Ursache und Abwehr der Lungenfibrose
Ein immunbiologisches Problem des bronchitischen Syndroms
Karl Wilhelm Glauberg
Das bronchitisehe Syndrom weitet sich immer mehr zu einer wahren Volksseuche aus, die schon jetzt an vierter Stelle der Mortalitätssta- tistik steht und sogar an dritter Stelle der Frühinvaliditätsursachen rangiert. Auch erscheint wesent- lich, daß es meistens der Allge- meinpraktiker ist, der im Anfangs- stadium dieses Leidens von den betroffenen Patienten aufgesucht wird und somit die Hauptverant- wortung für die Abwehr der chroni- schen Verlaufsform mit ihren be- denklichen Folgezuständen zu tra- gen hat.
Die Ätiologie des bronchitischen Syndroms im weitesten Sinne kann als multifaktoriell angesehen wer- den. Fraglos sind jedoch der bron- chitisehe Erstinsult und die haupt- sächliche Ursache der chronifizie- renden Rezidive bakterieller Natur.
Deshalb liegt der Schwerpunkt der ärztlichen Hilfe in der lnfektab- wehr. Unbestritten gehört hierzu in erster Linie gezielte, das heißt auf der vorangegangenen Resistenzte- stung der Erreger fußende Antibio- tikatherapie, weil sie die besten Aussichten für den Behandlungser- folg gewährleistet. Ebenso unbe- streitbar ist aber auch, daß diese Therapie - wie wir experimentell nachzuweisen vermochten -
~ durch ihre Erregervernichtung die Immunisierungsprozesse des befallenen Organismus weitgehend oder total zum Stillstand bringt und wegen des dann fehlenden Anti- genreizes zu irregulärem Verlauf
der einer Krankheitsüberwindung dienenden reparativen Vorgänge führt*).
Zum Beleg dessen sei in vorliegen- dem Zusammenhang an das Ent- stehen der chronischen alveolären Pneumonie erinnert, die - Letterer zufolge dadurch zustande kommt, daß nach Antibiotikathera- pie die Erreger zu einem Zeitpunkt vertrieben werden, an dem sich be-
reits ausgedehnte Fibrinpfröpfe in
den Lungenalveolen finden. Infol- gedessen fehlt der wesentliche An- reiz für die Leukozytenemigration aus den Kapillaren, so daß die ent- standenen Pfröpfe nicht gelöst, viel- mehr bindegewebig organisiert werden. Als weiteres einschlägiges Beispiel können die bemerkens- werten Untersuchungen von Canetti dienen, der zeigte daß bei antitu- berkulöser, auf Bakterienzerstörung zielender Chemotherapie im befal- lenen Gewebe vermehrt Epitheloid- und Riesenzellen auftreten, und daß solche Zellen durch spätere Nekrotisierung mit Neigung zu Ver- flüssigung den Kranken gefährden, dies (nach Hartwig Schmidt) infol- ge einer Zunahme der "Tuberkulo- me" und kollapsresistenten Kaver- nen. Beispiele solcher Art ließen sich - wie wir an anderer Stelle dartun konnten - beliebig vermeh- ren.
Unter diesem Blickwinkel leuchtet ein, daß die früher praktisch unbe- kannte, erst im Zeitalter der Anti- biotika zunehmend hervorgetrete- ne Lungenfibrose ihren Ursprung
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Die auf Bakterienvernichtung zielende Antibiotikatherapie beim bronchitischen Syn- drom beeinträchtigt durch Ausschaltung des Erregerrei- zes den lmmunisierungspro- zeß. Auf diese Weise kommt es im Lungengewebe zu irre- gulärem Ablauf der Heilungs- vorgänge, die in pro I iterative Entzündungsschübe mit ku- mulativ-diffuser Vermehrung
des interstitiellen Bindege-
webes umfunktioniert wer- den. Um eine solche Fibro- sierung zu verhindern, bedarf es neben der Antibiotikathe- rapie einer Stimulierung der spezifischen Abwehr mittels entsprechender Vakzinebe- handlung, die zum Beispiel durch Nasenspray oder Inha- lation erfolgen kann.
in der Ausschaltung des Erreger- reizes hat, was den Immunisie- rungseffekt beeinträchtigt und den Ablauf des Heilungsvorganges in proliferative Entzündungsschübe umfunktioniert. Mit anderen Worten
~ die Lungenfibrose beruht auf kumulativ-diffuser Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes als Folge irregulär gewordener repara- tiver Krankheitsabwehr nach thera- peutischer Erregervernichtung.
Die übliche Auffassung, daß die Entstehungsursache unbekannt sei, muß also fallengelassen werden.
Ebenso unhaltbar ist auch die Be- helfsdeutung der Fibrose als aller- gisches Phänomen oder als Folge einer Autoaggression.
Wie können und sollen wir auf Grund der hier vermittelten Ein- sichten die für den Bronchitispa- tienten verhängnisvolle Endphase seines Leidens abwenden? - Bei der Beantwortung dieser Frage möge als bekannt vorausgesetzt
*) Vgl. Clauberg, Chemotherapie I No 3, 1960
DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 40 vom 2. Oktober 1975 2763
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Lungenfibrose
werden, daß die Antibiotikathera- pie die Vernichtung der Krank- heitskeime durch Unterbindung ih- res Stoffwechsels erzielt, sich also nur am lebenden Erreger auswirkt.
