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Archiv "Alarmreaktionen und Interleukin-6" (22.11.1990)

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A EDITORIAL

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Alarmreaktionen und Interleukin-6

Rudolf Gross

t.

1. Die „Akute Phase"

In den 50er Jahren erhielt der 1907 in Wien geborene, seit 1934 in Montreal (Canada) arbei- tende Hans Selye den Nobelpreis und wurde weltweit bekannt, vor allem durch sein Buch

„Stress" und diesem vorausgehende oder nach- folgende Publikationen. Selyes Interesse galt, den damals neuen biochemischen Möglichkeiten entsprechend, vor allem dem System Hypothala- mus — Hypophyse — Nebenniere, deren aktuelle und potentielle Reserve er (im Prinzip mit Recht) als wesentlich für die Bewältigung oder das Versagen gegenüber akuten unphysiologi- schen Belastungen ansah.

Diese als „Akute Phase", vielleicht besser als

„Alarmreaktion" bezeichnete Abfolge tritt ganz unspezifisch nach Traumen oder Gewebsschä- den (einschließlich chirurgischer Eingriffe!), nach Infektionen aller Art oder akuten, nicht mi- krobiell bedingten Entzündungen, nach extre- men körperlichen Belastungen, Blutverlusten, thromboembolischen Ereignissen und Infarkten, vermutlich auch bei extremer seelischer Bela- stung auf — klinisch häufig verbunden mit einem voll ausgebildeten Schock oder Schockfragmen- ten.

Selye hat sich, den damaligen Möglichkeiten entsprechend, wenig mit der zellulären und pro- teinchemischen Seite dieser Vorgänge und ihrer Interaktionen mit dem Hypophysen-Nebennie- ren-System beschäftigt. Diesen hat die New York Academy of Sciences innerhalb eines Jahr- zehnts zwei Konferenzen mit Berichtsbänden und ausführlicher Literatur gewidmet (1, 2, Neuere Übersichten auch bei 7, 8). Wie Sehgal et al. (2) ausführten, gibt es erste Beobachtungen über „Akute Phase"-Veränderungen seit über 2500 Jahren; der Kenntniszuwachs ist somit ein allmählicher und gradueller. Im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT vom 11. Dezember 1985 hatten wir (3) einige seit längerem bekannte, mit dem Stressor und der Reaktionsbereitschaft des Or- ganismus wechselnde Veränderungen gekenn- zeichnet: Fieber — Leukozytose (mit Neutrophi-

lie und Eosinophilie oder Eosinopenie) — Abfall des Hämatokrits — Senkungsbeschleunigung — re- lativer oder absoluter Anstieg von Gammaglobu- linen — Anstieg des sogenannten C-reaktiven Proteins (mit mehreren pentameren Unterein- heiten [1, 2]) — des Haptoglobins — einiger Prote- ase-Inhibitoren (a 1 -Antitrypsin, a 2-Makroglobu- lin, saurem a 1 -Glycoprotein und andere) — von Caeruloplasmin und Serumkupfer — Abfall des Serumeisens bei erhöhter Bindungskapazität — Abfall des Serumzinks — Anstieg des Fibrinogens

— Abfall des Albumins — Stimulierung der T-Lymphozyten (3) — Stimulation von T-Zell-Mi- togenen im Thymus (Hadden und Stewart, Lite- ratur bei 2), der Monozyten-Makrophagen sowie der nicht vom Major-Histokompatibilitäts-Com- plex (MHC) abhängigen natürlichen . sogenann- ten Killer-Zellen (siehe auch Dt. Ärztebl. 80, Heft 50 vom 16. Dezember 1983), unter be- stimmten Bedingungen auch des Bradykinins, gewisser Kininogene, der Gerinnungsfaktoren XI und XII sowie eventuell Aktivierung der Ge- rinnungskaskade — eine insgesamt negative Ei- weißbilanz.

2. Interleukin 6

Die eng mit diesen Reaktionen verbundenen löslichen Polypeptide und Glycoproteide hat St.

H. E. Kaufmann bis zur Nummer 5 der Interleu- kine im Deutschen Ärzteblatt 85, Heft 28/29 vom 18. Juli 1988, zusammengefaßt (4). Inzwischen (1989) reicht die Nomenklatur bis Interleukin 8 (das eine Chemotaxie der Neutrophilen vermit- telt) und zahlreichen anderen Zytokinen nebst einigen Antagonisten (6).

Durch eine Übereinkunft auf diesem Gebiet tätiger Forscher sollte ein neues Zytokin (oder Zytokine) die Bezeichnung „Interleukin 6" er- halten und damit zugleich Laborbezeichnungen wie Interferon [3 2. 26 kDa-Protein, B-Zell-stimu- lierender Faktor 2, Hepatozyten-stimulierender Faktor, Interleukin HP 1 ersetzen. Die Vielfalt dieser Bezeichnungen läßt zugleich die Bedeu- Dt. Ärztebl. 87, Heft 47, 22. November 1990 (51) A-3733

(2)

tung und einige Funktionen des neuen, mit der

„Akuten Phase" eng verbundenen Proteins oder der Proteine erkennen. Das oder die neu ent- deckten und inzwischen von der Internationalen Union Immunologischer Gesellschaften akzep- tierten Protein(e) fügen sich in die Reihe der schon bekannten Mediatoren und ihrer Wechsel- wirkungen mit Monozyten, T- und B-Lymphozy- ten ein. Die angegebenen Molekulargewichte schwanken (offenbar je nach Herkunft, Spezies usw.) zwischen 19 und 70 k-Dalton (May et al., bei 2). Das oder die MHC-abhängigen Interleu- kin(e) werden auf dem Chromosom 7 codiert (Tamm, bei 2). Hier sollen nur einige praxiswich- tige Eigenschaften des in verschiedenen experi- mentellen Systemen und am Menschen bearbei- teten Proteins oder einer Gruppe von Unterein- heiten aufgezeigt werden.

