Erweiterungsmöglichkeiten der Standardverfahren
der empirischen Sozialforschung
Panelauswertungen von Parteipräferenzen Detlef Landua
AG Sozialberichterstattung Berlin, Juni 1990
In den letzten Jahren zeichnet sich innerhalb der empirischen Umfragefor
schung eine verschärfte Debatte forschungsmethodischer und -theoretischer Fragen ab. Kritisiert wird einerseits die überwiegende Fixierung auf quer
schnittsbezogene Strukturanalysen bzw. die mangelnde Prozeßorientierung der meisten empirischen Untersuchungen. Andererseits wird auch zuneh
mend gegen jene Stichprobenkonzepte argumentiert, die Umfragedaten aus
schließlich als Informationen einzelner Individuen erheben und auswerten, ohne den sozialen Hintergrund der Befragten miteinzubeziehen. Wenig doku
mentiert werden des weiteren bislang auch die Einflüsse von möglichen Feh
lerquellen, die im Zusammenhang mit der Datenerhebung bzw. -auswertung auftreten können. Hierzu zählen insbesondere die Art der Interviewsituation bezüglich der Anwesenheit anderer Personen und die Frage, ob - vor allem bei subjektiven Einstellungsfragen - die verwendeten Variablen auch tatsäch
lich die intendierten Inhalte erfassen.
In diesem Beitrag werden diese Einzelaspekte aufgegriffen und am Beispiel der Auswertung von Parteipräferenzen diskutiert. Die einzelnen Kapitel bauen in der Darstellung dabei im wesentlichen aufeinander auf: Zunächst werden in knapper Form einige "klassische" Auswertungen mittels individu
eller Querschnittsinformationen vorgenommen. Möglichkeiten und Grenzen dieses Designs werden vorgestellt, bevor in einem zweiten Schritt zu perso
nenbezogenen Panelauswertungen übergegangen wird. Daß auch dieses Design manche Fragen unbeantwortet läßt, wird mit dem Übergang zu kon
textbezogenen Längsschnittauswertungen verdeutlicht. Im Rahmen der wechselseitigen Beeinflussungen der Parteipräferenzen von Ehepartnern wird ersichtlich, daß eine ausschließlich auf das Individuum konzentrierte Betrach
tungsweise, wichtige Detailinformationen übersieht.
Obwohl sich ein direkter Einfluß der Interviewsituation auf den Wandel von Parteipräferenzen hier nicht feststellen läßt, wird durch die vorgenommenen Auswertungen aber auch deutlich, daß ein solcher bei Einstellungsfragen als potentieller Störterm keinesfalls generell außer Acht gelassen werden sollte.
Letztlich führt die Verwendung eines Latenten Markovmodells zu dem Schluß, daß bei bestimmten Teilgruppen die verwendete Frageformulierung nicht den beabsichtigten Sachverhalt erfaßt - was auf die partielle Existenz einer Meßfehlerproblematik verweist.
Seite 1. Einleitung ... 1
2. Konstanz und Wandel von Parteipräferenzen - Ergebnisse auf der Basis individueller Querschnittsdaten ... 3 2.1 Determinanten von Parteipräferenzen am Beispiel der
Anhänger der Grünen ... 6 2.2 Zusammenfassung und Zwischenresümee ... 8
3. Konstanz und Wandel von Parteipräferenzen - Ergebnisse auf der Basis individueller Längsschnittdaten ... 11 3.1 Determinanten der Stabilität von Parteipräferenzen Ergeb
nisse eines L O G I T - M o d e l l s ... 12 3.2 Zusammenfassung und Zwischenresümee ... 16
4. Eine kontextbezogene Längsschnittanalyse politischer Präfe
renzen in der Bundesrepublik ... 16 4.1 Determinanten der Stabilität von Parteibindungen bei
E h e p a r t n e r n ... 18 4.2 Die Überprüfung der These haushaltsinterner Konformitäts
prozesse bei Ehepartnern ... 20 4.3 Zusammenfassung und Zwischenresümee ... 24
5. Panelauswertungen von Kontextinformationen unter Berücksichti
gung der Interviewsituation ... 25 5.1 Die Stabilität politischer Präferenzen bei Anwesenheit des
Ehepartners beim Interview ... 26
6. Die Erfassung von Parteineigungen und das Problem der "Nicht-
Einstellungen" ... 30
6.1 Anmerkungen zum verwendeten Markov-Modell ... 31 6.2 Ergebnisse der Analyse von Veränderungsprozessen politi
scher P r ä f e r e n z e n ... 33
7. Abschließende und bilanzierende Bemerkungen ... 34
Anmerkungen . . . Literaturverzeichnis
36 38
1. Einleitung
Seit mehreren Jahren bilden - mit wechselnder Intensität - eine Reihe von for
schungsmethodischen und -theoretischen Themen Diskussionsschwerpunkte der em
pirischen Sozialforschung. Das auf der Weinheimer Tagung von 1951 noch erkenn
bare große Interesse an bestimmten Problembereichen der Umffageforschung ließ mit der zunehmenden Etablierung ihrer Standardverfahren spürbar nach. Erst in den letz
ten Jahren zeichnet sich eine Wiederbelebung des Interesses an bestimmten forschungsmethodischen und -praktischen Fragen ab. Neben eher anwendungsorien
tierten Aspekten wie die Qualität und Standardisierung der Meßinstrumente, Stich
probenprobleme, Erhebungsverfahren, Kontroll- und Aufbereitungsprobleme gehören hierzu auch Fragen der Versuchsplanung und der theoretischen Fundierung. Inhalt dieses Beitrages ist es, einige dieser mittlerweile recht häufig an die empirische Sozialforschung herangetragenen Kritikpunkte aufzugreifen und zu diskutieren.
Zwei dieser Kritikpunkte entstammen den soziologischen Theorieprogrammen des Methodologischen Individualismus und der Figurationssoziologie (ESSER 1984, 1987). Kritisiert werden einerseits statische Theorie- und Forschungsperspektiven in der Soziologie, verbunden mit der hervorgehobenen Bedeutung von Längsschnittstu
dien (Kapitel 2 und 3) und andererseits die atomisierte Betrachtung des einzelnen (Kapitel 4). Zwei weitere Aspekte, die hier behandelt weiden, sind eher forschungs
praktischer Natur und betreffen die Zuverlässigkeit der erhobenen Daten. Es wird untersucht, ob nicht die Datenerhebung selbst, also die Interviewsituation, Ursache für ein bestimmtes Antwortverhalten ist (Kapitel 5). Auch der vierte Aspekt betrifft die Frage nach der Gültigkeit der im Interview gewonnenen Daten. Es kann gerade in der Einstellungsforschung nicht von vomeherein als sicher gelten, daß alle Einstel
lungsmessungen "echte" oder substantielle Meinungen gegenüber den abgefragten Objekten erfassen. Nicht auszuschließen ist, daß ein Teil dieser Messungen soge
nannte "Nicht-Einstellungen" (non-attitudes), d.h. zufallsgesteuerte Antworten auf Fragestimuli, enthält (Kapitel 6).
Mit den Daten des Sozio-ökonomischen Panel1) (SOEP) werden in den folgenden Kapiteln sowohl Verteilungen als auch Veränderungen von politischen Parteiprä
ferenzen der deutschen Wahlberechtigten in der Bundesrepublik zwischen 1984 und 1988 betrachtet Im allgemeinen wird mit dem Begriff der Parteiidentifikation eine langfristig wirksame (positive) affektive Bindung des einzelnen an eine Partei charakterisiert. In nordamerikanischen Studien zeigte sich, daß diese Bindungen normalerweise schon vor dem Eintritt in das Wahlalter herausgebildet und stark von der politischen Sozialisation einer Person im Elternhaus oder von anderen Bezugs
gruppen geprägt werden2). Bestehende Parteiidentifikationen werden mit der Dauer der "psychischen Mitgliedschaft" bzw. mit der wiederholten (Wahl-Entscheidung für dieselbe Partei verstärkt. Sie beeinflussen sowohl die Wahrnehmung, als auch die Bewertung aktueller politischer Ereignisse, Probleme und Kandidaten des politischen Wettbewerbs, nicht zuletzt aber auch das Verhalten bei der Stimmabgabe.
Schon CONVERSE (1969) ging über den in den U.S.A. demonstrierten Nutzen des Konzepts "Party Identification'^) für die Analyse des Wählerverhaltens hinaus und wies auf den Zusammenhang zwischen der Stabilität eines politischen Systems und der Existenz stabiler Parteibindungen hin. Seine Grundthese besteht in der Annahme, daß die Stabilität einer Demokratie stark von der (dis-)kontinuierlichen Entwicklung des Parteiensystems beeinflußt wird. Die Herausbildung von Parteiidentifikationen und die Systemstabilität bestimmen sich dabei wechselseitig: Günstige Systembedin
gungen wie die Kontinuität der demokratischen Grundordnung, wirtschaftliche Pro
sperität und soziale Stabilität begünstigen die Bildung von Parteiidentifikationen.