Wenn dieser beseitigt ist, das heißt wenn der Erregerreiz entfällt, muß er durch abgetötete Keime glei- cher Art ersetzt werden. Auf diese Weise läßt sich, auch bei fortge- setzter Antibiotikawirkung, die Ab- würgung des zum Heilungserfolg benötigten Immunisierungseffektes verhindern. Die Möglichkeit dazu bietet sich in der Applikation erre- gerspezifischer Vakzinen. Dadurch kann nämlich erreicht werden, daß die erwähnten Irregularitäten in dem zur Krankheitsüberwindung erforderlichen reparativen Prozeß wegfallen. Experimentelle Beweise hierfür wurden von uns erbracht.
Die vakzinale Zusatztherapie zwecks Lungenfibrosebekännpfung bietet insofern keine besonderen Schwierigkeiten, als sie sich durch Nasenspray oder Inhalation vollzie- hen läßt. Hierbei wirkt sich über- dies ein lokalimmunisatorischer Ef- fekt — nach Raettig — therapiebe- günstigend aus.
Da beim bronchitischen Syndrom durchweg verschiedene Keimarten mit unter Umständen örtlich ver- schiedenen Angriffspunkten wirk- sam sind, kommen für die vakzina- le Immunbehandlung hauptsäch- lich Mischvakzinen in Frage, wie sie beispielsweise in Form des IRS 19 als „Fertigpräparat" bereits vor- liegen. Dabei handelt es sich um lysierte Gemische der hauptsäch- lich bei der Bronchitis pathogen wirksamen Keime, wie: Pneumo- kokken-, Staphylokokken-, Strepto- kokken-, Neisseria-Typen verschie- dener Art neben Hämophilus-, Klebsiella- und Moraxellabakterien.
Allerdings muß bedacht werden, daß die genannten Applikationsar- ten keine exakte Dosierung gestat- ten und deshalb nicht beliebig ein- gesetzt werden können. Die Ge- brauchsanweisung des Herstel- lers der Fertigpräparate ist deshalb besonders zu beachten.
Leider stehen wegen der bisheri- gen Fehlinterpretierung des Zu-
standekommens der Lungenfibrose noch keine allgemeinen Durchfüh- rungsbestimmungen für diese zu- sätzliche Immuntherapie zur Verfü- gung. Es ist daher anzustreben, daß Kliniker im Verein mit Mikro- biologen und Impfstoffherstellern entsprechende Verfahrensrichtlini- en ausarbeiten. Dabei sind auch Erwägungen über die zweckmäßig- ste Zusammensetzung der Misch- vakzinen notwendig. Ist doch bei den im Handel befindlichen Präpa- raten bisher nicht genügend Be- dacht auf die ökologische Tatsa- che genommen worden, daß früher harmlose Bakterien (nach Verdrän- gung pathogener Keime durch wirksame Chemotherapie) zuneh- mend pathogene Eigenschaften entwickelt haben. Deshalb sollten derartige Keime mitberücksichtigt werden.
Bei Anwendung der genannten Vakzinen sind vorläufig die Ver- träglichkeitstestungen mit ein- schleichenden Dosierungen und allmählich steigenden Keimmen- gen besonders sorgfältig durchzu- führen, wie dies bei der seit Jahr- zehnten geübten Autovakzinthera- pie selbstverständlich ist. Bei nicht hinreichender Wirksamkeit der Fer- tigpräparate sind ohnehin Injektio- nen von Autovakzinen der jeweils besonders hervortretenden Keim- arten in nichtlysierter Form vor- zunehmen. Der Immunisierungsreiz korpuskulärer Erregerstrukturen ist nämlich erfahrungsgemäß stärker und nachhaltiger als der von lysier- ten Keimen.
Aus diesem Grunde sollten auch die Hersteller von Fertigpräparaten die totale Lysierung vermeiden. Ge- langen doch — nach Haurowitz — korpuskuläre Substanzen parado- xerweise besser in die Zelle als ly- tisches Material.
Abschließend sei noch darauf hin- gewiesen, daß als Folge der mo- dernen antibakteriellen Therapie unsere Keimflora durch vermehrtes Wachstum der Pilzarten abgewan- delt wurde, was sich bekanntlich in der Zunahme der Mykosen aus- wirkt. Bei Versagern der Antibioti-
kabehandlung muß deswegen be- dacht werden, inwieweit Pilze ur- sächlich beteiligt sind. Falls dies — zum Beispiel serodiagnostisch — kennbar wird, müssen folgerichtig Antimykotika eingesetzt werden.
Auch hierbei sollten zusätzlich Vakzinen der jeweiligen Pilzsorten zur Verwendung kommen. Zwar lie- gen bisher nur wenig Erfahrungen über deren Wirksamkeit vor. Doch berichtet Theissing ausdrücklich von Therapieerfolgen mit abgetöte- ten Candida-Aufschwemmungen.
Man kann nur wünschen und hof- fen, daß die bisherigen Behand- lungsverfahren beim bronchiti- schen Syndrom den vorstehend er- örterten Einsichten und Erforder- nissen angepaßt werden.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Professor
Dr. med. habil. K. W. Clauberg 1 Berlin 38
Spanische Allee
ECHO
Zu: „Schutzimpfung gegen Mumps" in Heft 31/1975, Seite 2220
Impfstoff aus den USA
„Schutzimpfungen gegen Mumps sind ab sofort mög- lich. Wie die Bundesärzte- kammer gestern in Köln in ihrem ÄRZTEBLATT mitteilte, ist ein in den USA entwickel- ter Lebendimpfstoff für das Gebiet der Bundesrepublik zugelassen. Eine öffentliche Empfehlung oder ein allge- meines Angebot zur unent- geltlichen Mumpsimpfung sei durch die zuständigen Lan- desgesundheitsbehörden in der Bundesrepublik noch nicht erfolgt."
(General-Anzeiger für Bonn und Umgebung sowie andere Zeitungen)
2764 Heft 40 vom 2. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT