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Archiv "Contergan-Schäden: Mit dem Alter steigt die Belastung" (29.11.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 48

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29. November 2013 A 2309 gemeinsam mit der Deutschen Ge-

sellschaft für Kinder- und Jugend- psychiatrie. Auch dies erfolgt auf Anraten des Runden Tisches Se - xueller Kindesmissbrauch, der eine Anhebung der Leitlinie auf S3-Ni- veau empfiehlt. Der Umsetzung steht nichts im Wege, so denn der notwendige Wille der Politik auch die entsprechenden Mittel aus den Ministerien freigibt. Ob eine natio- nale Versorgungsleitlinie unter Ein- beziehung der Jugendhilfe zustande kommt, hängt von vielen Faktoren ab, da sowohl auf Bundes- als auf Landesebene Ministerien, Ämter und Behörden involviert sind; die medizinische Fachgesellschaft ist dazu bereit.

In der Praxis sollten folgende Maßnahmen beachtet werden:

Verwendung des Leitfadens:

Empfehlungen für Kinderschutz an Kliniken (www.ag-kim.de)

Kinderschutzgruppe in der Nähe kontaktieren

beim Jugendamt die „insofern er- fahrene Fachkraft“, auch pseu- doanonymisiert, kontaktieren

auch den Verdacht auf Misshand- lung kodieren (im ambulanten Bereich)

OPS 1–945 in Kliniken kodieren.

Zusammengefasst ist das Jahr 2013 für den medizinischen Kin- derschutz ein herausragendes: Viele Wünsche und Anregungen, die be- reits im Jahr 2009 auf der 1. Jahres- tagung der Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin in Bonn formuliert wurden, konnten umgesetzt werden. Bei weitem nicht alles ist geregelt, gar nicht fi- nanziert, insbesondere im ambulan- ten Bereich; doch zumindest die Basis eines strukturierten und doku- mentierten medizinischen Kinder- schutzes ist gelegt. Nun liegt es an den Ärzten, die entsprechen- den Instrumente (Leitfaden, OPS, ICD-10, BKiSchG) zu nutzen, um misshandelten, missbrauchten und vernachlässigten Kindern die ent- sprechende Diagnostik und Thera- pie anzubieten und notwendige Hil- fen zu initiieren.

Dr. med. Ingo Franke, Arbeitsgemeinschaft Kinderschutz in der Medizin,

Klinik und Poliklinik für Allgemeine Pädiatrie, Zentrum für Kinderheilkunde des Universitäts - klinikums Bonn, i.franke@ag-kim.de

CONTERGAN-SCHÄDEN

Mit dem Alter steigt die Belastung

Die medizinische Versorgung vermag viel, stößt aber an ihre Grenzen. Das Conterganstiftungsgesetz wurde dem Bedarf angepasst. Eine Tagung von Ärztekammer und KV Nordrhein

M

itte November trafen sich in Düsseldorf etwa 250 conter- gangeschädigte Menschen und eine Reihe von Ärzten, um sich über den Stand der medizinischen Versor- gung und des Leistungsrechts zu in- formieren. Eingeladen hatten die Ärztekammer und die Kassenärztli- che Vereinigung Nordrhein. Initiiert hatte das Symposium der nord- rhein-westfälische Interessenver- band Contergangeschädigter und dessen Vorsitzender, Udo Herterich.

Im Mittelpunkt der Tagung standen die vorgeburtlichen Schädigungen durch Thalidomid/Contergan.

Die „Contergan-Kinder“ von einst sind heute zwischen 51 und 56 Jahre alt. Die Altersgruppe lässt sich deshalb so gut bestimmen, weil Grünenthals Schlafmittel Conter- gan mit dem Wirkstoff Thalidomid von Oktober 1957 bis November 1961 im Handel war. Jedenfalls in Deutschland. Mehr als 5 000 vorge- burtlich geschädigte Kinder wurden hier geboren, überlebt haben bis heute 2 400, nach anderen Angaben 2 600. Weltweit soll es 10 000 ge-

schädigte Kinder gegeben haben.