Letztere wiederum dienen, sobald sie sich im Elektorat verbreitet haben, als Stabili
satoren des politischen Systems im Falle kurzfristiger Output-schwächen4). Umge
kehrt, fehlen feste Parteiidentifikationen, so kann dies einer neugegründeten und u.U.
extremistischen Partei erleichtern, sich relativ schnell im Parteiengefüge zu etablie
ren. Unter anderem wird so bspw. der schnelle Aufstieg der NSDAP bzw. der Zu
sammenbruch der Weimarer Republik auch mit dem Fehlen fester Parteiloyalitäten in Verbindung gebracht (SHTVELY 1972). Darauf bezugnehmend läßt sich der themati
sche Rahmen der folgenden Kapitel in Gestalt mehrerer Fragestellungen beschreiben:
1. Wie ist die Situation in der Bundesrepublik bezüglich des Umfangs, der Verteilung und der Entwicklung von Parteineigungen in den 1980er Jahren? 2
2. Welche Faktoren führen dazu, einer bestimmten Partei zuzuneigen?
3. Welchen Einfluß haben soziale Kontexte - in Form familialer und beruflicher Milieus - auf die Verteilung individueller Parteibindungen und welche Rolle spielen sie im Zusammenhang mit jenen Prozessen, die zur Herausbildung bzw. zur Stabili
sierung politischer Orientierungen führen?
4. Als wie zuverlässig können die im Interview erhobenen politischen Überzeu
gungen der Befragten gelten? Hat bspw. die Anwesenheit des Ehepartners beim Inter
view einen nennenswerten Einfluß auf die Richtung der geäußerten Meinungen? Sind alle geäußerten Parteipräferenzen im (intendierten) Sinne von "Identifikationen" - d.h.
von zeitlich relativ invarianten politischen Überzeugungen - zu begreifen, oder
"verwechseln" Befragte ihre politischen Grundüberzeugungen zum Teil mit kurzfri
stigen Parteisympathien?
2. Konstanz und Wandel von Parteipräferenzen - Ergebnisse auf der Basis individueller Querschnittsdaten
Obwohl in der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung das Instrument der Quer
schnittsbefragung - also die einmalige Erhebung einer (Zufalls-)Stichprobe - quantita
tiv nach wie vor dominiert, kann man in den letzten Jahren ein zunehmendes Inter
esse an Längsschnittuntersuchungen feststellen. Bei dieser Entwicklung dürften weni
ger methodologische Erwägungen - bspw. zur Kausalitätsproblematik - als vielmehr substantielle Forschungsfragen eine Rolle gespielt haben, für deren Beantwortung man auf zeitbezogene Daten angewiesen war. So wird im Rahmen der Einkommens
forschung häufig argumentiert, daß Einkommensunterschiede sich nur dann angemes
sen beurteilen lassen, wenn man die Verteilung der Lebensarbeitseinkommen betrachtet. Auch im Zusammenhang mit "subjektiven" Variablen wird betont, daß Meinungen und Einstellungen nur dann richtig eingeschätzt werden könnten, wenn die vorangegangenen Herausbildungsprozesse mitberücksichtigt würden. Allgemein wird hervorgehoben, daß Paneldaten sehr viel mehr Informationen enthalten und des
halb entsprechend differenziertere Auswertungen ermöglichen. Auch der Umstand, daß die meisten Untersuchungsmerkmale im Zeitablauf nicht konstant bleiben, spricht für die Vorteile einer dynamischen gegenüber einer statischen Analyse (ANDREß 1985). Die Gegenüberstellung beider Stichprobenkonzepte berührt dabei im Detail sozialwissenschaftliche Diskussionsfelder, die in ihrer Bedeutung weit über erhe
bungstechnische Fragen hinausreichen5).
Schaubild 1: Die Entwicklung von Parteipräferenzen in der Bundesrepublik - 1972*)
2 0 10
0+J---H--- H---- H-l---- H-*---- H-1---- H-1---- H 7 2 8 4 8 5 8 6 8 7 88
J a h r 1 9 . . ♦) s.: M. Berger, 1073.
Den Daten aus Schaubild 1 ist zu entnehmen, daß sich die Frage nach der Verteilung und Entwicklung von Parteineigungen mittels einer Sequenz von Querschnittsbefra- gungenö) teilweise beantworten läßt: Kennzeichen der Entwicklung politischer Prä
ferenzen in der Bundesrepublik in den letzten 10, 15 Jahren ist einerseits ein leichter allgemeiner Rückgang an Parteineigungen?), bzw. die Zunahme der Personen ohne feste Präferenzen, und andererseits die Veränderung des Parteienspektrums durch das Aufkommen einer neuen Partei (Die GRÜNEN). Weiterhin sind aber auch die Ein
flüsse kurzfristig auftretender Ereignisse auf die Verteilung von Parteineiungen erkennbar, hier in Gestalt der Bundestagswahlen von 1972 und 1987, die eine deutli
che Mobilisierung von Partei-"anhängem"8) zur Folge hatten. Die Umfrageerhebung von 1972 wurde im Oktober durchgeführt, d.h. einen Monat vor der Bundestagswahl;
die vierte Panelwelle ging 1987 wenige Monate nach der Wahl ins Feld. Der in bei
den Jahren feststellbare große Bestand an Parteineigungen ist somit in hohem Maße mit der stärkeren Aktualisierung von Politik im Rahmen dieser Wahlen verbunden.
Die Veränderung der Verteilungsstrukturen legt dabei optisch und unmittelbar den Eindruck nahe, als ob sich dieser Mobilisierungseffekt fast ausschließlich zugunsten der jeweiligen Wahlsieger vollzog (1972: SPD; 1987: CDU/CSU und F.D.P.).
Anhand der Veränderung der Verteilungsstrukturen sowie auf der Basis inhaltlicher Erwägungen erscheint es zunächst durchaus plausibel anzunehmen, daß die Gewinne
0 SPD G rüne
& CDU/CSU 0 F .D .P .
■ ’’A n d e r e '’
□ 0 . P r ä f .
der Regierungsparteien kaum zulasten der Opposition gingen, sondern direkt auf einen Mobilisierungserfolg der "Unabhängigen" (Personen ohne Präferenz) zurückzu
führen sind. Doch so plausibel und intuitiv einleuchtend diese Schlußfolgerung auch sein mag, anhand der Verteilungen von Querschnittsdaten kann sie nicht korrekt gezogen werden. Das Problem eines damit verbundenen "zeit-ökologischen Fehl- schlusses"9) bleibt virulent und ist an dieser Stelle letztlich nur durch Längsschnitt
auswertungen zu lösen (LANDUA 1988:Kap. 5). Unberührt von diesem Einwand ist hingegen das Resultat, daß die feststellbare Mobilisierung parteipolitisch ungebun
dener Personen offensichtlich nicht zu stabilen Bindungen führte, denn schon ein Jahr später waren die Erfolge von CDU/CSU und F.D.P. wieder fast völlig aufgehoben, wie sich den Verteilungen der Parteineigungen von 1988 entnehmen läßt
Auch die Frage, wie sich politische Präferenzen in einzelnen Bevölkerungsgruppen verteilen, ist durch Querschnittsinformationen zu beantworten (Schaubild 2). Es zeigt sich, daß die Verteilung individueller Parteibindungen ganz offensichtlich von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Milieus - hier in Form von Erwerbstätigen
gruppen - geprägt wird. So sind bspw. erhebliche Unterschiede im Mobilisierungsni-
veau dieser Gruppen erkennbar: Während nur ca. die Hälfte aller Selbständigen 1986 angibt, eine Partei längere Zeit zu präferieren, sind knapp drei Viertel der Beamten einer Partei zuzuordnen. Weiterhin finden sich Anhaltspunkte für die politische Homogenität innerhalb der einzelnen Teilgruppen. Arbeiter (SPD) und Selbständige (CDU/CSU, F.D.P.) präferieren mehrheitlich auch Mitte der 1980er Jahre jeweils jene Parteien, die "traditionsgemäß" als deren politische Interessenvertretungen gelten können. Diese eher unimodalen Verteilungen sind hingegen für Angestellte und Beamte weniger kennzeichnend; ihre Sympathien erstrecken sich über ein breiteres Parteienspektrum. Die Veränderungen zwischen 1986 und 87 deuten scheinbar auch für die einzelnen Erwerbstätigengruppen an, daß der Sympathiegewinn der Wahlsie
ger von 1987 im wesentlichen nicht zu Lasten anderer Parteien ging, sondern seinen Ursprung überwiegend in der Mobilisierung der parteipolitisch ungebundenen Bevöl
kerungsgruppen fand. Lediglich in Gestalt der Beamten zeichnet sich eine Ausnahme von diesem Muster ab, da hier der Gewinn der bürgerlichen Parteien mit nennenswer
ten Sympathieverlusten der SPD einherging.
2.1 Determinanten von Parteipräferenzen am Beispiel der Anhänger der Grünen
Warum präferieren Personen eine bestimmte Partei und eine andere nicht? Da es zur Beantwortung einer solchen Frage i.d.R. mehr als einer "erklärenden" Variable bedarf, ist - besonders bei komplexeren Beziehungsstrukturen - die Verwendung mul- tivariater Analyseverfahren notwendig. Benutzt wird im folgenden ein "LOGIT- Modell", als Spezialfall des allgemeinen Log-linearen Modells (FAHRMEEER/
HAMERLE 1984, Kap. 10). Dieses Modell ermöglicht neben der effizienten Darstel
lung der Zusammenhänge mehrerer kategorialer Variablen auch eine Abschätzung des "Netto-Beitrages" jeder einzelnen Variablen - bei Kontrolle der übrigen Variab
len. Das Modell selbst soll auf folgende Fragen eine Antwort geben:
- Wie breit ist 1987 - also mehr als ein halbes Jahrzehnt nach der bundesparlamen
tarischen Etablierung der Grünen - die sozialstrukturelle Zusammensetzung der Sym
pathisantenbasis dieser Partei? Differenziert wird hierzu nach dem Alter und dem Schulabschluß der Befragten.
Tabelle 01: Determinanten der Parteipräferenz der Grünen in 1987.
Ergebnisse einer LOGIT-analyse.
Verhältnis- Koeffizient^-)
Signifikanz Level > 5%
Responsevariable:
-"Präferenz der Grünen" v s . . 0.026 Faktorvariablen:
- Alter 1987
- Bis 35 Jahre 0.062
- 35 Jahre und älter 0.011 - Schulabschluß
- Abitur, Fachhochschuir. 0.041 - Volksschule, Mittl. Reife 0.017 - Sorge um Umweltschutz
- Große Sorgen 0.054
- Einige, keine Sorgen 0.013 - Sorge um die Erhaltung des
Friedens
- Große Sorgen 0.040
- Einige, keine Sorgen 0.017 - Interesse für Politik
- (Sehr) stark 0.030 n . s .
- Nicht stark, überhaupt nicht 0.023 n . s . - Interesse für Politik^)*
Friedenserhaltung
- Große Sorgen 0.036
- Einige, keine Sorgen 0.019 - Schulbildung^)*
Friedenserhaltung
- Große Sorgen 0.032
- Einige, keine Sorgen 0.021 - Alter^)*Umweltschutz
- Große Sorgen 0.030 n . s .
- Einige, keine Sorgen 0.023 n. s .
Likelihood Ratio = 15.6; DF = 23; P = 0.86 1) Um leichter interpretierbare Werte zu erhalten, wurden die LOGIT-Parameter in entiogarithmierte
Koeffizienten rücktransformiert (zur Methode vgl. NORUSIS, 1985:334ff.).
2) Bezugskategorie ist "(sehr) starkes Interesse für Politik" in 1987.
3) Bezugskategorie ist "Abitur/Fachhochschulreife".
4) Bezugskategorie ist "Befragte bis zum 35. Lebensjahr“ .
Datenbasis: Längsschnittdaten des Sozio-ökonomischen Panel; Welle 1 (1984) bis Welle 5 (1988).
- Sind die Grünen auch 1987 noch eine Partei, die als Sammelbecken für Personen fungiert, die vor allem um die Erhaltung der Umwelt besorgt sind, oder sprechen die Grünen mittlerweile Bevölkerungsgruppen an, deren Sorgen sich auch auf andere Gebiete erstrecken? Hierzu werden mehrere Fragen zu Sorgen über einzelne Lebens
bereiche spezifiziert10).
Tabelle 1 enthält die Ergebnisse des getesteten Modells. Die Maximum-Likelihood Statistik spricht mit einem Wert von 0.86 insgesamt für eine sehr gute Modellanpas
sung. Für die weitere Interpretation der Daten ist zunächst festzuhalten, daß das (ge
schätzte) Verhältnis von Anhängern und Nicht-anhängern der Grünen in der Gesamt
population bei 0.026:1 liegt (d.h. bei 2.6 Prozent). Dieses Verhältnis dient im folgen
den als Maßzahl. Es zeigt sich, daß die Grünen auch 1987 überwiegend eine eher begrenzte Bevölkerungsgruppe der jüngeren und besser qualifizierten Personen ansprechen. Befragte bis zum 35. Lebensjahr (0.062:1) präferieren die Grünen - bei Kontrolle anderer Variablen - ca. zweieinhalb mal häufiger als alle Personen und auch Befragte mit höherem Schulabschluß geben weitaus häufiger an, den Grünen zuzuneigen als der Gesamtdurchschnitt (0.041:1). Bezüglich ihrer Sorgen unterschei
den sich die Anhänger der Grünen von der Gesamtbevölkerung nur bezüglich der Einschätzung der Problemfelder "Umweltschutz" und "Friedenserhaltung". So neigen bspw. Personen, die sich große Sorgen um den Umweltschutz machen, ca. zweimal häufiger den Grünen zu als alle Befragten (0.054:1). Der Zusammenhang zwischen den beiden Sorgenbereichen und der Sympathie für die Grünen wird darüberhinaus durch Personen mit höherer Schulbildung, mit starkem politischen Interesse und durch junge Befragte noch zusätzlich verstärkt. Eine Absorption bestimmter Problem
gruppen aus dem Arbeitsmarktbereich ist nicht erkennbar. Die Verteilungen anderer Sorgen, bspw. um die Arbeitsplatzsicherheit oder um die eigene wirtschaftliche Situa
tion, unterscheiden sich seitens der Anhänger der Grünen nicht signifikant vom Gesamtdurchschnitt und wurden deshalb nicht im Modell berücksichtigt.
2.2 Zusammenfassung und Zwischenresümee
Die vorangegangenen Darstellungen machten deutlich, daß sich mittels personen
bezogener Querschnittsdaten einige wichtige Fragen bezüglich der Verteilung, der Einflußgrößen, und - falls mehrere, zeitlich getrennte Erhebungen vorliegen sollten -
Schaubild 3: Anteile an Mehrfachwechslern einzelner Parteien in der Bundesrepublik - 1984 bis 1988
auch bezüglich der Entwicklung von Parteipräferenzen beantworten lassen. Gerade in der Betrachtung langfristiger gesellschaftlicher Entwicklungen dürfte eine besondere Stärke von sequentiellen Querschnittserhebungen gegenüber zeitbezogenen Erhe
bungsdesigns liegen, die hier schnell an technische und finanzielle Grenzen stoßen.
Es ist anzunehmen, daß die empirische Sozialforschung in den letzten Jahrzehnten nicht zuletzt durch diese Art gesellschaftlicher Dauerbeobachtung Bedeutung erlangt hat, indem sie - wenn auch oft nur deskriptiv und ex post - Einsichten in eine Reihe von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen geben konnte. Dennoch blei
ben "One-shot"-Versuchspläne in ihrer Auswertungsreichweite begrenzt. Ruft man sich Schaubild 1 in Erinnerung, wird durch die Daten ein Bild relativer Stabilität ver
mittelt, in dem sich nennenswerte Veränderungen erst im Laufe mehrerer Jahre bemerkbar machen oder durch kurzfristige "Störungen" hervorgerufen werden. Die
ses Bild erscheint unvollständig, denn es ermöglicht keine gültigen Aussagen über Art und Ausmaß zeitbezogener individueller Variabilität. Die Querschnitts-Problema
tik eines "zeit-ökologischen Fehlschlusses" soll in diesem Zusammenhang nochmals hervorgehoben werden. Einblicke in die Prozesse, die zur Herausbildung, Stabilisie
rung oder Veränderung von Parteipräferenzen führen, werden nur im Rahmen von Panel-Auswertungen sichtbar.
Schaubild 4: Die Stabilität von Parteinei einzelner Parteien in der Bundesrepublik
SPD CDU/CSU F.D.P. GrOne "Andere"
□ "Wechsler"
"ParieHreue'1
1 2 3 4 - 1 2 3 4 - 1 2 3 4 - 1 2 3 4 - 1 2 3 4 T e i lg r u p p e n
Teilgruppen:
1 - Verbleib und Wechsel von 1984 auf 1985.
