegner in der Essener Grugahalle

P O L I T I K

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A 1780 Deutsches Ärzteblatt

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24. September 2010 Honorarzuwachs im nächsten Jahr

„asymmetrisch“ verteilt werden solle. Das heißt, dass die KVen, die von der Honorarreform 2009 am wenigsten profitiert haben, mehr Geld erhalten als die anderen. „Das KV-System hat versagt“, folgerte Hartmann. Selbst der KBV-Vorsit- zende, Dr. med. Andreas Köhler, Architekt der jüngsten Honorar - reform, habe das System als Chaos bezeichnet. Der sich abzeichnende Ärztemangel sei da kein Wunder.

„Der Nachwuchs fehlt, weil die Rahmenbedingungen so fürchter- lich sind“, meinte Hartmann. Die Lösung seien die Hausarztverträge mit einer einfachen Honorarsyste- matik, in der das Prinzip „gleiches Geld für gleiche Leistung“ bereits verwirklicht sei. Für dieses Ziel wolle man kämpfen. „Die Zeit der Friedlichkeit ist vorbei“, kündigte er unter dem Beifall der Demons- tranten an.

In Sindelfingen protestierten zur selben Zeit nach Angaben der Ver- anstalter circa 2 800 Ärzte für den Erhalt der Selektivverträge. Der Medi-Verbund und der Hausärzte- verband Baden-Württemberg kriti- sierten wie die Kollegen in Nord- rhein-Westfalen, die geplante Ho- norardeckelung bei den Hausarzt- verträgen bedeute langfristig das Aus für eine Versorgungsform, „die den Versicherten mehr Qualität bie- tet und das Überleben der Arztpra- xen sichert“. Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Baden-Würt- temberg, Dr. med. Berthold Diet- sche, warnte: „Damit wird eine in- novative ambulante Versorgungs- struktur mit minimalem bürokrati- schem Aufwand und angemessener Vergütung erstickt.“ Im Kampf um ihre Vertragsautonomie setzen die Ärzte dort auf die Unterstützung der Landesregierung. Gesundheits- ministerin Monika Stolz (CDU) hatte bereits am Tag zuvor bekräf- tigt, dass für die Hausarztverträge weiter Sonderregelungen gelten müssten. „Wir wollen auf keinen Fall den bisherigen Erfolg von Hausarztverträgen gefährden“, be- tonte sie.

Kritik an den Protesten kam von- seiten der Krankenkassen. Die viel- fachen Praxisschließungen seien

ein „Verstoß gegen ärztliche Pflich- ten“, erklärten die Kassen in Nord- rhein-Westfalen. Ziel der anstehen- den gesetzlichen Regelung zu den Hausarztverträgen sei es, exorbitan- te Honorarsteigerungen ohne Mehr- leistungen zu begrenzen. Ein Haus- arztvertrag dürfe nicht als Vehikel zur Einkommensverbesserung der Hausärzte missbraucht werden.

Einen Tag nach den Protesten trafen sich die Delegierten des 33.

Deutschen Hausärztetages in Ber-

lin. Dort verabschiedeten sie die

„Grundsätze zur Sicherung einer freiheitlichen, solidarischen und zukunftsfähigen hausärztlichen Ver- sorgung in Deutschland“. Darin forderten sie die Politik auf, neben dem Kollektivvertrag auch beson- dere Versorgungsformen wie die hausarztzentrierte Versorgung nach

§ 73 b SGB V „gleichberechtigt und diskriminierungsfrei“ im Ge- setz zu verankern. Sowohl Versi- cherte als auch Hausärzte müssten eine Wahloption haben, erklärte die HÄV-Delegiertenversammlung.

Anzustreben sei die Kombination von § 73 b und anderen besonderen Versorgungsverträgen, um Effi- zienz und Kooperation zu verbes- sern. Krankenkassen sollen zur flä- chendeckenden Sicherstellung so- wohl der hausärztlichen als auch der fachärztlichen Versorgung min- destens je einen Vertrag mit einer KV im Kollektivvertrag und mit den in § 73 b beziehungsweise in den §§ 73 c und 140 a ff. vorgese- henen Vertragspartnern abschlie- ßen, heißt es in dem mit großer

Mehrheit angenommenen Leitan- trag des HÄV-Vorstands. Unab - hängig von der kollektivvertragli- chen Gesamtvergütung sollen die Vertragspartner für die besonde - ren Versorgungsformen dabei eine eigenständige Vergütungsordnung und Abrechnungssystematik ver- einbaren.

Zudem sollten KVen im Bereich der besonderen Versorgungsformen wettbewerbliche Aktivitäten unter- sagt werden, da diese nicht mit der Ordnungsfunktion der KVen ver- einbar seien. Wer exklusiv die staat- lichen Regeln für ärztliches Han- deln festsetze, könne nicht gleich- zeitig am Wettbewerb teilnehmen.

Einstimmig forderten die Dele- gierten in einem Beschluss KBV- Chef Köhler zum sofortigen Rück- tritt auf, da er durch manipuliertes Datenmaterial in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt habe, Haus- und Fachärzte würden gerade „in Geld schwimmen“. Darüber hinaus forderte der Hausärztetag, die Ein- führung der Kodierrichtlinien zu stoppen, da sie keinen Nutzen für die Versorgung der Bevölkerung hätten, jedoch die hausärztliche Betreuungszeit verminderten.

Die Konfrontation zwischen Bundesgesundheitsminister Rösler und den Hausärzten spitzte sich während des Hausärztetages weiter zu. Nachdem Rösler bei dem Be- such einer Berliner Kinderarztpra- xis Agenturmeldungen zufolge er- klärt hatte, er würde nicht im Traum darauf kommen, mit seinen Kin- dern zum Hausarzt zu gehen, er- klärten die Delegierten: „Die deut- sche Hausärzteschaft ist empört und verwahrt sich gegen einen erneuten Angriff des Bundesgesundheitsmi- nisters auf die Kompetenz der deut- schen Hausärzteschaft in einer scheinheiligen negativen Qualitäts- diskussion.“

Um die „schlimmsten Auswüch- se“ zu verhindern, rief Weigeldt in seiner Rede die Hausärzte dazu auf, sich an den noch anstehenden KV- Wahlen zu beteiligen: „Das KV- System wird uns noch eine Weile erhalten bleiben. Deshalb werden wir gut daran tun, das zu beeinflus- sen, was zu beeinflussen ist.“ ■ Heike Korzilius, Falk Osterloh

Ich bin von keinem Gesundheits - minister so verschaukelt worden.

Ulrich Weigeldt

Foto: Hausärzteverband

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