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ie Entscheidung fiel haarscharf.Mit Stimmengleichheit hat das Eu- ropäische Parlament im April ei- nen Antrag abgelehnt, der manchem Wissenschaftler in Europa schwer im Magen gelegen hätte – wenn er denn Realität geworden wäre. Ziel der Initia- tive war es, in den EU-Mitgliedsstaa- ten das Forschen mit so genannten über- zähligen Embryonen, die zum Zweck der künstlichen Befruchtung hergestellt wurden, zu verbieten. 232 Abgeordnete des Straßburger Parlaments stimmten für das Verbot, 232 dagegen – und Stim- mengleichheit bedeutet Ablehnung: Da- mit ist das EU-Parlament formal der An- sicht, dass die Mitgliedsstaaten selbst über ein Verbot oder über Regeln der Forschung mit Embryonen und embryo- nalen Stammzellen entscheiden sollen.
Richtlinie ist auf dem Weg durch die Instanzen
Die denkbar knappe Ablehnung des Forschungsverbots an Embryonen ist ein Indiz dafür, dass zentrale Entschei- dungen auch für die deutsche Stamm- zellforschung längst in Straßburg und Brüssel fallen. Welchen Einfluss die EU-Institutionen haben wird in den nächsten Monaten gerade an einer EU- weiten Richtlinie für die Transplanta- tion von Zellen und Gewebe deutlich werden, in deren Rahmen auch über den Klon-Antrag abgestimmt wurde.
Auf den ersten Blick scheint sich die Richtlinie vor allem Haut-, Augenhorn- haut-, Knochen- und Herzklappen-Spen- den zu beschränken, die heute in Europa bereits Alltag sind. Doch die EU-Parla- mentarier wollen dafür sorgen, dass die
Richtlinie auch Fragen der Stammzell- forschung eindeutig regelt. „Ich rechne mit harten Diskussionen“, sagt der Euro- paabgeordnete Dr. Peter Liese (CDU).
Diese Richtlinie, die die Spende,Ver- arbeitung und Verwendung einer Reihe von Geweben regeln soll, ist derzeit auf dem Weg durch die Instanzen. Einen er- sten Entwurf hatte im Juni letzten Jah- res die Brüsseler Kommission vorge- legt. Doch bei der Regelung hat das Eu- ropa-Parlament ein Mitspracherecht.
„Und das wollen wir nutzen“, sagt Lie- se, der als so genannter Berichterstatter die Federführung bei der Formulierung des Berichts des Parlaments hatte.
Die Idee der Kommission, diese Spenden EU-einheitlich zu regeln, gehe grundsätzlich in die richtige Richtung, bescheinigten die Parlamentarier der Kommission im April - und beschlossen dann in erster Lesung knapp 80 Ände- rungen, die deutlich strengere Stan- dards für Qualität und Sicherheit von Zellen und Geweben fordern. So hat das Parlament den Vorschlag der Kom- mission in einer Reihe von Punkten we- sentlich verschärft:
> Spender sollen ausdrücklich schriftlich oder in vom Gesetzgeber ge- nau zu definierenden Ausnahmefällen mündlich vor Zeugen einwilligen. Die Einwilligung muss – bis zur Verwen- dung des Gewebes beziehungsweise der Zellen – jederzeit zurückgezogen wer- den können, ohne dass dem Spender dadurch Nachteile entstehen.
> Die Entnahme von Zellen und Ge- weben von verstorbenen Personen ist nach dem Willen des Parlaments nicht möglich, wenn diese zu Lebzeiten aus- drücklich widersprochen haben. Wenn jemand keine Erklärung abgegeben hat,
können Zellen und Gewebe nur ent- nommen werden, wenn die Angehöri- gen ausdrücklich zugestimmt haben.
> Zellen und Gewebe dürfen nicht von Personen entnommen werden, die keine rechtskräftige Einwilligung ge- ben können.
Die EU-Abgeordneten nutzten aber auch die Gelegenheit, klare Grenzen bei der Verwendung embryonaler Stammzellen und zur Frage des Klo- nens von menschlichen Embryonen zu ziehen. Klonen will die Mehrheit der Parlamentarier EU-weit verbieten; aus- drücklich wird zudem ausgeschlossen, dass „geklonte menschliche Embryos und menschliche/tierische Hybridem- bryos und von ihnen abgeleitete Gewe- be und Zellen als Quellen für Trans- plantationsmaterial“ genutzt werden.
Heftiger Widerstand wird aus Großbritannien erwartet
Die Frage ist, inwieweit das Parlament seine Vorstellungen durchsetzen kann.
Die endgültige Richtlinie muss Liese jetzt mit den Gesundheitsministern der 15 EU-Mitgliedsländer aushandeln. Der heftigste Widerstand gegen den Parla- mentsentwurf wird dabei wohl aus Groß- britannien kommen. Dort ist das so ge- nannte therapeutische Klonen menschli- cher Embryonen erlaubt, diese Embryo- nen dürfen allerdings nicht in die Gebär- mutter einer Frau implantiert werden.
Streit wird es auch um die Frage ge- ben, ob die Richtlinie auch für Gewebe- spenden gelten soll, die ausschließlich für Laborforschung verwendet werden sollen. Während die EU-Kommission solche Spenden ausdrücklich von der Richtlinie ausnehmen wollte, hat das Parlament die Forschung ausdrücklich eingeschlossen. „Wir wollen hohe Stan- dards für den Schutz der Spender fest- schreiben“, sagt Liese: Und da sei es unerheblich, für welchen Zweck ein Spender Zellen oder Gewebe spende, schließlich sei beispielsweise die Ge- sundheitsbelastung durch die Entnah- me dieselbe. Allerdings sollten in der Forschung dann weniger strenge Re- geln für die Aufbereitung und Lagerung von Zellen und Geweben gelten, die nicht auf andere Menschen übertragen
werden. Klaus Koch
P O L I T I K
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A1586 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 236. Juni 2003