2 - Verbleib und Wechsel in 1986 nach Konstanz 1984 und 1985.
3 - Verbleib und Wechsel in 1987 nach Konstanz von 1984 bis 1986.
4 - Konstante Parteineigung von 1984 bis 1987.
Schaubild 5: Die Stabilität von Parteineigungen in Abhängigkeit von der Intensität der Neigung
P a r t e i n e ig u n g
"(sehr) schwach"
In P r o z e n t
in 1984:
"(sehr) stark"
1 = ’’P a r t e i t r e u e ” — b i s 1 9 8 7 2 = ’’W e c h s l e r ” — b i s 1 9 8 7
3. Konstanz und Wandel von Parteipräferenzen - Ergebnisse auf der Basis individueller Längsschnittdaten
Welche Faktoren wirken auf die zeitliche Kontinuität von Parteipräferenzen? Einen ersten Anhaltspunkt zur Beantwortung dieser Frage erhält man durch Schaubild 3. Es ist offensichtlich, daß die Stabilität individueller politischer Orientierungen in hohem Maße zunächst davon abhängt, welche Partei präferiert wird. Selbst nach fünf Panel
wellen haben nur ca. 45 Prozent der Anhänger von SPD und CDU/CSU ihre Par
teineigung ein oder mehrere Male gewechselt. Für die Grünen sind dies jedoch über 60, für die F.D.P. sogar fast 80 Prozent. Kennzeichnend für die Anhänger der Libe
ralen ist auch der hohe Anteil an Personen, die ihre Parteibindung seit 1984 drei- oder sogar viermal veränderten. Zweifelsohne ist die F.D.P. die Partei mit den instabilsten Bindungen in der Bundesrepublik, was nicht zuletzt als Folge der geringen Absiche
rung der liberalen Partei in eindeutig definierten sozialstrukturellen Milieus verstan
den werden kann (GIBOWSKI/ KAASE 1986:5f.). Obwohl also ein nicht unerhebli
cher Teil der Anhänger aller Parteien diese nicht (mehr) dauerhaft präferiert, sind hiervon aber keinesfalls alle Parteien gleichermaßen betroffen. Gerade die beiden großen Parteien verfügen durchaus noch über ein beachtliches Potential an "treuen"
Sympathisanten, die ihre politischen Affinitäten selbst nach zentralen externen Ereig
nissen, wie bspw. der Bundestagswahl von 1987, beibehalten. Schaubild 4 weist darüberhinaus auf einen parteiübergreifenden Mechanismus hin, der bei der Heraus
bildung und Stabilisierung von politischen Präferenzen eine Rolle spielt. Betrachtet man jeweils den Anteil konstanter Bindungen in den Teilgruppen 1 bis 3, so zeigt sich, daß - und zwar unabhängig davon, um welche Partei es sich handelt - mit der Dauer einer bestimmten Präferenz die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels erheblich abnimmt. Veränderungen von Parteineigungen nach mehljähriger "Treue" sind bei allen Parteien nur noch eine seltene Ausnahme (Teilgruppe 3).
Die Schaubilder 5 und 6 beziehen sich auf die naheliegende Annahme, daß Parteibin
dungen nicht unabhängig von ihrer Intensität variieren, was wiederum auf einen par
teiübergreifenden Zusammenhang verweist. Schaubild 5 bestätigt dies: Etwa 70 Pro
zent der Befragten, die 1984 eine "starke" oder "sehr starke" Neigung äußerten, hatten bis 1987 ihre Parteiorientierung nicht geändert; für Befragte mit eher schwachen Bin
dungen liegt dieser Anteil hingegen unter 20 Prozent. Schaubild 6 betrachtet diesen Zusammenhang von der anderen Seite: Innerhalb der Gruppe stabiler Parteiloyalitä-
Schaubild 6: Der Einfluß (in -)stab iler Parteibindungen auf die Stärke der Parteineigungen - 1904 bis 1907
100TS t a b i l I n s t a b i l C h a r a k t e r 1 9 8 4 b i s 87
ten von 1984 bis 1987 findet sich ein Anteil von über 60 Prozent mit "starken" bzw.
"sehr starken" Parteineigungen (1987). Bei Personen, die ihre Neigung in diesem Zeitraum veränderten, liegt dieser Anteil unter 30 Prozent. Die Gegenüberstellung beider Schaubilder macht allerdings deutlich, daß für den Zusammenhang zwischen Stabilität und Intensität von Parteineigungen die Kausalitätsfrage nicht vorschnell festgelegt werden kann. Beide denkbaren Richtungen sind plausibel begründbar und legen eher die Vorstellung eines wechselseitigen Verstärkungsprozesses nahe.
3.1 Determinanten der Stabilität von Parteipräferenzen - Ergeb
nisse eines LOGIT-Modells
Auch die Frage nach den Einflußgrößen der Stabilität individueller Parteibindungen soll einem multivariaten Testverfahren unterzogen werden. Hier gilt es, neben der Identifikation relevanter Faktoren, vor allem den jeweiligen "Eigenbeitrag" einer jeden Variablen zu spezifizieren. Allgemein ist anhand der voran gegangenen Deskriptionen zu erwarten, daß
Tabelle 02: Determinanten der Stabilität von Parteipräferenzen zwi sehen 1984 und 86. Ergebnisse einer LOGIT-Analyse.
Verhältnis- Koeffizient^-)
Signifikanz Level > 5%
Responsevariable^);
-"Stabilität" v s . ... 8.5 Faktorvariablen:
- Konstante Neigung 84/85
- -Ja 26.6
- Nein 2.7
- Parteineigung 1985
- SPD 12.4
- CDU/CSU 18.9
- F.D.P 4.1
- Grüne 5.5
- Neigungsintensität 1985
- (Sehr) stark 12.9
- Mäßig, (sehr) schwach 5.6 - Schulabschluß
- Volksschule, Mittl. Reife 6.5 n . s . - Abitur, Fachhochschuir. 11.2 n . s . - Parteineigung*Schulbildung3)
- SPD - CDU/CSU - F.D.P.
- Grüne
14.0 8.0 8.7 5.4
n . s . n . s .
- Parteineigung*Konstanz^)
- SPD 9.4 n . s .
- CDU/CSU 19.3
- F.D.P. 4.7
- Grüne 6.2
Likelihood Ratio = 20.20; DF = 19; P = 0.39
1) Um leichter interpretierbare Werte zu erhalten, wurden die LOGIT-Parameter in entlogarithmierte Koeffizienten rücktransformiert (zur Methode vgl. NORUSIS, 1985:334ff.).
2) Responsevariable ist die Stabilität der Parteineigung von 85 auf 86; "0“ = stabile, "1" = instabile Parteipräferenzen von 1985 auf 86.
3) Bezugskategorie ist "niedriger Schulbildungsabschluß“ (Volks-, Hauptschulabschluß, mittlere Reife).
4) Bezugskategorie ist "konstante Parteineigung von 1984 auf 85".
Datenbasis: Längsschnittdaten des Sozio-ökonomischen Panel; Welle 1 (1984) bis Welle 4 (1987).
- zwischen den einzelnen Parteianhängergruppen deutliche Differenzen bezüglich der Kontinuität ihrer Bindungen bestehen, daß
- starke Parteibindungen - unabhängig davon, welche Partei präferiert wird - die Stabilität politischer Orientierungen erhöhen und daß
- Parteineigungen, die schon längere Zeit bestehen, nur noch selten verändert werden.
Die Parameter aus Tabelle 2 bestätigen alles in allem diese Annahmen, verweisen aber auch auf weiterführende Resultate. Die Modellanpassung kann mit einem Wert von .39 als durchaus befriedigend bezeichnet weiden. Das (geschätzte) Verhältnis von stabilen zu instabilen Parteibindungen liegt in der Gesamtpopulation bei 8.5:1.
