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Archiv "HIV-Therapie in der Schwangerschaft: Wenig bewiesene Erkenntnisse" (23.12.2002)

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Psychotherapie unbeachtet

Mit Irritation stelle ich fest, dass die psy- chische Dimension des Kranken oder auch seine psychosoziale Begleitung in den Überlegungen der Spezialisten kei- nen nennenswerten Raum einnimmt.

Das, obwohl der Wert der Psychothera- pie bei chronischen Erkrankungen gar nicht unterschätzt werden kann.Wie lan- ge müssen wir noch darauf warten, bis aus dem Lippenbekenntnis, den Men- schen als Ganzes zu sehen, Realität wird?

Dr. med. Guido Loyen Eigelstein 103–113, 50668 Köln

Schlusswort

Herrn Dr. Loyen ist für seinen Beitrag zu danken, da er auf einen wichtigen Man- gel in der Forschung zur chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) hin- weist. Eine Medline-Suche zu den psy- chosozialen Folgen der Erkrankung zeigt, dass zu diesem Thema bis zum Jahr 2002 nichts veröffentlicht wurde.Auch ei- ne kürzlich erschienene Übersichtsarbeit referiert lediglich den Kenntnisstand zu psychosozialen Folgen von Lymphomen und Leukämien im Allgemeinen, kann aber nicht auf diesbezügliche Untersu- chungen zur CLL zurückgreifen (1). Die- ser Mangel ist erstaunlich und bedauer- lich. Die Deutsche CLL-Studiengruppe (DCLLSG) untersucht daher in einigen Therapieoptimierungsprotokollen ein-

gehend die Lebensqualität der Patienten während und nach der Therapie. Wir glauben, dass diese Untersuchungen die Erkenntnislücke in diesem Bereich ver- kleinern werden. Da unser Beitrag je- doch als Zusammenfassung der vorlie- genden Evidenz zur chronischen lym- phatischen Leukämie konzipiert war, wurde dieser wichtige Aspekt aufgrund des fehlenden Materials in der Fachlite- ratur in unserer Arbeit nicht erwähnt.

Literatur

1. Saifollahi J, Rouhani M, Roth AJ, Holland JC. Psychologi- cal aspects of chronic lymphoid leukemias. In: Cheson B, editor. Chronic lymphoid leukemias. Second Edition. New York: Marcel Dekker 2001; 593–608.

Prof. Dr. med. Michael Hallek Dr. med. Manuela Bergmann Prof. Dr. med. Bertold Emmerich

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Michael Hallek Medizinische Klinik III

Klinikum der Universität Großhadern Marchioninistraße 15, 81377 München E-Mail: mhallek@med3.med.uni-muenchen.de www.dcllsg.de

Wenig bewiesene Erkenntnisse

1. Die Vorschläge sind nicht aktuell und nicht umfassend. Sie basieren auf den Ergebnissen einer Konsensuskon- ferenz, die im September 2000 statt-

fand und sind nicht auf dem aktuellen Kenntnisstand. Aussagen zu wichtigen Fragen der antiretroviralen Therapie in der Schwangerschaft fehlen (zum Beispiel Bedeutung von Messungen der Medikamentenspiegel, Interaktio- nen mit anderen in der Geburtshilfe eingesetzten Medikamenten, bei- spielsweise Midazolam).

2. Die Validität der Empfehlungen ist nicht zu beurteilen. Anders als in- ternational üblich findet sich im Text keine Graduierung der Solidität der Daten, auf denen diese Vorschläge be- ruhen. Es ist also nicht erkennbar, was aus kontrollierten Studien gelernt wurde und was nur die persönliche Meinung der Konferenzteilnehmer ist.

3. Die mütterliche Indikation zur antiretroviralen Therapie: Eine müt- terliche Therapieindikation wird ange- nommen bei asymptomatischen Pati- entinnen mit < 250 CD4-Zellen/µL (und/oder?) einer Viruslast > 30 bis 50 000 Kopien/mL. Auf welchen Daten die mutige Festlegung auf genau 250 CD4-Zellen/µL beruht, bleibt leider unklar. Die jüngsten US-Empfehlun- gen zur HIV-Therapie von Heran- wachsenden und Erwachsenen (1) aus dem Mai 2002 schlagen vor, unabhän- gig von der Viruslast Patienten mit zwischen 200 und 350 CD4-Zellen/µL eine antiretrovirale Therapie anzubie- ten.

