A 2212 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 44|
2. November 2012BÖRSEBIUS
Scio, nescio
P
ackt der deutsche Aktienin- dex DAX dieses Jahr noch die Marke von 8 000 Indexpunkten, oder geht’s eher steil abwärts? Wie- so hat kaum jemand den fulminan- ten Aufstieg dieses Kursbarometers in den letzten elf Monaten vorher- gesagt? Auf wen kann ich mich bei der Einschätzung der Finanzmärkte und in der Anlageberatung wirklich verlassen, seufzen – und das nicht nur in diesen Tagen – viele Anleger.Die haben oft genug dieses typische Supermarktkassengefühl, immer in der falschen Reihe zu stehen, will heißen, immer, wo es was zu ver- dienen gibt, gewinnen andere und wo Verluste lauern, erwischt es ei- nen in voller Breitseite. Furchtbar, furchtbar, dieses Gefühl.
Das Wissen um das Nichtwissen oder zumindest Nicht-so-recht- Wissen führt denn auch zu einer re- gelrechten Prognose-Industrie von Wirtschaftsforschern, die oft auch
ziemlich renommiert sind. Das Pro- blem: Selbst die ersten Adressen der Branche liegen mit ihrem Blick in die Zukunft regelmäßig und or- dentlich daneben. Das gilt etwa auch für das Ifo-Institut in Mün- chen, das sich mit seiner Konjunk- turprognose für das Jahr 2010 mächtig verirrte.
Nach all meiner Erfahrung der letzten 25 Jahre helfen Aktienemp- fehlungen aus Finanzzeitungen dem Anleger nicht wirklich weiter, ganz im Gegenteil. Kurz gefasst ist es so, dass, wenn ein Wert in der Zeitung steht, ihn einfach schon zu viele vorab gekauft haben. Es- komptiert heißt das in der Börsen- sprache.
Die Kaufempfehlungen von Banken taugen auch nicht allzu viel, würden sie etwas bringen, müsste es im Grunde ebenso viele Verkaufsempfehlungen geben, die es praktisch kaum gibt. Die Gründe
für die Malaise sind vielfältig.
Schlechtes Research, eigene Be- stände müssen „gepflegt werden“
oder kein gutes Timing.
Also: Wenn ich schon weiß, dass ich nichts weiß, dann muss ich das auch praktisch umsetzen, darf mich eben der Vorstellung nicht hingeben, mit dem Lesen der einen oder anderen Wirtschaftszeitung oder dem Lauschen meines Anla- gerberaters sei die Weisheit schon gelöffelt. Deren Quellen und Inter - essenlagen sind ohnehin mögli- cherweise andere als mein Rendi- temotiv. Die Lösung wäre – neben der Strategie, immer das Gegen- teil zu tun, was die vermeintli- chen Profis vorschlagen – eventu- ell hochkompetente unabhängige Geldexperten zu befragen, die es in Deutschland aber so kaum gibt, außer vielleicht in einigen exquisi- ten Family-Offices. Doch wo wirk- lich guter Rat teuer ist, steht die menschliche Brieftaschen-Psyche dem oft genug entgegen. Das ist nichts Neues, das wusste schon der römische Dichter Juvenal. „Scire volunt omnes, mercedem solvere nemo.“ Genau so ist es.