Als wichtigste Einflußgröße erweist sich hier die Frage, ob schon vor 1985 eine mit der Parteineigung dieses Jahres übereinstimmende Präferenz vorlag oder nicht. Der Verhältniskoeffizient von 2.7:1 ist so zu verstehen, daß die Wahrscheinlichkeit, eine 1985 neugebildete Präferenz schon ein Jahr später wieder aufzugeben, ca. dreimal höher ist als im Gesamtdurchschnitt. Die weiteren Koeffizienten der einzelnen Para
meterschätzungen der Faktorvariablen sind dahingehend zu interpretieren, daß sich - erwartungsgemäß - auch in der multivariaten Analyse deutliche Unterschiede in der Stabilität der Präferenzen für die einzelnen Parteien abzeichnen. Die transformierten Koeffizienten der Interaktionen erster Ordnung zeigen an, daß - bei Kontrolle der anderen Variablen - das Verhältnis von "treuen" und "instabilen" CDU-Anhängem bei 18.9:1 liegt; dieses Verhältnis ist bei F.D.P.-Anhängern hingegen nur 4.1:1. Der Einfluß der Schulbildung ist nicht unmittelbarer Art, sondern wird über andere Ein
flußgrößen vermittelt (Interaktionseffekt zweiter Ordnung). So ist der Zusammenhang zwischen der Parteineigung von 1985 und der Schulbildung der Befragten dahin
gehend zu begreifen, daß der positive Einfluß einer SPD-Präferenz auf die Stabilität ihrer politischen Bindungen durch Personen mit niedrigen Schulabschlüssen (Tabelle 2, Fußnote 3) zusätzlich verstärkt wird (14.0:1). Umgekehrt wird eine an sich schon relativ instabile Präferenz der Grünen durch Anhänger mit niedrigen Bildungsab
schlüssen in ihrer Konstanz noch weiter abgeschwächt (5.4:1). Der ursprünglich fest
gestellte Zusammenhang der einzelnen Parteipräferenzen und ihrer jeweiligen Stabili
tät kann also nicht allgemein interpretiert werden, sondern ist bei den Anhängern der genannten Parteien auch auf die jeweilige Art ihres Schulabschlusses zu beziehen.
Der zunächst erstaunliche Sachverhalt, daß niedrige Bildungsabschlüsse sowohl ver
stärkend als auch abschwächend auf die Stabilität von Parteipräferenzen wirken, ist ohne weiteres verständlich zu machen: Niedrige Abschlüsse beziehen sich bei SPD-
Präferenzen vor allem auf den "klassischen" Kern der SPD-Anhänger - das Arbeiter
milieu. Die Parteineigung ist hier sozialstrukturell besonders fest verankert und wenig flexibel. Umgekehrt umfassen niedrige Bildungsabschlüsse bei Anhängern der Grü
nen eine Personengruppe, die sicher nicht zu dem typischen Sympathisantenkreis die
ser Partei zählt (Kapitel 2.1). Ihre Affinität wird entsprechend weniger auf der Zustimmung zu den programmatischen Basiszielen dieser Partei beruhen, sondern sich eher auf eine situationsspezifische Protestreaktion begründen. Auch der an sich plausible positive Zusammenhang zwischen der zeitlichen Persistenz und der weite
ren Stabilität von Parteipräferenzen ist in seiner Bedeutung, wie sich im multivariaten Modell erweist, nicht absolut zu verstehen. So werden insbesondere die an sich schon wenig mobilen CDU/CSU-Präferenzen mit der Zeit in ihrer Stabilität noch weiter verstärkt (19.3:1). Dies gilt jedoch nicht für die Anhänger der kleinen Parteien (F.D.P., Grüne), für die sich die Wahrscheinlichkeit, ihre politische Präferenz nach einer längeren Periode der "Zugehörigkeit" zur jeweiligen Partei zu verändern, signi
fikant erhöht (4.7:1; 6.2:1) - was hauptsächlich durch die vergleichsweise geringe Verankerung ihrer Anhänger in konsistenten, sozialstrukturellen Gruppen zu erklären sein dürfte. Von inhaltlichem Interesse ist weiterhin die Relation zwischen intensiven und stabilen Parteipräferenzen, die sich auch bei Kontrolle der zeitlichen Persistenz, der Schulbildung der Befragten und der jeweiligen Parteineigung in 1985 als sehr ausgeprägt erweist. Die Interpretation der Koeffizienten führt zu dem Schluß, daß intensive Parteibindungen zu sehr stabilen (12.9:1), schwache Bindungen hingegen zu instabilen (5.6:1) Parteipräferenzen fuhren. Es erscheint angesichts dieses Tatbe
standes bereits an dieser Stelle zumindest anzweifelbar, ob die verwendete Frage nach der Parteineigung in beiden Gruppen ein und dasselbe Phänomen erfaßt.
Langfristig stabile Parteibindungen sind bei Personen mit wenig intensiven Neigun
gen eher eine Ausnahme. Sie reagieren offensichtlich bereits auf kurzfristig wirksame politische Ereignisse; das heißt aber, erfaßt werden durch die Frage möglicherweise eher vorübergehende Sympathien oder situative Präferenzen als langfristig stabile Identifikationen. Auf die damit verbundene Meßfehlerproblematik wird noch ein
zugehen sein (Kapitel 6).
3.2 Zusammenfassung und Zwischenresümee
Ziel dieses Kapitels war es, einige Möglichkeiten aufzuzeigen, die mit der Ver
wendung individueller Längsschnittdaten verbunden sind. So konnten mehrere Fakto
ren bestimmt werden, die (de-)stabilisierend auf die Kontinuität politischer Präferen
zen wirken. Individuelle Parteibindungen variieren in Abhängigkeit von ihrer Dauer, von der Intensität, mit der sie empfunden werden und davon, welche Partei präferiert wird. Diese Informationen gehen weit über das Bild hinaus, das mittels der Analyse von querschnittsbezogenen Daten zu vermitteln ist. Alle vorangegangenen Auswer
tungen basierten nun allerdings auf dem in der Umfrageforschung fest etablierten Stichprobenkonzept, Daten bei "unabhängigen" Individuen zu erheben. Dieses Kon
zept mag sich durchaus noch als geeignet erweisen, wenn es darum geht, Aussagen über die Gegebenheiten zu einem zeitlich eng fixierten Sachverhalt zu machen. Wer
den aber Fragen nach Inhalt und Verlauf der Formierungsprozesse von Parteibindun
gen aufgeworfen, erscheint die Vorstellung, das Individuum als einzige und zuverläs
sige Informationsquelle aufzufassen, zumindest anzweifelbar. Das folgende Kapitel versucht diesem Aspekt dadurch Rechnung zu tragen, indem es den Wandel von Parteipräferenzen im Rahmen privater Mikrokollektive betrachtet.
4. Eine kontextbezogene Längsschnittanalyse politischer Präfe
renzen in der Bundesrepublik
Ein Kritikpunkt der Figurationssoziologie an bestimmten soziologischen Theorierich
tungen liegt in der atomistischen Betrachtung des einzelnen (ESSER 1984:667-682).
Plädiert wird seitens dieser Kritiker vielmehr für ein Verständnis von Gesellschaften als Interdependenzgeflechte von voneinander abhängigen Menschen-Figurationen (ELIAS 1976:LXVII). Der Gedanke, das Individuum als zentrale Informationsquelle im Interview zu verstehen, wird in seiner Universalität deshalb an dieser Stelle aufge
geben und Einzelpersonen sowohl in ihrem Verhalten, als auch in ihren Meinungen und Einstellungen als Mitglieder sozialer Gruppen verstanden, von denen hier der pri
vate Haushalt im Mittelpunkt des Interesses steht. Es wird der Frage nachgegangen
Tabelle 03: Determinanten der Stabilität der Parteipräferenzen von Ehepartnern zwischen 1985 und 87. Ergebnisse einer LOGIT-analyse.
Verhältnis- Signifikanz Koeffizient^-) Level > 5%
Responsevariable^):
-"Stabilität" v s . ... 5.6 Faktorvariablen:
(- Parteineigung 1986 n . s .)
- (Eigene) konstante Neigung 85/86
- Ja 24.5
- Nein 1.3
- Alter 1986
- Bis 44 Jahre 3.6
- 45 Jahre und älter 8.7
- Konstante Neigung des Partners 86/87
- Ja 7.5
- Nein 4.1
- Neigungsintensität 1986
- (Sehr) stark 6.8
- Mäßig, (sehr) schwach 4.6
- Eigene Konstanz^)*Konstanz Partner
- Ja 5.4 n . s .
- Nein 5.8 n . s .
- Eigene Konstanz^)*Neigungsintensität
- (Sehr) stark 5.8 n . s .
- Mäßig, (sehr) schwach 5.4 n . s .
- Konstanz Partner^)*Neigungsintensität
- (Sehr) stark 5.9 n . s .
- Mäßig, (sehr) schwach 5.3 n . s .
- Intensität^) *Eigene Konstanz-^) * Konstanz Partner
- Ja 4.3
- Nein 7.2
Likelihood Ratio = 5 . 9 ; DF = 7; p = 0.56
1) Um leichter interpretierbare Werte zu erhalten, wurden die LOGIT-Parameter in entlogarithmierte Koeffizienten rücktransformiert (zur Methode vgl. NORUSIS, 1985:334ff.).