4. Risikoadaptiertes Vorgehen: Es gibt keinen Schwellenwert, unterhalb dessen eine vertikale Transmission ausgeschlossen ist, und auch bei Frau- en mit einer sehr niedrigen Viruslast kann eine antiretrovirale Therapie das vertikale Transmissionsrisiko reduzie- ren. Deswegen sehen die aktuellen US-amerikanischen Richtlinien (2, 3) vor, alle Frauen mit einer wirksamen Therapie zu versorgen, die die virale Replikation soweit messbar komplett unterdrückt. Lediglich für die kleine Gruppe von Frauen mit weniger als 1 000 Kopien/mL (nicht 10 000!) hal- ten die amerikanischen Experten in Einzelfällen eine Zweifach- anstatt ei- ner Dreifachtherapie für diskutabel.

Eine auch nur vierwöchige Monothe- rapie mit AZT gefährdet die Gesund- heit der Mutter, da die Möglichkeit be- steht, dass sich Resistenzen ausbilden und zukünftige Therapieoptionen da- M E D I Z I N

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A3476 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002

zu dem Beitrag

Chronische lymphatische Leukämie

Aktualisierte Vorschläge zu Diagnostik und Therapie von

Prof. Dr. med. Michael Hallek Dr. med. Manuela Bergmann Prof. Dr. med.

Bertold Emmerich in Heft 19/2002

DISKUSSION

zu dem Beitrag

HIV-Therapie in der Schwangerschaft

von

Dr. med. Bernd Buchholz Dr. med. Ulrich Marcus Dr. med. Matthias Beichert Dr. med. Thomas Grubert Dr. med. Andrea Gingelmaier Priv.-Doz. Dr. med. Ilse Grosch-Wörner

Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer in Heft 24/2002

DISKUSSION

(2)

durch eingeschränkt werden. Die vor- geschlagene AZT-Dosierung mit fünf- mal 100 mg/die entstammt auch dem PACTG-076-Protokoll – sie ist ohne belegten oder auch nur theoretischen pharmakokinetischen Vorteil und be- einträchtigt die Lebensqualität der werdenden Mutter erheblich.

5. Therapiebeginn am Tag 0 und in der 32. Schwangerschaftswoche: Diese fixe Vorgabe entbehrt der Unterstüt- zung durch publizierte Daten.

6. Abschätzung der möglichen Schä- digung durch intrauterine Exposi- tion mit antiretroviralen Substanzen:

Über die Frage einer Therapieunter- brechung in der Frühschwangerschaft sollte mit einer bereits antiretroviral behandelten Frau ergebnisoffen disku- tiert werden. In dem Gespräch mit der Frau müssen die Ärzte ehrlich genug sein, zu sagen, dass wir nicht wirklich wissen, ob die intrauterine HAART- Exposition schadet oder nicht, da die vorliegenden Studienergebnisse wi- dersprüchlich sind (2). Eine Beschrän- kung auf Studienergebnisse mit einer bestimmten Richtung, wie hier in den Richtlinien geschehen, hat im Interes- se einer aufgeklärten und für sich selbst entscheidenden Patientin zu un- terbleiben.

7. Entbindungsmodus: Die Vorga- be einer Kaiserschnittentbindung für alle HIV-infizierten Schwangeren ent- spricht nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Während in der Zeit vor antiretroviraler Kombinationsthera- pie der Kaiserschnitt das vertikale Transmissionsrisiko um 55 bis 80 Pro- zent reduzieren helfen konnte, fehlt es an Daten aus kontrollierten Studien, die belegen, dass sich dieser Vorteil auch auf suffizient behandelte Frauen mit nicht nachweisbarer Viruslast übertragen lässt. Die ersten kleineren nicht randomisierten Studien lassen vielmehr vermuten, dass dies nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite sind die mütterlichen postportalen Komplika- tionen nach Kaiserschnittentbindung unabhängig vom HIV-Status der Frau um mehr als das Zweifache erhöht, und Babys, die vor der 39. Woche per Kai- serschnitt entbunden werden, haben ein zumindest leicht erhöhtes Risiko beatmet werden zu müssen. Entspre- chend den amerikanischen Richtlinien

sollte diese keineswegs eindeutige Da- tenlage mit jeder HIV-infizierten Schwangeren mit nicht nachweisbarer Viruslast unter HAART erörtert und eine eventuelle Entscheidung für eine vaginale Entbindung respektiert wer- den.