Anlässlich des Contergan-Urteils eines spanischen Gerichts am 19.

November wurden bis zu 20 000 Opfer genannt.

Zu den normalen Beschwernis- sen des Alters kommen bei Conter- gangeschädigten solche, die aus den vorgeburtlichen Fehlbildungen herrühren. Mancher, der über Jahr- zehnte ein halbwegs selbstständiges Leben hat führen können, muss zu- sätzliche Hilfe in Anspruch neh- men, bis hin zur ständigen Pflege.

Vor allem Schmerzen

Hinzu kommen die Schmerzen. 80 Prozent leiden darunter, vermerkte der Orthopäde Prof. Dr. med. Klaus M. Peters, Nümbrecht, meist von Geburt an. Schmerztherapeut Dr.

med. Kilian Kalmbach, Köln-Kalk, sprach von chronischem Schmerz als eigenständigem Krankheitswert.

Kalmbach verhieß Linderung der Schmerzen durch multimodale The- rapie. Völlige Schmerzfreiheit hin- gegen sei „oft kein realistisches Ziel“. Orthopäde Peters, dessen Die Podiumsdis-

kussion über die aktuelle Geset-

zesänderung wurde von Gisbert Knichwitz, Vorsit- zender des Landes- verbandes Nord- rhein-Westfalen des

Marburger Bundes, moderiert. Hier ist er im Gespräch mit Diplom-Psychologin Claudia Schmidt-

Herterich. Foto: Jochen Rolfes.de

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A 2310 Deutsches Ärzteblatt

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29. November 2013 Klinik eine Contergansprechstunde

anbietet, bekräftigte hingegen, ohne Operation sei bei Dauerschmerzen kaum etwas zu machen. Danach aber, ergänzte eine Patientin, die ihr Leben, ohne ausgebildete Arme, als Gymnasiallehrerin meistert, sei es entscheidend, sozial gut eingebun- den zu sein, denn zu Hause, nach OP und Reha, „ist alles anders“.

Schmerzen und mangelnde so- ziale Einbindung zählen zu den stärksten Einflussfaktoren der phy- sischen Lebensqualität von Conter- gangeschädigten. Depressionen tre- ten weitaus häufiger auf als in der übrigen Bevölkerung. Dennoch:

„Contergangeschädigte haben in höchst beeindruckender Weise be- reits früh gelernt, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung zu gewinnen“, rühmte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Ru- dolf Henke.

Die so erreichte Lebensbalance kann sich freilich mit den zunehmen- den Belastungen im Alter verschie- ben. Ein Projekt des Instituts für Ge- rontologie der Universität Heidel- berg, das zwischen 2010 und 2012 die Lebenssituation der Contergan- geschädigten erforschte, lässt jeden- falls auf ein starkes Ansteigen der Belastungen schließen. Eine Mitau- torin der Studie, die Gerontologin Dr. med. Christina Ding-Greiner, stellte in Düsseldorf einen öffentlich wenig bekannten Aspekt vor, in wel- chem Ausmaß nämlich innere Orga- ne geschädigt sein können und mit dem Alter zunehmend Probleme be- reiten (www.conterganstiftung.de).

Die Heidelberger Studie trug da- zu bei, dass das Conterganstif-

tungsgesetz erneut novelliert wur- de. Der Gesetzgeber arbeitete un- gewöhnlich schnell: Im Dezember 2012 kam die Studie heraus, bereits im April 2013 wurde die 3. Novelle im Bundestag verabschiedet und am 29. Juni 2013 im Bundesgesetz- blatt veröffentlicht. Dank der No- vellierung fließen zusätzliche Bun- desmittel von 90 Millionen für Conterganrenten und 30 Millionen für spezifische Leistungen, die nicht von der gesetzlichen Kran- kenversicherung gedeckt werden.