2) Responsevariable ist die Stabilität der Parteineigung von 1986 auf 87; "0" = stabile, "1“ = instabile Parteipräferenzen von 1986 auf 87.
3) Bezugskategorie ist "konstante (eigene) Parteineigung von 1985 auf 86".
4) Bezugskategorie ist "konstante Neigung des Partners von 1985 auf 86".
5) Bezugskategorie ist "(sehr) starke Neigungsintensität".
Datenbasis: Längsschnittdaten des Sozio-ökonomischen Panel; Welle 1 (1984) bis Welle 4 (1987).
werden, inwieweit bei den identifizierten individuellen Einflußgrößen der Stabilität von Parteibindungen nicht auch Faktoren eine Rolle spielen, die erst durch die Betrachtung größerer Untersuchungseinheiten sichtbar werden.
4.1 Determinanten der Stabilität von Parteibindungen bei Ehe
partnern
Das folgende LOGIT-Modell (Tabelle 3) beschreibt im wesentlichen den gleichen Sachverhalt wie denjenigen in Tabelle 2. Da der Interessenschwerpunkt hier auf dem wechselseitigen Einfluß der politischen Präferenzen von Ehepartnern innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft liegt, finden jetzt allerdings die Veränderungen der Parteibin
dungen in anderen Haushaltsformen (insbesondere in Einpersonenhaushalten) keine Beachtung mehr. Der Einfluß des Haushaltskontextes soll im Sinne folgender Annahme im Modell spezifiziert werden:
- Die Wahrscheinlichkeit, die eigene Parteibindung beizubehalten, steigt, wenn der jeweilige Ehepartner seine politische Präferenz im gleichen Zeitraum ebenfalls nicht veränderte.
Zu den Ergebnissen: Zunächst deutet der Verhältniskoeffizient von 5.6:1 an, daß - verglichen mit dem Gesamtdurchschnitt aller Befragten (8.5:1; Tabelle 2) - in Haus
halten mit Ehepaaren eine insgesamt höhere Fluktuation von Parteineigungen besteht.
Schon dies kann als Indiz dafür gelten, daß die Prozeßhaftigkeit politischer Orientie
rungen durch das Zusammenleben mehrerer Personen eine größere Dynamik erfährt.
Als ein weiterer zentraler Befund ist festzuhalten, daß es für die Stabilität von Partei
bindungen im Haushaltskontext offensichtlich kaum noch eine Rolle spielt, welche Partei präferiert wird. Kein diesbezüglich getesteter Effekt erwies sich als signifikant.
Die Frage, ob eine bestehende Präferenz beibehalten oder verändert wird, ist in Haus
halten von Ehepaaren also eher in Abhängigkeit von parteiübergreifenden Zusam
menhängen zu sehen.
Hierzu zählt wiederum die Frage, ob eine bestimmte (an dieser Stelle konkreter: die eigene) Präferenz schon längere Zeit bestand oder nicht (24.5:1). Der signifikante Alterseffekt bestätigt eine Hypothese von CAMPBELL und CONVERSE, derzufolge jüngere Personen ihre Parteibindungen häufiger verändern als ältere, da sie ihre politischen Orientierungen noch nicht oft im Rahmen von Wahlen bestätigen und festigen konnten (NORPOTH 1978:52ff.). Bereits an dritter Stelle steht die Frage, ob der jeweilige Partner seine Parteibindung veränderte oder nicht. Die Koeffizienten sind so zu verstehen, daß - bei Kontrolle der anderen Faktoren - die eigene Parteibin
dung dann eher beibehalten (verändert) wird, wenn auch die Neigung des jeweiligen Partners konstant bleibt (sich verändert). Dies gilt allerdings nicht allgemein: Der Interaktionseffekt "Intensität*eigene Konstanz*Konstanz Partner" zeigt, daß bei Per
sonen, deren Parteineigung schon längere Zeit besteht und die diese Bindung als intensiv einstufen, die eigene Meinung auch dann eher beibehalten wird, wenn der jeweilige Partner seine Präferenz veränderte (7.2:1).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß sowohl auf der Ebene von Individualdaten als auch unter Miteinbeziehung des sozialen Umfeldes von Ein
zelpersonen sich jeweils zufriedenstellende Erklärungen für die Stabilität bzw. für den (allgemeinen) Wandel von Parteipräferenzen finden lassen und daß unter Mit
berücksichtigung der Veränderungen von Parteibindungen im Rahmen von Haus
haltskontexten auch weiterreichende Prozesse identifizierbar sind, die über partei
enspezifische Eigenarten hinausgehen, also Prozesse, die sich eher auf den allge
meinen Wandel politischer Präferenzen beziehen. Diese Ergebnisse beinhalten damit letztlich auch die Schlußfolgerung, daß bei individuellen Veränderungen von Partei
neigungen ganz offensichtlich das Verhalten bzw. die Einstellungen von Bezugsper
sonen in Gestalt wechselseitiger Beeinflussungsprozesse zu beachten sind. Nach dem Nachweis ihrer Existenz liegt es nahe, danach zu fragen, welcher Art diese haushalts- intemen Prozesse sind.
Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (FESTINGER 1950, 1954) zurückgegriffen. Sie beruht auf der Grundannahme, daß für das Funktionieren zielgerichteter Gruppenaktivitäten und für das Weiterbestehen einer Gruppe ein gewisses Ausmaß an Konformität bezüglich Verhaltensweisen und Meinungen unabdinglich ist. Die Abwesenheit jeglicher Konformität würde über die
wahrnehmbare Unähnlichkeit der Personen starke Attraktionen verhindern und damit zum Zerfall der Gruppe beitragen. Konformität kann über Prozesse der wechselseiti
gen Verstärkung und Bestrafung oder über imitative Verhaltensweisen erzielt werden.
Ferner gibt es jedoch Situationen, die für alle Mitglieder einer Gruppe neuartig sind, Konformität also nicht über die Verstärkung imitativen Verhaltens entstehen kann, oder auch Fälle, in denen Konformität generell ohne erkennbare äußere Strafreize bzw. Verstärker entsteht. Darauf aufbauend postuliert FESTINGER’s Theorie ein Bedürfnis des Menschen, seine Meinungen zu überprüfen. Die Annahme eines sol
chen Bedürfnisses ist lempsychologisch begründbar Solange eine Meinung nicht (wenigstens subjektiv) bewiesen oder widerlegt ist, besteht Unsicherheit, was häufig mit einem aversiven Zustand verbunden ist. Meinungen über "physische Realitäten"
sind - wenigstens prinzipiell - von jedem selbst auf rational-empirischem Weg über
prüfbar. Bei Meinungen aus dem Bereich der "sozialen Realität" bietet sich diese Möglichkeit hingegen nicht. Gerade der soziale Bereich ist aber von großer persönli
cher Bedeutung. Um hier zu "bewiesenen" Ansichten zu gelangen, setzen soziale Vergleichsprozesse ein, d.h. man vergleicht sich hinsichtlich der fraglichen Punkte mit anderen Personen und zwar mit geeigneten Bezugspersonen. Anwendung finden diese theoretischen Ausführungen hier in Gestalt der Meinungen von Ehepartnern bezüglich ihrer politischen Präferenzen. Es wäre entsprechend zu erwarten, daß
- zwischen Ehepartnern allgemein ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung bezüg
lich ihrer politischen Grundüberzeugungen besteht und daß
- die Veränderung der eigenen politischen Präferenz seitens eines Ehepartners An
gleichungsprozesse zur Folge haben, die in Richtung konformer Meinungen wirken.
4.2 Die Überprüfung der These haushaltsintemer Konformitäts
prozesse bei Ehepartnern
Die Daten aus Schaubild 7 vermitteln ein klares Bild über den Charakter haushalts
intemer Prozeßverläufe der politischen Präferenzen von Ehepartnern. Betrachtet man zunächst die absoluten Größenverteilungen so zeigt sich, daß bei über 70 Prozent aller Ehepaare bezüglich ihrer politischen Präferenzen Meinungskonformität besteht (1984: Teilgruppe 4, schwarze Säulen). Im Falle konformer EinstellungsStrukturen stimmen ca. 80 Prozent der Ehepaare ein Jahr später (1985) immer noch in ihrer Mei-
Schaubild 7: Die Struktur haushaltsin
terner Wandlungsprozesse politischer Präferenzen bei Ehepartnern.
Anteile % (N In 100)
IZ2 1987 H D 1986 H D 1985 H 1984
Datenbasis: SOEP; integrierte Längs
schnittdaten von Welle 1 (1984) bis Welle 4 (1987).