Ich denke, dass Frauen in Deutsch- land und Österreich Anspruch auf ein entsprechend differenziertes Vorge- hen haben.

Literatur

1. http://www.hivatis.org/guidelines/adult/May23 02/AAMay23.pdf

2. http://www.hivatis.org/guidelines/perinatal/May23 02/PNMay23.pdf

3. Watts DH: Management of human immunodeficien- cy virus infection in pregnancy. N Engl J Med 2002:

346: 1879–1891.

4. Tuomala RE, Shapiro DE, Mofenson LM, et al.: Anti- retroviral therapy during pregnancy and the risk of an adverse outcome. N Engl J Med 2002; 346: 1863–

1870.

Dr. med. Sven Philip Aries Max-Brauer-Allee 45 22765 Hamburg

Unnötiges Tupfen

Mit großem Interesse haben wir Ihren Beitrag zur antiretroviralen HIV-The- rapie in der Schwangerschaft gelesen.

Uns war dabei Ihre Empfehlung für die Erstversorgung von Neugeborenen aufgefallen: „Noch vor dem Absaugen sind Mundhöhle und Naseneingang mit sterilen, in 0,9-prozentiger NaCl-Lö- sung getränkten Tupfern von eventuell HIV-1-kontaminiertem Fruchtwasser zu reinigen. Nach Stabilisierung der Vi- talfunktionen sind alle Körperöffnun- gen (Ohren,Augen,Anus und Genitale) in gleicher Weise zu säubern.“ Uns sind keine Untersuchungen bekannt, aus de- nen sich diese Empfehlungen schlüssig ableiten lassen. Weiterhin sind uns dies- bezüglich auch keinerlei Empfehlungen seitens der entsprechenden Fachgesell- schaften in den USA (zum Beispiel der American Academy of Pediatrics) oder des Centers for Disease Control (CDC) bekannt. Im Falle einer Kontamination des Fruchtwasser mit HIV ist das Kind von Kopf bis Fuß mit HIV besiedelt. Da alle Feten intrauterin Fruchtwasser „at- men“ und schlucken und damit große Mengen Fruchtwasser „aspirieren“ be-

ziehungsweise ingestieren, ist unseres Erachtens davon auszugehen, dass bei kontaminiertem Fruchtwasser sowohl die Lunge als auch der Magen-Darm- Trakt von vorne herein kontaminiert sind. Die von Ihnen empfohlenen Mani- pulationen an Mund, Nase, Augen, Anus und Genitale könnten zu sicht- oder unsichtbaren Schleimhautschäden führen und damit einer HIV-Transmis- sion geradezu Vorschub leisten. Unse- res Erachtens sollten die von Ihnen ge- nannten Maßnahmen nicht empfohlen werden, oder es sollte zumindest darauf verwiesen werden, dass diese Empfeh- lungen bisher nicht wissenschaftlich überprüft wurden.

Priv.-Doz. Dr. med. Helmut Hummler Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. Frank Pohlandt Sektion Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin Universitätskinderklinik Ulm, 89070 Ulm

Schlusswort

Bei der beschriebenen Reinigung der Körperöffnungen ist das Ziel nicht die Entfernung von Fruchtwasser, das während der Schwangerschaft mit HIV kontaminiert wurde. Trotz stumpfer Uterotomie wird das Kind bei der Sectio oft durch frisch blutiges Fruchtwasser (Blutungsneigung durch Vasodilatation bei Periduralanästhe- sie) entwickelt. Dieses frisch blutige Fruchtwasser soll so weit wie möglich entfernt werden, um die Schleimhaut- exposition des Neugeborenen gegen- über HIV möglichst gering zuhalten.

Bei Verwendung von angefeuchte- ten, körperwarmen Tupfern sind den Autoren bisher keine sichtbaren Schleimhautläsionen berichtet worden.

Eine randomisierte Studie, die den Vorteil der Reinigung der Körperöff- nungen belegt, ist den Autoren nicht bekannt. Bei einer vertikalen HIV- Transmissionsrate von 1 bis 2 Prozent müssten zur Validierung dieser Vorge- hensweise in einer solchen Studie mehrere tausend Mutter-Kind-Paare miteinander verglichen werden. Trotz- dem erschien den Experten die Ent- fernung von hochinfektiösem Materi- al von den Schleimhäuten sinnvoll, zu- mal bei Säuglingen die Ansteckung über HIV-kontaminierte Muttermilch beim Stillen erwiesen ist.

M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002 AA3477

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Zu den Anmerkungen von Herrn Dr. Aries:

1. Die Empfehlungen sind aktu- ell. Die Publikation spiegelt den Kenntnisstand vom Mai 2001 wie- der. Die Empfehlungen wurden zwar auf der Konsensuskonferenz in Bo- chum im September 2000 erarbeitet, in einem anschließenden Abstim- mungsprozess aber per E-Mail überar- beitet und neue Erkenntnisse berück- sichtigt – nachvollziehbar dokumen- tiert im Literaturverzeichnis. Die Pu- blikation ist umfassend. Empfehlun- gen zur Bedeutung des drug monito- ring in der Schwangerschaft mit kon- kreten Handlungsanweisungen waren bewusst aufgrund spärlicher Datenla- ge zu diesem Zeitpunkt – und auch heute noch nicht – evidenzbasiert for- mulierbar. Erkenntnisse aus Medika- mentenspiegel-Messungen bei nicht schwangeren Frauen (soweit über- haupt publiziert) sind bekannterweise auf die Schwangerschaft nicht über- tragbar.

2. Eine ausführlichere Version der Empfehlungen, wie sie zum Beispiel auf der Webseite des RKI und der DAIG veröffentlicht ist (www.rki.de/

www.daignet.de), enthält eine Gradu- ierung der Empfehlungen. Bei der im Deutschen Ärzteblatt veröffentlich- ten Version handelt es sich um eine verkürzte Version.

3. Die Gründe für die Festlegung auf < 250 CD4-Zellen sind in der aus- führlichen Version dargelegt. Die seit vielen Monaten laufenden Diskussio- nen zur Aktualisierung der deutschen Empfehlungen für Erwachsene sind darin bereits eingeflossen.

4. Die in diesem Punkt geäußerte Kritik nehmen wir zum Anlass, nochmals die Rationale für die HIV- Transmissionsprophylaxe zu erläutern.

Diese berücksichtigt die multifaktori- elle Genese der HIV-Transmission während der Schwangerschaft, das heißt nicht nur einseitig den Risikofak- tor HI-Viruslast im Blut (die diskor- dant zur Viruslast im Vaginalsekret sein kann) und selbstverständlich folgerich- tig dessen Senkung durch eine Anti- HIV-Medikation, sondern berücksich- tigt gleichberechtigt die durch Studien nachgewiesenen geburtsmedizinischen Risikofaktoren (1) und folgerichtig de-

ren Verhütung durch eine Kaiser- schnittentbindung am wehenfreien Uterus. Weiter hat das Gesamtkonzept nicht nur das Ziel, die HIV-Transmissi- on zu reduzieren, sondern das an- spruchsvolle Ziel, dies mit möglichst wenig Medikamentenexposition für das Kind intrauterin und postnatal zu erreichen.

Die Komponenten und ihre Ratio- nale im Detail: Zur antiretroviralen Prophylaxe: Ausgangspunkt war die 1994 veröffentlichte ACTG-076-Stu- die, die einen sehr langen präpartalen, einen intrapartalen und einen relativ langen postnatalen Teil (14. Schwan- gerschaftswoche bis sechs Wochen postnatal) zur Transmissionsprophyla- xe vorsah.

Ziel weltweiter Bemühungen war anschließend, den dreischenkligen Prophylaxeteil zu deeskalieren bei gleich gutem Ergebnis, das heißt re- duzierter HIV-Transmission. Die Stu- dienergebnisse ergaben, dass sowohl der präpartale wie auch der postna- tale Teil ohne Wirkungsverlust bis zu einem gewissen Grade reduziert werden können. So zeigt zum Bei- spiel die 4-Arm-THAI-Studie für den präpartalen Teil, dass eine Ver- kürzung von der 28. Schwanger- schaftswoche auf Woche 36+0 nicht ratsam ist (2).

5. Unter Einbeziehung aller Ergeb- nisse der Studien zur Prävention der Mutter-Kind-Übertragung mit ihren verschiedenen Designs hat man sich auf Woche 32+0 im Konsens geeinigt, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass nach Studienergebnissen die HIV-Transmission mit großer Wahr- scheinlichkeit zu 35 Prozent in der späten Schwangerschaft (vorwiegend ab 32. SSW) und zu 65 Prozent unter der Geburt erfolgt (3).