Die Renten werden zwischen 140 und 500 Prozent erhöht (rückwir- kend zum 1. Januar 2013) und be- tragen in der niedrigsten Stufe jetzt 612 Euro/Monat (vorher 255 Euro), in der höchsten 6 912 Euro/

Monat (vorher 1 152 Euro). Die neu eingeführten „Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe“ be- treffen vor allem Heil- und Hilfs- mittel und zielen, so Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverban- des, auf optimale Versorgung und Hilfen auf dem technisch neuesten Stand ab. Ärzte und Kliniken, die Contergankranke behandeln, kön- nen zudem Zuschüsse bis zu 5 000 Euro erhalten.

Die Stiftung entstand 1971 und gilt als Nebenfolge des Contergan- prozesses, eines Strafverfahrens vor dem Landgericht Aachen gegen Verantwortliche von Grünenthal.

Der Prozess endete 1970 mit der Einstellung des Verfahrens wegen geringfügiger Schuld der Ange- klagten und mangelnden öffentli- chen Interesses an der weiteren Strafverfolgung. Parallel verhan- delte Grünenthal mit den Neben - klägern über einen Vergleich: Man

wollte 100 Millionen DM an die Opfer zahlen, sofern diese keine weiteren Ansprüche stellten. Dazu kam es nicht, weil nicht alle Ge- schädigten dem Vergleich zustimm- ten. Grünenthal zahlte schließlich das Geld in die vom Bundesgesetz- geber errichtete Stiftung ein, der Bund steuerte ein Mehrfaches bei und trägt seitdem die Hauptlast.

Erhöhte Wachsamkeit

Das Gerichtsverfahren wie auch der außergerichtliche Deal, der zur Stif- tung führte, sind bis heute umstrit- ten. Beim Düsseldorfer Symposium sprach der Vorsitzende der KV Nordrhein, Bernd Brautmeier, ohne das Aachener Verfahren und Grü- nenthal ausdrücklich zu nennen, vom Unvermögen des Rechts, mit Vorgängen dieser Größenordnung fertig zu werden. Doch hatte die Contergan-Katastrophe, so maka- ber es klingt, auch ihr Gutes. Sie führte zu entscheidenden institutio- nellen Verbesserungen der Arznei- mittelzulassung und -überwachung und zu kritischer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Kammerpräsi- dent Rudolf Henke machte aber auch darauf aufmerksam, dass der Contergan-Skandal zu einem Rück- zug auf bewährte Medikamente und zur generellen Zurückhaltung in der Erprobung neuer Therapieoptionen an Schwangeren geführt habe.

Praktisches Vorgehen

Contergangeschädigte beantragen Leistungen, die stets ärztlich ver- ordnet sein müssen, in der Regel bei ihrer Krankenkasse. Diese prüft zunächst, ob nicht sie leistungs- pflichtig ist. Wenn nicht, leitet sie den Antrag an die Stiftung weiter.

Laut Kiefer arbeiten Stiftung und Krankenkassen gut zusammen.

Aber auch die Krankenkassen sind weiter, als mancher weiß. Ein Refe- rat von Dr. med. Patricia Shadiakhy von der Kassenärztlichen Vereini- gung Nordrhein mit dem trockenen Titel „ICD-Kodierung“ entpuppte sich als Lehrstunde über das, was nach der Heilmittel-Richtgrößen- vereinbarung alles möglich und nach der ICD-10, Version 2014 zu kodieren ist (Tabelle).

Norbert Jachertz TABELLE

Praxisbesonderheiten insbesondere infolge von Conterganschädigungen

Auszug aus Anlage 2 zur Heilmittel-Richtgrößenvereinbarung 2013 zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung Nordrhein ICD-10

Q71.0 – Q71.9 Q72.0 – Q72.9 Q73.0 – Q73.8

Leistungslegende gemäß ICD-10 Reduktionsdefekte der

oberen Extremität Reduktionsdefekte der unteren Extremität Reduktionsdefekte nicht näher bezeichneter Extremitäten

Diagnosegruppen/Indikationsschlüssel Physioth.

CS/ AT2/ PN WS2/ EX2 EX3/ ZN2 GE/ LY2 S01/ S02 S03/ S04

Ergoth.

SB3

Stimm-, Sprech-, Sprachth.

SP5/ SP6 RE1/ RE2

P O L I T I K

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