Teilgruppen:
1 - Parteipräferenz des Haushaltsvorstands (HHV) ist identisch mit der des jeweiligen Ehepartners (PAR) (Anteil in Prozent).
2 - Einer der Partner gibt an. keine feste Parteineigung zu haben (Anteil in Prozent).
3 - Parteipräferenz des Haushaltsvorstands ist nicht identisch mit der des Ehepartners (Anteil in Prozent).
4 - Reale Fallzahlen einzelner Gruppen: 1984, 1984 und 1985,1984 bis 1986,1984 bis 1987; jeweils identische (nichtidentische) Parteipräferenzen von Haushaltsvorständen und ihren Ehepartnern. Die Verteilungen der Teil gruppen 1 bis 3 beziehen sich auf die jeweilige Ausgangspopulation des Vorjahres (Teilgruppe 4).
nung überein (Teilgruppe 1). Bei 17 Prozent hat einer der Ehepartner eine neutrale Position eingenommen ("Ohne Präferenz") und nur drei Prozent stimmen bezüglich ihrer politischen Überzeugungen inhaltlich nicht mehr überein (Teilgruppe 3). Eine einmal erzielte Meinungskonformität wird also in hohem Maße beibehalten und dar- überhinaus mit der Zeit zusätzlich stabilisiert: Betrachtet man die Meinungsstrukturen von Ehepaaren in 1987, die zwischen 1984 und 86 ausschließlich konforme Parteinei
gungen äußerten (Säulengruppe 1987), wird dieser Sachverhalt besonders deutlich. 90 Prozent der Ehepartner stimmen hier immer noch in ihren Meinungen überein, bei nur acht Prozent nimmt ein Ehepartner eine neutrale Haltung ein, und nur zwei Pro
zent differieren in ihren politischen Präferenzen.
Einen völlig anderen Verlauf nehmen die Verteilungen bei Ehepaaren mit nicht-kon- formen Meinungsstrukturen. Von allen Ehepaaren, die 1984 in ihrer politischen Präferenz divergierten, fanden 1985 über 50 Prozent zu übereinstimmenden Meinun
gen. In fast einem Drittel aller Fälle nimmt jedoch einer der Ehepartner eine neutrale Position ein, so daß der reale Anteil meinungsinkonsistenter Ehepaare unter 20 Pro
zent liegt Durch statistische Auswahlverfahren können auch nur jene (wenigen) Ehe
paare betrachtet werden, denen es nicht gelang, zwischen 1984 und 1986 konforme Meinungen herauszubilden (Säulengruppe 1987). Zwar bildete nur ca. ein Viertel die
ser Ehepaare von 1986 auf 87 konforme politische Präferenzen heraus, dennoch bleibt der Anteil realer Meinungsdivergenzen unter 35 Prozent, denn in über 45 Pro
zent (!) aller Fälle gibt nun einer der Ehepartner an, keiner Partei mehr zuzuneigen.
Zusammenfassend läßt sich damit festhalten: Die auf der Basis der Theorie von FESTINGER aufgestellten Annahmen lassen sich für haushaltsinteme Verän
derungen politischer Präferenzen bestätigen. So findet sich zum einen ein allgemein hoher Anteil meinungskonformer Ehepaare (über 70%). Andererseits zeigt sich, daß meinungsinkonsistente Ehepaare dazu tendieren, ihre Meinungen einander an
zugleichen. Dafür zeichnen sich zwei Lösungswege ab. Der eine liegt in einer inhaltlichen Meinungsangleichung, der andere - insbesondere bei den (wenigen) Ehe
paaren, die über längere Zeit hinweg zu keiner solchen Übereinstimmung kommen konnten - liegt darin, daß einer der Partner seine Präferenz zugunsten einer neutralen Position aufgibt und damit zur "Lösung" aktueller Meinungsdivergenzen beiträgt.
Daß es sich bei diesen Angleichungsprozessen tatsächlich um inhaltliche Überein
stimmungen von Haushaltsvorständen und ihren - meist weiblichen - Ehepartnern handelt, wird für einzelne Parteien durch Schaubild 8 bestätigt. Dargestellt werden für vier Parteien und differenziert nach Haushaltsvorständen und ihren Ehepartnern in den linken Teilgruppen (1,4,6,8) jeweils der Prozentanteil der Präferenz für eine bestimmte Partei in 1987, die 1986 von einer Person noch nicht präferiert wurde - es handelt sich also um den allgemeinen Anteil individueller Neuzugänge an Anhängern der betreffenden Partei von 1986 auf 87. Die Teilgruppen rechts davon (2,5,7,9) ent
halten ebenfalls Anteile neuer Parteipräferenzen, hier allerdings unter der Bedingung, daß der jeweilige Partner von 1986 auf 87 seine Präferenz zugunsten der jeweiligen Partei veränderte. Am Beispiel der SPD sei dies verdeutlicht: Von allen Haushalts-
Schaubild 8: Parteipräferenzen im Haushaltskontext - Prozentverteilungen.
Prozent
\ / A Haushaltsvor. 1987 SH Ehepartner 1987
Datenbasis: Sozio-Ökonomisches Panel - Integrierte Lfingsschnittdaten 1984-87.
Teilgruppen:
(1.4.6.8) - Allgemeine Übergänge von Haushaltsvorständen und Ehepartnern zwischen 1986-1987; Bedingung: Die wird 1986 nicht oräferi@rt. Angegeben wird der Anteil der jeweiligen Parteipräferenz in 1987
(2.5.7.9) - Übergänge von Haushaltsvorständen und Ehepartnern zwischen 1986-1987; Bedingungen: 1. Die Partei wird 1986 von beiden Partnern nicht präferiert; 2. Der Partner präferiert die jeweilige Partei in 1987. Angegeben wird der eigene Anteil der jeweiligen Parteipräferenz in 1987.
3 - Wie die Gruppen 2,5,7,9; zusätzliche Bedingungen: 1. Nur Befragte bis zum 45. Lebensjahr; 2. Nur Befragte mit (sehr) starkem Interesse für Politik.
Vorständen, die 1986 diese Partei nicht präferierten, präferieren ca. neun Prozent ein Jahr später die SPD (Teilgruppe 1). Diese Personen stellen die individuelle Referenz
gruppe für Teilgruppe 2 dar, die inhaltlich wie folgt zu interpretieren ist: Von den Haushaltvorständen, die 1986 - ebenso wie ihr Ehepartner - die SPD nicht präferier
ten, von denen aber alle Ehepartner (100%) 1987 die SPD präferierten, geben über 60 Prozent 1987 an, nun auch der SPD zuzuneigen - oder, etwas weniger abstrakt: Präfe
riert einer der Ehepartner von einem Jahr auf das andere die SPD, so schließen sich fast zwei Drittel der jeweiligen Partner dieser Meinungsänderung an. Dieses präg
nante Resultat findet sich tendenziell auch bei anderen Parteien - überall bilden haus
haltsbezogene Übergänge ein Vielfaches der individuellen Übergänge.
Ergänzend sei jedoch angefügt, daß diese Konformitätsprozesse auch bestimmten Einschränkungen unterliegen. Teilgruppe 3 stellt diesen Sachverhalt exemplarisch für die SPD-Anhänger dar. Betrachtet man nur jüngere und politisch interessierte Perso
nen, so zeichnet sich ein erheblich geringerer Angleichungseffekt sowohl für Haus
haltsvorstände, als auch für deren Ehepartner ab. Die Intensität des Wunsches, sich mit seiner Meinung konform mit der des Partners zu befinden, ist also nicht unab
hängig von bestimmten Individualmerkmalen zu sehen. Es erscheint nicht unplau
sibel, daß gerade innerhalb jüngerer Ehegemeinschaften eine bezüglich politischer Überzeugungen divergierende Meinungskonstellation durchaus als akzeptabel gilt, denn sowohl das eheliche Partnerschaftsverhältnis als auch der individuelle Stellen
wert politischer Überzeugungen unterlag in den letzten Jahrzehnten einem nicht uner
heblichen Wandel.