Der kurzzeitige Einsatz von Zido- vudin zur Transmissionsprophylaxe (nicht zur „Monotherapie“ der Frau) führt nach bisheriger Datenlage im Rahmen der Zidovudin-Prophylaxe nicht zu Resistenzen (4), dies sollte aber überprüft werden. Die zweimali- ge Gabe von Zidovudin ist Standard und wird berücksichtigt.

6. Es ist richtig, dass der Einfluss der antiretroviralen Substanzen in der Schwangerschaft bezüglich der aktuel-

len, mittelfristigen und Langzeittoxi- zität auf das intrauterin und postnatal exponierte Kind nicht abzuschätzen ist. Dies gilt nicht nur für den Einsatz in der Frühschwangerschaft, sondern für die gesamte Schwangerschaft. Ge- nau aus diesem Grunde wurde ver- sucht, die antiretroviral wirksamen Substanzen so kurz wie möglich bei Aufrechterhaltung guter Ergebnisse (Transmissionsraten < 1 Prozent) ein- zusetzen.

7. Essenzieller Bestandteil des er- folgreichen Prophylaxeschemas ist die Kaiserschnittentbindung am wehen- freien Uterus. Dessen von der anti- retroviralen Prophylaxe unabhängige Wertigkeit wurde im Rahmen einer Metaanalyse der Ergebnisse prospek- tiv durchgeführter weltweiter HIV-Pe- rinatalstudien bestätigt (5).

Zu bedenken ist auch, dass bei Ver- zicht auf eine Sectio immer die Gefahr besteht, dass bei diskordanter Virus- last in Blut und Vaginalsekret das Neugeborene durch infektiöses Va- ginalsekret vaginal entbunden wird, was wahrscheinlich einer der Grün- de dafür ist, dass durch eine Sectio die Übertragungswahrscheinlichkeit auch für Frauen mit niedriger Virus- last (< 1 000 Viruskopien/mL) redu- ziert wird (6).

Richtig ist, dass kontrollierte Studi- en zur Beantwortung der Frage, ob die Kaiserschnittentbindung in einem Regime mit Mehrfachkombination während der gesamten Schwanger- schaft entfallen kann, fehlen. Sie feh- len ebenso zur Frage, ob bei diesem Regime mit durchgängiger antiretro- viraler Behandlung das Risiko eventu- eller Spätnebenwirkungen beim Kind nicht höher einzuschätzen ist als beim Kurzzeit-Prophylaxeschema. Die zi- tierte spärliche Datenlage 2002 lässt keine umfassende Risikoabschätzung zu.

Konsequenz: solange nicht Studien- ergebnisse zu beiden Fragestellungen vorliegen, solange kann aus verant- wortungsvoller medizinischer Sicht nicht ein erfolgreiches Regime infra- ge gestellt werden. Als Standard der HIV-Transmissionsprophylaxe (nicht zur Therapie der Frau) wird bis zum Beweis des Gegenteils in Europa die Kurzzeit-Prophylaxe mit Zidovudin M E D I Z I N

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A3478 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002

(4)

und primärer Kaiserschnittentbindung empfohlen (7).

Die Frauen in Deutschland und Österreich werden diese differenzier- ten Überlegungen, welche die Ge- sundheit des Kindes miteinbeziehen, bei entsprechender Erläuterung schät- zen und mittragen.

Literatur beim Verfasser

Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer Deutsche AIDS-Gesellschaft e.V.

c/o Klinik für Dermatologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum

St. Josef-Hospital Gudrunstraße 56 44791 Bochum

Orthonyxie-Behandlungen werden nicht erstattet

Auf der Abbildung 2a sieht man die längliche gelbliche Verfärbung der Nagelplatte. Dies ist ein klinisches Zeichen für den Befall des Nagels durch einen Pilz. Die Onychomykose ist bekanntlich eine Eintrittspforte für bakterielle Infektionen an den Füßen, die zu den in der Abbildung 2b dargestellten Komplikationen führen können. Deshalb müssen bei diabeti- schen Patienten mykotische Haut- und Nagelveränderungen auf jeden Fall diagnostiziert und therapiert wer- den.

Durch das in Kraft getretene Po- dologengesetz werden zurzeit bei Pati- enten mit einem isulinpflichtigen Dia-

betes nur einfache fußpflegerische Maßnahmen von den Krankenkas- sen bezahlt. Orthonyxie-Behandlun- gen des Unguis incarnatus (eingewach- sener Fußnagel), die eine sinnvolle Alternative zur Emmert-Plastik sind und bei dem dargestellten Patienten- kollektiv sicher sinnvoller zum Einsatz kämen, werden weiterhin nicht erstat- tet.