Interleukin-6 ( = 11-6) hat enge Beziehungen zum Interleukin-1 ( = I1-1), einem Lymphozyten- aktivierenden und Entzündungen (einschließlich Fieber) begünstigenden Monokin (4), ferner zum Serumamyloid P, zum Komplementfaktor 3, zu Interferon, zum Tumornekrosefaktor (TNF

= Cachectin) (neuere Zusammenfassungen un- ter anderem bei 5). Nach einem Schema von Boy (bei 2) kommt es durch Reizung von Makropha- gen, Fibroblasten, Keratinozyten der Haut, Endothelzellen zur Freisetzung der wesentlichen Mediatoren Interleukin-1, TNF, Interferonen, Interleukin-6.

Eine Brücke zu den älteren Befunden von Selye ergibt sich unter anderem dadurch, daß so- wohl I1-1 wie auch 11-6 die ACTH-Produktion der Hypophyse stimulieren (Castello et al., bei 2). Vor allem stimulieren sie die Synthese der zahlreichen, oben genannten Polypeptide in den Hepatozyten. In einigen experimentellen Zellsy- stemen verstärken Glukokortikoide die Wirkung von Interleukin-6, vermutlich durch Zunahme der Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Umge- kehrt sollen die vermehrt ausgeschütteten Glu- kokortikoide die Zytokinproduktion wieder

„herunterregulieren", im Sinne einer Homoio- stase (6).

r-- Wie verhält man sich bei einer

„Akuten-Phase"-Reaktion?

Interleukin-6 scheint nach neuesten Ergeb- nissen allein oder (eher) im Zusammenwirken mit anderen Proteinen usw. eine Schlüsselrolle bei der „Alarmreaktion" („Akute-Phase"-Reak- tion) zu spielen und ist daher zunächst für deren

Verständnis wichtig. Gleichwohl sind viele Fra- gen noch offen, vor allem wegen der ganz unter- schiedlichen Präparate und Testsysteme.

Die Bestimmung der oben genannten Para- meter oder einiger von ihnen gestatten, Art und Ausmaß der „Akuten-Phase"-Reaktion zu be- stimmen. Wie so oft bei Immunreaktionen, kann ein im Prinzip heilsamer und der Wiederherstel- lung der Homoiostase dienender Prozeß akut be- drohlich werden oder zum Übergang in subakute und chronische Erkrankungen führen. Unter Hinweis auf die bereits bei (3) diskutierten Kon- sequenzen für die Praxis bleiben zu empfehlen:

C) Feststellung — und, wenn möglich — Be- seitigung der Ursache.

®

Soweit schnell verfügbar: Bestimmung der typischen Parameter, um Art und Ausmaß der Reaktion und damit die Prognose zu bestim- men.

® Wenn nötig, Gabe von Kortikosteroiden (besser) in nicht zu hohen Dosen (zum Beispiel 40 bis 100 mg Presdnisolonäquivalente) oder (nicht: und!) von nichtsteroidalen Entzündungs- hemmern.

® Wenn indiziert, das heißt, wenn keine Hinweise auf akute oder mögliche (zum Beispiel nach Lungenembolie!) Herzfunktionsstörungen vorliegen und wenn kein Hochdruck besteht (Werte vor dem Ereignis?), langsame Substituti- on von Volumen und Perfusion der kleinen Ge- fäße erhaltender Blutersatzmittel (zahlreiche Handelspräparate), eventuell gefolgt von isoto- nen und isoionen Salzlösungen, Berücksichti- gung der Nierenfunktion und einer etwaigen Azidose.

Literatur

1. Kushner, I.; Volanakis, E.; Gewurz, H. (Edit.): C-reactive Prote- in and the Plasma Protein Response to Tissue Injury. New York Acad. Sci. Vol. 389 (1982)

2. Sehgal, P. B.; Grieninger, G.; Tosato, G.: Regulation of the acu- te Phase Protein and Immune Response: Interleukin-6 Ann.

New York Acad. Sci. Vol. 557 (1989)

3. Gross, R.: Interleukine als Mediatoren bei akuten Erkrankun- gen. Dt. Ärztebl. 82, Heft 50 vom 11. Dezember 1985 4. Kaufmann, St. H.E.: Interleukine, Dt. Ärztebl., 85, Heft 28/29

vom 18. Juli 1988

5. Bonavida, B.; Grifford, G. E.; Kirchner, H.; Old, L. I. (Edit.):

Tumor Necrosis Factor/Cachectin and related Cytokines. Basel, Karger, 1988

6. Dumm, L. K.; Maaly, K.: Report 2 11`1 Int. Workshop on Cytoci- nes. Immunol. today 11, (1990) 103

7. Pepys, M. B. (Edit.): Acute Phase Proteins in the Acute Phase Response, Heidelberg, Springer, 1989

8. Kanshari, D. N., Murgo, A. J., Faith, R. E.: Effects of Stress on the Immune System. Immol. today 11 (1990) 170

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5

W-5000 Köln 41 A-3734 (52) Dt. Ärztebl. 87, Heft 47, 22. November 1990

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