4.3 Zusammenfassung und Zwischenresümee
Die vorangegangenen Ausführungen konnten deutlich machen, daß Forschungsde
signs, die die Veränderungen politischer Präferenzen ausschließlich mittels Längs
schnittauswertungen auf Individualdatenbasis verständlich zu machen versuchen, für diese Forschungsaufgabe substantiell wichtige Informationen übersehen. Wo Men
schen in Beziehungen Zusammenleben, ist neben der Vielzahl individueller Mei
nungsbildungsfaktoren (neue Informationen, persönliche Veränderungen etc.) zumin
dest eine weitere Einflußgröße zu berücksichtigen, nämlich das Bedürfnis nach Mei
nungskonformität mit dem Partner. Den - wie auch immer ausgelösten - individuellen Veränderungen von Parteipräferenzen kommt innerhalb sozialer Primärgruppen inso
fern eine doppelte Bedeutung zu (wobei der zeitliche Zusammenhang beider Kom
ponenten allerdings hier nicht konkret zu bestimmen ist): Sie reflektieren nicht nur ei
gene, "personeninteme" Neubewertungen des politischen Parteienspektrums, sondern signalisieren in vielen Fällen auch dem jeweiligen Partner, seine - nunmehr divergie
rende - Meinung zu überprüfen. Natürlich können quantitative Umfragedaten nur unzureichend Aufschluß über Inhalt und Verlauf der dabei involvierten haushaltsin- temen Meinungsbildungsprozesse geben. Wohl aber ist, in Gestalt des hohen Aus
maßes an Meinungskonformität bei Ehepartnern, das Ergebnis dieser Prozesse erkennbar. Identifiziert werden kann - für eine quantitativ eher unbedeutende Gruppe
von Ehepaaren - aber auch ein Prozeß, der durch die "Aufgabe" einer bestehenden politischen Präferenz zu einer mittelbaren Form von Meinungskonformität fuhrt. Das relativ hohe Ausmaß an individueller Meinungsvariabilität über die Zeit stellt also keineswegs nur das Ergebnis persönlicher Umbewertungen von rational-kognitiv verarbeiteten Sachinformationen dar, sondern kann in nicht unerheblichem Umfang auch in Verbindung mit haushaltsintemen Prozessen zur Meinungskonformität gese
hen werden. Beide Faktoren - Informationsverarbeitung und Konformitätsbedürfnis - wirken in wechselseitigem Zusammenspiel auf die zeitliche Konsistenz individueller Meinungsstrukturen. Insofern kann sich eine ausschließlich auf das Individuum bezo
gene Analyse der Variabilität bzw. Stabilität von Parteineigungen als irreführend erweisen.
In der sozialpsychologischen Einstellungsforschung wurde allerdings oft die Frage aufgeworfen, inwieweit die durch bestimmte Gruppenprozesse induzierten Verände
rungen echte Meinungs- bzw. Einstellungsänderungen widerspiegeln, oder ob es sich nur um ein äußeres, durch die Anwesenheit anderer Personen verursachtes, verbales Nachgeben handelt, um eine (im Interview geäußerte) Scheinanpassung nach außen unter Beibehaltung der eigenen Meinung (LUCHINS/ LUCHINS 1955). Das fol
gende Kapitel versucht diesem Sachverhalt dadurch Rechnung zu tragen, in dem es die Interviewsituation als zusätzliche Kontextinformation miteinbezieht.
5. Panelauswertungen von Kontextinformationen unter Berück
sichtigung der Interviewsituation
Obwohl zur Problematik von Effekten der Interviewsituation auf die Ergebnisse von Befragungen mittlerweile einige empirische Untersuchungen vorliegen (REUBAND 1984), werden nach wie vor bei der überwiegenden Mehrheit von Befragungen derar
tige methodenkritische Überlegungen weder bei der Entwicklung des Erhebungsin
struments berücksichtigt, noch bei der Datenpräsentation dokumentiert. Es ist vorab zumindest nicht auszuschließen, daß im Rahmen von Interviewsituationen, bei denen der Ehepartner an der Befragung teilnahm, die so erfaßten (konformen) Meinungen keine echte Meinungsgleichheit widerspiegeln, sondern nur ein äußeres, verbales Nachgeben erfassen. Zu prüfen ist deshalb die These, daß
Schaubild 9: Parteipräferenzen im Haus
haltskontext - Korrelationen 1986-87.
Tau b
Teilgruppen
I / J Partner anwesend I I I Partner nicht an w . Alle E hepaare
Datenbasis: Sozio-ökonomisches Panel - Integrierte Längsschnittdaten 1984-1987.
Teilgruppen:
1 - Haushaltsvorstände: Korrelation ihrer Parteipräferenzen zwischen 1986 und 87.
2 - Ehepartner: Korrelation ihrer Parteipräferenzen zwischen 1986 und 87.
3 - Korrelation zwischen der Parteipräferenz von Haushaltsvorständen und ihren Ehepartnern zu 1986.
4 - Korrelation zwischen der Parteipräferenz von Haushaltsvorständen und ihren Ehepartnern zu 1987.
5 - Korrelation Haushaltsvorstände 1986-87; bei konstanter Parteipräferenz ihrer Ehepartner von 1986 auf 87.
6 - Korrelation Ehepartner 1986-87; bei konstanter Parteipräferenz ihrer Haushaltsvorstände von 1986 auf 87.
7 - Korrelation Haushaltsvorstände 1986-87; bei wechselnder Parteipräferenz ihrer Ehepartner von 1986 auf 87.
8 - Korrelation Ehepartner 1986-87; bei wechselnder Parteipräferenz ihrer Haushaltsvorstände von 1986 auf 87.
- Personen unter ansonsten gleichen Bedingungen ihre eigene Parteineigung dann eher beibehalten, wenn ihr Partner seine politische Präferenz zwar veränderte, aber selbst beim Interview nicht (mit-)anwesend war.
5.1 Die Stabilität politischer Präferenzen bei Anwesenheit des Ehepartners beim Interview
Schaubild 9 stellt die Korrelationen der Parteipräferenzen von Haushaltsvorständen bzw. Ehepartnern zwischen 2 Jahren (1986 und 87) und zwischen Haushaltsvorstän
den und ihren Ehepartnern zu jeweils einem Jahr dar. Verwendet wird das Assozia
tionsmaß Tau b, das sich besonders für quadratische Übergangsmatrizen eignet. Den Maximalwert von +/- 1.0 erreicht Tau b nur dann, wenn die Diagonale einer Tabelle
zu 100 Prozent besetzt ist (BENNINGHAUS 1979:149ff.). Der Wert +1.0 würde inhaltlich an dieser Stelle die völlige Übereinstimmung der politischen Präferenzen bedeuten und zwar entsprechend
- zwischen zwei Jahren für ein und dieselbe Person oder
- zwischen Haushaltsvorständen und ihren Ehepartnern zu jeweils einem Jahr.
Weiterhin wird zusätzlich danach unterschieden, ob der jeweilige Partner bei der zweiten Befragung, also 1987 anwesend war oder nicht1!). Die Säulen der Teilgruppe 1 enthalten die allgemeinen Korrelationen der politischen Präferenzen von Haushalts
vorständen zwischen 1986 und 87. Das Niveau der Koeffizienten liegt mit Werten zwischen .5 und .6 recht hoch und ist ziemlich unbeeinflußt davon, ob der jeweilige Partner bei der Befragung anwesend war oder nicht. Die Säulen der Teilgruppe 2 bil
den den gleichen Sachverhalt mit ähnlichen Resultaten für die (meist weiblichen) Ehepartner der Haushaltsvorstände ab. Die Säulen der Gruppen 3 und 4 stellen Korre
lationen zwischen Haushaltsvorständen und Ehepartnern von 1986 bzw. 1987 dar.
Diese Korrelationen bewegen sich ca. auf dem gleichen Niveau wie diejenigen ein und derselben Person über zwei Jahre hinweg, und entsprechen dem schon festge
stellten hohen Ausmaß an konformen politischen Meinungs-dyaden bei Ehepartnern.
Die größte Konstanz der eigenen politischen Präferenz findet sich bei Mitgliedern von Ehegemeinschaften erwartungsgemäß dann, wenn der jeweilige Partner seine Parteineigung zwischen 1986 und 87 nicht veränderte. Gruppe 5 zeigt dies für Haus
haltsvorstände, Gruppe 6 für deren Ehepartner. Die Koeffizienten liegen hier zwi
schen .6 und .7; das heißt, für ein "kritisches" Maß wie Tau b, auf einem sehr hohen Niveau. Die Teilgruppen 7 und 8 enthalten ebenfalls die Korrelationen der eigenen Parteipräferenzen von Haushaltsvorständen und Ehepartnern zwischen 1986 und 1987, jedoch unter der Bedingung, daß sich die politische Präferenz des jeweiligen Partners in diesem Zeitraum veränderte. Obwohl von der Tendenz her eindeutig, ist hier ein - nach den beiden Haushaltsmitgliedergruppen getrennt zu betrachtender - Einfluß der Interviewsituation identifizierbar. So zeichnet sich für Haushaltsvorstände zum einen zwar ab, daß ihre eigene politische Meinung durch die veränderte Par-tei- neigung ihres Ehepartners sichtbar mitbeeinflußt wurde, denn das entsprechende