Dr. med. Hanspeter Prieur Bürgerstraße 15

47057 Duisburg

Schlusswort

Die von Herrn Kollegen Prieur ange- sprochene Nagelspange (Orthonyxie- Spange) zur konservativen Behand- lung des einwachsenden Fußnagels hat sich bereits 1873 in den USA Ed- ward W. Stedman patentieren lassen.

Sein Patent ist somit nur elf Jahre älter als die in Deutschland beliebte chirur- gische Behandlung mittels der Em- mert-Plastik, die 1884 erfunden wurde (1, 2).

Beides sind traditionelle Prakti- ken, die auch heute noch gerne ange- wendet werden, obwohl sie bislang nie durch kontrollierte Studien gesi- chert worden sind (3). Vielleicht fin- den sich im Zeitalter der evidenzba- sierten Medizin ein motivierter Wis- senschaftler, der sich dieser Fragestel- lung annimmt. Weitere Therapiever- fahren bei der diabetischen Podopa- thie, die der Absicherung durch kon- trollierte Studien harren, sind unter anderem die hyperbare Sauerstoffbe- handlung (4), die Madentherapie (5) oder die retrograde intravenöse Injek- tionstherapie nach Bier; auch sie blie- ben daher in meinem Artikel uner- wähnt.

Die Studienlage zur Behandlung der Nagelpilz-Infektion (Onychomy- kose) bei Diabetes mellitus ist un- einheitlich. Die lokale Anwendung von Antimykotika ist kaum effektiv (und führt gelegentlich zu Haut- reizungen des Nagelwalls). Bei der Anwendung von systemischen An- timykotika wurde in monatelangen, kontrollierten Studien eine günstige Wirkung auf Surrogatparameter be- obachtet, beispielsweise auf die Länge

pilzfreien Nagelwachstums in Milli- metern und den Prozentsatz negativer Pilzkulturen (6). Bezüglich der völli- gen Ausheilung der Onychomykose (und bleibender Rezidivfreiheit) wa- ren die Ergebnisse bei systemischer Antimykotika-Behandlung allerdings enttäuschend.

Abschließend soll noch einmal be- tont werden, dass der Bundesaus- schuss der Ärzte und Krankenkas- sen die Aktivität der Podologen bei der Behandlung von Diabetikern aus- drücklich auf das verletzungsfreie Kürzen von Nägeln (mit krankhaften Veränderungen, zum Beispiel mit der Tendenz zum Einwachsen) und auf das Abtragen von Schwielen be- grenzt hat. Wundbehandlung jeglicher Art, einschließlich des eingewachse- nen Nagels, ist und bleibt Sache des Arztes.

Literatur

1. Emmert C: Zur Operation des eingewachsenen Na- gels. Cbl Chr 1884; 39: 641.

2. Haneke E: Segmentale Matrixverschmälerung zur Behandlung des eingewachsenen Zehennagels.

Dtsch med Wschr 1984; 109: 1451–1453.

3. Haeger JE: Konservative Behandlung des eingewach- senen Nagels (Unguis incarnatus) bei Patienten mit diabetischer Polyneuropathie. Diab Stoffw 1997; 6:

145–150.

4. Wunderlich RP, Peters EJG, Lavery LA: Systemic hy- perbaric oxygen therapy: lower extremity wound healing and the diabetic foot. Diabetes Care 2000;

23: 1551–1555.

5. Rufli T: Biochirurgie – bewährtes Verfahren in der Wundbehandlung. Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2038–

2039 [Heft 30].

6. Bräutigam M, Nolting S, Schopf RE, Weidinger G:

Randomized double-blind comparison of terbinafine and intraconazole for treatment of toenail tinea in- fection. Br Med J 1995; 311: 919–922.

Prof. Dr. med. Ernst Chantelau Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Diabetesambulanz MNR-Klinik Postfach 10 10 07

40001 Düsseldorf M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 51–5223. Dezember 2002 AA3479

zu dem Beitrag

Alternativen zur Fußamputation bei diabetischer Podopathie

Was ist gesichert?

von

Prof. Dr. med. Ernst Chantelau in Heft 30/2002

DISKUSSION

Referenzen

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